Es ist unbestreitbar eine der aktuellsten Entwicklungen im deutschen Rap: Der kompromisslose Fokus auf die Reimtechnik – koste es, was es wolle. Immer mehr deutsche Rapper sind auf der Jagd nach dem längsten – nicht nach dem interessantesten Schema, nicht nach dem unvorhersehbarsten Reim und nicht nach dem besten Flow. Es kommt nur noch auf die Anzahl der Silben an. Das Zugpferd dieser Entwicklung ist wohl eindeutig Kollegah. Technisch hat dieser ohne Frage ein so gut wie unerreichbares Niveau. Was allerdings auffällt: Alles ist durchkonstruiert und läuft fast immer nur darauf hinaus, den möglichst vielsilbigen Endreim in Szene zu setzen.
„Ich bin King und es gibt Kein‘ in der Thronfolge / Widerspruch ist nicht vernehmbar, wie ’n von mir beseitigter Kronzeuge“ (Kollegah „King„)
Natürlich lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, wie Kollegahs Vorgehensweise tatsächlich aussieht. Das Endergebnis hört sich aber an, als wäre das Kronzeuge-Wortspiel im Kopf. Endreim-Wort, in diesem Fall Thronfolge erdacht. Mehr Reimsilben müssen her, also „kein‘ in der Thronfolge“ auf „-seitigter Kronzeuge„. Formulierung drumherum gebastelt und: Voilá: Ein interessantes Wortspiel mit einem fünfsilbigen Reim.
Viele Texte aus Kollegahs Feder funktionieren nach genau diesem Konzept. Wobei man anmerken muss, dass der Wahldüsseldorfer nicht nur Technik kann, sondern auch einen sehr souveränen Flow an den Tag legt und, etwa in „Armageddon“ nachzuhören, in der Lage ist, auch mit durchgehend mehrsilbigen Reimen den Inhalt interessant und schlüssig zu gestalten. Das ist aber bei weitem nicht jedem Rapper gegeben, der nach dem Prinzip „Guck auf die Reimkette“ vorgeht. Die Prioritäten werden oft zugusten der Reimlänge und zu ungunsten der inhaltlichen und flowtechnischen Qualität verschoben.
Der Schwanzvergleich in Sachen Silbenzählen hat sich verselbstständigt. Die Fixierung auf die Reimlänge ist allgegenwärtig geworden. Ein Farid Bang etwa baut fast jede Zeile gleich auf – der Anfang spielt kaum eine Rolle, nur die letzten fünf bis zehn Silben. Noch plastischer ist das ganze bei seinem Protegé Majoe zu beobachten. Und auch ausnahmslos jeder von Baba Saads Halunkenbande-Zöglingen ist ein Beispiel dieses Phänomens. Insbesondere Neuzugang Cashisclay. Kann man einmal hören, die Rhymes sezieren und ad acta legen.
Dabei soll die Reimtechnik zwei ganz einfachen Zwecke dienen. Erstens dem Hörgenuss. Die Reime tragen nämlich einen sehr wesentlichen Teil zur Phonetik einer Zeile bei. Ein gut eingebrachter Doppelreim kann dafür sorgen, dass eine Zeile runter geht wie Öl, ein interessantes Pattern kann absolut bombastisch klingen – ohne dass das Ganze zum Selbstzweck wird. Das ist auch eine Frage der Delivery und des Flows. Beispiele gibt es mehr als genug – von Xatar, über die 187 Strassenbande bis zu NMZS. Ein MC Bomber oder Retrogott können auch einsilbige Reime bringen und dabei gut klingen – weil sie nicht so rappen, dass nur der Reim im Vordergrund steht. Ohne Doppelreime dope zu klingen ist natürlich auch eine Kunst für sich. Kurzum: Reimtechnik ist kein Selbstzweck – sie soll einfach nur gut klingen.
Zweitens kann Technik durchaus als inhaltliches Stilmittel genutzt werden. Reime können unvorhersehbar, überraschend und lustig sein – und damit der Unterhaltung dienen. Karate Andi, SSIO oder Morlockk Dilemma etwa sind technisch versierte MCs, deren Reimtechnik nicht nur dem Hörgenuss zuträglich ist, sondern auch für Amüsement sorgt.
„Was willst du Hurensohn in der Freestyle-Cypher? Mann du rappst wie ein zugezogener Friedrichshainer“ (Karate Andi „Generation Andi„)
Vor einigen Jahren dachte man bei guter Reimtechnik noch vor allem an Kool Savas oder Samy Deluxe, an Creutzfeld & Jakob oder Aphroe. Deren Technik korrespondierte mit allen möglichen anderen Aspekten und wurde nicht wie ein Statussymbol zur Schau getragen. Vor allem war es nicht das einzig interessante an ihren Lyrics. Denn: Eine gute Reimtechnik kann eine verdammt dope Sache sein, wenn man dafür nicht auf alles andere scheißt, nur um noch ein paar mehr Silben hinten ‚ran zu packen. Unvorhersehbare, interessante Ryhmes, die dem Klang der Zeile zuträglich sind – das ist eine gute Technik. Egal, wieviele Silben der Reim hat.