Tami – Habakuk [Review]

Ich öffne das Buch Habakuk“ lautet der erste Satz des Albums, und verspricht ein Eintauchen in eine andere Welt, eine Reise, auf die uns Habakuk, so heißt Tami mit bürgerlichem Namen, mitnimmt. Dass der Albumtitel seinem echten Namen entspricht, lässt hoffen, dass man Stück für Stück das Innere des Künstlers kennenlernen wird, und es sich somit nicht um ein hohles Punchline-bepacktes Album handelt, sondern reich an Erfahrungen und Eindrücken ist. Das Eintauchen bestätigt sich auch nach mehrmaligem Hören nicht ganz, doch die persönliche Note und seine Erfahrungen kommen klar zum Ausdruck. Man kommt diesem Habakuk auf jeden Fall näher.

Dass TamiDas Buch Habakuk“ als Einstieg wählt, ist durchaus gewagt. So thematisiert der Song im weitesten Sinne das heikle Thema Religion. Der Adressat ist hier Gott bzw. wie jene Figur sonst noch genannt wird. Angelehnt ist das Ganze an dem Buch Habakuks aus der Bibelgeschichte; Habakuk war ein biblischer Prophet, der sein Zwiegespräch mit dem Herrn aufzeichnete. Im ersten Teil dieses Buches klagt der Prophet über die zunehmende Gesetzlosigkeit im Volk, der Gott scheinbar untätig zusieht. Diese Klage ist auch im Text Tamis zu erkennen, spätestens im dazugehörigen Video: das letzte Abendmahl, Esther Donkor als Jesus, die Menschen beginnen sich zu schlagen, Drogen zu nehmen, zu vergewaltigen, und die schier endlose Gier nach mehr gewinnt Oberhand. Im Verlauf des Songs „klagt“ Tami mit aufgewühlter Stimme, bis er schließlich offenbart: „seitdem ich denken kann verfluch ich die Norm/ und bestimme selbst wozu ich gebor’n bin“, knallt einfach alle ab und rettet Esther aus den Fängen unserer verkommenen Gesellschaft. Tamis Tätigkeit beim Theater merkt man diesem Song durchaus an. Zurecht übertrieben, theatralisch, emotional und ehrlich vermischt er das biblische Buch Habakuks mit seinen eigenen Ansichten – ein kraftvoller Opener für das Album.

Wieder zurück auf dem Boden geht es mit „KVS Together“ auf eine Reise in die 90er Jahre: Tami erzählt uns von seiner Crew KVS und den Anfängen seiner Hip Hop Story, geprägt von Drogen, Alkohol, Games und Musik. Nicht nur der Klang und das Storytelling über einem entspannten Beat erinnern an frühere Deutschrap-Zeiten und zeigen Tamis klassisches Verständnis von Rap und Hip Hop, sondern auch das Zitieren von „doch ich wär heute nicht wer ich bin wär es damals nicht gewesen wie es war“ aus „Schlüsselkind“ von Cora E., einem Urgestein des Deutschrap. Scratches und Samples wie „Party and Bullshit“ von Notorious B.I.G. und „Mad Crew“ von KRS-One, noch mehr solcher Urgesteine, runden den Song ab.

Nach dem starken Opener und der Ode an den Classic-Rap  geht die Spannungskurve erst einmal runter. Es folgt schönes Storytelling ohne Dazugedichtetes, alles wirkt sehr ehrlich, aus dem Herzen und reflektiert. So fragt sich Tami: „Bin ich wirklich glücklich mit dem was ich mach’ oder nehm’ ich’s nur so hin?“, nur um resigniert festzustellen, dass Materialismus, Emotionslosigkeit und Abgestumpftheit längst über uns herrschen, und jeder sich hochbückt „wie in dem Deichkind-Song“.

Mit „Armlänge“ und „Ich bin ein…“ kommen die Höhepunkte des Albums. Ersterer ist (traurigerweise) zur „Eine Armlänge Abstand“-Hymne geworden (oder diente gar Henriette Reker als Inspiration)? Beide Sachverhalte stehen sonst in keinerlei Zusammenhang. Jedenfalls ist dieser fast der einzige Song, der sich zum laut-pumpen-yeah-mitgrölen eignet (#kommalrumaufarmlänge). „Ich bin ein…“ erschien als erste Videoauskopplung und scheint jegliche Klischees aus US-Videos zu bedienen: Drogen, Waffen, Frauen, gedreht in schwarz-weiß mit Slomo-Effekt.

In der zweiten Hälfte von „Habakuk“ folgen weniger spektakuläre Spaß-Songs und erneut Storytelling, Erinnerungen, Tamis Anti-Haltung. Hier neigt man leider bei Songs wie „Homeland“ oder „Knoten“ dazu, abzuschweifen. Schade eigentlich, denn der Titelsong „Habakuk“ schließt das Album, indem er den Bogen zum Anfang mit „Das Buch Habakuk“ schlägt, und Tami mit Stolz verkünden lässt: „Ich bin Habakuk“. So erscheint er als ein Künstler und Mensch, der mit sich im Reinen steht und froh über jede Erfahrung ist, sei sie positiv oder negativ.

Alles in Allem verlangt das Album mit 17 Anspielstationen ein wenig Ausdauer. Nichtsdestotrotz repräsentiert das Werk als Ganzes die Fülle an Geschichten aus einem bewegten Leben, die unaufdringlich, unverkrampft und ehrlich daher kommen. Wer nach Schwanzvergleichen und Proll-Rap sucht, wird hier nicht fündig. An Tamis Text- und Rap-Skills sowie am Flow, Klang und Beat (Props an Dufsen, Yourz, Spexo und co.) gibt es nichts zu kritisieren. Auch wenn man vielleicht noch nicht so viel von Tami (a.k.a. Total Asozialer Musik Interpret) gehört hat, kann man ihn ruhig im Auge behalten. „Ich hab’ ne Review verdient doch bekomm nix ab“. Hier hast du sie, Tami.