Review: JAW – Die unerträgliche Dreistigkeit des Seins

JAW gilt für viele Rapfans als einer der besten deutschsprachigen Rapper überhaupt. Auch ich veröffentlichte Ende des Jahres 2016 den appellierenden Kommentar „JAW, wir vermissen dich!“. Im Jahre Acht nach „Täter-Opfer-Ausgleich“, seinem letzten und wohl besten Album, betritt Dokta Jotta wieder die Bildfläche mit einem neuen Werk: „Die unerträgliche Dreistigkeit des Seins“. Der Wind hatte sich aber bereits gedreht: JAW hat sich im Rahmen einer politischen Debatte rund um Absztrakkts Abdriften in die rechte Ecke und den damit zusammenhängenden Themenkomplex mit diversen reichlich unqualifizierten Beiträgen für viele ins Abseits geschossen.

„Die unerträgliche Dreistigkeit des Seins“ kommt Jott sei Dank aber vollständig ohne politische Exkurse aus und verzichtet bis auf gewohnt zwischenmenschliche Themen weitgehend darauf, sich zu irgendwelchen Weltanschauungen oder einem politischen Status Quo zu äußern. Also soll auch diese Review sich nun lediglich auf die Musik beschränken.

Resignierter Dokta

Auf „DuDdS“ scheint JAWs unbändige Wut einer Art nüchternen Resignation gewichen zu sein. Allerdings keine frustrierte Resignation, eher eine bodenständig-erwachsene Art, sich mit Umständen abzufinden. Auf „Lost in Space“ inszeniert Jotta sich selbst als außerirdisches Wesen, das mit den Gepflogenheiten der Menschen nichts anzufangen weiß und deren Form der Kommunikation zwar zu imitieren vermag, darin aber wenig Mehrwert sieht. „Menschenwesen fragen oft ‚Wie geht’s?‘ – doch eine Antwort würde Erdenjahre dauern, darum sag‘ ich: Okay.“ Auch in der Rapszene fühlt JAW sich nach wie vor als „Fremdkörper“ und in zwischenmenschlichen Beziehung pflegen er und Maeckes „Masken“ zu tragen, um ihre Lasten zu verbergen und sich so den Alltag zu erleichtern.

Ansonsten herrschen psychische Probleme und deren Medikation vor. „Entzugsoptimismus“ zeichnet den steinigen Weg vom Verzicht auf pharmazeutische Hilfe, während sich ansonsten vieles um die Symptome selbst dreht. Alles in allem stellt „DuDdS“ eines der introspektivsten Alben in einer introspektiven Diskografie dar. Natürlich, kommt auch das neue Werk nicht ganz ohne bissige Banger, etwa „Nichts“, aus, in erster Linie dreht es sich aber um Jottas Innenleben und einige Ereignisse der letzten Jahre. Mit „Bis zum letzten Tag“ kann das Album sogar eine waschechte Ballade bieten, die zwar leicht kitischig, dabei aber nicht bieder oder peinlich wird und emotional die Erlebnisse und Rückschläge in der eigenen glücklichen Beziehung schildert.

Besonders das tieftraurige „Bye Mama“ sticht hervor. JAW verarbeitet hier den Tod seiner Mutter und wählt seine poetischen Worte auf eine derart ergreifenden Weise, dass man sich der schönen Melancholie nicht erwehren kann. Keine Spur von verzweifelter Verbitterung, „Bye Mama“ ist ein wundervoller, ehrlicher Abschiedsbrief, der nur von einem spartanischen Piano-Beat unterlegt offenkundig keinen anderen Zweck erfüllt, als der Verblichenen letzte Worte mit auf den Weg zu geben.

Mutige Produktion

Derart reduzierte, klassische Beats stellen aber eher eine Seltenheit auf „DuDdS“ dar. Zwar eröffnet das dramatische Intro mit einem bedrohlichen Klavier und dezenten Drums, auf denen JAW die Titel seiner bisherigen Releases geschickt in Zeilen einwebt, darauf folgt aber direkt das vielschichtig produzierte „Exit“, das mit einer Vielzahl an Instrumenten und analogen Verzerr-Effekten recht ungewohnt klingt. Dieser experimentelle Duktus zieht sich durch das Album, das vollständig von JAW selbst und dessen langjährigem Weggefährten Peter Maffya produziert wurde. Statt der gewohnt scheppernden Sample- und Synthiebeats geht es hier deutlich mutiger zu. „DuDdS“ klingt modern, gar futuristisch, ohne auf trendige Gimmicks zurückzugreifen.

Das braucht zwar Eier und ist auch handwerklich gut umgesetzt, will aber zuweilen nicht so ganz ins Ohr gehen. Die Strukturen und Arrangements der Instrumentale sind derart sperrig, dass es immer wieder zu zähen Längen kommt, die der Produktion zu verschulden sind. Dennoch: Der Ansatz ist wirklich interessant. Ohne die achtjährige Flaute wäre das sicherlich eine sehr willkommene Abwechslung, denn schlecht ist das keinesfalls. So lässt einen aber das Gefühl nicht los, sich etwas Anderes erhofft zu haben. Wobei der Dokta auch dafür ein Mittelchen hat: Dem Amazon-Bundle des Albums liegt die „Old Habits“ Version bei, die von JAW auf herkömmliche weise produziert wurde. Zum Zeitpunkt dieser Rezension konnte ich die alternative Version leider noch nicht anhören. Ich hoffe aber auf staubig rumpelnde 90 BpM-Drums und unbehagliche Samples aus der Popkultur-Mottenkiste.

Auch ein mäßiges JAW-Album ist besser als…

JAWs größter Wurf ist „Die unerträgliche Dreistigkeit des Seins“ beileibe nicht geworden. Dafür fehlen die unvergesslichen Highlights, die sich durch seine restliche Diskografie ziehen – und an der muss das Album sich nun mal messen lassen. Seine starken Momente hat es aber ohne Frage. Die mutige Produktion anzukreiden, wäre unfair, allerdings sind die besseren Songs doch meistens die weniger extravagant instrumentierten. Die eigensinnigen Hooks, die oft mit mehrspurigem, technisch nachjustiertem Singsang daher kommen, gehen aber gut ins Ohr und sind trotz der gar nicht unähnlichen Herangehensweise denkbar weit von zeitgeistigem Autotune-Geträller entfernt. So richtig einordnen lassen will sich Jottas neues Album jedenfalls nicht – aber selbst ein mäßiges JAW-Album überschattet die meisten anderen Releases der jüngsten Vergangenheit.

Die Unerträgliche Dreistigkeit des Seins (Ltd.)
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