Warum Cros „tru.“ so großartig ist und viel mehr Erfolg verdient hätte

Liebe Internetmenschen,

ich habe in den letzten Monaten so unfassbar viel Cro („tru.“) gehört, über Cro („tru.“) nachgedacht und jüngst auch gelesen, dass ich nun ein paar Gedanken zum Ausnahmepanda, zu Verstrickungen von Hype, Image und Erfolg und der absolut sensationellen Musik seines neuen Albums loswerden möchte.

Fünf Monate sind seit dem Release verstrichen. Das Internet ist sich einig: Das Teil ist richtig gut. Auch ich bin mir einig: Das Teil ist einfach nur der Wahnsinn. Für eine Review, die im Großen und Ganzen meiner Wahrnehmung entspricht, jetzt hier klicken. Für meine Wahrnehmung in wenigen Sätzen einfach weiterlesen: „tru.“ ist das virtuoseste Deutschraprelease, das ich je gehört habe.

Natürlich muss man die Musik nicht mögen; es ist immer noch Kunst. Aber das handwerkliche Niveau, auf dem Cro arbeitet ist eine Klasse von Kunstfertigkeit, die für sich steht und an die auch kein Alligatoah oder Left Boy kommt, die man stilistisch in eine ähnliche Schublade einordnen könnte und die auf künstlerischer Ebene ebenfalls extrem detailliert und gekonnt arbeiten. Ich werde keine komplette Review schreiben, aber:

Die Instrumentals von „tru.“ sind super komplex und facettenreich ausproduziert. Sie schaffen es, stilistisch einen Bogen von BoomBap bis zur Gegenwart zu spannen, was in einen einmalig tiefen, breiten und trotzdem homogen Sound mündet. Unfassbar, wie viel da einfließt und am Ende doch nach einer Einheit klingt.

Und die Vocals sind genauso gut – Cro kann stimmlich einfach alles: Die Rhytmik ist absolut clean, die Melodien Ohrwürmer, der Stimmeinsatz changiert vom erotischen Hauchen bis zum theatralischen Schrei und die Dynamik der Verse schmiegt sich an die Instrumentals, wie neue Guccikleidung an Lil Pumps mittlerweile millionenschweren Teenagerkörper. So entsteht Track für Track ein neues Meisterwerk und in der Fülle der Songs das von Skinny völlig richtig als Opus Magnum bezeichnete „tru.“.

Der Vollständigkeit halber: Man kann das Album als zu lang empfinden (z.B. ich finde das) und man kann auch Cros eindimensionale Selbstdarstellung als perspektivlos oder sogar untru bewerten (z.B. ich bewerte das so) oder sich über seine oberflächliche Vorstellung von Liebesbeziehungen ärgern. Ich halte das aber für Bagatellen.

Jetzt die Preisfrage: Wie kann es sein, dass so gute Musik so wenig Erfolg haben kann? Hat nicht das ganze Land aufs neue Cro-Album geschaut? Bisher kein Gold Status. Die Rapindustrie erobert das komplette Internet samt Charts (google Miami Yacine oder Bausa), während die Videosingles von Cro im einstelligen Millionenbereich herumkraxeln und selbst das Streben nach Unendlichkeit – welches so hoch gelobt wurde – nach sechs Monaten sein Limit bei ca. 10 Millionen Aufrufen erreicht zu haben scheint. Verglichen mit der Qualität des Albums, Cros musikalischer Vergangenheit und dem Boom von deutscher Rapmusik ist das doch ein Witz!

Meine These: Cro hat ein Imageproblem. Das Bild von Cro ist immer noch das des Radiomusikers mit weichgespülten Texten für pubertierende Teenies und das mag die Rapwelt nicht. Die Musik auf „tru.“ ist aber alles andere als das und hat eine Tiefe und Komplexität, die den Mainstream überfordert und sicher nicht für ihn gemacht oder geeignet ist. Deshalb landet „tru.“ weder bei seinen alten Fans, für die die neue Musik einfach nicht das richtige ist, noch in der Rapwelt, die das Album aus musikalischer Sicht eigentlich lieben müsste, Cro aber auf Grund seines bisherigen Werdegangs einfach nicht als Teil der Szene sieht.

Ich glaube, wäre Cro als Newcomer 2017 mit „tru.“ als Debütalbum gestartet, wäre das Album unfassbar durch die Decke gegangen und hätte richtig viele Rapfans abgeholt, die momentan alleine schon beim Namen „Cro“ den Shitstorm starten.

Insgesamt muss man wohl der Tatsache ins Auge sehen, dass eine moderne Musikkarriere mehr umfasst, als gute Musik zu produzieren. Oder einmal anders gedacht: Musik kann mehr, als gute Musik zu sein, ebenso ist ein Künstler mehr als ein Künstler. Auch geht es den Rezipienten nicht ausschließlich um die Musik, sondern den Unterhaltungswert oder das bereits erwähnte Image bzw. das Identifikationsangebot und die symbolische Repräsentation des Künstlers. Alles total legitim – verschiedene Geschmäcker und so.

Vielleicht ist das einfach der Punkt, an dem ich mich damit abfinden muss, dass ein Kollegah zwar nicht mal mehr den Takt trifft, aber trotzdem zigtausende Fans mit seiner Musik und der dazugehörigen Unterhaltung sehr glücklich macht. Außerdem sind derzeit ja wirklich haufenweise Rapper völlig zurecht erfolgreich und droppen richtig gute Musik.

Trotzdem tut es mir in der Seele weh, so ein Meisterwerk wie „tru.“ gewissermaßen verpuffen zu sehen und dafür Gründe auszumachen, die meiner Meinung nach nichts mit der Musik zu tun haben, sondern für mich persönlich eher oberflächliche Randfaktoren sind, zuzüglich einer Art flächendeckenden Unbeweglichkeit von Rapfans, sich auf Stilwandel und Musik außerhalb des Hypes einzulassen.

Naja. Im Endeffekt wurde da ein geiles Album released und ist mit vergoldeter Unendlichkeit auch weit davon entfernt, ein Flop zu sein. Carlo, wenn du das liest: Ich finde „tru.“ so gut, da überhöre ich sogar den kleinen grammatikalischen Patzer bei Baum (Dativ von Planet -> Planeten *zwinkerzwinker*). Lass uns doch mal zusammen Tee trinken, Jacques Loussier samplen und mein neues Album produzieren 😊

Galigrü von meinem Schreibtisch