Jeder hat es mitbekommen: Deutsche Rapper stecken momentan einen großen Teil ihrer Zeit in Videos, mit denen das bald erscheinende Release des Künstlers bekannt gemacht werden soll. Gefunkt wird auf allen Kanälen: Von den klassischen Interviews, die nach wie vor nicht fehlen dürfen, über Blogs, in denen das Album wenig bis gar keine Rolle spielt bis hin zur eigenen Talkshows sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Muss das wirklich sein?
Nein. Muss es nicht. In den USA, wo dies auch seit langem gang und gäbe ist, wird dieser Trend nun durchbrochen. Kendrick Lamar, Drake, Earl Sweatshirt und zuletzt auch Tyler The Creator kündigten ihre Alben eher kurz vor knapp an, wenn man die hiesigen Maßstäbe bedenkt. wo Fler bereits jetzt ein Album für September ankündigt. Trotzdem hat es Kendrick fünf (!) Tage nach Ankündigung direkt auf Platz 1 der Album-Charts geschafft und jetzt schon Gold kassiert. Und letztendlich setzen die Amis ja immer den Trend. Es ist also durchaus angebracht, die mittlerweile im deutschen Rap-Mainstream etablierte Promophase und stetig wachsende durchschnittliche Vorlaufzeit noch einmal gründlich zu hinterfragen.
Promophasen sind ja eigentlich nichts neues. Marketing ist schon immer ein wichtiger Bestandteil des Künstlermanagements. Mit dem Internet und der wachsenden Konkurrenz durch Independent-Labels und Vertriebswege hat sich der Fokus auf PR nun bis in die tiefsten Ecken der Szenen verbreitet, schließlich möchten viele gerne eine dermaßen hohe Reichweite haben wie die Großen. Innerhalb Deutschraps hat (der nicht-mehr-ganz-Independent-Künstler) Kollegah den Begriff „Promophase“ nicht nur in den hiesigen Rap-Wortschatz eingepflanzt, sondern das Format an sich auch direkt auf die Spitze getrieben. Neben Blogs, aus denen er zwei (!) Floskeln zu unglaublich erfolgreichen Songs verarbeitete, bot der selbsternannte Boss ein eigenes Fitnessprogramm an und etablierte mit Bosshaft TV seine eigene YouTube-Show. Die totale Promophase. Mehr geht nicht. Keine Frage, dass Kollegah damit seine Reichweite unglaublich erweitert hat. Das Ergebnis: „King“ ging innerhalb von 24 Stunden Gold.
Aber worin unterscheiden sich Kollegah und Konsorten damit eigentlich, abgesehen von der musikalischen Qualität, von der neuen Generation von YouTuber-Rappern? Ich wage einmal die These, dass ein Teil der dazu gewonnenen Hörerschaft sich gar nicht mal so weit weg von deren Fans befindet, die alles blind feiern, was ihnen vorgesetzt wird, solange ihnen das durch Videos vorgestellte Image zusagt. Denn darum geht es doch vor allem in den Promophasen: ein langlebiges Image aufzubauen, es durch Videos und Aussagen zu festigen, um die musikalische Qualität (ohne dass diese zwangsläufig darunter leidet) etwas in den Hintergrund zu stellen. Die Musik bestätigt dieses Image, welches die Fans akzeptiert haben und feiern, und wird Teil der Persona des Künstlers, ergo des Produkts. Die Medien, also wir, spielen da meist gerne bereitwillig mit. Gelobt sei, was Klicks bringt.
Klar ist jedoch, dass Promophasen im Jahr 1 nach „King“ bereits einen Großteil ihres Reizes verloren haben. Mittlerweile ist es vorhersehbar, dass jeder Rapper, der etwas auf sich hält, vor seinem Album einen gewissen Vorlauf an Videos, Interviews und Ankündigungen hat und damit vor allem eines erreichen will: Aufmerksamkeit. Dabei geht die Person des Künstlers selbst, die ja eigentlich interessant ist, zugunsten des erzeugten Images oft drauf. Sogar Untergrund-Recken wie Audio88 & Yassin haben für „Normaler Samt“, wenn auch mit stark ironischem Unterton, eine Promophase geführt, die im Endeffekt, trotz all dem Witz und Zynismus der dort mit hineingespielt hat, doch vor allem eins war: Promo. Klar gibt es auch kreative Varianten wie Vortex‚ „Gschichten ausm Trailerpark“ oder Ali As‘ „Dissen für Promo„-Serie.
Dass man aus Promophasen auch Kunst machen kann, zeigt auch Money Boy, der sich eigentlich durchgehend in einer Art permanenter Promophase befindet. Über die Musik lässt sich natürlich streiten, aber ein Künstler, der es seit „Dreh den Swag auf“ geschafft hat, permanent im Gespräch zu bleiben, ohne dabei auch nur annähernd die Soundqualität eines professionellen Künstlers zu erreichen, zeigt, wie Promo sein kann, wenn man originell an die Sache herangeht. Bizarre Talkshow-Auftritte, willkürliche Beleidigungen auf Twitter, geschmacklose Witze, die es bis in sogenannte Nachrichtenmagazine schaffen – und das alles, ohne dass ein Release anstünde. Im Grunde ist Money Boy die überspitzte Version einer jeden Promophase.
Der Gegentrend hat längst angefangen. Auch in Deutschland. Und mit wachsendem Erfolg. Für Bushidos „Carlo Cokxxx Nutten 3“ und für Shindys „FVCKB!TCHE$GETMONE¥“ wurde außer der einen oder anderen Videoauskopplung aus letzterem überhaupt keine Promo gemacht. Der kommerzielle Erfolg war trotzdem oder gerade deshalb überwältigend. Keine Promophase ist die neue Promophase.
Wie immer sind die Amis die Vorreiter dieses Trends. Allen voran wohl Kanye West, der bereits 2013 „Yeezus“ veröffentlichte, ohne mit einem perfekt durchgestyleten Marketingplan zu penetrieren. Im Vorfeld dieses Albums gab es nur ein Video zu sehen. „New Slaves“ wurde an Häuserwände von einigen Großstädten projiziert. Eine offizielle, im Internet verfügbare Version gab es nicht, auch als Single wurde der Track nicht bereitgestellt. Nicht mal ein Cover hat Kanye präsentiert, ein beschrifteter CD-Rohling musste reichen. Auch Drake veröffentlichte Anfang des Jahre unvermittelt sein Mixtape „If You’re Reading This It’s Too Late“ auf iTunes. Ein Tape auf Album-Niveau, welches sehr gute Kritiken bekam und direkt auf Platz 1 einstieg. Nach wie vor ist „IYRTITL“ das bisher kommerziell erfolgreichste Album des Jahres in den USA. Zudem ist es auch noch eines der musikalisch besten.
Es ist also auch der Musikqualität und Innovation keineswegs abträglich, sich einmal weniger auf überzeugendes Marketing als auf interessante Kunst zu konzentrieren. Sollte man die aktuelle Allgegenwärtigkeit der Promoblogs vielleicht überdenken? Ist es mittlerweile vielleicht einfach zuviel des Guten? Auf jeden Fall ist es an der Zeit, nicht immer absurdere und ausgefallenere PR-Videos zu drehen, sondern sich wieder mehr um die Musik zu kümmern und mit Musik zu überzeugen und zu unterhalten. Deutschrap würde das auf jeden Fall gut tun. In diesem Sinne: Macht einfach Schluss mit den Promophasen!