Es ist Ende August diesen Jahres, als Trettmann mit zwar bescheidener, doch ebenso triumphierender Miene vom Cover der Spotify-Playlist „Generation Deutschrap“ lugt. Wie immer trägt er seine zum Markenzeichen erhobene überdimensionale Sonnenbrille und die weiße Cap. Der Hype um den Ur-Chemnitzer ist durch nichts mehr zu leugnen. Irre ist sie dennoch, seine Erfolgsgeschichte: Gerade weil Tretti an seinem Konzept, durch das er in der deutschen Reggae- und Dancehall-Szene schon seit mehr als zehn Jahren eine stehende Größe ist, nur Nuancen geändert hat. Vielleicht war Deutschrap einfach noch nicht bereit für den hundertfach totgesagten Mittvierziger. Und Trettmann schlichtweg seiner Zeit voraus.
Mit „#DIY“ erschien vor einigen Tagen nun das erste vollwertige Album des Leipzigers seit 2013. Der Zeitpunkt, an dem dieses richtungweisende Release das Licht der Welt erblickt ist sinnig: Die Kitschrieg-EP-Triologie 2016 und das „Herb & Mango“-Kollabo-Tape mit Megaloh am Jahresanfang haben geduldig, bodenständig und fokussiert den roten Teppich für dieses Königsprojekt ausgerollt. Gerade im Kontext seiner Vorgänger macht es Sinn, dass „#DIY“ kein Konzeptalbum, sondern vielmehr ein umfassender und harmonischer Zirkel um die Gerüste der letzten Jahre ist. Schon der Titel offenbart die Kernaussage der Scheibe: Alles was Trettmann, der sein Schaffen stets als Mission im Namen seiner individuellen musikalischen Schublade wahrnahm, erreicht hat, ist im Alleingang passiert. Independent. Und darauf ist er zurecht stolz.
Was mittlerweile kaum mehr betont werden muss, ist, dass sein Produzenten-Team Kitschkrieg maßgeblich hinter der instrumentalen Ausgestaltung der Platte steht. Und so sind, abgesehen vom Track „Dumplin & Callaloo“, dem sich Dancehall-Veteran Stereo Luchs angenommen hat, alle Tracks von Fiji Kris und Fizzle ausproduziert worden. Ähnlich wie Tretti selbst verstehen sie es besser denn je, in ihrem Handwerk keinen Bogen zu überspannen, trumpfen stattdessen straight mit minimalistischen Impulsen. Dabei entsteht ein sonorer Ausgleich zwischen Melodiösität und Abgehacktheit. Im Zusammenspiel zwischen einem proportionierten Hauch von Autotune-Anwandlungen und welligen Synthie-Vibrations keimt ein unverkennbar klarer Sound. Auffallend prägnant und stellenweise gar herausfordernd muten lediglich die Höhen an, die so manchen Balken auf den Stereoanlagen-Anzeigetafeln zum Zittern bringen werden. Die Kitschrieg-Jungs sind sich ihrer Sache sicher. So sicher, dass sie gar dazu im Stande sind, etablierten Gästen wie Gzuz oder Marteria den subtilen Einsatz von Autotune nahezulegen und deren Parts somit opportun ins Gesamtkonzept einzugliedern.
So rot der Faden im Soundbild ist, so sehr glänzt das Album durch seine kontrastreiche inhaltliche Diversität. Zwischen der leichtfüßigen Fortsetzung des Club-Brechers „120 Jahre“, für die selbsterklärend unter anderem Haiyti ins Boot geholt wurde und dem rührenden Brief an einen verstorbenen Weggefährten, der das nachdenkliche Ende des Albums markiert, ist eine extrem breite Palette an Themen geboten.
Trettmann spielt sein berüchtigtes Satzfetzen-Puzzlespiel besser denn je. Seine völlig eigene Art, bildhafte Erzählungen aus kurzen und gelegentlich banalen Formulierungen zusammenzuzimmern sorgt gepaart mit seiner unverkennbaren Reimtechnik und seiner extravaganten Aussprache für den höchst möglichen Authentizitäts- und Präzisionsgrad. Ohne unnötige Verschachtelungen und mit einer beachtlichen Nüchternheit lässt er auf diese Weise deepe Meisterwerke wie „Grauer Beton“ oder „Billie Holiday“ aus dem Boden sprießen. Wie keinem Zweiten gelingt es Trettmann gleichermaßen, unvergessliche Höhenflüge und auf die Tränendrüse drückende Themensongs originalgetreu und wie in vakuumgeschützten Reagenzgläsern festzuhalten. Und dabei gibt er nicht einmal einen F*** auf herkömmliche Rap-Track-Partituren.
Mit zehn Tracks hat die Scheibe eine sehr angenehme und griffige Länge, die es dem Hörer ermöglicht, durchweg am Ball zu bleiben. Trettmann steht, trotz seiner Routine und Erfahrung, einem frisch gebackenen Newcomer in Sachen Energie und Spritzigkeit um keinen Millimeter nach, erlebt spürbar seinen zweiten Frühling. Er hat im letzten Jahr den wichtigen Sprung vom Kritikerliebling zu einer Größe gemacht, die aus der deutschen Rap-Landschaft kaum mehr wegzudenken ist.