Haiyti hat „hunderttausend Fans, die“ sie „noch nicht kennen“. Nun, da sie ihr „erstes richtiges Album“ „Montenegro Zero“ vom Stapel lässt, klingt die Erwartung, sie daran anschließend vielleicht ein bisschen besser einordnen zu können, keineswegs vermessen. Und dennoch ist sie in ihrem Fall schlichtweg utopisch und – so viel vorweg – letztlich unerfüllbar.
Haiyti scheint die Argumente, mit denen man in den letzten Monaten inner- und außerhalb der Rapszene gegen sie Front gemacht hatte, bis ins letzte Detail ausfindig gemacht und untersucht zu haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie die Provokation, die von ihrer Musik auszugehen scheint, auf „Montenegro Zero“ derartig passgenau auf die Spitze treiben konnte. Das bietet ihren schärfsten Kritikern freilich viel Angriffsfläche, kann die Fangemeinde de facto aber nur positiv überraschen. Das Eindrucksvollste daran: Für die Umsetzung ihrer Vision braucht sie nicht einen einzigen Feature-Gast zur Unterstützung.
„Montenegro Zero“ ist, ähnlich wie Haiytis Persona als solche, ein Mysterium. Ein schräges und doch extravagantes Unikat. Wunderschön trashig und unberechenbar, dabei nicht minder streitlustig und selbstbewusst. Von surrealen Übertreibungen über das bisweilen alberne Spiel mit zeitgenössischem Slang bis hin zu bizarrsten Vergleichen, die beispielsweise nicht davor zurückschrecken, etwa eine Parallele zwischen „Haaren“ und „brennenden Reifen“ zu ziehen … Die haiytianische Provokation gelingt allein auf sprachlicher Ebene wirkungsvoller denn je. Verbildlichungen wirrster Gefühlslagen mithilfe banalster Metaphern nach dem Schema: „Das Leben um den Hauptbahnhof – ich schieße eine Taube tot“ erzeugen, obwohl sie die unvermeindliche Dadaismus-Diagnose sicherlich nähren werden, immer wieder starke Atmosphären.
Inhaltlich unternimmt Haiyti einen furiosen Spagat zwischen den Welten, offenbart dabei innere Zerrissenheit und gewaltiges Kopfkino zwischen hysterischer Instabilität und skrupelloser Coolness. In der einen Zeile räumt sie unverdrossen ihr Außenseiterdasein ein, in der nächsten zelebriert sie ihr Image als schillernde Anführerin eines Movements. Hier mimt sie die kreuzgefährliche Gangsterbraut mit „Knarre am Gürtel“, dort das abgebrannte Drogen-Wrack; Hier das reiche „Serienmodel“ oder gar die Königin mit Sitz im „Palazzo in Monaco“, dort lediglich das egozentrische Konsumopfer oder gar die virtuose Sozialkritikerin.
Haiytis Hang zum Drama entfaltet sich besonders in wilden Phantasien von heißblütigen Beziehungstragödien im verblassenden Glanz filmreifer Sonnenuntergänge, verpufft dann aber, im Angesicht polemischer und trockener Feststellungen à la: „Ich war noch nie im Berghain“ wieder unspektakulär. Weder im pathetischen noch im simplen Moment ist so recht klar, ob sie diesen bewusst als Stilmittel verwendet hat oder ob er intuitiv vom Himmel gefallen ist.
Insgesamt fällt es schwer, die tatsächlich erlebten Geschichten der real existierenden Person Ronja Zschoche von den Halluzinationen, Dichtungen und Dystopien der von ihr kreierten Kunstfigur abzugrenzen. Die ungeschönte Wahrheit muss irgendwo auf der breiten Skala zwischen der trübseligen Hommage an die Hood, „Haubi“, der herzzerreißenden Hymne an den Liebeskummer, „Gold“ und der vernünftigen Einsicht, niemals ins „Berghain“ entführt werden zu wollen, stattfinden.
Über die gesamte Spielzeit der Platte hinweg steht Haiytis dominante Stimme absolut im Zentrum des Geschehens. Dennoch ist zu jeder Zeit spürbar, dass der Sound im Hintergrund den emotionalen Pegel der einzelnen Tracks jeweils sehr gelungen transportiert. Folgerichtig führt dies häufig zu sehr beklemmenden und explosiven Klangbildern, in denen die Disharmonien die Harmonien zumeist vernichtend in die Knie zwingen … Das wohl fulminanteste Exempel hierfür ist die unangenehm übersteuerte Hook in „Mafioso“. Wie nicht anders gewohnt, haben die Jungs von KitschKrieg hier wieder lupenreine und höchst innovative Feinarbeit geleistet, ohne bereits Dagewesenes kopiert zu haben.
Bezeichnender Weise beginnt das Album mit Handy-Störgeräuschen, die wenig später sogar als Basis für die elektronische Untermalung des militärisch anmutenden Intro-Beats dienen und endet im letzten Track „American Dream“ mit, es lässt sich nicht anders ausdrücken, schauderhaften Gesangsexperimenten auf einem stark reduzierten Backround … Ganz so, als wolle das Mädchen, das die „Kippe wie Kate Moss“ raucht, auf den letzten Metern noch ein letztes Mal für maximale Empörung sorgen, bevor sie für ein paar Monate majestätisch von der Bildfläche verschwindet.
Überhaupt spielt Haiyti, auch völlig unabhängig von den portionierten Autotune-Einsätzen, wesentlich selbstbewusster und universeller mit ihren Stimmbändern als noch auf „City Tarif“ oder der „Jango EP“. Neu sind in ihrer Dimension auch die elektronisch-poppigen Beats, die samt einer Vielzahl spannender Nebeneffekte vor allem in Stücken wie „Bahama Mama“, „Serienmodell“ oder „Berghain“ zum Tragen kommen und offensichtlich den melodiösen Partituren der New-Wave-Kultur der Achtziger Tribut zollen.
Haiyti, im Feuilleton zur Zeit der Renner, wird schon bald mehr als „hunderttausend Fans“ haben. So wirklich kennen werden diese sie allerdings auch nach „Montenegro Zero“ nicht. Beinahe könnte man meinen, dass die Hamburgerin mit jedem ihrer Outputs zu einem größeren Mysterium wird. Aber genau das macht den Reiz ihrer Kunst aus, die sich gezielt rar und somit unkalkulierbar macht, im Gegenzug aber nicht davor zurückschreckt, auszuteilen. Ihr neustes Machwerk seinerseits ist die vernichtende Entkräftung der Annahme, Trap auf deutsch klinge immer gleich, sei abgekartet oder wäre nicht in der Lage, lyrischen Tiefgang umzusetzen. Dies alles trifft auf „Montenegro Zero“ in keinerlei Hinsicht zu.