Mit ihrem zweiten Album „Aywa“ polarisiert Schwesta Ewa mehr denn je – auch in der rap.de-Redaktion. Skinny und Alex diskutieren über den neuen Langspieler der Frankfurter Rapperin. Besonders an der Produktion scheiden sich Geister.
Skinny: Das neue Album von Schwesta Ewa ist der absolute Wahnsinn! „Aywa“ ist ohne Frage eines der härtesten, authentischsten und spannendsten Deutschrap-Alben überhaupt. Ewas Erzählstruktur ist unglaublich greifbar und kurzweilig, ob es nun um die Wirren ihrer anstehenden Haftstrafe geht oder um ihre beklemmende Lebensrealität: Jedes Wort sitzt, jede Zeile geht unter die Haut, jede Beschreibung wird lebendig. Ich hätte mir nur gewünscht, dass das ganze Album aus diesen Solotracks bestanden hätte. Sobald ein Featuregast dabei ist, weicht dieser unglaublich dichte Duktus nämlich leider auf.
Alex: Ich muss sagen, dass „Aywa“ weit unter meinen Erwartungen geblieben ist. Der Umstand, dass Ewas zugegebenermaßen faszinierende Lebenswelten durchaus authentisch und so breit gefächert wie nie zuvor erläutert werden, wird in meinen Augen von einem ganz und gar nicht zu ihr passenden Soundbild überschattet. Ich frage mich schon seit der ersten Auskopplung „Schubse den Bullen“, warum sie beinahe all ihre musikalischen Alleinstellungsmerkmale vergangener Releases derart leichtfertig über Bord geworfen und gegen einen absoluten austauschbaren Trap-Sound eingetauscht hat, der sich an die derzeitige Top-100 anbiedert. Auf dem wirkt sie nämlich immer wieder unsicher und instabil. Die musikalische Untermalung steht in keinem Verhältnis zu den bärenstarken Inhalten des Albums. Die Produktionen wirken an vielen Stellen belanglos sommerlich und gezwungen leichtfüßig. Deine Kritik am Feature-Overload gehe ich komplett mit, gerade weil beinahe alle Gäste, insbesondere Al-Gear, Vega und Juju Ewa in Sachen selbstbewusst-energischem Flow deutlich übertrumpfen.
Keine humorvollen Brechungen?
Skinny: Wow, wir sind jetzt schon an einem Punkt angelangt, an dem es wenig zu argumentieren gibt, weil unsere Meinungen komplett auseinander gehen. Bis auf die letzten drei Songs, die fluffig tanzbar klingen, ist absolut hier nichts nichts sommerlich und leichtfüßig. Bleiben wir mal bei „Schubse den Bullen“: Die Bassline drückt brachial nach vorne, die Hi-Hats zischen fies, die Synthieline ist unbequem und dramatisch – das ist astrein inszenierte Action, die präzise an die inhaltliche Klimax angepasst wurde. Dass aus rein produktionstechnischer Sicht wenig experimentierfreudig gearbeitet wurde, stimmt zwar, dass die Beats belanglos sind, sehe ich aber überhaupt nicht. Die gesamte musikalische Aufmachung steht Ewa hervorragend. Der lässige G-Funk von „Kurwa“ wäre auf „Aywa“ absolut deplatziert gewesen. Die Beats sind düster, ernst und entschleunigt, denn gibt es hier keine humorvollen Brechungen oder überspitzten Superlative. Ewas harter, strenger Vortrag passt perfekt zu den Downtempo-Beats. Ihre klare, geradlinige Stimme kommt so hervorragend zur Geltung und ihr bleibt genug Raum, um Emotionen auszudrücken – denn das kam auf den 90 BpM Instrumentalen des Vorgängers viel zu kurz. Klar, die Gastbeiträge stehlen ihr häufig die Show. Das liegt aber nicht nur daran, dass es sich um versiertere Rapper handelt, sondern ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass Ewa sich sehr auf die Gäste einlässt statt andersherum. Belanglose Punchlines und wildes Herumgeflowe sind nicht ihre Prämissen – die starken Momente hat „Aywa“ in den Solosongs, in denen Ewa sich Zeit nimmt und ein dichtes, intensives Bild zeichnet.
Autotune statt Ausdrucksstärke?
