Disarstar – Tausend in Einem (Review)


Als mir das Presseexemplar von „Tausend in Einem“ mit den Worten „Hör doch mal rein, wenn’s gut is‘ schreib was dazu“ auf den Schreibtisch geknallt wurde, hatte ich noch nie etwas von Disarstar gehört. In den ewigen Weiten des Internets war ich irgendwo, irgendwann mal über den Namen gestolpert, aber das war es auch an Infos. Bis auf den Eindruck vom Look des 20-Jährigen unvoreingenommen, aber auch nicht sonderlich gespannt, legte ich die optisch eher unscheinbare EP ein, um mir ein Bild zu machen.

Während ich den Titeltrack hörte, war ich der Meinung es mit einem verdammt guten Battlerapper zu tun zu haben – ein klassischer Representer-Track, auf dem Disarstar seine verbalen Muskeln spielen lässt. Technisch versiert und pointiert präsentiert der 20-Jährige seine Skills auf einem Beat aus den Maschinen von 812 Sound. Der Song eröffnet bereits mit einer zwölfzeiligen Reimkette, die Disarstar druckvoll, routiniert und mit einer beeindruckend zielstrebigen Delivery vorträgt. „Tausend in Einem“ setzt ein Statement und nimmt somit direkt zu Beginn der EP jedem Zweifler den Wind aus den Segeln. Auch mir.

Leben war total Latte, damals als sie dachten dass ich nachlasse, heut’ ist die Stimme eine Tatwaffe und die Arme beinahe so dick wie meine Strafakte – Deutschrap A-Klasse, wenn es nicht klappt  Besorg’ ich mir eine Scharfe und ’ne Kartmaske und räume die Sparkasse“

Durchaus beeindruckt lechzte ich nach mehr dieser Rhymepattern, dieses druckvollen Flows und des einfach verdammt stimmigen Sounds.

Als dann der von LO produzierte Beat zu „Facette“ einsetzte war ich einen Moment skeptisch. „Jetzt kommt bestimmt wieder so ein tut-mir-leid-Mama-dass-ich-immer-Gangster-Sachen-Mache-Standardsong“ dachte ich mir. Spätestens nach dem ersten Verse war ich von Gegenteil überzeugt, aber auch irritiert. Wie kann dieser Kerl mit dem Tysonschnitt und der Bomberjacke es wagen, plötzlich all meine Vorurteile und Erwartungen über den Haufen zu schmeißen? Rapper, die so aussehen ficken doch für gewöhnlich Mütter und schmeißen, die Tec-9 im Hosenbund, champagnergetränkte Geldscheine auf die Bitches, die sich auf der Motorhaube ihres nagelneuen Sportwagens räkeln.Aber das? Plötzlich kommt dieser Typ mit so einem reflektierten und vor allem komplett von Worthülsen und Phrasen befreiten Text um die Ecke.

Aus der ersten Person spricht Disarstar zum Hörer – als „Facette“ des Handelns und Denkens des Hörers.  Mit klaren und harschen Worten spricht Disarstar aus der Sicht der „Facette„, die den Teil des Verstandes darstellt, der einen krank macht und zugleich zu Leistung treibt – krankhafter Ehrgeiz oder die Motivation, alles zu erreichen, was man sich erträumt? Der Grat ist schmal – das weiß auch die innere Stimme, die Disarstar hier verkörpert. „Wenn du denkst, dass ich zu viel erwarte, bist du zu schwach / Du hast zu gehorchen, ey, keiner fragt dich, ob es dir passt“

Gespannt auf das kommende widmete ich mich der nächsten Anspielstation: St. Pauli,  der viel besungene Hamburger Bezirk erfährt auch auf „Tausend in Einem“ eine Hymne. „Tor zur Welt“ schildert den Charakter und den Zeitgeist des Viertels, in dem Disarstar lebt und nach Möglichkeit auch bleiben möchte. Den maroden Charme, der von „Cops und betrunkenem Gesocks“ geprägt, aber von „Hipsterlappen, die sich wichtig machen“ zerfressen wird, möchte der junge Hamburger nicht missen. „Alles geht, zwischen Asphalt und den Wolken über dieser Stadt“ – treffend und ohne in ein Extrem zu verfallen beschreibt Disarstar den kontrastreichen Flair seiner Heimat plastisch.
Mehr Brennpunkt geht nicht, ehrlicher geht nicht – das Viertel hat Charakter, es lernt und bewegt sich“ Das klang wieder eher nach dem was ich mir versprochen hatte – in welche Schublade sollte ich den Jungen Hamburger denn nun zu stecken? In der Hoffnung auf Klarheit widmete ich mich dem nächsten Track.

Uff! Nach dem Hören von „Demontage“ sollte man sich erstmal einen Moment Ruhe gönnen, um den Track sacken zu lassen. Die Atmosphäre erdrückt einen bereits nach den ersten Paar Zeilen, die Wortwahl ist, ähnlich wie schon in „Facette„, so durchsetzt von treffenden Metaphern und Chiffren, gleichzeitig aber so klar und präzise wie ein Skalpell. Auch der Wechsel der Erzählperspektive ist ein gelungener Kunstgriff, durch den dem Track jeglicher erhobener-Zeigefinger- und hört-was-ich-zu-sagen-habe-Beigeschmack abgeht. Diese Demontage sollte einem zu denken geben. „Wir sind so gut im Pläne schmieden, doch irgendwo sind wir stehen geblieben – auf der Suche nach Erfüllung und Verwirklichung finden wir alles andere als Seelenfrieden“.

Okay, irgendwie sollte ich den Typen einfach in die Tausendsasa-Schublade stecken – verdammt, hätte ich mir den Titel der EP doch noch einmal mal durchgelesen…

Zum Abschluss des 16-minütigen Tonträgers erlaubt Disarstar es sich doch noch einmal nur über sich zu sprechen – allerdings weder auf eine plakative Art und Weise, noch in einem narzisstischen Stil. Wäre die EP nicht so verdammt gut, könnte man diese kritischen Formulierungen zwar durchaus in Betracht ziehen, aufgrund der vorhergegangenen Tracks gehören Sätze wie „Sie wollen sehen wie ich versage, doch das kommt nicht mal in Frage, denn das hier ist eine Gabe – das sollen alle hören!“ aber tatsächlich eher in den reflektierte-Aussage-Ordner. Okay, die ein oder andere Phrase wird gedroschen und so ganz lässt sich der Beigeschmack des ausgetretenen „Keiner hat man mich geglaubt, alle wollen mich scheitern sehen – aber ich habs ihnen allen gezeigt“-Pfades nicht abschütteln. Aber nach vier durchaus beeindruckenden Anspielstationen kann Disarstar sich das durchaus erlauben – und der Hörer ein Auge zu drücken.
„Und wenn ihr euch fragt was ich mache: Ich mach‘ Mucke und hab Spaß an der Sache – nach wie vor“

Ich war also durch mit der Ep – und wie von selbst wanderte mein Finger ohne zu zögern zum Repeat-Knopf. „Tausend in Einem“ ist durch und durch rund, durchdacht, überraschend und regt ebenso zum Nachdenken an, wie es unterhält. Chapeau, Mr. Disarstar – wenn du das auch auf Albumlänge schaffst, dann möge Gott der Szene gnädig sein.