Wir leben in politisch sehr – neutral formuliert – interessanten Zeiten. Davon bleibt auch Deutschrap nicht unberührt. In seinem Gastkommentar zieht Yannik Stracke Bilanz in Sachen Politik und Deutschrap – und stellt dabei fest, dass der gesellschaftliche Rechtsruck auch in unserer Lieblingsmusik leider Ausdruck findet.
In Zeiten der Flüchtlingskrise und dem damit verbundenen Rechtsruck in Deutschland sollten auch Rapper ihre Aufgabe als gesellschaftliche Akteure wahrnehmen und Stellung beziehen. Rap war immer auch eine Ausdrucksform der Armen und Schwachen, Rap stand immer auch für Respekt und Toleranz. Auf der anderen Seite gibt es in der deutschen Rapszene ein Problem mit Sexismus und Homophobie sowie teils antisemitischen Verschwörungstheorien. Auch nationalistische Aussagen sind kein Einzelfall.
Abgesehen davon, dass vor allem Rapper mit Migrationshintergrund gerne vor den Nationalflaggen ihrer Herkunftsländer in Videos posieren, zeigt sich das z.B., wenn Fler Farid Bang nahelegt, sich als „Gast in diesem Land“ dankbar zu zeigen oder wenn Alpa Gun Eko vorwirft, seine Herkunft zu verraten, weil dieser auf die Frage, ob er Türke oder Kurde sei, geantwortet hatte, dass er Deutscher sei. Es zeigt sich auch in Songtexten: Wenn Fler rappt, bei ihm hänge die Fahne nicht nur bei der WM, muss er sich nicht wundern, dass diese Aussage von der NPD genutzt wird. Auch die Forderung „Todesstrafe für Kinderschänder“, die Snaga & Fard in ihrem Video „Contraband“ stellen, findet sich in Deutschland nur im Parteiprogramm der NPD wieder.
Und ja, es gibt mittlerweile bei manchen Rappern auch islamistische Tendenzen. Natürlich besteht kein Zusammenhang zwischen Rap und Islamismus in dem Sinne, wie es einige bürgerliche Medien dargestellt hatten, bloß weil sich mit Deso Dogg ein mäßig erfolgreicher Rapper dem IS angeschlossen hat.
Doch nun hat SadiQ mit seinem neuen Video „Charlie Hebdo“ für Aufsehen gesorgt. Der Rapper afghanischer Herkunft, der sich vor einigen Jahren mit Pierre Vogel traf, legitimiert darin das Attentat auf die Redaktion der gleichnamigen Satire-Zeitschrift u.a. mit Verweis auf die US-amerikanische Außenpolitik. Damit offenbart er ein Weltbild, das durchaus als islamistisch bezeichnet werden darf. Es ist jedenfalls dieselbe Argumentation, auf der auch die Propaganda des Islamischen Staates basiert.
„Schieße für Gaza, Guantanamo Mali ich baller mit Araber – Pariser renn‘
für Palestine Sham, leb im Ghetto
der Khorasani wir lieben den Tod“
(SadiQ – Charlie Hebdo)
Doch auch christlicher Fundamentalismus darf nicht unterschätzt werden. Bestes Beispiel dafür ist Xavier Naidoo, der auf dem Track „Mein Weltbild“ von Olli Banjo sein schräges Weltbild bereits 2010 zum Besten gab. Auch Olli Banjo steht ihm in Sachen Verschwörungstheorien allerdings in nichts nach. So richtig gruselig wurde es, als der sich im Interview mit hiphop.de zu dem gemeinsamen Song äußerte:
Auch Prinz Pi reproduziert immer wieder gerne Verschwörungstheorien, wobei er offenlässt, wann er diese nur als Stilmittel oder gezielte Provokation einsetzt und wann sie seiner tatsächlichen politischen Haltung entsprechen. Sollte Pi den Anspruch haben, mit seinen Texten ein politisches Bewusstsein zu schaffen, müsste man ihm auf jeden Fall vorwerfen, dass seine Kritik am politischen System zu oberflächlich und zu vage formuliert ist.
„Der Gott des Geldes kennt kein Erbarmen.
Das ist nicht der Gott aus den heiligen Schriften,
sondern der globalisierte Gott des Dollars,
der Gott des Rubels, des Euros,
der Abu-Ghraib folgt, Prinz Pi, Sympathie für Hisbollah“
(Prinz Pi – Schläferstündchen)
Was genau Pi mit „dem System“ meint, lässt er womöglich auch deshalb offen, um möglichst viele Käuferschichten zu erreichen und unangreifbar für Kritik zu bleiben. So beschränkt sich seine Kritik meist auf „den westlichen Sinn des Lebens an sich“. Wer kann schon etwas dagegen haben, wenn jemand den Stellenwert des Geldes hinterfragt?
