Nazar – Irreversibel [Review: Skinny vs. Louis]

Skinny: Ich finde „Irreversibel“ verdammt stark! Nazar ist einfach ein krasser Perfektionist, was man in jeder Hinsicht merkt. Aber nicht so ein verkrampfter Perfektionist, bei dem am Ende alles nach Stock im Arsch klingt und völlig überladen ist, sondern einfach jemand, der sein Endprodukt wie einen Diamanten abschleift, bis es keine Makel mehr hat. Eigentlich mag ich es eher dreckig, aber das was Nazar da auf die Beine gestellt hat, überzeugt mich vollends. Mit der Herangehensweise macht er alles richtig, so ein rundes Album gab es in Deutschland lange nicht mehr.

Louis: Nazar ist definitiv ein Perfektionist und ein Vollblutkünstler. Trotzdem trifft dieses Album meinen Geschmack kaum. Was erzählt mir der Künstler auf den 15 Tracks? Runtergebrochen auf die Essenz nicht wirklich viel. Viel mehr findet man neun (!) Battlerap-Tracks, die mir im Endeffekt genau das gleiche vermitteln: Nazars Jungs sind krasser unterwegs als deine oder meine, es wird mit der Kalash geschossen und zackig die Patte gefordert. Ach ja, und Nazarfickt deine Mutter als dein Vater nicht da war“ („Hokus Pokus„). Nach mehrmaligem Hören dieser Platte ist inhaltlich bei mir nichts hängen geblieben, vom Track „Teheran“ mal abgesehen. Was doppelt so schade ist, wenn man den Künstler aus Interviews eigentlich als meinungsstark und reflektiert im Gedächtnis hat.

Skinny: Klar, so richtig Tiefgang hat das Album nicht, aber als reine Battletracks kann man das auf keinen Fall abtun. Ich glaube, „La Haine Kidz“ fasst den losen roten Faden, der dir offenbar entgangen ist, am besten zusammen. Nazar versetzt sich in die Representer-Rolle einer aussichts- und demnentsprechend rücksichtslosen Generation, das zieht sich durchs ganze Album. Aber davon abgesehen, dass sich mir das durchaus erschließt – was ist an einem Battle- Representer Album so verkehrt, wenn es derart krass klingt? Wie kannst du auf der einen Seite Tapes feiern, auf denen nur fiktiver Reichtum repräsentiert wird, dich aber hier beklagen, dass „Irreversivel“ , das an dieser Stelle noch immer weit mehr Variabilität als erwähnte Tapes aufweist, mit einer übersichtlichen Themenpalette daherkommt?

Louis: Ich beschwere mich nicht darüber, dass das Album so viele Battlerap-Tracks aufweist. Ich beschwere mich darüber, dass diese größtenteils zum verwechseln ähnlich klingen. Der „lose rote Faden“ ist mir nicht entgangen, aber er ist für mich auch kein Grund dieses Album zu feiern. Denn auch hier hapert es meiner Meinung nach an der Umsetzung. Die Art und Weise, wie diese Generation dargestellt wird, ist in meinen Ohren nämlich kein bisschen spannend oder packend. In den vergangenen Jahren gab es zig Tracks oder sogar ganze Releases rund um dieses Thema. Was nicht schlimm ist, aber wenn man sich diesem Inhalt erneut annimmt, dann doch bitte mit neueren, spannenderen Perspektiven und Geschichten. Da reichen mir Zeilen wie: „Guck, wir ballern dir ’ne Schelle an den Kopf, bis es rattert/ Und machen in dei’m Block dann Massaker/ Eh, und darum nennen sie uns Fakker/ Und wenn es sein muss, zerficken wir dein’ Papa“ einfach nicht. Zig mal so oder so ähnlich gehört. Außerdem stören mich nicht nur die Inhalte. Ich finde die gesamte Vortragsweise Nazars einfach nicht wirklich mitreißend – weder raptechnisch, noch inhaltlich.

Skinny: Die Inhalte sind auch nicht der Grund, aus dem ich „Irreversibell“ feiere – sie ziehen es aber für mich nicht so runter, wie du das darstellst. Das Album ist einfach unglaublich produziert. Sowohl die Instrumentale im einzelnen, als auch die Konsequenz, mit der das monochrome Gesamtbild aufrecht erhalten wird. Das Problem, das du hast, hatte ich mit Bushidos und ShindysCla$$ic“ –  das haben die Texte trotz bemerkenswerter Produktion massiv abgewertet, hier sind die Lyrics aber lediglich der am wenigsten starke Punkt. Der glasklare Sound steht im Vordergrund. Garniert mit Nazars reduzierten, präzisen Flows ergibt das einfach ein stimmiges Gesamtbild, das bis zum letzten Millimeter auf Hochglanz poliert wurde, und jedem seiner Ansprüche gerecht wird. Den Anspruch, ein inhaltlicher Meilenstein zu sein,  hat nie jemand an „Irreversibel“ gestellt.

Louis: Das ist durchaus richtig, jedoch reicht mir ein guter Sound einfach nicht, um ein Album komplett positiv zu bewerten. Aber eines muss man dir und dem Album guten Gewissens lassen: Die Produktion ist in der Tat auf einem sehr gehobenen Niveau. Dass die musikalische Untermalung derart stimmig und aus einem Guss daherkommt, ist vor allem dann so beeindruckend, wenn man sich die Liste der Produzenten ansieht: Ganze 14 (!) Beatmaker waren an dieser Platte beteiligt, darunter zum Beispiel Jumpa, DJ Desue und Joshimixu. Dementsprechend ist „Irreversibel“ für mich ein zweischneidiges Schwert: Sehr gut ausproduzierte Beats treffen auf, meiner Meinung nach, größtenteils inhaltlose und unspektakuläre Lyrics. Das ergibt in der Summe ein Album, das sehr schnell wieder aus meinem Kopf verschwinden wird – da es sich auf Grund der zuvor genannten Punkte nie dort festsetzen konnte.

Skinny: Ich stimme dir insofern zu, dass Nazar da keinen Klassiker geschaffen hat – aber ein sehr starkes Album, das den Schwerpunkt nicht auf weltbewegende Lyrics setzt, sondern auf eine dichte Atomsphäre, eine Weltklasse-Produktion und darauf perfekt zugeschnittenen Rap. Der Inhalt mag an dieser Stelle eher Beiwerk sein, ist aber dennoch stets onpoint und nicht überflüssig. Du hast einfach falsche Erwartungen an „Irreversibel“ gestellt – aber du hörst dir doch auch kein LGoony-Tape an, und hoffst dann auf tiefschürfende Texte, oder?