Kann es heutzutage noch echte Deutschrap-Klassiker geben?

„Blauer Samt“, „Feuerwasser“, „Bambule“, „Der beste Tag meines Lebens“, „Quadratur des Kreises“, „Vom Bordstein bis zur Skyline“, „Maske“, „Leben“, „NLP“, „Samy Deluxe“, „Fenster zum Hof“, „Gefährliches Halbwissen“, „Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag“, „Kopfnicker“, „Direkt aus Rödelheim“, „Unter Tage“, „Battlekings“

In seinen Kindertagen brachte Deutschrap gefühlt wöchentlich einen neuen Klassiker hervor. Ob man die Alben in dieser Liste nun persönlich mag oder nicht, den Klassikerstatus kann man keinem absprechen. Heutzutage sieht das ganz anders aus.

Wo sind die Klassiker hin?

Auch wenn hier und da immer wieder Langspieler erscheinen, die vom rein musikalischen Aspekt her ohne Frage das Prädikat des Klassikers verdienen; so richtig in Stein gemeißelt ist nichts mehr. Vielleicht brauchen sie mehr Zeit zum Reifen, schließlich wächst ein echter Classic über viele Jahre hinweg in diese Rolle hinein. Aber Haftbefehls „Russisch Roulette“ hat jetzt auch schon einige Tage auf dem Buckel und war mindestens genauso großartig und stilprägend wie die Liste da oben. Cros „Tru.“ ist ein absolutes Ausnahme-Album, eigentlich zum Klassiker prädestiniert, hat aber kaum einen Buzz gehabt. Caspers „XOXO“ brachte Deutschrap 2011 überhaupt erst so richtig in die ganz großen Hallen, stieß dem kompletten Genre unzählige Türen auf. „Palmen aus Plastik“ krempelte Deutschraps Sound komplett um und hat noch heute einen gigantischen Impact. Dennoch fügt sich keines dieser Alben nahtlos in die Liste ein. Warum gibt es keine Klassiker mehr?

Mit Highspeed in die Vergessenheit

Klar, diese modernen eigentlich-schon-Klassiker sind jünger, die Reifedauer müsste mit der Verbreitung von Streaming und der generell um sich greifenden Schnelllebigkeit aber eigentlich deutlich kürzer ausfallen – das wäre zumindest ein logischer Schluss. Stattdessen könnte genau darin aber der Hauptgrund liegen, warum ikonische Meilensteine wie „Russisch Roulette“ nur einen verhältnismäßig kurzen Buzz genossen, obwohl drei Viertel der Tracklist zeitweise auf jeder Party rauf- und runter liefen.

Die Musiklandschaft zieht mittlerweile dermaßen rasant an einem vorbei, dass man es selbst als Redakteur schwer hat, alle relevanten und interessanten (leider oft zwei Paar Schuhe) Neuerscheinungen auf dem Schirm zu haben und zu hören. Zwar schmeiße ich „Tru.“ bei mir immer noch gelegentlich an, den Klassikerstatus hat es aber eben auch nur in meiner persönlichen Liste inne; die Öffentlichkeit schert sich doch nicht um ein Album, das schon über ein Jahr alt ist. Wenn, dann muss es über 15 Jahre alt sein – denn das ist schließlich ein Klassiker. „Tru.“ und Konsorten werden aber auch in 15 Jahren keine Klassiker sein, sondern schlichtweg in Vergessenheit geraten.

Weniger ist mehr

Aber nicht nur die Schnelllebigkeit spielt eine Rolle, für uns „Digital Natives“ ist das schließlich gewohntes Metier. Auch die gigantische Beliebtheit, der sich Rapmusik mittlerweile erfreut, leistet ihren Beitrag dazu. Denn während HipHopper sich einstmals noch als eingeschworenes Grüppchen, Anhänger einer Kultur, verstanden, ist Rapmusik in den 2010er-Jahren zu einer öffentlichen Popkultur avanciert – ein Musikgenre, nicht unzugänglicher als es Pop oder Schlager sind. Dadurch ist das Gros der Hörer eben kein Haufen kompromissloser Jünger mehr, die sich trotz interner Grabenkämpfe mit der Musik und der Kultur identifizieren. Ein Großteil der Reichweite und quantifizierbaren Erfolge deutschen Raps geht nicht mehr aufs Konto dieser Hardcore-Fans, sondern von einfachen Konsumenten. Liebhaber sind in der Minderheit.

Soll heißen: Ein viel geringerer Anteil der Rezipienten liebt ein Album mit Leib und Seele. Das klingt jetzt vielleicht theatralisch, aber für viele ist ein Klassiker eben mehr als nur irgendeine CD, irgendein Suchbegriff bei Spotify. Der nonchalante Konsument verbindet aber mit keinem Album mehr als nur gute Musik und vielleicht einige daran angeknüpfte Erinnerungen. Das ist auch nicht weiter schlimm, verhindert aber, dass sich eine Mehrheit der Hörer auf ein Album als Klassiker einigen kann. Genau das macht aber einen echten Klassiker aus, auch wenn es natürlich nie eine förmliche Abstimmung gab. Ich persönlich kann mit vielen Alben aus der Liste, die diesen Artikel eröffnet, gar nichts anfangen – den Klassikerstatus würde ich ihnen aber niemals absprechen.

Album, nicht Playlist!

In einer Zeit also, in der extrem viele Leute Musik hören, die wahnsinnig hochfrequentiert erscheint, noch einen Klassiker für die Ewigkeit in den Walk of Fame zu gießen, könnte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Das schadet der Musik selbst zwar nicht, ist aber schade und sollte uns vielleicht dazu bewegen, unser musikalisches Konsumverhalten zu überdenken. Denn auch wenn der Trend sich weg vom Albumformat bewegt, geben sich noch immer viele Künstler große Mühe dabei, runde, greifbare Alben zu konzipieren, die mehr als ein Haufen Singles sind. Wenn ihnen das gelingt, verdienen sie es auch, als solche genossen zu werden – öfter als ein paar Male und vor allem länger als ein paar Tage oder Wochen; schließlich sind es trotzdem noch Klassiker!

Falk Schacht fotografiert die Originalschauplätze der Cover von Hamburger HipHop-Klassikern