„Kommt raus, die Sonne schneit!“
Wer bei Gerards neuem Album einen fast identischen Nachfolger von „Blausicht“ erwartet hat, hat falsch gedacht. „Neue Welt“ ist vor allem musikalisch, aber auch thematisch eine Weiterentwicklung. Während der Österreicher auf dem Vorgänger noch mit seinen Zweifeln und Ängsten haderte, scheint er diese nun abgelegt zu haben und mit beiden Beinen fester im Leben zu stehen als je zuvor. Gerard ist dem Ziel „Rausgehen und die Welt erobern„, wie er auf „Blausicht“ noch verkündete, eindeutig einen Schritt näher gekommen.
Der Albumtitel und der Opener „Ein Gedanke“ geben den roten Faden des Albums bereits vor. Vertraue dir selber, folge deinen Intentionen, dann kannst du nur gewinnen: „Bis hierhin und viel weiter, auf dass man für die Dinge, die man liebt, einfach unendlich viel Zeit hat. Nie wieder auch nur eine Sekunde lang irgendwas machen, was man nicht machen will […] Vielleicht dauert es Jahrzehnte, vielleicht greift es sofort. Doch es ist alles in Reichweite.“ („Ein Gedanke„)
Wie wird sie sein, die neue Welt? Gerards Version derer ist eindeutig euphorischer als noch beim Vorgänger. Man spürt das Vorankommen im Leben, die Freude daran und der positiven Einstellung gegenüber all dem, was noch kommen wird. Obwohl Gerard sehr wohl auch auf „Neue Welt“ die Probleme einer Twenty-Something-Generation aufgreift, beklagt er sich nicht darüber, ganz im Gegenteil: Er legt die Zweifel beiseite und versucht, immer optimistisch zu bleiben.
„Keinen Durchblick, aber trotzdem beste Aussichten. Du musst dich nur einmal öfter aufrichten, als du gefallen bist. Dem Druck einfach standhalten, bis man ein Kristall ist. Weißes Rauschen, ohrenbetäubende Stille. Schon morgen kommt ein neuer Himmel. Wollen nur jemand‘ finden, der das Gleiche sucht. Aus Angst zu weit zu gehen, gehen wir nicht weit genug.“ („Panorama“ feat.OK Kid)
Die Mid-Twenty-Probleme, die auf „Blausicht“ noch eine Rolle spielten, scheinen weitgehend gelöst, oder zumindest der Umgang damit gelernt zu sein. Gerard strahlt Sicherheit aus, in dem, was er tut. Nachdenklich und voll von eigenen Lebensweisheiten bleibt der Protagonist aber nach wie vor.
„Wohin verschwindet Zeit? Wohin verschwinden Gedanken, die man nicht ausspricht? Leben in der Welle von allem und mehr. Wollen uns das alles erklären. Phantasie an die Macht. Wer immer auf den richtigen Moment wartet, hat ihn verpasst„, heißt es etwa in „Hymnen“
Gerard schafft es, seinen Zeilen eine ganz eigene, fast schon mystische Bedeutung zu verleihen. In allen seinen Phrasen kann man einen doppelten Boden ausmachen, denn sie gleichen einer Art Metapher. Selbst nach dem zehnten Mal Hören bleibt ein sogenanntes „Aha-Erlebnis“ nicht aus, wenn man den Sinn herausgefunden hat. Keine Spur von Phrasendrescherei. Das macht Gerards Musik für mich so besonders, so herausragend und unvergleichlich. Der Hang zur eigenen Melancholie sollte für ein positives Hörerlebnis jedoch nicht zu kurz gekommen sein.
An den Beats geschraubt und für die Produktion verantwortlich zeigen sich Patrick Pulsinger, Nvie Motho, Stickle, Claud, Alex The Flipper, René Mühlberger, Wandl und Philip Böllhoff von den Beatgees. Mit „Höhe Fallen“ wurde sogar ein richtiges 90er Synthie-Beats-Kunstück geschaffen. In den Songs finden sich ebenfalls viele poppige Elemente und Drums, die ordentlich knallen, wie in etwa bei „Panorama„.
Mit „Licht„, einem Track, den er seinem verstorbenen Großvater widmete, ist thematisch eher eine Ausnahme geschaffen. Gerard läuft nur kurz einmal um die Welt und steht dann wieder vor unserer Tür, um „Hallo“ zu sagen. Er teilt uns mit, immer wieder aufzustehen und neuen Mut zu fassen: „Als du mich fallen gelassen hast, hab‘ ich fliegen gelernt.“ Everything’s possible. Das Album endet mit „Goldregen„, indem Gerard uns noch einmal zu verstehen gibt, wie wenig Zeit uns im Leben für unsere individuellen Sehnsüchte eigentlich bleibt.
Mit Maeckes, OK Kid und LOT hat sich Gerard zusätzlich musikalische Unterstützung geholt. Auch die Featuregäste sorgen für eine stimmige Atmosphäre. Dass Maeckes und OK Kid wunderbar mit Gerard harmonieren, wurde bereits auf älteren Tracks bewiesen. LOT kann da als Featuregast wunderbar mithalten. Ein wirklicher Schwachpunkt lässt sich für mich nicht feststellen. „Neue Welt“ schaffte es, jeden Song seinen ganz eigenen Touch, etwas Individuelles zu verleihen.
Die Leidenschaft zur Musik ist fast mit den Händen zu greifen. Spürbar in Gerards Musik ist vor allem Ehrlichkeit und Authentizität. Dass der Sound nicht nach Kommerz klingt, schon gar nicht was Rap anbelangt, hat der Österreicher wohl genau so geplant. Er bleibt seiner Linie treu und macht das, was in seinem Kopf vorgeht. Gerard sieht freudig in die Zukunft und sendet eine wichtige Message: Menschenskinder, glaubt an euch! Wer macht, was er liebt, kann nichts falsch machen. Eine mehr als wünschenswerte und beeindruckende Aussage. Ich zieh‘ den Hut, lieber Gerard. „Nichts was sich lohnt, ist jemals einfach.“ Würde jeder dem standhalten, hätten wir dann nicht vielleicht eine „Neue Welt„?