Das hat gedauert: Nach ewigem hin und her Geschiebe bringt Casper endlich sein neues Album „Lang lebe der Tod“ an den Mann. Das hat das harmlose Feelgood-Gewandt des vier Jahre alten Vorgängers „Hinterland“ abgelegt und kommt weit düsterer und dreckiger daher, ohne dabei Caspers markanten Trademark-Sound zu verlieren.
Stadionartige Chöre in den Hooks, dreckige E-Gitarren Riffs, die trotz des stellenweisen Grunge- und Industrial-Einschlags recht poppig klingen, und gewohnt theatralische wir-Rhetorik ergeben genau dieses Rezept, das „XOXO“ seinerzeit zum Instant-Klassiker machte und Casper schlagartig auf die größten Bühnen und roten Teppiche dieses Landes katapultierte, auf denen er sich nie so richtig wohl zu fühlen schien. All das wird in kompakten elf bzw. zehn Songs mit einer kunstvollen Dramaturgie gebündelt. Casper hat einfach ein Händchen für Alben, die mehr als eine Ansammlung von Songs sind.
So greifen die einzelnen Songs einheitlich ineinander, ohne große Ähnlichkeiten aufzuweisen. Selbst das rappige „Morgellon“ aus der Sicht eines Verschwörungstheoretikers, das mit seinem charmanten New Wave-Swagger eine Überraschung und gleichzeitig eines der absoluten Highlights markiert, fügt sich brav ein, obwohl es doch alles aufbricht.
Die wild zusammengetragenen Genre-Einflüsse ergeben ein interessantes Gesamtbild, das für sich steht – ob das Anne Clarke-esque Intro von „Sirenen“, das punkige „Wo die wilden Maden graben“ oder die seicht-warmen Akustikgitarren-Strings auf „Meine Kündigung“ – wie von Zauberhand fügen sich all diese eigentlich so unterschiedlichen und teilweise anachronistischen Elemente zu einer schlüssigen musikalischen Vision voller Referenzen und Verbeugungen zusammen, die bei näherer Betrachtung mit penibel viel Fingerspitzengefühl entstanden sein muss.
Casper selbst fühlt sich auf diesem musikalischen Luxusdampfer trotz HipHop-Absenz denkbar wohl, transportiert dennoch lyrisch eher Unbehagen. Er gibt zwar gewohnt intime Gedanken preis und scheut nicht davor, die Hose runter zu lassen, findet sich aber auch gerne in der Rolle des Beobachters ein. Und da geht es dann nicht um die erste Liebe und die jungen Jahre. Stattdessen werden Themen wie Depressionen auf „Deborah“ oder der egozentrische, konsumfokussierte erste-Welt-Tunnelblick auf „Alles ist erleuchtet“ thematisiert. Das ist gerade in Anbetracht der sehr introvertierten letzten Alben überaus erfrischend.
Dass Casper sein Handwerk beherrscht und lyrisch in der absoluten Oberliga spielt, steht außer Frage. Blitzsaubere Reime, die in nahtlosem Kontext zueinander stehen, sind auf „Lang der der Tod“ an der Tagesordnung und werden mit so spielerischer Selbstverständlichkeit vorgetragen, dass die Finesse dahinter nur bei genauer Betrachtung auffällt. „Zehn Flaschen Wein könnten zehn Waffen sein“ heißt es auf „Sirenen“. „Briefe kommen, weiß zu blau, zu gelb / Erst Strom, dann Heizung ausgestellt“ auf „Deborah“.
Casper weiß einfach genau, was er tut. Die Verschiebung hat dem Album offenbar gut getan. Das Feintuning ist perfekt, jede Stellschraube präzise eingestellt. Zu verkopft ist „Lang lebe der Tod“, zu glatt poliert schon gar nicht. Der charmant schmutzige Sound steht Casper gut, die Inhalte sind erfrischend und mit viel Fingerspitzengefühl packend aufgearbeitet. Lediglich den Überraschungseffekt hat Casper sich mit seinen vorab präsentierten Schnellschüssen verbaut – und der wiegt manchmal schwer.
- Zielgruppen-Bewertung: Freigegeben ohne Altersbeschränkung
Casper – Alles ist erleuchtet [Audio]
Grins so viel du kannst.