JokA – Augenzeuge [Review]

JokA bringt nach „Gehirnwäsche“ 2008 und „JokAmusic“ 2010 sein nächstes Solo-Album „Augenzeuge“ auf den Markt. Das Cover zeigt den gebürtigen Bremer im klassischen 70er-Jahre Detektiv-Outfit. Ein Bild, das eigentlich nur beim Titelsong des Albums zur Musik passt. Das ist allerdings nicht weiter bedauerlich, denn „Augenzeuge“ ist ein Album voller Facetten, die alle von JokAs individuellem Rapstil und lyrischem Talent mit links an einer Leine geführt werden.

Augenzeuge“ beginnt mit „Moin Moin“ auf einem brachialen Beat von Hauptproduzent Sinch. Der Song geht straight nach vorn, stellt sich aufrecht vor die Zuhörer und hört sich verdammt motiviert an. Als Intro erfüllt der Song seinen Zweck und legt ordentlich vor, man bekommt Lust auf das, was JokA nach Zurschaustellung seiner Skills mit ihnen noch alles anstellen kann. „Bei uns geht nicht viel, außer Bremen-Spiel und Backfisch, doch Fakt ist: Ich übernehm mal eben die Galaxis, der meistgefragteste MC seit Theorie und Praxis„.

Joka ist lyrisch und technisch sehr versiert, das ist nichts Neues. Wenn er auf „Wayne“ sein Ghostwriting thematisiert und „Ich schreibe Alben für Geld […] hätt‘ ich so manches nicht geschrieben, wäre viele jetzt noch da, wo man ohne Hits nicht rauskommt, ohne irgendeinen Plan„, weckt das auf jeden Fall Neugierde. Mit „24/7“ übertrifft der Bremer aber alle Erwartungen. Im Groben verpackt JokA hier die selbe Idee wie Motrip auf „Mathematik„, allerdings ist diese um einiges weiter ausgebaut: Es wird nicht von zehn auf null, sondern von eins bis 24 gezählt, während drumherum noch eine solide, zusammenhängende Geschichte erzählt wird. Auch wenn über dem orientalisch angehauchten Beat mit Chorsamples die ein oder andere Line dann doch etwas weit hergeholt wirkt („Schickt mir 18 Fotos von einer 19 Jährigen Studentin“ oder „Hab noch 23, 24 Piepen in der Tasche„), ist der restliche Part beeindruckend. Das sind wirklich raffinierte Schreibkünste, souverän und glaubhaft eingerappt.

Als nächstes gibt es das bestplazierte Feature des Albums, „Einmal um die Welt“ mit Megaloh.  Hier texten sich die Rapper tagträumerisch eine stattliche Weltreise zusammen, bis sie im Corsa oder am Bahnhof wieder aufwachen. Gerade Megaloh schlägt sich wunderbar auf dem Beat von Ghanaian Stallion, der Blasinstrumente sampelt und eine rauschende Snare unterlegt, und stiehlt dem Protagonisten so ein bisschen die Show.

Der Titeltrack des Albums stellt aber das atmosphärische Highlight der LP dar. Ein dichter Beat, gespickt mit Bushidoesken Pianos, die arg an eine vergangene Ära in Berlin erinnern. Über dieser kaltnebligen Soundatmosphäre kann man sich JokA wunderbar des Nachts mit Mantel und schwermütigen Gedanken den nächsten Kriminellen jagend vorstellen. Eines der weniger Lieder, in dem ich für einen Moment die Technik Technik sein lassen kann, weil Vocals und Instrumental sich wunderbar ergänzen und die Bildsprache schlichtweg mitreißt: „Die Spuren sind verwischt und der Tatort ist abgesperrt, ein schmaler Grat zwischen Chaos und Mathe lernen„.

Bilder zeichnet auch „Himmelspforte„, ein spannender, unvorhersehbarer Storyteller. In den drei Parts treten drei verschiedene Männer vor Petrus, der die Himmelspforte bewacht und sich die Geschichten der Toten anhört, da er nur noch die schwerwiegendsten Fälle einlässt. Ein Part nach dem anderen webt JokA eine Geschichte, die wegen ihrer Absurdität zwar unglaubwürdig erscheint, aber ohne Lücken konzipiert ist. Auch hier wieder ein sehr passender, langsamer Beat von Sinch, der JokA den nötigen Raum für die Erzählung lässt.

Ebenso wie „Leb wohl„, zu dem ich selbst eine sehr gespaltene Meinung habe. Beim ersten Hören ging mir der Track dermaßen an die Nieren, dass ich Gänsehaut, Ergriffenheit und Mitgefühl für das erzählende Ich binnen der ersten 30 Sekunden abgehakt hatte. Lines wie „Meine Frau steht zuhause in der Küche, ihre Augen, ihre Grübchen, ihre Haut ist wie ein Plüschtier“ lesen sich zwar etwas absurd, schaffen aber ein dermaßen klares Bild in meinem Kopf, dass ich zunächst etwas überfordert von meinen Eindrücken war.

Es geht darum, dass der Protagonist dieses Storytellers eine Entscheidung trifft, die Konsequenzen akzeptiert und den gewählten Weg bis zum Ende geht. Hier stehe ich beim Hören mit den Beinen in verschiedenen Gefühlsbädern: Kitsch oder Meisterwerk? Wahrscheinlich ein bisschen von Beidem. Eins steht fest: Ein Song, der mich dermaßen überrumpelt, ergreift und in gewissem Maße überfordert, ist eine Rarität im deutschen Rap, und damit ein Musikstück, das ich so schnell nicht vergessen werde.

Jokas Drittwerk „Augenzeuge“ ist also ein Album, das abwechslungsreich, aber nicht zusammengewürfelt erscheint. Es gibt Tracks, die neben den wirklich hervorstechenden Stücken weniger besonders erscheinen, was von der  lyrischen Finesse dieser LP herrührt. Auf einem anderen Rap-Album wären sie stabile Ware gewesen, hier sind sie lediglich Ruhestationen, bei denen man sich eine Auszeit vom Anspruch nehmen kann. Die schwächsten Tracks des Longplayers sind immernoch keine Zumutung über zweieinhalb Minuten, sondern Songs, auf denen JokA sein Schiff durch Bremerhaven steuert, statt geradewegs über den Atlantik. Ohne gelegentliches Herunterschrauben des Niveaus hätte man sich das Album wohl nicht in einer Sitzung anhören können, ohne Schiffbruch zu erleiden. Ich brauch‘ jetzt jedenfalls erstmal Musik in Richtung 257ers, um mein Gehirn zu beruhigen.