Absztrakkt und Cr7z – zwei Stile, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Absztrakkt rappt hart, kantig, unberechenbar. Kompromisslos wird hier ein Drumschlag ignoriert, da ein Reim ausgelassen. Cr7z hingegen, fließt geradezu über die Beats – der Begriff „Flow“ scheint nur für ihn geschaffen. Unangestrengt und technisch feinsinnig gleitet die flächige Stimme von Takt zu Takt, als hätte Cr7z nie etwas anderes gemacht. Die beiden haben seit Jahren immer mal wieder auf vereinzelten Songs kollaboriert – aber funktioniert dieses ungleiche Duo auch auf Albumlänge? Unstimmig zusammen gewürfelt oder stimmiges Spiel mit dem Kontrast?
„Absztrakkt macht das Grob-, Cr7z macht das Feintuning“
(Absztrakkt auf „Bodhicore Tuning„)
Inhaltlich jedenfalls reiten die Protagonisten auf der selben Welle. Introvertiert, reflektiert und grundehrlich greifen die beiden ebenso gerne zu abstrakten Metaphern wie zu direkten, unmissverständlichen Klartext-Formulierungen. Wenn Cr7z auf auf „Boodha Monk“ seinen Alkoholismus und körperlichen Verfall thematisiert, dann gehen Zeilen wie „Das Fleisch muss dem Willen gehorchen – gib mal den Korn, der Mann ist gleich dran und braucht Betäubung auf die vereiterten Mandeln“ ebenso unter die Haut wie „Willste mich mal drücken? Glaub mir, lass es – Biohazard-Emblem auf dem Shirt – fand‘ ich irgendwie passend“ unweigerlich unter die Haut. Bei Absztrakkt ist die Kluft zwischen Metapher und Klartext noch weit größer. Mal packt der Lüdenscheider eine Vorschlaghammer-Rhetorik aus, um sich zwei Zeilen später in buddhistischen oder fernöstlich-martialischen Metaphoriken zu verlieren, die ohne Internetanschluss kaum zu dechiffrieren sind.
„Unser Weltbild ist ’ne Aneinanderreihung von Fehlern, gestützt auf heftigem Treiben der Mächtigen /
Wir sind seit jeher die Geknechteten – die meisten mit der Fessel eng am Geist anliegend //
Ich bau mit den übrigen Restlichen eine riesige Stupa / Hoffnung für jede mich liebende Schwester, für jeden mich liebenden Bruder // Forme mit den Fingern verschiedene Mudras / Wer die Symbolik erkennt tritt jetzt schon ein in ein friedliches Yuga“ (Absztrakkt – „Anahata“)
Aber nicht jeder Song ist intim oder gehaltvoll. Die beiden haben auch hörbar Bock zu rappen. Songs wie „Bodhicore Tuning“ und „Isso“ sind lupenreiner Representer. Absztrakkt setzt dabei reimtechnische Ausrufezeichen und nimmt so der Kritik an seinem Style den Wind aus den Segeln, Cr7z beweist erneut, dass er ein bitterböser Spitter ist. Auch die Rapszene kriegt auf „Freudenspender“ ihr Fett weg – gerade der Bodybuilding-Kult wird mit dem verbalen Katana zerlegt. Namen werden aber keine genannt. Dafür werden dann – ungewohnt von beiden Solokünstlern – 90BpM Boombap-Beats herangeholt, die für frischen Wind zwischen den bedrohlichen orchestralen und den fernöstlich anmutenden, beengenden Beats sorgen, die Absztrakkt sonst so gerne wählt.
Vor allem die Songs, die auf weniger schwermütigen Beats stattfinden und eben auch weniger emotional sind, beseitigen die zu Beginn formulierten Zweifel an der Kombo eindeutig: Bei Absztrakkt und Cr7z passt alles. Wenn nach je vier Bars ein schneller Schlagabtausch stattfindet oder sich im Part des einen Adlibs und einzelne Zeilen des anderen wieder finden, dann baut das weiterhin Stimmigkeit auf – ein reines 16er-Absz, 16er-7z Zusammenspiel hätte „Waage und Fische“ das Genick gebrochen. Stattdessen harmonieren die beiden hervorragend miteinander, kompensieren ihre jeweiligen kleinen Schwachstellen untereinander, wie insbesondere „Mosaik“ eindrucksvoll beweist.
Nur einige Ausnahmen, in denen die beiden inhaltlich ein Wenig aneinander vorbeischießen, wie es bei „Hip Hop Medi“ der Fall ist. Um so interessanter sind Songs wie „Ey Sorry“ und das darauf folgende „Blut und Wasser„, in denen von beiden Protagonisten ihre jeweilige Version und Erfahrung mit einem bestimmten Thema geschildert wird – insbesondere letzterer, in dem das das Verhältnis zum eigenen Stiefvater thematisiert und intim und ehrlich dargelegt wird. Cr7zs entwaffnend offenherzige und ungenierte Rhetorik zeigt sich einmal mehr und sorgt in Kombination mit der spürbar emotionalen, aber zu keiner Zeit zu pathetischen, Delivery immer mal wieder für einen fetten Kloß im Hals.
„In diesem Lied möchte ich mich von ganzem Herzen für die Zeit die wir zusammen gemeistert haben bedanken / Im Prinzip bist du mein Vater, weil du immer für mich da warst – in diesem Fall ist Blut nicht so dick wie Wasser // Ich wär schon längst unter der Brücke, hättest du nicht drauf geachtet, dass alles einigermaßen passt / Ich weiß ich bin ein Kind, wie es sich niemand wünscht, vielleicht wär ich im Knast // Irgendwie fließt mir ja doch das Wesen des Erzeugers in den Adern“ (Cr7z – „Blut & Wasser„)
Absztrakkt und Cr7z schaffen es nicht nur, ihre unterschiedlichen Dynamiken schlüssig zu kombinieren, sie treiben aneinander geradezu zur Höchstform an. Die Instrumentale greifen ineinander und sind abwechlungsreich strukturiert, dennoch kommt es nie zu einem störenden Bruch. „Waage & Fische“ ist kein Album für die Zufallswiedergabe – das Tracklisting der 18 Songs könnte kaum mehr onpoint sein. Auch wenn sich kein Konzept oder roter Faden durch das Album fräsen, bleibt am Ende das Gefühl, ein rundes, liebevoll ausgearbeitetes und zitierfähiges Album gehört zu haben, das sowohl Überraschungen mit sich bringt als auch alle Erwartungen voll erfüllt. Absztrakkt und Cr7z sind einfach derart authentische und greifbare Charaktere, dass der Begriff „Charakter“ eigentlich nicht passt. Bei all der unverhohlenen Ehrlichkeit, die ohne Übertreibungen oder Kunstgriffe, um sich selbst interessanter zu inszenieren, auszukommen scheint, könnten auch Claudio & Chris als Interpreten angegeben sein. „Waage & Fische“ funktioniert tatsächlich auf jeder Ebene und ist kein Album, das irgendwann im Regal verstaubt.