Alex: Gut, dass du direkt auf die letzten drei Tracks zu sprechen kommst. Besonders die Afro-Trap-Attrappe „Wahre Liebe“, die im Finale der Platte inbegriffen ist, war in meiner Wahrnehmung nämlich die mit Abstand gröbste Geschmacksverirrung des Langspielers. Trotzdem ist dies nicht der einzige Song, dem ich absolut deplatzierte Sorglosigkeit und fehlende Kreativität in der klanglichen Umsetzung vorwerfen muss: „Es fehlt n‘ Zwanni“ ist ebenfalls ein bitterer Beleg dafür, wie man die wuchtige Aussagekraft eines vielsagenden Tracks durch unsouveränen Stimmeinsatz, fade Highlights und einen unangemessen leichtgewichtigen Unterbau dramatisch schmälern kann. Die langsamen Future-Beats lassen nicht nur Ewas sonst mittlerweile stabilen Flow wacklig erscheinen, sondern beißen sich auch immer wieder mit ihrer bestimmt rauen Sprachmelodie. Es ist fast tragisch, dass lyrisch tiefgehende Titel wie der Album-Namensgeber „Aywa“ so aalglatt und steif umgesetzt und nur dadurch massiv abgeschwächt wurden. Der resiliente und unnachahmliche Charakter der Figur Schwesta Ewa, deren Stärke es stets war, hart, ruppig und prägnant on-Beat zu flowen, wird durch den an den Zeitgeist angepassten Sound unnötig verdünnt. Ewa ist für mich das Paradebeispiel einer Künstlerin, die der Einsatz von Autotune eindeutig in ihrer Ausdrucksstärke dämpft. Sie hat dieses Gadget ganz und gar nicht nötig. Ähnliches gilt für die häufig missglückten Adlibs und die platten Hooks a la „Ich sag‘ ‚ups‘ zu dem Bulle, ‚ups‘ zu dem Bullen“. Hätte sie dieselben Stories aus den letzten Jahren auf deepen und multilateralen Boom-Bap-Beats und ohne den Einsatz von Autotune ausgebreitet, hätte „Aywa“ ein wahrhaftiges Jahrhundertalbum werden können. Mit deiner Theorie zum Feature-Dilemma hast du übrigens recht. Gut analysiert, Kollege!
Austauschbare Beats – oder passgenau?
Skinny: Hahahaha ich muss das „Ich sag‘ ‚ups‘ zu dem Bullen“ nur lesen und lache wieder – finde ich großartig! Ewas staubtrockene, unbeeindruckte Art, solche kleinen Spitzfindigkeiten platzieren, ist eine der ganz großen Stärken von „Aywa“. Ich resümiere ansonsten mal kurz, weil ich wirklich interessant finde, dass wir uns so uneinig sind – erfahrungsgemäß stellt sich bei solchen Debatten nämlich meistens heraus, dass bei so einer Meinungsverschiedenheit nur auf unterschiedliche Aspekte Wert gelegt wurde, wir haben aber folgendes Problem: Du findest die Beats austauschbar, ich finde sie in ihrer Einfachheit absolut passgenau zu Ewas reduziertem, emotionalem Vortrag – den du wiederum als unbeholfen wahrnimmst. Dass das, was Ewa zu sagen hat, inhaltlich interessant und überaus spannend aufbereitet ist, da sind wir uns zwar einig, dich erreicht es aufgrund des musikalischen SetUps allerdings nicht, während ich mir genau davon noch deutlich mehr gewünscht hätte. Kannst du das unterschreiben und wir sind uns einig, dass du einfach ein Banause bist? Na gut, von mir aus können wir uns darauf einigen, dass wir die gesamte Aufbereitung einfach komplett unterschiedlich wahrnehmen.
Alex: Ja, das hast du gut zusammengefasst. Es gäbe sicherlich noch einiges mehr zu diesem Album zu sagen, aber im Kern bin ich alles losgeworden, was mir beim Hören durch den Kopf gegangen ist. Ich will hier gewiss keine Lobgesänge auf alte Zeiten trällern, aber eine Ewa mit rotziger „Realität“-Delivery auf klassischen AON-Brettern hätte mich auf „Aywa“ deutlich nachhaltiger gekriegt als die, die sich zum vorläufigen Abschied aus dem Rap-Universum spürbar unsicher auf das dünne Eis moderner Trends begibt. Die lyrische Aufarbeitung der letzten Monate, die Aufrechterhaltung ihrer Attitüde und die Veranschaulichung ihrer Situation ist ihr dennoch gut gelungen. Und: Dass viele Punchlines richtig Biss haben, ist auch klar.