„Camora lebt“ – und veröffentlicht mit „GHØST“ sein viertes Soloalbum. Der Wiener fährt erneut die kompletten Geschütze auf. Was auf diesen 16 Songs alles passiert, ist in einer Review, die keine ausufernde Länge annehmen soll, eigentlich schwer festzuhalten. RAF lässt Reggae-Rhythmen auf weinende Streicher treffen, vereint elektroide Melodien mit glasklaren Pianos und holt aus dem nichts an The XX erinnernde Gitarren heraus, um wenig später die gute, alte Flöte zum Einsatz zu bringen. Manch einem mag das zu viel Experimentierfreude sein, meiner Meinung nach macht RAF auf diesem Album aber alles richtig.
„GHØST“ ist komplett losgelöst von Genre-Bezeichnungen, Schubladendenken und künstlerischen Zwängen, oder wie der Artist es selbst sagt: „Keiner checkt, was ich mache – selbe Debatte/ Rap, Reggae, Trap – ist mir ehrlich so latte“ („Creator“). So folgt auf das Reggae-poppig angehauchte „So Lala“ das dramatisch düstere „Hero“ samt Kontra K-Vers – nuffin. Dieses Album bietet so viele Details, dass man auch nach mehrmaligem Hören immer wieder etwas findet, das einen staunen lässt. Seien es die perfekt gesetzten Backups, ein Sound, der komplett im Hintergrund spielt, aber den Song dennoch entscheidend spannender macht oder einfach die Betonungen einzelner Wörter. Apropos Vocals: Die Art und Weise, wie RAF mehrere Stimmen übereinander legt, einzelne Zeilen akzentuiert und die Gesangsparts in Szene setzt, ist schlichtweg überragend. Wie sehr der Künstler an seinen Rapskills gearbeitet hat, wird auf jedem einzelnen Song deutlich. Der Österreicher überlässt rein gar nichts dem Standard, switcht immer wieder seinen Style zu rappen oder zu singen und erschafft dabei wahnwitzige Flows und wunderschöne Melodien.
RAF schafft es sogar, Phrasen gut klingen zu lassen. Die Hooks von „Mein Leben“ oder „Verzeih mir“ erfinden das lyrische Rad nicht neu, klingen dank hervorragendem Songwriting, exzellentem Sound-Mix und authentischen Emotionen trotzdem packend. Und als ob das nicht schon alles genug wäre, verpackt RAderLehra selbst einen Farid Bang-Vers in ein so stimmiges Soundgewand, dass man anerkennend mitnicken muss – ob Farid-Fan, oder nicht. Textlich bietet das Album eine Range von düsteren Selbstzweifeln („Verzeih mir“), über tanzbarer Sozialkritik („Nummer“) bis hinzu lebensbejahenden Aufmunterungen („Schaufenster“). Egal über was gerappt oder gesungen wird, RAF klingt über die gesamte Länge reflektiert und On Point. Dabei beherrscht er Battle-Rap immer noch genauso gut wie das Schreiben tiefgründiger Songs.
Trotz all, oder gerade wegen, der klanglichen Diversitäten schafft es RAF Camora, einen Trademark-Sound zu entwickeln. Egal ob auf Reggae angehauchten Instrumentals oder auf episch düsteren Geigen – das Ganze ergibt einen einheitliches Bild, das nicht zuletzt dank RAFs Stimme einen Wiedererkennungswert generiert. „GHØST“ ist das Plädoyer für die Aufhebung des Genre-Begriffs und der musikalischen Vielfalt. „GHØST“ ist genau die kreative Injektion, die der zuletzt sehr festgefahrene Patient Deutschrap gebraucht hat. Und zu guter letzt ist „GHØST“ ein verdammt gutes Album von einem der spannendsten und musikalisch kompetentesten Künstlern Deutschlands. Nächster Stopp: Zukunft – RAF Camora wartet bereits.