Ich habe das Gefühl, diese Review braucht einen Disclaimer: Ich persönlich bin kein großer 257ers-Fan. Die Musik ist mir zu krawallig, zu hektisch, zu albern. Dennoch sind die Essener hervorragende Rapper und überragen aus rein technischer Sicht einen Großteil der hiesigen Raplandschaft. Musik ist immer eine Frage der persönlichen Präferenz, aber gerade für „Mirkokosmos“ muss man einfach die Geschmackssache-Karte ziehen, denn auch wenn ich das Album nach dieser Review vermutlich nie wieder anrühren werde, ist es absolut kein schlechtes Album. Und das trotz Peinlichkeiten wie dem konsequent auf Denglisch gerappten „Out Of Se Window“ .
Nun aber ans Eingemachte: „Mikrokosmos“ ist laut, chaotisch, schamlos und verdammt wirr – also im Grunde genau wie die Protagonisten selbst. Ein musikalisches Potpourri mit Einflüssen aus gefühlt mehr Genres als überhaupt existieren. Die Beats bewegen sich bis auf wenige Ausnahmen in schwindelnd hohen bpm-Bereichen, die musikalische Stringenz im Album ist, dass es keine gibt.
Beim ersten Hören hat man keine Chance, zu erahnen, wie der nächste Track wohl klingen mag. Gut, dass er vollgestopft, ausgeflippt und klamaukig ist, dessen kann man sicher sein – aber ob sich nun Reggae- und Jazz-Elemente, wie in „Holz“ , Rock’n’Roll-Sounds in „Mama“ oder doch ein Drum&Bass-Einschlag, in „Jibbitbongbier“ finden, ist völlig unberechenbar. Tatsächlich hat Alexis Troy, der Voddi als Hauptproduzenten abgelöst hat, es aber geschafft, einen großen und guten Wandel im bisher rein synthetischen, sturen Sound der 257ers einzuleiten. Das ist zwar alles sehr anstrengend und nervtötend, aber rein handwerklich eben wirklich gut.
Die weirden Texte schmiegen sich nahtlos an den in seiner kontrollierten Durchwachsenheit schlüssigen, Sound an. Wie musikalisch jeder Beat ein Leitelement hat, aus welchem Genre der auch immer entnommen sein mag, hat auch jeder Text einen roten Faden, auch wenn der meistens völlig banal ist. Ob eine Laudatio auf „Holland“ – übrigens „die geilste Stadt der Welt“ -, der „Platzverweis“ , den das Duo sich unweigerlich überall einfängt, oder – eine Perle der Abstrusität – schlichtweg „Holz„. „Okay, der Song beginnt und er bekommt ein Thema“ : Es wird der praktische Nutzen des Rohstoffes Holz beschrieben. Ich musste tatsächlich laut auflachen, als ich den Song das erste Mal hörte. Das ist, salopp gesagt, so brutal behindert, dass es einfach geil ist. Außerdem sind die Zeilen hier mal nicht mit je 184763499 Worten vollgestopft. Die ansonsten meist viel zu hohe Silbenfrequenz kaschiert zwar den ein oder anderen Zweckreim, der hohe technische Anspruch des Duos sollte an dieser Stelle aber dennoch Erwähnung finden.
Abgerundet werden die meisten Tracks durch flott geträllerte Hooks, die wirklich verdammt gut ins Ohr gehen. Dass das ehemals dritte Mitglied, Keule, die Band verlassen hat, tut dem ganzen Wahnsinn weit weniger Abbruch, als man es vielleicht erwartet hätte. Shneezin und Mike stemmen das 15 Tracks starke Album auch zu zweit ohne Probleme.
„Mikrokosmos“ ist aus der entsprechenden Perspektive also wirklich ein gutes Album. Zwar nichts für mich oder jeden anderen Menschen mit klarem Verstand (zu denen ich mich zwar selbst nur bedingt zähle, aber…). Aber trotz der stilistischen Entwicklung wird jeder, der mit den 257ers oder Trash an sich etwas anfangen kann, seine helle Freude haben.