Letztens meinte ein Kumpel zu mir, Ali As wäre der deutsche Styles P. Unabhängig davon, was ich von solchen Vergleichen halte (wenig, schon alleine weil Alis Twitter-Game weitaus stronger ist): Der Münchner ist tatsächlich einer dieser klassischen Lieblingsrapper deiner Lieblingsrapper. Die Sorte Künstler eben, die mit einer beinahe schon beängstigenden Portion Skills gesegnet sind, aber besagte Fähigkeiten nie wirklich in kommerziellen Erfolg ummünzen konnten. Zwar war Ali immer gut beschäftigt, mit diversen Mixtapes, Ghostwriting-Jobs und Auftritten als Teil einer – sogar mir als Bayern höchst suspekten – Volksmusik-Rock-Crossover-Combo. Aber dennoch stand vor „Amnesia“ tatsächlich nur ein Album auf der Habenseite – „Bombe“ aus dem Jahr 2008.
Aber egal, denn mit der Embassy of Music und einem neuen Produzenten-Team um ELI und David Ruoff scheint Ali As endlich ein passendes Umfeld gefunden zu haben, und tatsächlich ist „Amnesia“ auch ein ziemlich großer Wurf geworden. In erster Linie ist es ein leidenschaftliches Plädoyer für die Kunst und gegen die Fan-Verarsche durch YouTube-Megastars wie Sami Slimani, gegen eine verdorrte deutsche Altherren-Kultur, von der sich nicht nur, aber gerade auch Migranten-Kids nicht angesprochen fühlen, und auch gegen eine Rap-Szene, die nur allzu schnell den Trend der Stunde abkupfert: „Jeder kam mit Beamer, doch niemand kam mit Ideen“ Ali meckert viel herum, aber er will es auch besser machen.
Wenn er also in „Wenn Heino stirbt“ den Tod einer bekannten deutschen Musik-Ikone herbeisehnt, dann ist das weniger plumpe Provokation als einfach nur bloßer Ausdruck von Unverständnis: „Schwarzbraun ist die Haselnuss, doch staubgrau ist die Straßenschlucht“. Und witzig gemeint ist das nur bedingt, wenn Ali auf Twitter spaßig gegen rappende YouTuber-Lelleks schießt, die sich mit ziemlich minderwertigem Content Heerscharen von minderjährigen Groupies herangezogen haben. In Alis Welt braucht man für Erfolg eben Qualität; scheißegal, ob das eine arg idealistische Vorstellung ist, mit der er ziemlich alleine dasteht. Es ist dem Album anzumerken, dass dieser Frust, ein einsamer Außenseiter zu sein, auch anderweitig ein großer Antrieb bei seiner Entstehung war – wie etwa auf „Deutscher/Ausländer“, wo sich Ali und Featuregast Pretty Mo Plattitüden aus der Einwanderungsdebatte um die Ohren hauen, oder auf dem grandiosen „Gästeliste +0“ mit Muso, einer schonungslosen Abrechnung mit falschen Freunden.
Insgesamt ist „Amnesia“ allerdings wie ein zweites Debütalbum konzipiert und auf möglichst große Vielfalt ausgelegt. Bitterböse Spitter-Tracks wie das programmatisch betitelte „Ballern“ treffen auf nachdenklich-poetisches Material wie „Richtung Lichtung“ mit MoTrip, trippige Synthies („Nebelpalast“) treffen auf oldschoolige Sample-Banger („Hoodie X Chucks“). So eine Bandbreite wird für Rapper schnell problematisch, aber Ali kann sich mit seiner makellosen Technik durch jedes noch so schwierige Thema und Instrumental hindurch manövrieren.
Viele Rapper behaupten ja, sie würden sich technisch zurücknehmen, um ihre Message in deepen Songs besser transportieren zu können, aber ganz oft ist das nur eine Ausrede. Sie können’s halt einfach nicht besser. „Amnesia“ wiederum klingt trotz aller Themensongs immer noch wie ein Album von Rapnerds für Rapnerds – voller Punchlines und mit mehr Vergleichen als Fachanwälte für Arbeitsrecht, die gerade echt viele Klienten haben. Unterm Strich bleibt „Amnesia“ gerade wegen seiner Themenvielfalt und Geschmackssicherheit eines der ersten Highlights des noch jungen Rap-Jahres 2015. Ich will jetzt nicht sagen, da wurde wegbetoniert, aber … hmmm, ja doch.
Text: Flo Reiter