Dieser ist auch bei Haftbefehl ein zentrales Thema. Der Offenbacher musste sich bereits wegen der Zeile „Ich tick’ das Koks an die Juden von der Börse“ den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen. Damit bedient er, ob bewusst oder unbewusst, ein gängiges antisemitisches Klischee, wonach Juden viel Geld haben. Nun rappt er auf seinem neuen Mixtape „Unzensiert“ u.a. über Illuminaten, Chemtrails und die Rothschild-Theorie. Auf dem Track „Hang The Bankers“ mit Olexesh ist z.B. folgende Zeile zu hören:
„Wir sind gefickt, unsere Kinder vergiftet, alles hat ein Ende
Auch diese Welt, während ich dichte, kreisen die Chemtrails.“
Doch Haftbefehl steht mit seinem Glauben an die Existenz von Chemtrails nicht alleine da: Kollegah hat in einem Interview zu diesem Thema behauptet, es sei „mittlerweile bewiesen, dass etwas in die Luft gesprüht wird“. Der „Neuen Weltordnung“ hat Kolle sogar einen ganzen Track gewidmet.
Dann ist da noch Mr. Schnabel, der in seinem Comeback-Song „Zu spät“ den 11. September als „eine schlechte Staatslüge“ bezeichnete, wofür er zu Recht von Koljah Kritik erntete. Schnabel war bisher nicht als politischer Rapper in Erscheinung getreten und auch hier reiht er nur Begriffe aneinander, anstatt bestimmte politische Aussagen zu treffen.
„Rothschilds, Bilderberger, Gangster in Anzügen
9/11, mein Ermessen: Eine schlechte Staatslüge“
(Mr. Schnabel – Zu spät)
Doch warum sind Verschwörungstheorien so verbreitet in der deutschen Rapszene? Liegt es am jungen, leicht beeinflussbaren Publikum? Fest steht: Auch außerhalb des Deutschrap-Mikrokosmos sind Verschwörungstheorien derzeit auf dem Vormarsch, da sie einfache Antworten auf so ziemlich alle politischen Probleme liefern. Anstatt komplexe Zusammenhänge verstehen zu müssen, genügt es, über die Machenschaften einer vermeintlichen Elite Bescheid zu wissen.
Doch was Verschwörungstheorien so gefährlich macht, ist die Frage, welche Schlüsse die „Truther“ aus ihrem vermeintlichen Wissen ziehen. „Zu Verschwörungstheorien gehören Vernichtungsfantasien“ rappte Koljah von der Antilopen Gang in „Beate Zschäpe hört U2“. Denn wenn es eine Elite von Reichen und Mächtigen gibt, die die Menschheit unterdrückt, muss diese in letzter Konsequenz natürlich bekämpft werden. Und dass diese Elite oftmals als „jüdische Finanzelite“ benannt wird, sollte einem zu denken geben.
Dass Wohlstand und Machtverhältnisse tatsächlich sehr ungleich verteilt sind, ist ja nicht von der Hand zu weisen. Doch selbst wenn man die großen Banken und Konzerne entmachten würde, würde sich an den Zuständen rein gar nichts ändern. Es würden lediglich andere Konzerne an deren Stelle treten. Denn in einem System, in dem Gewinnmaximierung an erster Stelle steht, wird es immer Konzerne geben, die ihre Arbeiter ausbeuten, die Umwelt zerstören und über Lobbyisten geheime Absprachen mit Politikern treffen.
Wer daran etwas ändern will, muss die Systemfrage stellen. Wenn Rapper versuchen, eine politische Message zu vermitteln, kommt dabei jedoch meist bestenfalls verkürzte Kapitalismuskritik heraus. Dazu passt wieder ein Zitat von Koljah aus dem Song „Politischer Rap“: „In 16 Zeilen passt niemals der Inhalt eines ganzen Buchs“.
Rap ist für differenzierte Gesellschaftsanalysen vielleicht auch gar nicht die richtige Plattform. Daher würde ich mir wünschen, dass sich Rapper, die von so etwas keine Ahnung haben, lieber wieder auf ihre Kernthemen besinnen und von mir aus nur noch über Sex und Drogen rappen. Dass man aber auch durchaus politischen Rap machen kann, der nicht peinlich ist, beweisen neben der Antilopen Gang z.B. auch Zugezogen Maskulin, K.I.Z. oder Audio88 & Yassin. Angesichts der aktuellen politischen Lage können aber auch ruhig mehr Rapper Stellung gegen die Neue Rechte beziehen, wie Eko das in seinem Acapella über die AfD getan hat.