Der eiserne Besen fegt wieder. Das heißt: „wie immer geht es nur um Sex und Gewalt“ – eingewoben in Punchlines und furiose Reim-Abfahrten auf futuristisch-funky anmutenden Beatbrettern, die beim zweiten Fegevorgang komplett aus den Maschinen von Dilemmas Alter Ego Morlockko Plus stammen. Als Ziel der stets präzise pointierten Punchlines musst du höchstpersönlich hinhalten. Also nicht du konkret, der Hörer wurde als Kontrahen beziehungsweise Opfer des lyrischen Ichs gewählt und muss die brachialen Gewaltandrohungen, Wackness-Bescheinigungen und Beischlafs-Beschreibungen innerhalb seines familiären Umfelds über sich ergehen lassen. Soweit nichts neues also. Im Grunde stellt sich nur die Frage, ob „Der eiserne Besen II“ mit dem brillanten Erstling mithalten kann. Kurz und knapp: Nein.
Das klingt aber viel dramatischer als es ist. „Der eiserne Besen“ hat die Messlatte einfach unerreichbar hoch gelegt. Was technische Punchlineraps angeht, ist es – klingt zu hoch gestapelt, ist es aber nicht – eines der besten Releases der Welt. Vielleicht das Beste. Punkt. „Der eiserne Besen II“ ist ohne Frage ein verdammt gutes Album – aber dem Vorgänger in fast allen Belangen etwas unterlegen. Die Reimketten, die beim ersten Besen in verschachtelten Pattern streckenweise über ganze 16er gesponnen wurden und mich mehr als nur ein paar Mal sprachlos hinterließen, wurden fast vollständig gestrichen. Statt auf meist viersilbigen Kombos setzt Morlockk nun verstärkt auf längere, komplexere Endreime, die selten Zweckreime sind, oft aber sehr zusammengefrickelt wirken.
„Ich bleibe chill, zerschlag‘ die Wand mit den Fäusten
wenn ich beerdigt werde schicken sie die Kampfmittel-Räumung
Ab heut‘ genießen Punks den Notarztwagen-Komfort
Morlockk ist realer als ein Wholecar malender Torch“ („Katatonie“)
Dilemmas versierte Reimtechnik wird also nicht minder anspruchs- , aber weniger eindrucksvoll in Szene gesetzt. Nicht nur die Reime sind dezenter eingesetzt als erwartet. Auch die Punchlines an sich – und „DEB II“ besteht ausnahmslos aus Punchlines – sind weniger aufdringlich, dadurch aber eben auch weniger imposant. So setzt Morlockk verstärkt auf eine überraschende Rhetorik und unvorhersehbare Ryhmes, die alleine durch kuriose Formulierungen wie „der Besen gibt keinen fliegenden Rattenfick“ oder oben zitierte Torch-Line für debile Grinsanfälle in der Bahn sorgt. Auf wie-Vergleiche wird weitgehend verzichtet, was zwar viel Potential für Wortspiele verschenkt, aber in erster Linie erfrischend für die Battlerap-Landschaft ist.
„Ich steh‘ vor der Türe mit Pralinen und Präservativen
Küss‘ deine Mom, doch nach der Umarmung fehlt ihr ’ne Niere
Von der Bukkake-Party zum Vaterschafts-Pisstest
Als man dich nach der Geburt klappste, war das ein Bitchslap“ („Bärenfell„)
Weniger erfrischend sind die immer nach dem gleichen Schema aufgebauten Hooks. Das wird noch viel nerviger, da die meisten Songs nur aus einem Part bestehen – viele Anspielstationen werden mit einer Hook eingeleitet, ein 16er wird gerappt und die Hook wird noch zwei mal wiederholt. Das wird schnell zäh und die Hooks so zur unliebsamen Geduldsprobe – zumal sie einander sehr ähneln. Auch hier fußt wieder alles auf der Reimtechnik: Jeder Chorus wird um einen Reim, der sich phonetisch als griffiger Hook-Reim eignet, aufgebaut. Dieser wird einfach mehrfach gedoppelt und leicht geträllert betont, um ihn als catchy Element hervorzuheben. Mehr Abwechslung hätte man einfach dadurch schaffen können, die Hooks den sehr zahlreich gesähten Feature-Gästen zu überlassen.
