Alter Schwede. Was ist denn da passiert? Das schießt mir schon beim ersten Hören des neuen Savas-Albums gleich mehrmals durch den Kopf. Ich hatte die Hoffnung ja ehrlich gesagt schon aufgegeben, dass mir ein Album des King of Rap nochmal gefallen würde. Als Fan der ersten Stunde und von Songs wie „LMS“ oder „King of Rap“ bin ich zwar stets ein Bewunderer der technischen Fertigkeiten des Berliners geblieben. Das Feuer aber, die unbändige Energie und der Adrenalinkick beim Hören schienen mir lange Zeit erloschen, vorbei, Geschichte. Ob es an mir lag oder den Alben von Savas – keine Ahnung. Klar waren auf „Aura“ starke Songs. Aber insgesamt konnte ich mich mit alldem nicht mehr identifizieren. Zu wenig Druck, schien es mir.
Nun, „Märtyrer“ hat definitiv Druck. Dabei wirkt Kool Savas hier – ein scheinbarer Widerspruch – entspannter und befreiter als je zuvor. Offenbar hat ihm die kreative Auszeit richtig gut getan. Ich kann mich nicht an ein Savas-Album erinnern, auf dem dieser seine Stärken so kompromisslos ausgespielt hätte. Es ist endlich DAS Battle-Rap-Album schlechthin. Rap über Rap, ohne falsche Bescheidenheit oder Scham. Ohne Versuche, persönlicher oder politisch zu werden. Ohne Liebessongs. Ohne alles. Einfach pur, hart und in die Fresse. Wow.
Bereits im Intro schmeißt Savas die Maschine an und danach gibt es kein Halten mehr. In irrwitzigem Tempo rast er über düstere, pathetische Beats, das einem die Freudentränen in den Augen stehen. „Ich schlag mir selbst in die Fresse, bevor ihr es tut/ und setz‘ mich über sie hinweg – Raps Viadukt„. Und das mit einer schneidenden Stimme voller Angriffsfreude ins Gesicht des Hörers gespuckt. Angesichts des Flowgewitters, das da auf einen herniederbricht, merkt man kaum, dass der Beat fast keine spürbaren Drums besitzt. Pure Magie. Purer Savas. Es ist fast, als hätten wir wieder 2000 und alle MCs wären schwul in Deutschland (no homophobia). Halleluja.
Und das Beste ist: Es geht genauso weiter. Der Titelsong sollte ja bereits allen bekannt sein. Wuchtig rappt SAV auch dieses Brett in Grund und Boden. Das Kindergesangssample zu Beginn von „S A zu dem V/ Es ist wahr“ lässt einen für eine Sekunde zögern, ob es nun doch vielleicht in eine andere Richtung geht, aber nein. Zwar nimmt Savas hier erstmal ein bisschen Wut raus, tackert seinen Flow aber so präzise und gleichzeitig lässig auf das flotte Instrumental, das man kaum mit dem Zuhören hinterherkommt.
Mit „Zweifel und Bestätigung“ folgt direkt darauf der wohl beste Song des Albums: Ein einfaches Thema, klar, seit jeher grundlegend in der Menschheitsgeschichte, aber auf dem atmosphärischen Beat perfekt umgesetzt, inhaltlich wie technisch. Von der Dunkelheit ans Licht kämpft Savas sich durch äußere und innere Zweifel (die übrigens von Laas Unltd. mit runtergepichten Vocals verkörpert werden). Brutal.
Dass mit „Limit“ nun der einzige softere Song auf dem Album folgt, ist sicherlich einer wohldurchdachten Dramaturgie geschuldet. Retardierendes Moment etc. Kein Ding. Trotzdem wird er der einzige sein, den ich in Zukunft skippen werde. Auch wenn Savas rappt, der Beat sei ein „trojanisches Pferd“ – mag sein, trotzdem nicht mein Ding. Die gute Nachricht ist, das mit dem bereits bekannten „Matrix„, dem hymnischen „Summa Summarum„, dem heimlichen Titelsong „Rap über Rap„, der nicht defensiv-rechtfertigend, sondern selbstbewusst-tonangebend daherkommt und vor allem „Neue Namen„, das auf einem dezent orientalisch angehauchten Beat mal eben in knapp vier Minuten die Lage im Deutschrap aus Savas‚ Sicht runterbricht, noch mehr herrlich gnadenlose Geschosse in der zweiten Hälfte von „Märtyrer“ lauern, mit denen ich persönlich – wie eingang bereits erwähnt – so gar nicht gerechnet hatte. Joke’s on me.
Als absolut richtig erweist sich die Entscheidung des Kings, auf sämtliche Sticheleien oder direkten Angriffe der jüngeren Vergangenheit nicht direkt, gar mit namentlicher Nennung zu reagieren. Dadurch vermeidet es Savas, in eine defensive Position zu geraten, eines Königs, der sein Reich verteidigen muss. Stattdessen setzt er selbst seine Akzente, bestimmt selbst die Agenda – und auf der stehen vor allem drei Großbuchstaben: R, A und P.
Den Ausflug ins Private gibt es dann auch noch: Mit dem Skit „Anekdote aus Istanbul“ geht es zurück in Savas‚ Kindheit. Und mit einer seiner Lieblingsphrasen beendet er dann dieses Album, das einen staunend und angenehm überrascht hinterlässt: „Lang genug gewartet„. Dass ein Album erscheint. Ja, genau. Noch nie hat es so sehr gestimmt wie dieses Mal. Kurz und klein: Azad hat nicht zuviel versprochen. „Märtyrer“ ist das beste Kool Savas-Album aller Zeiten. Heilige Scheiße.