Kommentar: Deutschrap ist noch nicht bereit für die Hype Awards

Nachdem Kollegah und Farid Bang den Echo in die Knie gezwungen hatten, reagierte die Rap-Industrie prompt mit einer eigenen Preisverleihung. Motto: „Alles hat seinen Preis – jetzt auch die Straße“. Die Hype Awards machten es sich zur Aufgabe, der HipHop-Kultur in Deutschland eine eigene Auszeichnung zu widmen, um die gegenwärtigen Chart- und Streaming-Erfolge angemessen zu würdigen.

Es waren noch keine 24 Stunden nach der Verleihung vergangen und schon hatten es sich namhafte YouTuber, Musikjournalisten und sonstige Experten zur Aufgabe gemacht, den Fremdscham-Charakter dieser Veranstaltung genüsslich auszuschlachten. Peinliche Parodien, Kritik an der Qualität der Live-Acts, schlechte Stimmung und holprige Moderationen wurden besonders amüsiert beackert.

Mainstream oder nicht?

Ich halte aber sehr wenig davon, einzelnen Menschen nun die Schuld an der Misere zu geben, weil ich glaube, dass diesem Cringe eine viel tiefer greifende Ursache zugrunde liegt. Es hat mit den Wurzeln der HipHop-Kultur zu tun. HipHop war schon immer ein Gegenentwurf zum Mainstream. Es war eine „counter culture“ mit eigener Identität, die sich eben nicht mit den allgemeinen bürgerlichen Werten deckte. HipHop lebt von seiner Antihaltung, von der Direktheit und Unangepasstheit.

Natürlich haben sich diese kulturellen Besonderheiten im Zuge des gegenwärtigen ökonomischen Erfolgs aufgeweicht. An den Hype Awards lässt sich nun erkennen, dass HipHop zwar wirtschaftlich bei sich angekommen ist, kulturell jedoch nicht. Man ist sich nicht wirklich einig, ob man nun zum Mainstream gehört, den man eigentlich immer abgelehnt hat, oder ob man sich immer noch als das einstige Gegenmodell zur bürgerlichen Gesellschaft begreifen möchte. Ebendiese Unsicherheit im kulturellen Selbstverständnis machte diese Veranstaltung so skurril.

Rebellisches Selbstverständnis dominiert

Ich glaube, dass das ursprüngliche, rebellische Selbstverständnis in Form einer trotzigen Attitüde immer noch dominiert. Aus diesem Grund funktionieren Rapper*innen auf den klassischen Veranstaltungen wie dem Echo deutlich besser, weil man hier die Möglichkeit hat sich von der spießigen Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen. Durch eigene kulturelle Symbole wie etwa Kleidung, Verhalten und Sprache konnte man die Grenzen zum Rest der Bevölkerung entschlossen markieren.

Man könnte sagen, dass der Echo von diesem Deal gelebt hat. Rap-Künstler*innen konnten ihre Rolle als Rebell*innen demonstrieren, um sich somit vom bürgerlichen Milieu zu distanzieren. Spießer können mit dem Finger auf die schmuddeligen Rapper*innen zeigen, wohingegen diese wiederum durch ihre ignorante Performanz die eigene Identität kultivieren konnten. Gefühlt war man dort immer fehl am Platz, ging aber trotzdem hin, weil man ja doch irgendwie die Anerkennung der Gesellschaft genießen wollte. Man tat dies aber immer mit einer gewissen Antihaltung.

Widerspruch seit Geburt

In diesem Widerspruch bewegt sich die HipHop-Kultur bereits seit ihrer Geburt. Man möchte ankommen, aber irgendwie auch nicht. Beziehungsweise nicht um jeden Preis. Und genau dieser Deal wurde mit den Hype Awards nun begraben. Die Veranstaltung gleicht zwar einer klassischen Preisverleihung, bietet den Künstlern aber nicht die Chance, sich von der spießigen Mehrheitsgesellschaft abzuheben, weil sie schlichtweg nicht anwesend ist. Man weiß also noch nicht wie man sich verhalten soll, wenn da niemand ist, von dem man sich abgrenzen kann.

Darüber hinaus gibt es ohne das soziale Gegenüber der bürgerlichen „Normalbürger*innen“ keinen wirklichen Zusammenhalt innerhalb der Szene . Das sieht man etwa daran, wie viele sich nun hämisch auf einen kleinen Texthänger während Enos Auftritt stürzen. Ich bin mir sicher, dass die jetzige negative Bewertung seiner Performance im Rahmen einer klassischen Preisverleihung deutlich positiver von der Szene aufgenommen worden wäre, weil man dann geschlossen gegen den Mainstream gestanden hätte.

Mehr Solidarität!

Man wäre solidarisch als HipHop-Community aufgestanden und hätte ihn abgefeiert und supportet. Doch beim Hype Award konnte diese Gruppendynamik „Wir gegen die“ nicht aufkommen. In diesem Sinne: Ja, es stimmt, dass die Hype Awards awkward waren. Aber trotzdem würde ich mir wünschen, dass wir aufhören, uns gegenseitig zu zerfleischen und stattdessen lieber geschlossen als Kultur solidarisch füreinander einstehen. Das wäre nämlich HipHop.

Was die Hype Awards nächstes Jahr besser machen müssen