Mit seinem Debütalbum „Slumdog Millionair“ war Kurdo letztes Jahr ein Überraschungscoup. Ohne große Promo, ohne Interviews – kurzum, ohne viel Gelaber veröffentlichte der Heidelberger sein erstes Album. Und nicht nur die musikalische wie lyrische Qualität stimmte – er hatte mit seiner Verweigerungshaltung gegenüber den gängigen Mechanismen des Geschäfts auch nicht Erfolg: Aus dem Stand in die Top 10.
Nun gilt das zweite Album üblicherweise als das schwerere, gerade, wenn der Erstling so ein Geniestreich war wie „SDM„. So gut wie jeder Rapper weiß das inzwischen. Die Unverbrauchtheit, der Überraschungsfaktor, der Neuheitseffekt – alles weg, kommt nie wieder. Manche ziehen daraus die Konsequenz, beim zweiten Mal alles ganz anders zu machen. In Kurdos Fall hätte das bedeuten können: Weg von den Wurzeln, Schluss mit dem brennenden Hunger, der ihn auf seinem Debüt auszeichnete, hin zum Zelebrieren des Materialismus und demonstrativem Zurschaustellen des neugekauften Spielzeugs.
Wohlgemerkt, hätte. Denn diesen naheliegenden Fehler begeht der Kurde schon mal nicht. Auch seine Strategie, was die Öffentlichkeitsarbeit angeht, hat er nicht verändert. Es gab nicht ein einziges Interview vor „Almaz„. Das kann man einerseits bedauern, gerade als Journalist. Schließlich gäbe es genug zu besprechen. Andererseits sorgt dies aber auch dafür, dass Kurdo in gewisser Weise ein Mysterium bleibt. Er spricht ausschließlich über seinen Rap zu dir. Alles, was du über ihn weißt, weißt du aus seiner Musik. Es gibt keine „reale“ Person hinter der Kunstfigur, was dazu führt, dass es keine Brechung gibt. In postmodernen Zeiten, in denen viele Rapper ihr Alter Ego bewusst ironisch anlegen oder zumindest durchblicken lassen, wo die Grenzen zwischen Kunst und Realität verlaufen, auf jeden Fall ein Alleinstellungsmerkmal.
Dazu eine Vorgehensweise, die wie die Faust aufs Auge zu Kurdos Attitüde passt. Lass die anderen doch labern, ich mache lieber. Bereits im Opener „Business“ stellt er klar, dass auch sein für viele unerwarteter Erfolg nichts an seiner Haltung ändert. Geld verändert offenbar doch nicht jeden.
„Erzähl mir bitte nicht, wie man Business macht
wie man’s richtig macht/ wie man’s in die Hitlist schafft
Mann, ich scheiß auf dein Kragenhemd, du Mongo
bin tättowiert, hab 200.000 auf mei’m Konto“
Klar, wer es ohne fremde Hilfe geschafft hat, lässt sich nicht gerne von irgendwelchen Schlaumeiern was übers Business erklären. Obwohl die Ausgangslage also eine andere ist (volles Konto) bleibt die Einstellung dieselbe (fick dich).
Während textlich also alles beim alten geblieben ist und Kurdo nach wie vor seine eindringlichen Bilder mit ein paar rasch und scheinbar achtlos hingeworfenen Zeilen zeichnet – etwa so:
„Gangster-Aktien in Westkroatien
Im Benzer maskiert, ständig Razzien
Rap läuft parallel, check Madame Annabelle
Hautfarbe: Karamell. Chillt in ’nem Paname-
Ra, Alfa Omega, 9 Millimeter“ („Meine Welt„)
während es inhaltlich also nach wie vor um eine klare Abgrenzung zur Gesellschaft und ein ebenso klares Bekenntnis zum Outlaw-Lifestyle geht – wobei einige Bezugspunkte sich angesichts der Wiederholung etwas abgenutzt haben – ist musikalisch eine Weiterentwicklung festzustellen. Das lässt sich ganz gut daran festmachen, dass als einziges Feature auf der Standard Edition der gute RAF Camora ist. Zwar gibt es nach wie vor oft genug die bewährte Mischung aus Trap-Basslines, schleppenden Drums und orientalischen Tönen zu hören. Auf Songs wie „Meine Welt„, „Casino Royal„, „Halbmond“ oder „Mama“ aber geht Kurdo deutlich melodiöser und reduzierter zu Werke als auf „SDM„.
Getragen wird „Almaz“ wie schon sein Vorgänger von Kurdos Fähigkeit, Geschichten zu erzählen. Dafür braucht er oft nicht viel, er muss nicht weit ausholen, sondern bleibt lieber nah am Geschehen, an dem, was man so gern das echte Leben nennt. Seine Personen erleben keine phantastischen Abenteuer, es sind Menschen wie Kurdo selbst oder seine Fans, Menschen, die nicht unbedingt auf der Sonnenseite des Lebens geboren wurden, die aber den starken Drang verspüren, sich ihren Platz in der Sonne zu erkämpfen.
„Ein harter Mann/ mit wässrigen Augen
kämpft für sein‘ Traum/ will ständig hier raus
von morgens früh/ bis abends spät
kämpft mit seiner letzten Kraft/ dieser Pfad tut weh“ („So viele„)
Und genau das ist ein weiteres Alleinstellungsmerkmal von Kurdo. Rap wird gerne nachgesagt, den (in der Gesellschaft) Stummen eine Stimme zu geben. „Almaz“ tut genau das: Vom Mainstream marginalisierte Geschichten werden hier sichtbar gemacht. Geschichten von der Suche nach dem Ausweg aus dem Dilemma, vor das einen die Sorge ums kläglich Brot immer wieder stellt, gerade, wenn die Ausgangsbedingungen für den freien Wettbewerb nicht die besten waren. Das alles ohne Zeigefinger oder aufgesetzten moralischen Duktus. Stark.
Almaz (Limited Fan Edition)