Absztrakkt

rap.de: Es ist also mehr ein Besinnen auf das innere Selbst?

Absztrakkt: Auf sich selbst besinnen würde wieder implizieren, dass es tatsächlich einen festen inneren Wesenskern gibt, der einen ausmacht.

rap.de: Davon geht man in der westlichen Philosophie ja eigentlich auch aus.

Absztrakkt: Davon geht man im Buddhismus aber nicht aus. Dieses Anhaften an ein vermeintliches Selbst oder Ich sehen wir im Buddhismus nur als Verblendung. Als Unwissenheit, als eine Illusion. Im Grunde genommen sind wir auch nur eine Verkettung von Ursachen und Wirkungen, aber nichts eigenes, für uns selbst feststehendes. Wenn du dich heute Abend ins Bett legst, bist du morgen früh ein anderer Mensch. Deine Haare wachsen, deine Zellen verändern sich, du bist nicht mehr derselbe Oliver, der jetzt hier mit mir redet. Du bist kein festes Selbst, was unveränderlich existiert. Du bist der Vergänglichkeit unterworfen. Genau wie alles andere, alle anderen Phänomene, die sich hier in diesem Raum befinden. Und damit meine ich nicht dieses Zimmer, sondern den Raum an sich. Wenn wir uns in eine Rakete setzen und Lichtjahre weit weg fliegen, sind wir immer noch im Raum. Und alle Phänomene, die uns in diesem Raum begegnen, sind der Vergänglichkeit unterworfen, sind entweder zusammengesetzt oder geboren oder irgendwo hergekommen. Das bedeutet, sie werden sterben, irgendwo hingehen oder wieder zerfallen. Außer der Geist, der macht das nicht. Der Geist ist nichts dingliches, der Geist ist wie dieser Raum. Er wurde nicht geboren, er wird nicht sterben. Deswegen richten sich Buddhisten auf den Geist aus. Weil der Geist das einzige ist, worauf man sich wirklich stützen kann. Weil er nicht vergehen wird. Man findet das Glück also völlig unabhängig von irgendwelchen Faktoren oder Bedingungen, die in der äußeren Welt stattfinden. Da möchte man hin.

rap.de: Ist der Geist dann jeweils etwas Individuelles oder bildet er insgesamt eine Einheit?

Absztrakkt: Sowohl als auch. Das ist schwierig  zu erklären, dafür bin ich auch der Falsche, um so komplizierte Zusammenhänge zu erklären. Wenn man da eine richtig gute Antwort haben möchte, sollte man sich an authentische buddhistische Lehrer wenden.

rap.de: Du bist ein Anhänger des tibetanischen Buddhismus?

Absztrakkt: Ja.

rap.de: Also auch ein Anhänger des Dalai Lamas?

Absztrakkt: Mit dem Dalai Lama habe ich nicht so viel zu tun. Es gibt in Tibet vier große buddhistische Traditionen. Der Dalai Lama gehört zur so genannten Gelugpa-Tradition. Ich gehöre einer anderen an.

rap.de: Worin unterscheiden die sich?

Absztrakkt: Jeder will im Endeffekt zum selben Ziel. Es unterscheiden sich aber die Mittel, wie man dahin kommt. Der buddhistische Weg – es gibt deswegen so viele unterschiedliche Wege, weil die Menschen unterschiedlich sind. Die Erfahrungen, die Buddha gemacht hat und die er weitergibt, richten sich immer nach den Fähigkeiten der Schüler. Es ist keine Schablonenlehre, die man den Leuten einfach so aufsetzt. Du kannst dir das so vorstellen: Fünf Leute kommen mit derselben Frage zu einem Lehrer, er gibt fünf verschiedene Antworten. Immer entsprechend dem, von dem er denkt, damit kann der Schüler am besten arbeiten.

rap.de: Nervt es dich denn, dass der Buddhismus in Deutschland dieses esoterische Image hat?

Absztrakkt: Eigentlich nicht. Manchmal schon. Aber mich freut es ja, wenn die Leute Interesse haben und fragen. Wenn man es ihnen erklärt, sieht man in ihren Gesichtern ja auch: Bumm. Aha. Ach so. Na gut. Wieder eine falsche Sichtweise weniger. Darum geht es ja im Buddhismus, dass man sich entwickelt. Wörtlich entwickelt, nämlich die Schleier um dich herum abwickelst. Um die Natur des Geistes zu sehen. Denn diese Schleier, die aus falschen Ideen, Konzepten, Vorstellungen von Dingen bestehen, es geht nicht darum, im Außen immer weitere Konzepte zu suchen, du hast die Erleuchtung, die Befreiung schon in dir drin stecken. Die ist nicht im Außen, dass du sie irgendwo finden musst. Die ist schon in dir drin. Du musst nur die Schleier beseitigen, die verhindern, dass du das siehst. Darum geht es.

rap.de: Schleier wie Gewohnheiten…

Absztrakkt: Genau, falsche Sichtweisen. Falsche Ideen. Klischees und so was. Die speziellen Konzepte, die wir mit Phänomenen verbinden. Du siehst jemanden und hast direkt eine Meinung über ihn. Da sind wir alle ziemlich schnell. Woraus setzt sich diese Meinung zusammen? Nur aus unseren beschränkten Sinnen, die da irgendetwas wahrnehmen und daraus etwas zusammenbauen, was für uns einen Sinn ergibt. Aber ob das wirklich in der Realität so stimmt, ist eine andere Geschichte. Meistens ist es nicht so.

rap.de: Reicht es nicht, das zu hinterfragen?

Absztrakkt: Nein. Deshalb ist die Meditation so wichtig. Weil das durch die Meditation zur Erfahrung wird. Alles andere, was wir so aufnehmen und hören und verstehen, ist im Kopf, auf einer Verständnisebene. Durch die Meditation rutscht es ins Herz. Wenn es ins Herz gerutscht ist, sprich zur Erfahrung geworden ist, geht es in die Hand, das bedeutet, es wird aktive Tat im Alltag. Vom Kopf ins Herz in die Hand, von der Verständnisebene zur Erfahrung zur Tatkraft. Dass du es in dein Leben integrierst, darum geht es: Das zu leben.