Psycho-Beef: Mütterficken als Waffe

Die unrühmlichen Ereignisse rund um Jigzaw und Samarita haben mal wieder gezeigt: Sex hat oft wenig mit Lust zu tun, sondern wird zur Waffe. Dieser Gastbeitrag von Lion Häbler geht diesem und weiteren Aspekten des Beefs nach.

Wir kennen das ja seit Jahrzehnten, nicht nur aus Rap-Battles: Dieses Gerede davon, Mütter vaginal, anal oder oral zu penetrieren. Mit Sex hat das wenig zu tun. In den allermeisten Fällen „passiert“ das unabhängig davon, ob die entsprechenden Mütter darauf überhaupt selbst Lust haben. Die Absicht dahinter: Rapper stellen die eigene Abgebrühtheit und Unwiderstehlichkeit dar. Oder weisen durch dieses „lyrische Stilmittel“ darauf hin, wie groß ihre Macht ist.

Was Jigzaw kürzlich gebracht hat, ist allerdings nicht mal mehr mit viel Toleranz als „lyrisches Stilmittel“ zu verharmlosen. Oliver Marquart kommentierte die Geschehnisse der Beef-Eskalation zwischen ihm und Samarita bereits.

Nur ekelhaft und pubertär?

Was auf den ersten Eindruck auf die meisten von uns einfach nur ekelhaft, übertrieben, pubertär und ätzend wirkt, spiegelt in der Tat gleich mehrere gesellschaftliche Konflikte wider. Hier schimmern Machtverhältnisse durch, die nicht nur zwei Rapper und deren Verwandte betreffen, sondern jede*n von uns. Deshalb muss diese Debatte nicht nur aus moralischen Gründen geführt werden. Es geht nicht nur darum, was sich gehört oder nicht. Was die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet. Nein, die Debatte ist auch wichtig, um Machtverhältnisse zu ändern, unter denen wir alle leiden.

Mein Beitrag zu dieser Debatte sind ein paar offene Fragen, die ich einfach mal in den Raum stellen will.

Der Penis als Waffe um zu schaden anstatt als Mittel des Vergnügens

Behandelt Jigzaw nur die Frau schlecht, die er zum Werkzeug seiner Machtdemonstration macht? Oder macht er auch sich selbst dabei zum Werkzeug, zum Mittel, um etwas anderes zu erreichen, was nichts mit seinem Vergnügen zu tun hat? Ist Sex für alle Menschen etwas Heiliges und Intimes? Oder für viele auch eine Waffe im gesellschaftlichen Statuskampf? Falls ja, woran liegt das? Und sollte es geändert werden? Falls ja, wie denn?

Und weiter: Haben reichere Menschen mehr Möglichkeiten ihren Status zur Schau zu stellen und es deshalb gar nicht so nötig, ihren Körper oder sogar ihre Geschlechtsteile als Waffe einzusetzen? Oder hat die Form des Kampfes um Aufmerksamkeit und Anerkennung gar nichts mit dem Leben auf der sprichwörtlichen Straße zu tun? Sind Bildung, soziale Kontakte in die oberen Schichten und die damit verbundenen Privilegien die Schlüssel zu einer Macht und damit eine Waffe, die weniger dieses derbe Gerede über Rumgeficke und Geschlechtsteile nötig hat? Und inwieweit spielen hier die Startbedingungen eine Rolle, die durch Geburt von Eltern an Kinder vererbt und weitergereicht werden? Überschneiden sich hier also Sexismus und die sozio-ökonomische Frage? Verläuft die Konfliktlinie also nicht nur zwischen Geschlechtern/Gendern, sondern auch anhand von Klassenzugehörigkeit und Kontostand?

Weibliche Sexualität als passive Unterwerfung anstatt als selbst gewählte Aktivität

Wieso verhöhnt jemand, der mit jemand anderem Sex hat, diese Person? Ist er von Selbsthass zerfressen und kann sich gar nicht vorstellen, dass jemand gerne Sex mit ihm erlebt? Ist das dann schon deshalb keine Einvernehmlichkeit, weil er eigentlich selbst zeigt, dass er sich gar nicht vorstellen kann, dass eine Frau so etwas erleben will, wenn sie nüchtern, zurechnungsfähig und frei von Zwang oder Drogen ist?

Oder hat dieser Spott seine Ursache darin, dass er sich selbst hier zum Objekt gemacht fühlt und in einer Art vorauseilender Gegenwehr zurückschlägt? Weil er die beteiligte Person verachtet und dieser zum Vorwurf macht, dass sie ihn zu etwas treiben würde, was er selbst – eigentlich – gar nicht wollen würde?

Unfreiwilliges Exil erhöht Frust, intensiviert Konflikte und beruhigt den patriotischen Stolz von ordnungsliebenden Deutschen

Was wäre, wenn Jigzaw nicht aus dem Ruhrpott in die Türkei abgeschoben worden wäre? Hätten er und sein alter Weggefährte ihre Konflikte im Direktkontakt klären können, anstatt dass zur medialen Wäscheschleuder gegriffen worden wäre? War genau dieser Griff zur schmutzig-verkoksten Unterwäsche auch deshalb der letzte Griff zum verbleibenden Ass im Ärmel, weil gerade diese weite Entfernung zwischen ihnen lag und somit nur dieser Weg blieb, um deutlich zu machen: „Ich bin noch hier!“?

Und ist es eine nationalistische Doppelmoral, dass der deutsche Staat jemanden, der hier geboren und aufgewachsen ist, in ein anderes Land ausweist? Wäre das jemand anderem auch passiert, der/die hier geboren ist, wenn die Eltern anders (also mehr so nach weiß-blond-blauäugigen Ariern) aussehen würden? Oder zumindest anders heißen würden (also mehr so mit Nachnamen, die irgendwie nach weißen Europäern klingen)? Überschneiden sich dann ein Nationalismus, der sich auf Gesetze beruft, und eine Blut-und-Boden-Ideologie, die sich auf Rassenlehre des 18. und 19. Jahrhunderts beruft?

Merken diejenigen, die sich in Online-Kommentarspalten über eine erfolgreich durchgeführte Abschiebung freuen, überhaupt, dass sie nationalistische und rassistische Strukturen verteidigen? Und wenn sie das merken: Finden sie das selbst problematisch oder ist der Patriotismus der Grenzen-hoch-Abschottung und Augen-zu-Ignoranz schon so weit verbreitet und als zynischer Doppelmoral-Standard akzeptiert, dass Menschen eben doch nicht unabhängig ihrer Herkunft und ihrer Abstammung vor dem Gesetz gleich sind?

Was bleibt

Bleibt jedenfalls zu hoffen, dass nicht nur dieser Alpha-Mann aus der Alpha-Mannschaft seine persönliche Quittung für sein unwürdiges Verhalten bekommt (z.B. dadurch, dass Fans, Unterstützende und Veranstaltende auf Abstand gehen, wenn sie sich überlegen, was der da eigentlich gemacht hat). Sondern zusätzlich, dass wir über Moral hinaus solche medial aufbereiteten Spektakel nutzen, um unsere Verhältnisse als Gesellschaft zu hinterfragen.

Und vielleicht fangen wir dann sogar einfach mal mit konkreten Verbesserungen an. Ist doch jetzt auch mal Zeit, aufzuhören, auf solche Wanna-be-Motherfucker und echt-aber-aus-Hass-Motherfucker wie Kollegah, Jigzaw und andere Führerfiguren zu hören.