Manchmal gehen Feuerzeuge plötzlich nicht mehr an, obwohl sie es vor wenigen Minuten noch taten. Am Brennstoff mangelt es nicht. Auch das Reibrad klemmt nicht. Und doch kann man es solange probieren, bis der Daumen schmerzt: Aus dem Funken wird einfach keine Flamme. Dieses Bild, das Rauchern bekannt ist, kommt mir beim Hören von BOZ’ „Made in Germany“ in den Sinn.
Es ist das zweite Album vom Rattos–Locos-Künstler. 2012 feierte er mit „Kopfkrieg“ sein Albumdebüt: Ein solides Werk, auf dem es mehr musikalische Höhen als Tiefen zu hören gibt, wie du in unserer Review hier nachlesen kannst. Wie auf seinem zweiten Album deckte er ein breites Spektrum an Themen ab – von persönlichen Tracks bis hin zu Battle-Rap-Songs. Seine „Farben“-EP erschien 2010.
„Made in Germany“ unterscheidet sich von „Kopfkrieg„, insofern als es ein klares übergeordnetes Thema hat: das Leben in Deutschland aus der Sicht des Hamburger Reimakrobaten.
Seine Themenwahl ist gesellschaftskritisch und durchaus lobenswert: Er greift zum Beispiel die kulturelle Vielfalt durch die aus der Fremde in die Bundesrepublik Zugezogenen auf. Auch thematisiert er die Digitalisierung der Gesellschaft. In der Integrationsdebatte spricht er sich für das gemeinsame Leben der verschiedenen Kulturen aus, ohne aber bahnbrechend Neues zu dieser Diskussion beizusteuern. Wohingegen der Smartphone-kritische Track „Alles Digital“ mit Joka und MoTrip inhaltlich innovativ ist: Es geht um ein recht neues gesellschaftliches Phänomen, zu dem deutsche Rapper sich noch nicht zigmal geäußert haben.
Der Höhepunkt der Platte ist „Machtlos“ und zeugt einmal mehr von thematischer Originalität. Jameel, so BOZ’ bürgerlicher Vorname, musste tatenlos zusehen, wie sein alkoholkranker Vater zu Grunde ging. „Jemand’, der nicht glaubt, krank zu sein, kann man nicht heilen“, rappt er in der Hook des Songs – ein Gänsehautmoment.
Auch textlich überzeugt BOZ. Mit Leichtigkeit baut er angelesenes Wissen in seine Verse an. Ein Beispiel ist das Lied „Kalte Welt„, das Joshimixu produziert hat. In diesem Track kritisiert er die Geldgier unserer Gesellschaft und rappt: „Erst kommt die Moral, dann das Fressen, / Dann die Reue, danach das Vergessen.“ Hier stülpt er den berühmten Satz des deutschen Schriftstellers Bertholt Brecht um, der in seinem Theaterstück „Die Dreigroschenoper“ (1928) schrieb: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“
Nicht immer zeigt er sich intellektuell auf dieser Höhe. Auf „Biatch“ etwa rappt BOZ sehr verächtlich über das weibliche Geschlecht, das er „wie Glas“ durchschaut – ein platter Wie-Vergleich. Am Ende des Tracks folgt noch die Zeile „Ich bin nicht besser als du, doch ich habe einen Schwanz.“ Ernsthaft jetzt? Im Widerspruch dazu steht aber seine Zeile bei „Was Du nicht sagst“ mit PA Sports: „Du hältst dich für den Paten? / Komm, ich küss’ dich auf dein’ Mund“. Damit reiht er sich – absichtlich oder nicht – in die fortschrittliche Deutschrap-Bewegung, die von Schwulenfeindlichkeit im Rap nichts hält, ein.
BOZ ist ein begabter Rapper, das weiß die Szene auch nicht erst seit diesem Album. Vielleicht ist ein Grund, warum der Funke von „Made in Germany“ beim Hörer nicht überspringt, dass er seine raue Stimme, die Wiedererkennungswert hat, nicht variabel genug einsetzt. Auch seine Reime wirken ab und an etwas plump. Wie zum Beispiel auf dem Liebessong „Brief„, auf dem er „Du hast mir vertraut“ auf „Ich habe es versaut“ reimt.
Und nur wenige Beats ziehen den Hörer in den Bann: Der Anfangstrack der Platte „M.A.D.E“ mit harmonischem Zusammenspiel aus Schlagzeug, Tasten- und Streichinstrumenten tut es. Leider sind aber auf „Made in Germany“ Beats wie der von „Nur Musik“ die Regel: Die Gitarre, die seinen Rap in diesem Song untermalt, ist zu blass – ihr fehlt das gewisse Etwas.
Auch die Gesangseinlagen von Mehrzad Marashi bereichern die Lieder, auf denen er BOZ unterstützt, nicht. Und der DSDS-Gewinner von 2010 ist gleich drei Mal auf dem Album vertreten. Die sanfte Stimme des Sängers spült den Sound vom Rattos-Locos-Artist weich. Das Endresultat ist beispielsweise „Rohdiamant“, das zunächst wie ein nachdenklicher Song klingt, aber im Endeffekt auf einem der x-beliebigen Radiosender laufen könnte, die man anmacht, wenn man zu lange im Stau steht und seine CDs totgehört hat.
Der Tiefpunkt des Albums ist „Chaosflow (Totalschaden)„. Der nullachtfünfzehn-Beat beißt sich mit BOZ‚ aggressiv schnellen Flow. Technisch kann man an seiner Rap-Technik in diesem Track nichts bemängeln. Der Track kling aber eher wie Heavy Metal, den man sitzend in der U-Bahn unfreiwillig mithören muss, weil ein Mitfahrer die Rockmusik auf seinen Kopfhörern auf maximale Lautstärke aufgedreht hat.
„Made in Germany“ ist wie sein Vorgänger „Kopfkrieg“ ein Album mit Höhen und Tiefen. Der Unterschied ist, dass dieses Mal die Tiefen überwiegen. BOZ’ neues Album fängt mit „M.A.D.E“ gut an. Ein Song, der die Richtung des Albums klar angibt und ab den ersten Sekunden auf allen Ebenen beeindruckt. Danach folgt – eigentlich nur – sehr gut Gerapptes, aber musikalisch nichts Überzeugendes. Der Hamburger hat die Begabung, Themen zu finden, über die nicht jeder Sprechgesangskünstler Songs macht; er schreibt auch gute Texte. Das Potential, Meilensteine zu schaffen, ist da. Leider aber ist sein neustes Werk vergleichbar mit diesem Feuerzeug, das aus heiterem Himmel kein Feuer macht, sondern nur noch Funken versprüht.