Deutschrap und die Spielsucht: Zwischen Warnen und Werben

Unsere Gesellschaft leidet unter Spielsucht. Die Glücksspielbranche tut ihr Bestes, um aus Leid Profit zu schlagen. Aus allen Löchern sprießen neue Tipico-Wettbüros, die zunehmend das Stadtbild in bestimmten Gegenden prägen. Auch Spielotheken wuchern unkontrolliert vor sich hin – und verpassen manch schäbigem Vorort den Vibe von Las Vegas. Mit anderen Worten: Der Markt boomt!

Ungefähr die Hälfte der deutschen Bevölkerung gibt jeden Monat Geld für Glücksspiele aus. Natürlich sind hierbei auch die unproblematischen Spieler*innen miteinbezogen, die vielleicht nur mal einen Lottoschein ausfüllen, ohne ernsthaft suchtgefährdet zu sein. Diese Zahlen zeigen uns aber dennoch, dass Spielen um Geld für viele etwas ganz Normales ist. Und gerade weil es so salonfähig ist, fällt es häufig schwer, die Grenze zwischen Spaß und Sucht zu erkennen. Ähnlich, wie es beim Alkoholkonsum auch der Fall ist.

Rapper*innen raten dir vom Zocken ab…

Und an dieser Stelle kommen die Rapper*innen ins Spiel. Mutige Interpret*innen haben ihren medialen Einfluss bereits genutzt, um auf pathologisches Zocken aufmerksam zu machen. An dieser Stelle Respekt an alle, die so offen und ehrlich über ihr Spielverhalten sprechen.

Olexesh lieferte hierbei wohl die prominenteste Casinohymne mit seinem Hit „Avtomat“, die auf den ersten Blick ziemlich humoristisch daherkommt: „Du fragst dich, warum ich kein Auto hab‘? Denn ich spiel‘ jeden Tag Automat“. Klingt zunächst witzig, soll es wahrscheinlich auch sein, aber wenn man sich die Szenerie seines Videos vor Augen führt, wird schnell klar, dass hier ein ernstes Problem angesprochen wird. Der Rahmen dieses Songs bildet eine Therapiesitzung, wobei OL schließlich seinem Psychologen – trotz all der spaßigen Zeilen – entgegnet: „Ich sag‘ dir ganz ehrlich, Automatenspielen macht süchtig“.

Rund eine halbe Million betroffen

Und damit hat er recht! Die BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland rund eine halbe Millionen Menschen ein eindeutig kritisches Spielverhalten aufweisen. Da der Prozentsatz der jungen Männer unter 25 deutlich überproportional ausfällt und Rapfans tendenziell jüngeren Jahrgangs sind, muss man sich umso dringlicher mit diesem Thema innerhalb der Szene auseinandersetzen.

Auch Fard sprach bei HipHop.de ganz offen über seine Automateneskapaden. Während seines Zivildienstes verzockte er einen Großteil seines Einkommens, weil er nichts mit der Kohle anzufangen wusste, außer sie zu verdaddeln. Heute ist er klüger und warnt jeden davor, es ihm gleich zu tun, da viele aus seinem Bekanntenkreis an der Spielsucht zerbrochen sind.

Cashmo reiht sich ebenfalls in den Kreis der Spieler*innen ein und beschreibt in seinem Song „Spielo“ die nüchterne Realität des Casinoalltags: „Die Augen all der Spieler: Leere, Tod / Der Ort macht uns krank – ehrenlos“. Ironischerweise wurde er selbst während des Videodrehs wieder rückfällig. Nach drei Jahren Abstinenz und sicher geglaubter Suchtfreiheit triggerten ihn die Automaten schließlich doch, sodass er die nächsten drei Wochen wieder in der Spielo verbrachte.

Deutschrap ist sich einig: Spielen ist gefährlich und macht krank! Scheint also keine Sache zu sein, die man unbedingt bewerben sollte, oder?

…machen aber trotzdem Werbung

Doch Tipicos Werbekampagne, umgesetzt von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt, aus dem letzten Jahr, beweist uns das Gegenteil: „Denn nur wer mitspielt, ist mittendrin“ – lautet der catchy Slogan. Summer Cem, einer der erfolgreichsten HipHop-Künstler zur Zeit, nutzte seine Stimme für dieses Projekt und lieferte dem Sportwettgiganten einen Song.

Darin protzt er: „Ich hab‘ mein Business auf Risiko geplant / Lauf‘ bei Gucci rein und Tipico bezahlt!“ Das ist ja alles schön und gut, aber er sollte sich darüber im Klaren sein, dass Tipico ihn nur deshalb so großzügig vergüten kann, weil jeden Tag tausende Süchtige ihre Existenzen am Automaten und in Wettbüros zerstören.

Paradoxerweise sprach sich Summer Cem im Zuge seiner Promophase seines Albums „Hak“ gegen das Automatenzocken aus und berief sich hierbei auf seine eigene Spielerkarriere. Er beteuterte, dass man dem Gambling nichts Positives abgewinnen könne und deshalb möchte er es auf keinen Fall glorifizieren. Ja, ich weiß, Tipico ist keine Spielhalle, aber das Prinzip ist dasselbe.

Wie man Rapper*innen am besten für Werbezwecke nutzt, wurde, in einer äußerst fragwürdigen Podiumsdiskussion im Rahmen des OMR Festivals in Hamburg diskutiert, die von Niko Backspin moderiert wurde. Dort trafen HipHop-Größen wie Falk Schacht und Patrick Thiede auf Vertreter der Werbebranche und sinnierten gemeinsam darüber, wie Produkte durch Rapper*innen am profitabelsten zu vermarkten sind.

Authentitzität schlägt Moral

Auch hier wurde das Beispiel Summer Cem und Tipico als gelungene Zusammenarbeit zwischen Werbeagentur und Künstler gelobpreist. Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, dass es vielleicht gar nicht so cool kommt, wenn Rapper*innen mit extremer medialer Strahlkraft für einen Konzern wie Tipico werben, dessen Geschäftsmodell auf der Ausbeutung spielsüchtiger Menschen basiert. Stattdessen ist man sich in der Runde darüber einig, dass diese Kooperation extrem authentisch ist und deshalb auch gut sein müsste.

Hier kommt sie zum Vorschein, die perfide Verwertungslogik unserer kapitalistischen Gesellschaft. Alles, was vermeintlich authentisch ist und mit dem stereotypen Leben eines Straßenrappers entspricht, soll vermarktet werden. Moralische Grenzen scheint es, wie so oft wenn der Markt frei agieren kann, nicht mehr zu geben.

Spielsucht ist kein Spaß und Rapper*innen sollten ihre Macht nicht dazu nutzen, den Profiteuren dieser Krankheit noch mehr Umsätze zu generieren. Letztendlich freuen sich nur die Glücksspielkonzerne und Werbeagenturen. Und bestimmte Künstler, die ihre Kohle im Gucci-Store verprassen können.

In diesem Sinne: Lasst euch nicht blenden von blinden Versprechen, denn „auch wenn bei Merkur hier ne´ Sonne lacht – sei dir sicher, dass noch niemand hier gewonnen hat“ (Cashmo aus dem Song „Spielo“).

 

Wenn du selbst spielsüchtig bist oder das Gefühl hast, du könntest es sein, such dir Hilfe, z. B. hier: https://www.spielsucht-therapie.de/