Review: Marsimoto – Verde

Nach einer reichlich verwirrenden Promophase, die einen mit nicht ganz unbekanntem Double, Kurzvideos und diversen Audio-Auskopplungen gepflasterten Weg nahm, legt Marsimoto mit „Verde“, was auf Spanisch nicht mehr als „Grün“ bedeutet, ein Album vor, das erfrischenderweise ohne Deluxe Box oder prestigeträchtige Gastbeiträge einfach für sich stehen soll.

Stattdessen ist die Gästeliste mit Pseudonymen chiffriert und Marsi lässt sich über einen ungemeinen breit gefächerten Themenkosmos aus, der letztlich trotz der enormen Diversität aus jeder Zeile einen charmant dezenten Revoluzzer-Spirit atmet und „Verde“ zu einem bündigen, wenn auch etwas durchwachsenen fünften Album in der Diskografie des Quasimoto-Ziehsohns macht.

Spoiler: Casper ist dabei

All das zeichnet sich bereits in der ersten Anspielstation ab, die sich um den Tag danach dreht. „Samstag der 14te“ (na, was kam davor?) kommt mit epochaler Hook eines freundlichen Geistes, der bekannt für seine Reibeisenstimme ist, daher und handelt in gut greifbaren Horrorfilm-Metaphern die eigene Ermüdung, Genügsamkeit und Hoffnung ab.

Man merkt, dass Marsi sich ordentlich den maskierten Kopf über schlüssige Songkonzepte zerbrochen. Ob sich nun auf „Chicken Terror“ beeindruckend empathisch, aber unpathetisch in die Rolle eines gemästeten Industrie-Hühnchens versetzt wird, mit der „Glatze mit Zahl“ aka Menschenfreund88 über den modernen, nicht mehr vierbeinigen besten Freund des Menschen philosophiert oder im besinnlichen „Solang die Vögel zwitschern gibt’s Musik“ authentisch ehrlich über die heilsame Wirkung von Musik und der freien Natur in sinniert wird: Kein Track kommt ohne angenehm präsentes Leitmotiv daher. Dabei wird Marsi aber nie kryptisch, zu plump oder direkt wird es aber ebenfalls nicht.

Nicht alles Licht, auch Schatten

Dennoch sitzt nicht jeder Track, nicht jede Idee zündet: Die Hymne an die Action Cam „Go Pro“, die mit flacher Referenz an den 2014er Gassenhauer „CoCo“ aufwartet, plätschert ziemlich nichtssagend vor sich. Klar, sie soll den Abenteurergeist des Protagonisten veranschaulichen, das funktioniert aber doch nur auf pragmatischer Ebene. „Vespa Gang“ erzielt auch nicht den gewünschten Effekt – dafür kauft man Marsi die Bodensatz-der-Gesellschaft Attitude einfach nicht glaubhaft genug ab.

Billige Kalauer

Auch einige Zeilen wollen einfach nicht funktionieren und stören stattdessen den eigentlich recht pointierten Gesamteindruck: „Es heißt Soße und nicht Sose!“ ist ein wunderbar stumpfes Eröffnungs-Statement für den wuchtigen Titeltrack und auch die darauf folgenden Statements muten angenehm unbefangen an. Wenn es im zweiten Part aber heißt: „Nichts ist so lit wie ne Litfasssäule“, dann wischt so ein fehlgeschlagener Kalauer den lockeren Gesamteindruck mit aller Gewalt vom Tisch – eben wie „Go Pro“ einen Störfaktor darstellt, nur im Kleineren.

Das ist zwar schade, aber nicht weiter dramatisch – zumal das durchaus auch eine Frage des Humors ist. Das Gros der Songs überzeugt neben der straighten Erzählweise und dem geschickt verknüpften Gesamtbild außerdem mit mächtigen Brecher-Produktionen. Kraftvolle Drums rollen mit aggressiv verzerrten Synthies um die Wette, mächtige Bassspuren lassen keine Atempause. „Verde“ ist kein Album für Laptop-Boxen oder mittlere Lautstärke – „Verde“ ist ein Album, dessen Bass man in der Brust spüren muss, bei dem der Volume-Regler normale Gespräche unmöglich machen muss.

Die Revolution im kleinen

„Verde“ ist kein Über-Album. Dafür erlaubt die grüne Kunstfigur sich zu viele stilistische Fehltritte und Flachwitze. Dennoch wurde hier jeder Handgriff durchdacht, jedes Thema fügt sich sinnvoll ein und dient einem größeren Kontext. Dieses Große Ganze kommt trotz der Unzulänglichkeiten zur Geltung und macht „Verde“ zu einer Erzählung, die die Revolution im mahnenden Kleinen, einen bodenständigen Epos und eine völlig überdrehte aber dennoch geerdete Figur spannend unter einen Hut und das dann auf einem elektrisierendem musikalischen Unterbau kurzweilig und mundgerecht an den Hörer bringt.