Review: Waving The Guns – Eine Hand bricht die andere

Die Rostocker Rap-Kombo Waving the Guns hat ein Credo: „Eine Hand bricht die andere“. Das neue Album schließt sich in der Reihe vorhergegangener Releases sinnig an den Vorgänger und ersten kommerziellen Output „Totschlagargumente“ an und ist damit  charakteristisch für die Truppe aus der Hansestadt, deren Markenzeichen bereits in der Vergangenheit eine fette Portion politisch motivierter, mal zynischer, mal aggressiver, mal witziger Antihaltung mit Battlerap-Passagen in einer ganz eigenen Nische war.

Der erste Vorbote für das Album war mit „Endlich wird wieder getreten“ bereits Anfang November letzten Jahres samt Video online gegangen. Hier wurde mithilfe bereits gewohnter Sturmmasken-Fischermützen-Dosenbier-Ästhetik geistreich und auf einem sehr Bass-dominierten Beat wüst gegen die nicht zwingend personalisierte Wackness in unterschiedlicher Gestalt gepöbelt und dem Zuhörer gleich mal unmissverständlich deutlich gemacht, dass auch künftig nicht mit „Etepetete auf WTG-Feten“ zu rechnen sei und der Ton wohl rau bis feindselig bleibt. Gut so.

Wesentlich inhaltlicher und ad hoc auch nachdenklicher wurde es dann etwa einen Monat später mit der zweiten Auskopplung „Zapfhahn“, die einem klaren Konzept folgt. Im Verlauf des Tracks kippen reflektierte Gesellschaftskritiken und treffende Analysen über den internationalen politischen Rechtsruck unserer Zeit und Verschwörungstheorien mehr und mehr in schwarzmalerische Dystopien mit beinahe nihilistischen Tendenzen. Die Grenzen zwischen Realitäten und Albträumen verschwimmen im Text auf packende Weise und lassen sich tatsächlich schwer bis gar nicht auseinanderhalten. Das Lied und das dazugehörige Video schaffen es nicht zuletzt durch einen absoluten Gänsehaut-Klangteppich der hauseigenen Beat-Bastler 4D Instrumentals erstaunlich gut, eine depressiv anmutende und finstere Atmosphäre zu schaffen und die inhaltliche Kernaussage des Songs „Die Menschheit ist ein Sauhaufen, gib mir Schnaps und Weed, solang du noch den Zapfhahn bedienst, hab ich Dreams“ damit eindrucksvoll zu unterstreichen.

Dub Dylan und Dr. Damage haben größtenteils melodische, verschachtelte, einprägsame und wirklich von fetten Samples gespickte Beats produziert, die bedeutend zum gelungenen Gesamtwerk beitragen. „Eine Hand bricht die andere“ ist insgesamt deutlich musikalischer als die älteren Releases und das liegt natürlich maßgeblich an den Instrumentals. Einer von vielen Punkten, der WTG von anderen Rap-Crews unterscheidet, ist das sehr ungleiche Part-Verhältnis der beiden MC‘s Milli Dance und Admiral Adonis, denn Milli übernimmt gefühlt ungefähr fünf mal so viele Hooks und Strophen, wie Adonis.

Während Tracks wie „Kornflasche“ oder „Open Mic“ eher ein bisschen wie Lückenfüller anmuten (was womöglich an den etwas nach Pausenmusik klingenden Beats liegt), sind zum Beispiel „Mülltonne“ und „Charlie / Abwasserkanal“ echte Volltreffer. Ersteres rechnet sarkastisch mit Lohnarbeit, Verwertungslogik, moderner Klassengesellschaft und kapitalistischer Wirtschaftssystematik ab, Zweiteres behandelt die eigene Angreifbarkeit als in der Öffentlichkeit stehender Personenkreis, die humorlose Verkrampftheit einiger Kritiker und die stets aufkommenden Missverständnisse um die eigene Rolle und vermeintliche politische Verpflichtungen der Band. Zeilen wie „du nimmst alles bierernst, ich nehm‘ nur mein Bier ernst“ zeugen hier von einer gewitzten Leichtigkeit, wenn sie auch nicht sonderlich weit um die Ecke gedacht sind.

Die Crew ist sich ihrem eigens kreierten Stil auf der neuen Platte ein weiteres Mal mehr als solide gerecht geworden und sie beweist, dass dieser trotzdem nicht langweilig wird oder sich fortschreitend abnutzt. Im Gegenteil. Der Kombo gelingt es immer wieder neu, politische Botschaften in äußerst undogmatischer Passform und ohne die nebenbei teils lästig schwingende Moralkeule oder den oft leidig anmutenden ausgestreckten Zeigefinger der Political Correctness an unnötiger Stelle zu transportieren. WTG nehmen sich selbst als MCs und nicht als, was einige vielleicht gerne so hätten, politische Meinungsmacher wahr. Sie sehen sich schlicht nicht in der Pflicht, bestimmten Dogmen gerecht werden zu müssen, was sie unter Anderem im Track „Identifikationsfigur“ offensiv unterstreichen, denn „das hier ist kein Aktivismus, Rap ist Egoismus“.

Das, wie im Vorspann des Liedes auch so angekündigte, „pathetische Ende“ des Albums stellt der Song „WTG für Alle“ dar, der die Platte, wenn auch mit einem Augenzwinkern, ungewohnt versöhnlich abschließt. Hier werden in Form einer Art Selbstbeschreibung eventuell ausstehende Interviewfragen aufgeworfen und auch direkt selbst beantwortet, damit sie in Zukunft erst gar nicht (mehr) gestellt werden müssen. Besser als es Milli Dance hier selber tut, lässt sich die Musik der Kombo im Übrigen auch gar nicht beschreiben: hier heißt es: „ich habe eine Crew, die immer widerspricht, einen Flow, der immer wieder bricht und trotzdem flowt“. Punkt. Ist so.

Alles in Allem liefert „Eine Hand bricht die andere“ eine kluge, wenn auch vernichtende, zeitgerechte Gesellschaftsanalyse mit teils wüsten und pöbelhaften, teils depressiven und frechen, aber jederzeit technisch sauber transportierten Passagen und damit ein sehr gutes Rap-Album, das gleichzeitig Soundtrack zum Kampf und Hände brechen ist.