„Ich laufe flirtend durch den Tanzpalast
Und deine Frau squirtet mit >Dampfstrahlkraft
Hüll deinen Körper ein in Hansa Plast
Denn ich *zack* wack MCs, ich *zack* wack MCs“ („Hansa Plast„)
Die Gastbeiträge sind allesamt sehr stark. Der gefühlt komplette Dunstkreis des Leipzigers liefert einen Part ab. Eines der Highlights ist der „MOFO Air Remix“ mit Morlockks Partner in Crime Hiob. Das eingespielte Duo schiebt sich alle vier Zeilen das Mic zu, dass es eine Freude ist, dem dynamischen Wechselspiel zu lauschen. Auch Jinx‚ Verse auf „Nato-Embargo“ sollte lobend erwähnt werden, schon weil er technisch auf Morlockks Augenhöhe spielt. Die Kombinationen mit Karate Andi, MC Bomber und Edgar Wasser (auf jeweils verschiedenen Songs) funktionieren überraschenderweise hervorragend – wie es bei Andis und Bombers ersten Anläufen mit Dilemma nicht unbedingt der Fall war. Die Feature-Gäste finden verstärkt in der zweiten Hälfte des Albums statt und sind stets eine stimmige Bereicherung – zumal es klingt, als wären die Beats auf das Auftreten des jeweiligen Gastes hin maßgeschneidert worden.
Die Beats tragen allesamt die typische Handschrift des maskierten Morlockko Plus – Dilemmas Beatbastler-Alias. Nerdige Samples, die meist bedrohlich-orchestral anschwellen, aus funky angehauchten 70er-Sci-Fi-Synthies bestehen oder aus organischen, Horrorcore’esken Filmsamples gechoppt zu sein scheinen, prägen das Soundbild von „DEB II„. Die Drums wummern und zischen stets satt kraftvoll aus den Boxen und bieten Morlockk eine angemessene und nicht zu aufdringliche Bühne für seine treibenden, eigensinnigen Flows. So klingt das Album, auch wenn es einen Hybriden aus Mixtape und Album darstellt, wie aus einem Guss und weist keinerlei Risse im schlüssig zusammenhängenden Soundteppich auf. Einige Beats ähneln einander aber – gerade durch das homogene Sample-picking – stellenweise sehr, so dass gegen Ende der ersten Hälfte doch passagenweise Langeweile aufkommt, die durch von dort an verstärkt gesähte, boshaft schlängelnde Beats wie im „MOFO Air Remix“ aber schnell weg geblasen wird.
Überhaupt ist „Der eiserne Besen II“ im Grunde durchweg unterhaltsam, wenn die Punchlinedichte auch unter der des Erstlings liegt, bei dem einfach jedes Wort in Gold aufgewogen werden kann. Aber wie eingangs erwähnt, wäre ein direkter Vergleich mit dem Erstling unfair, auch für ein neues Morlockk-Release. Man sollte sich ohne diesen Anspruch an den neuen Besen wagen, dann kriegt man fast anderthalb Stunden technisch und rhetorisch versierte Punchlines auf hervorragend produzierten, einzigartigen Instrumentalen um die Ohren geprügelt – vorausgesetzt, man ist bereit dazu. Denn wie das, sich in Form von Skits als roter Faden durchs Album ziehende, Intro treffend feststellt: „Diejenigen von Ihnen, die willensschwach oder feige sind, werden ab jetzt flüchten oder sich übergeben, über die vor Ihnen liegenden Sitze.“