Oft genug haben wir bei rap.de die Kritikunfähigkeit deutscher Rapper kritisiert. Unsere Überzeugung, dass Kritik nichts Schlechtes ist, sondern im Gegenteil etwas Produktives sein kann, sofern sie konstruktiv ist, bezieht sich aber nicht nur auf Künstler. Auch das, was wir Journalisten selbst fabrizieren, kann und muss kritisiert werden. Da wir uns aber an dieser Stelle nicht selbst beurteilen und dies auch nicht nur polemischen Kommentatoren in allen möglichen sozialen Medien überlassen wollen, tut dies an dieser Stelle Thomas Becker in seiner Kolumne. Er war früher Autor bei meinrap.de und betreibt seit kurzem den Blog Do-Rap.net, in dem er sich kritisch mit dem Schaffen deutscher Rapjournalisten auseinandersetzt. Die Redaktion hat auf seine Auswahl und seine Kriterien keinen Einfluss, daher bilden seine Kolumnen auch nicht zwingend unsere Meinung ab.
Die Vermarktung von HipHop in Deutschland: Interview von Niko mit Patrick Thiede
Vorab sei angenommen, dass das besprochene Video-Interview nicht als streng journalistische Arbeit einzustufen ist. Der Chefredakteur der Backspin, Niko Hüls, tritt zum Thema „Raus aus der Schmuddelecke – Die Vermarktung von Hip-Hop in Deutschland“ in erster Linie als Moderator auf und stellt Patrick Thiede, Managing Director des Labels Auf!Keinen!Fall!, themenspezifische Fragen. Vor der eigentlichen Kritik zunächst eine grobe Rekapitulation des Gesprächsinhalts, u.a. in Form von (sinngemäßen) Fragestellungen von Niko. Auf die Antworten von Herrn Thiede wird nicht weiter eingegangen – aus Gründen.
„Wie kann man Hip-Hop gut vermarkten?“
Dies fragt Niko zu Beginn ganz allgemein. Ist die Deluxe-Box einer der Indikatoren dafür, dass der deutsche Hip-Hop es mittlerweile verstanden hat, sich zu vermarkten? Und wie haben seine erfolgreichen Vertreter (Max Herre bspw.) in den 90er-Jahren – trotz Anti-Haltung gegenüber dem Mainstream und dessen Medien – geschafft? Denn es fehlten offenbar die professionelleren Strukturen, die die Szene gegen Ende der 00er-Jahre vor kommerziell komatösen Zuständen hätten bewahren können.
Marketing – (ab) wann, wie und mit wem?
Sollte man einen Newcomer bzw. dessen Vermarktung deshalb von Beginn an im Auge behalten? Inwiefern ist die Authentizität/Realness mit der Angst vor roten Zahlen vereinbar? Scheint die Vermarktung aus sich selbst heraus den Kompromiss darzustellen? Hierzu wird dann auf die Erfolgsgeschichte der 187 Strassenbande eingegangen, mit der diverse Marken-Kooperationen begründet worden sind. Negativbeispiele anderer Künstler fallen ebenso, auch seitens des Publikums. Thiede hält fest: falsches Marketing kann sich nachhaltig (schlecht) auf die Karriere des Künstlers auswirken.
Zu „grundhart“ für den deutschen Mainstream?
Trotz weiteren erwähnten Kooperationen scheint Hip-Hop noch nicht gänzlich vom Mainstream akzeptiert, was auch an der 187 Strassenbande und deren „Grundhärte“ erkennbar ist. Deutschland hätte im Vergleich zu den USA – wenn überhaupt – noch viel in puncto Rezeptionsgeschichte nachzuholen. Oder gibt es in den Vereinigten Staaten einfach einen anderen Begriff von „cool“? Ist die Entfernung deutscher Marken zur Coolness ebenfalls noch zu groß, um Profite für beide Seiten herauszuschlagen?
