Review: Juse Ju – Shibuya Crossing

Juse Ju gilt gemeinhin als scharfzüngiger Zyniker. Bissige Texte, die mal augenzwinkernd, mal schonungslos direkt das Weltgeschehen, musikalische Missstände und die eigene Person aufs Korn nehmen, prägten bis Dato das Schaffen des Weltenbummlers aus der Provinz. Mit „Shibuya Crossing“ bereichert Juse, der mittlerweile schon 20 Jahre im Game zu verorten ist, seine Diskografie um eine autobiographische und erstaunlich geerdete Facette.

Komplett ohne Kampf gegen Windmühlen kommt Juse Ju zwar auch hier nicht aus, etwa wenn er sich mit Danger Dan in die Rolle eines Alu-behüteten Russia-Today-Zuschauers versetzt, als „Justus BWL“ der Ellbogengesellschaft frönt oder auf „7Eleven“ mit Edgar Wasser und Fatoni reihenweise Representer-Punchlines kickt, dank des smart pointierten Humors funktioniert das aber stets. Weitgehend berichtet „Shibuya Crossing“ ohnehin von den verschiedenen Stationen in Juses bewegtem Leben.

Das passiert angenehm bodenständig und mit stets offenem Visier. Im Opener „Kirchheim Horizont“ schildert Juse die Jugend in der Kleinstadt, die zwar ziemlich ätzend klingt, ihm aber trotzdem in schöner Erinnerung geblieben zu sein scheint. Er will zurück zu seinem kleinen „Kirchheim Horizont“, den er sogar als Zuhause bezeichnet, obwohl er erkennt, dort eigentlich nicht hinzugehören. Kompliziert, oder? Juse Ju beschränkt sich nicht darauf, den Leuten zu sagen, was sie hören wollen oder sich mundgerecht verpackt zu präsentieren. Stattdessen begegnet man einem komplexen Charakter, der auch mit sich selbst hart ins Gericht geht, etwa wenn er auf Lovesongs nicht nur fremdes, sondern auch sein eigenes Fehlverhalten gegenüber Frauen aufs Korn nimmt und dabei von Selbstzweifeln zerfressen seine eigenen Unzulänglichkeiten offen legt.

Auch Storyteller wie „Bordertown“ kommen nicht als Standardkost daher, sondern verzichten weitgehend auf eine Klimax und punkten mit Überraschungsmomenten und detailverliebten, lebendigen Bildern. Juse Ju ist einfach ein hervorragender Songwriter, der so unverkrampft und locker erzählt, dass einem die komplexen Technikspieleren auf den ersten Blick gar nicht unbedingt auffallen mögen. Selbst bei den schnell geflexten Passagen fällt es leicht zuzuhören, Abstriche an anderer Front werden für die anspruchsvollen Flows keine gemacht.

Allerdings sind die Raps auf „Shibuya Crossing“ weniger verspielt als man es von Juse gewohnt ist. Stattdessen herrschen spannende Momente und Einblicke vor, die zuweilen recht ergreifend und Emotional sind, etwa die unkitschigen Kindheitserinnerungen im Titelsong. Juse Ju erzählt stets treff- und stilsicher. Lediglich die Beats, auch wenn sei allesamt von hervorragenden und namhaften Produzenten stammen, lassen etwas an Prägnanz vermissen. „Shibuya Crossing“ klingt stets gut, aber lässt Wumms und Überraschungsmomente leider schmerzlich vermissen. Klar, es geht um das, was Juse Ju zu berichten hat, aber ein bisschen mehr Eigengeschmack und Konsequenz hätten der Instrumentierung dennoch gut getan.

„Shibuya Crossing“ ist dennoch ein bemerkenswertes Album, das hervorragend auf den Punkt kommt. Juse Jus Erzählduktus fesselt, die Inhalt sind spannend und werden immer wieder aufgelockert. Der ein oder andere Song, etwa die Skater-Hymne „Pain is Love“ fühlt sich zwar ein bisschen nach Ballast an, macht aber dennoch Spaß. Wer sich in dem Dschungel aus modernen Deutschrap-Subgenres, die Lyrics eher als Beiwerk betrachten, akklimatisieren möchte, ist mit „Shibuya Crossing“ hervorragend beraten. Jeder andere ist es eigentlich auch, denn trotz erwähnt kleiner Macken stimmt hier eigentlich alles.