Wenn es um Rap aus Berlin geht, ist sein Name einer von zehn bis fünfzehn, die nicht fehlen dürfen. Frauenarzt hat seit Beginn des Jahrtausends einen festen Platz im Game, den er sich mit seiner Riesencrew Bassboxxx hart erkämpft hat. Ohne jegliche Unterstützung eines Labels, ganz allein aus eigener Kraft schaffte er es, sich mit basslastigen Beats und harten, provokanten Texten einen Namen zu machen. Heute ist Arzt nicht weniger als eine Berliner Legende. Sein Ausflug in (noch) elektronischere Gefilde mit Manny Marc als Die Atzen änderte daran rein gar nichts.
Jetzt, fast neun Jahre nach seinem letzten Soloalbum „Dr. Sex„, ist Frauenarzt zurück, und schon der Titel sowie die vorab ausgekoppelten Videos deuten an, dass sich an seiner Attitüde wenig bis nichts geändert hat. „Mutterficker“ macht genau da weiter, wo der selbsternannte Gynäkologe strenggenommen nie aufgehört hat: Es ist kompromisslos, hart, explizit. Das gilt musikalisch wie textlich. Arzt nimmt weiterhin kein Blatt vor den Mund, im Gegensatz zu früheren Werken präsentiert er sich in seinen Lyrics allerdings durchaus etwas gereifter, ohne auch nur ein Mü an Härte dabei einzubüßen.
Nicht, dass es auf „Mutterficker“ keine Schimpfworte zu hören gäbe, Gott bewahre. Frauenarzt nennt die Dinge weiterhin beim Namen:
„Lieber keine Faxen machen, ich komm‘ aus ’ner andern Welt
Es gibt kein Battle – Ich fick deine Mutter
Wenn du mich für Standard hältst
Hast du dich geschnitten, ich häng ab mit Titten, Riesendinger
Du hängst ab mit kleinen Würsten
Geh dich ficken, mieser Spinner“ („Fickfinger“)
So klingt das 2016. Frauenarzt hat seinen Fokus geschärft und bringt seine unverändert rebellische Haltung heute klarer als je zuvor zum Ausdruck.
Denn sein Mittelfinger geht keineswegs nur an seine Hater und die guten, alten Whack MCs, sondern auch an den Staat, an die Polizei, an alle, die sich Autorität anmaßen. Sein Anarchismus ist kaum politisch, es würde schwerfallen, aus seinen Texten ein bestimmtes konkret umsetzbares Programm abzuleiten. Darum geht es hier nicht. Es geht darum, in klassischer HipHop-Manier die eigene kleine Welt mit ihren eigenen Werten zu verteidigen gegen jeden, der da reinquatschen will. Und natürlich geht es auch um Sex:
„Du bist wack, doch deine Frau hat geile Titten
Jeder Kek im Kneipeneck hat die Sau schon mal geritten
Von nichts kommt nichts, deine Nutte kommt mit
Sie geht in die Hocke, während sie mit ihrem Kopf nickt
Sag mein‘ Namen mit meinem Ding in deinem Mund
Frauenarzt bleibt der gottverdammte King im Untergrund“ („Alles Gute“)
Alles wie gehabt also, nur noch einen Tick runder, besser ausproduziert und zu Ende gedacht. Auch die Einzelkämpfer-Attitüde bleibt erhalten: Außer einer weiteren Berliner Legende, Taktlo$$, und dem eigenen Signing MC Bomber wird zumindest auf der Standard-Version von „Mutterficker“ niemand gefeaturet.
Und wozu auch? Arzts prägnanter Rap-Style auf den größtenteils nackenbrechnenden Beats von Hell Yes – das reicht in der Tat aus, um ein prächtiges Rap-Album zu tragen, das durchaus traditionsbewusst, aber weder altbacken noch übertrieben nostalgisch daherkommt. Fast alle Songs gehen steil nach vorne, „KKF„, „Eine Kugel„, „Zieh dein Shirt aus„, „Blaulicht„, „Westberlin„, „Wir geben keinen Fick“ – alles harte Kost.
Selbst beim, ja, Liebeslied „Mein Bae“ gibt sich der Doktor keine Blöße – spätestens in der zweiten Strophe wird klar, dass die Beziehung des lyrischen Ichs zu der berappten Frau auch eine geschäftliche ist:
„Du ackerst für dein Geld Jahre,
dafür braucht mein Bae paar Tage
mein Bae und ich sind ein Team
Ich zähle die Scheine – sie macht die Kohle“ („Mein Bae“)
Soviel dazu. Bleibt noch, ein Wort zur musikalischen Umsetzung dieses ausgesprochen schlüssigen, konsequenten Werks zu verlieren: Hell Yes, das sind Dumme Jungs und Specter, den man bisher eher als Mann fürs Optische kannte, und die liefern grandiosen Scheiß ab. Eine Mischung aus den gradlinigen Granaten, wie man sie von alten Frauenarzt-Veröffentlichungen kennt, einer Prise Atzen-Elektronik mit ballernden Synthies und einer ordentlichen Dosis klassische Beats aka hart klatschende, trockene Drums. Kurzum: Selten hat sich das Warten auf ein Comeback-Album so gelohnt.