Fangen wir mit der hervorstechendste Eigenschaft von „Smalltalk“ an: Der 90s/00s-Ästhetik in Sound und Text. Der Titeltrack ist eine waschechte 2Step/UK-Garage-Nummer, die so genretypischen Songs wie „Re-Rewind“ handwerklich in nichts nachsteht. „Nackt“ und „Alk und Molly“ schlagen mindestens genauso amtlich Deephouse-Pfade ein, bis „Karussell“ dann den Vogel komplett abschießt: Die Referenz an Kool & The Gangs „Fresh“ und Manuellsens Namedroppings (Sean Combs, Cadillac Tah (!), J.Lo, Alicia Keys) machen den Song zu einem Paradebeispiel, wie man die richtige Mischung aus nostalgischem Retro-Zitieren/-Aufgreifen und State of the Art findet.
Bragging and Boasting
Am spannendsten gerät „Smalltalk“ für mich – und wohl auch für die rap.de-Userschaft – stets dann, wenn Remoe den Charmeur zu Hause lässt, mit raptypischem Bragging and Boasting beginnt und der Sound passend dazu etwas dunkler wird. Der Opener „Nie mehr broke“ hätte so 1:1 auch auf einem Fler-Album stattfinden können – zumindest die erste Hälfte. Bei „Major Money“, „Genesis“ und „Kontakte“ geht es genauso mit selbstbewusst herausgedrückter Brust zu Werke.
Die dritte Seite des Albums wird von karibischen Klängen dominiert, wie man sie schon von Remoes Singles „Radar“ und „2WEI“ kennt. „Milano“ und „Bella“ schwingen entspannt vor sich hin und geraten unweigerlich zu Ohrwürmern.
Gutes Gespür für Rhythmik und Gesangslinien
Generell kann Remoe all diese Styles wohl nur durch sein gutes Gespür für Rhythmik, Gesangslinien und Eingängigkeit meistern. „Smalltalk“ hat seinen Hafen zwar im Soul, R’n’B und HipHop, aber unternimmt auch immer wieder Ausflüge in andere Gewässer. Und das ohne sich zu verirren, da der Kapitän ganz genau weiß, was er da macht.
Ein kleiner bis mittelgroßer Ausreißer ist die Ballade „Meine bist du“, die Remoe als den klassischen Sänger zeichnet. Und selbst wenn mich diese Stimmung nicht abholt, ist es ein weiteres Puzzlestück, das ihn für die Sony zu einem „der größten Talente in der deutsch-urbanen Musikszene“ macht. Kann ich so unterschreiben.
Progressives deutsches R’n’B-Album
„Smalltalk“ ist letztlich eine klare Sache: Die einen werden es als besten R’n’B-Album feiern, das Deutschland momentan zu bieten hat und Remoe für seine Arbeit als Singer/Songwriter und Produzent loben. Die anderen werden die Schere von Prolet und Schwiegermamas Liebling nicht verstehen (und dann singt der auch noch!) und es in die nächste Schublade verbannen. Auch, weil sich das ganze Album quasi um Liebe, Sex und Zärtlichkeit dreht und Remoe es textlich eher plakativ hält. Am Ende aber ist es ein progressives deutsches R’n’B-Album. Punkt.