Es ist offiziell: Oliver Marquart verlässt rap.de zum 30. November. Er stand acht Jahre lang an der Spitze der Redaktion. Sein Nachfolger wird Skinny, langjähriger Redakteur bei rap.de. Hier ein paar Worte zum Abschied.
Acht Jahre sind eine lange Zeit, zumal im schnelllebigen Deutschrap-Geschäft. Trotzdem kommt es mir gerade so vor, als wäre es gestern gewesen, dass mir Staiger das Zepter der rap.de-Redaktion in die Hand gedrückt hat. Im August 2011 war das – und Deutschrap war in einer ganz anderen Phase als jetzt. Kurze Rückblende: Wichtige Releases waren das „Mietwagentape“ von Celo & Abdi, „XOXO“ von Casper und „Easy“ von Cro.
Auch medial lief vieles noch anders: Neben den etablierten Formaten rap.de, hiphop.de oder 16bars.de machte sich gerade eine neue Plattform daran, das Game zu revolutionieren. Meinrap.de galt damals vielen als innovativ. Die Macher hatten vor allem verstanden, dass es im Internet ganz entscheidend um Geschwindigkeit geht. Visa Vie führte die besten Videointerviews, Falk moderierte noch Mixery Raw Deluxe.
S wie Staiger
Mir war natürlich klar, dass ich irgendwo auch ein schweres Erbe antrete. Die Fußstapfen, die Staiger hinterlassen hatte, waren sehr groß, sein Charisma, seine Persönlichkeit, seine Meinungsstärke hatte ich bewundert, seitdem ich ihn fast zehn Jahre vorher kennengelernt hatte. Bei seinem Label Royalbunker hatte ich 2002 meinen ersten richtigen Job in Berlin angetreten. Und auch wenn ich da nur ein Jahr lang blieb, um danach weiter als Freelancer für JUICE, Backspin, mkzwo, hhv.de u.v.m. zu schreiben, bin ich ihm bis heute für diese Chance dankbar.
Und verrückterweise war es 2011 wieder Staiger, der mir eine Tür öffnete. Als er mich fragte, ob ich sein Nachfolger bei rap.de werden wolle, war mir sehr schnell klar, dass ich das machen will – mit allen Konsequenzen, die mir bis dahin nicht bewusst waren. Denn es war letztlich gar nicht so der Vergleich mit Staiger, der sich als belastend erwies. Vielmehr musste ich erstmal daran gewöhnen, als Chefredakteur viel mehr im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen. Als Freelancer hatte ich meine Artikel (hauptsächlich für Printmedien) abgegeben und gut war’s. Jetzt jedoch wurde jeder Artikel, jede öffentliche Meinungsäußerung umgehend kommentiert, eingeordnet und bewertet. Eine völlig neue Situation, am Anfang durchaus auch nervig, auf lange Sicht aber sehr lehrreich.
Gelernt von Farid Bang und sookee
Das gilt auch für die Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten mit Rapper*innen. Kann sehr anstrengend sein, gehört aber dazu und letztlich bin ich daran gewachsen und gereift. Heute ist mir klar, dass Farid Bang es im März 2015 etwas merkwürdig fand, dass ich ihm eine kritische Frage nach der anderen stellte, ein paar Wochen vorher aber brav nickend neben Bushido saß und höflichen Smalltalk hielt. Letztlich hat das aber wiederum dazu geführt, dass ich auf seinem Album „Blut“ gleich mehrfach namentlich erwähnt werde – worauf ich heute, mit viel Abstand, auch ein bisschen stolz bin. Das habe ich ihm vor einigen Monaten in einer versöhnlichen Email auch persönlich mitgeteilt.
Ein prägender Moment war auch ein Off-The-Record-Gespräch mit sookee, Kobito und Pyro One Ende 2014, das mich daran erinnerte, was ich in meinem Antrittsstatement geschrieben hatte: „[…] brisante Themen wie Homophobie, Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus werden auch jetzt nicht einfach totgeschwiegen“. Tatsächlich war es dieses Gespräch sowie mein im selben Jahr begonnenes Politikwissenschafts-Studium, das mich dazu brachte, meine politische Haltung klar und selbstbewusst zu vertreten, in Artikeln von „Warum es nicht klargeht, als Weißer das N-Wort zu droppen“ bis „Deutschrap braucht ein #metoo“.
Hach, ich werde gerade ein bisschen sentimental. Ich könnte jetzt noch hunderte Anekdoten ausgraben, zum Beispiel wie mein Nachfolger Skinny im Herbst 2014 zu uns kam – aber das kann er ja in seinem eigenen Statement erzählen, wenn er will (Spoiler: Erscheint morgen).
Zeit zu gehen
Es waren jedenfalls acht großartige Jahre. Mit Höhen und Tiefen, neuen Freundschaften, Feindschaften und Versöhnungen, mit Beef und Props, mit erbitterten Meinungsverschiedenheiten, mit konstruktiver Kritik und polemischem Hate. Aber irgendwann muss Schluss sein – und ich glaube, der richtige Zeitpunkt dafür ist jetzt. Schon seit einiger Zeit merke ich, dass mein Interesse an Deutschrap spürbar abgenommen hat. Ich jage nicht mehr wie wild hinter jedem neuen Newcomer hinterher und wenn ich mir meine Spotify-Plays so anschaue, gibt mir das neue Ari Lennox-Album deutlich mehr als es ein Deutschrap-Album je könnte. Okay, bis auf das neue Haft-Album natürlich, auf das ich sehnsüchtig warte.
So verabschiede ich mich in ein neues Leben, in dem Deutschrap erstmal kaum eine Rolle spielen wird. Keine Ahnung, ob mir was fehlen wird. Bisher fühlt es sich jedenfalls gut an. rap.de weiß ich bei meinem Nachfolger in guten Händen. Ich bin mir sicher, er wird auch einigen Ballast entrümpeln und für den frischen Wind sorgen, den die Seite definitiv braucht. Denn nach acht Jahren haben sich bei mir eben auch viele Gewohnheiten eingeschlichen, die eine konsequente und mutige Weiterentwicklung letztlich unmöglich machen. Daher: Platz für Neues.
Vielen Dank an alle, die mich in den letzten Jahren begleitet haben, sei es freundschaftlich, neutral oder auch feindselig – es war mir eine Ehre und ein Fest zugleich. Lang lebe Rap – lang lebe rap.de.