Niko erkundigt sich nochmal nach dem Erfolg der 187 Strassenbande und des Merch-Verkaufs: Können die Hamburger es angesichts ihrer Härte überhaupt aus der Schmuddelecke heraus schaffen – und wie kann es eine ganze Subkultur bewerkstelligen? Das Fazit – auch in Anbetracht von sidos Karriere u.a. – scheint zu sein, dass Künstler, die sich als Entertainer verstehen, also ihre ein, zwei Radio-Singles abliefern und das Spiel bis zu einem gewissen Maß mitspielen, erfolgreicher im Mainstream ankommen können.
Die Kritik zum Interview
Es ist nur ein Interview. Es hätte angesichts des Themas – und der weiteren Kritikpunkte – eine Diskussion stattfinden können. Hier wurde lediglich eine Person zum Thema Vermarktung befragt. Die Erwähnung der 187 Strassenbande liegt zudem zwar nah, dennoch erweckt das Gespräch mitunter den Anschein, ein Podest für Thiede bzw. dessen Label zu sein. Nach dem Motto: „Ja ja, wir haben es geschafft!“, mit Verlaub.
Das Dilemma, wenn ein Zauberer seine Tricks nicht verrät. Natürlich wird Patrick Thiede bezüglich seiner Geschäfts- und Marketing-Strategien nicht ins Detail gehen. Und dennoch habe ich persönlich nicht das Gefühl, etwas wirklich Neues oder Exklusives zu erfahren. Im Sinne der Zuschauer wäre es anfangs vielleicht noch informativ gewesen, über Hintergründe, über Pflicht und Kür im Marketing zu sprechen und ein paar Grundlagen bezüglich Rechtslagen und Vertrieb zu erklären.
Raus aus der Kuschelecke!
Wieso wird nicht hinterfragt, warum bestimmte Künstler, etwa die 187 Strassenbande, gerade Erfolg haben? Damit sollen weder diese noch andere Rapper kritisiert werden – stattdessen darf sich die ganze Szene, das ganze „Establishment“ die Frage stellen: Welche Inhalte und Ästhetiken werden im HipHop gegenwärtig kommuniziert? Von den Aussagen und der Sprache der Lyrics abgesehen, wird von Niko zu keiner Zeit explizit angesprochen, worum es bspw. bei der 187 Strassenbande geht: „Hart“ kann viel bedeuten und ist zudem ein oberflächlicher, diplomatisch gewählter Begriff.
Niko fragt, warum sich HipHop in Sachen Marketing noch in den Kinderschuhen bewegt. Gegenfrage: Welche gesellschaftliche Relevanz sollte der Großteil der aktuellen Rap-Musik haben? (Welche Relevanz verdient die mutmaßliche Belanglosigkeit, die in Form von Musik im Radio läuft?) Ja, Rap hat in Sachen Aussagekraft und Haltung – auch wegen seiner Textlastigkeit – mehr zu bieten als andere Genres. Die Milieu-Portraits, die u.a. im Gangster-Rap mit Worten, deren Sprache und Energie gezeichnet werden, bilden authentische Diskursgrundlagen.
Doch scheint es für Niko keinen Anlass zu geben, die Konsumorientiertheit in den Texten, die mutmaßliche Verkommerzialisierung von Musik via Deluxe-Boxen etc. und vor allem die Gewalt, Drogen, Männlichkeit und Sexismus verherrlichende Inszenierung in den Musikvideos als Marketing-Tool anzusprechen. Natürlich war dies nicht vorgesehen, natürlich hätte dies die Timetable gesprengt. Aber meines Erachtens verkommt dieses Gespräch damit zu einem zahnlosen Infotainment.
Fazit
Dass es gesellschaftlich relevanter ist, Rap und HipHop mit allen Mitteln in den Mainstream zu drücken als, habe ich eben kurz begründet. Aber man sollte sich nicht wundern, dass die Musik nie aus der Schmuddelecke herauskommt bzw. nie wirklich wirklich ernst genommen wird, wenn durch Lyrics, Attitüde und audiovisuelle Inszenierung immer dieselben problematischen Stereotype bedient werden. Ich werfe dem Interview folglich einen Funktionalismus vor: insofern, als dass man sich bemüht hat, aufzuzeigen, wie man das running system am Laufen hält. Hauptsache, die Blase platzt nicht. Für die Gesellschaft drum herum hat man – zumindest hier – keinerlei Verantwortungsanspruch erwogen. Idealismus Ende.