HipHop ist geil, und Schwesta Ewa ist das beste Beispiel dafür. Und damit ist jetzt noch nicht mal die Musik gemeint, aber: Wo sonst wäre es möglich, dass eine polnischstämmige Ex-Prostituierte namens Ewa Müller die Bühnen dieser Republik abklappert, ihre Lebensgeschichte voller Abfucks (im buchstäblichen wie übertragenen Sinne) erzählt – und die Leute sie dafür übertrieben feiern?
HipHop war schon immer eine Bewegung der Marginalisierten, der kaum beachteten Menschen am Rande der Gesellschaft, die im täglichen Hustle legale und moralische Grenzen überschreiten. Als Kultur der Straße ist HipHop eben auch die Kultur der Drogendealer, Zuhälter und Kleinkriminellen, die durch Rap plötzlich die Gelegenheit bekommen haben, ihre Geschichte zu erzählen und auch für sich selbst zu verarbeiten.
So weit, so bekannt. Was Schwesta Ewa als Künstlerin so interessant macht, ist die Tatsache, dass sie als Prostituierte selbst in dieser Welt der Marginalisierten noch eine untergeordnete Rolle einnehmen musste. Auch in der Unterwelt gibt es eine Hierarchie, und Frauen, die Sex gegen Geld tauschen, stehen in dieser Rangfolge ziemlich weit unten. Schwesta Ewa erzählt also aus einer Perspektive, die in dieser Deutlichkeit noch nie so genau im (deutschsprachigen) HipHop beschrieben wurde.
Dabei hätte es sich Ewa mit „Kurwa“ (polnisch, bekanntlich für Nutte) auch einfach machen können. Hier ein paar Partytracks, dort zwei, drei Possecuts mit den Alles-oder-Nix-Kollegen, danach ein paar lockerere Angeber-Tracks und zum Schluss noch der obligatorische deepe Liebessong. Doch zum Glück kann Ewa jedoch sehr gut einschätzen, wo ihre Stärken liegen, und schon auf ihrem „Realität“-Mixtape waren das die brutal ehrlichen Einblicke ins Rotlichtmilieu und nicht irgendwelche Ansagen gegen imaginäre Kontrahenten.
Und gerade weil dieses Milieu in der Kunst noch relativ unerforscht ist, stellen sich viele spannende Fragen: Zum Verhältnis von Freier und Nutte bzw. wer hier wen ausnutzt; zum Weg, den man überhaupt einschlagen muss, um Prostituierte zu werden; und ganz generell zu einer Doppelmoral, nach der Männer die eigene Mutter und Schwestern geradezu mariengleich verehren, aber Prostituierte nicht mal wirklich als Menschen wahrnimmt.
„Kurwa“ ist ein Album, das sich all dieser schwierigen Fragen annimmt und verflucht intelligent aufbereitet. „Spiegelreflex“ mit Grace etwa nimmt ein Standbild aller möglichen Gestalten, die sich an einem typischen Abend im Rotlichtviertel versammeln, und beleuchtet ihre Hintergrundgeschichte: Der Crackdealer, der nur genug Geld verdienen will, um seinen Bruder aus Syrien rauszuholen; der querschnittsgelähmte Straßenmusikant, dem mal eine vielversprechende Fußballer-Karriere bevorstand; oder „der Zuhälter, er hat Duldung seit zwanzig Jahren / Vater Staat sagt, dass er nicht arbeiten darf“. „Kurwa“ gibt all diesen Randfiguren ein Gesicht, und alleine das ist schon eine gewaltige Leistung.
Das Album ist voll von solchen Momenten und erzählt fast schon trocken von den Annehmlichkeiten und Gefahren des Lebens im Rotlichtmilieu. „Tunneln und so“ mit Eko Fresh dreht das altbekannte Player-Klischee um, indem Ewa sich von einem notgeilen Typen so lange umgarnen lässt, wie sie ihm das Geld aus der Tasche ziehen kann: „Bruder läuft bei dir, ich erkenne deine Masche / doch spiele mit aufgrund der Batzen in deiner Tasche“. „Du liebst mich nicht“ mit Fard und Samy ist nicht die zu befürchtnde Liebesschnulze, sondern beleuchtet äußerst reflektiert von beiden Seiten die Streitigkeiten, die sich in einer Beziehung ergeben, in der die Frau als Prostituierte arbeitet.
Am krassesten ist aber „Boomerang“, in dem Ewa schonungslos die Doppelmoral behandelt, mit der eine Gruppe Teenager-Jungs im schummrigen Club ein Mädchen mit K.O.-Tropfen abfüllt und später dann einer der Jungs mit Schrecken feststellt, dass es sich dabei um seine eigene Schwester handelt: „Dennis geht Bar, hockt sich da hin / holt zwei Jackie Coke und tropft in die Drinks“ Das Schockierendste an diesen Geschichten ist, mit welcher Emotionslosigkeit in der Stimme Ewa sie erzählt – was suggeriert, dass sie so abgefuckten Kram öfter miterlebt hat.
„Kurwa“ ist ein verdammt starkes Debütalbum. Klar, das vertraute Boombap-Westcoast-Soundbild von Alles oder Nix wirkt auf Albumlänge immer ein wenig eintönig. Und mit schärferer Qualitätskontrolle wäre sicher ein bisschen weniger Füllmaterial auf dem Album gelandet. Aber Schwesta Ewa hat faszinierende Dinge zu erzählen, und sie ist mittlerweile technisch versiert genug, dass man ihr dabei auch gerne zuhört. „Alles oder Nix, die Nutte die ihr liebt?“ Auf jeden Fall.
Text: Flo Reiter