Spätestens seitdem Denis Cuspert aka. Deso Dogg das Rappen im Berliner Untergrund aufgab und sich islamistischen Mörderbanden in Syrien anschloss, wurde das Thema „Rap und Islam(ismus)“ breit medial diskutiert. Während häufig suggeriert wurde, es gäbe einen zwangsläufigen, kausalen Zusammenhang zwischen Rapmusik und Islamismus, gab es aus der Szene selbst keine reflektierten Statements. Wer in der Debatte vor allem nicht mitredete, war die Szene selbst. Äußert sich doch mal jemand, wünscht man sich meist, er hätte es lieber gelassen. Greifen Rapmedien die Thematik auf, wie kürzlich Rap-Ist, kommen Salafisten, Graue Wölfe und DITIB-Mitglieder zu Wort. Deswegen möchte ich mich der Thematik auf andere Art und Weise nähern: Verschiedene Akteure aus dem Umfeld des deutschen Rap sollen zu Wort kommen und ihre Sicht darlegen können. Dabei sind Dr. Abdel-Hakim Ourghi, Marcus Staiger, Lady Scar, Tim Pickartz, Ralf Fischer und B-Lash.
Heute: Lady Scar, schon seit gefühlten Ewigkeiten im Berliner Untergrund aktiv, heute ist sie Sozialarbeiterin.
Du bist gläubige Muslima. Kannst Du vielleicht einmal kurz und knapp erklären, wieso Du Dich entschieden hast, religiös zu leben?
Hmm… Ich bin jetzt auch nicht sehr, sehr streng. Ich versuche, meine Religion soweit wie möglich auszuleben und auch zu praktizieren, mal mehr, mal weniger. Mehr schlecht als recht, sagt man glaube ich auf deutsch dazu. Die Motivation dahinter ist, dass es mir Frieden gibt. Ich denke, das sollte auch der einzige Grund sein, weswegen man einer Religion folgt bzw. sie praktiziert: Weil sie einen zu einem besseren Menschen macht. Auch wenn du nach einem Rat suchst, gibt es immer eine passende Geschichte dazu in der Religion, auch im Islam im Qu’ran. Und meistens klappt das auch, wenn man das so macht.
Beißt sich Deine Religiösität dabei mit Deiner musikalischen Tätigkeit?
Jein. Man sollte dabei jetzt nicht vergessen, was HipHop mir bedeutet. Ich lebe das schon so lange, das hat bei mir nicht erst mit Aggro begonnen. Von daher denke ich, dass es angesichts von Rap auf jeden Fall zusammenpasst – warum auch nicht? Von der anderen Seite wird es schon wieder schwieriger. Man sagt ja, im Islam ist Musik verboten. Ich habe da eine ganz persönliche Meinung zu. Wie gesagt: Ich rappe ja schon ewig und trage dazu auch noch Kopftuch, weswegen noch mehr Augen auf mir liegen. Zwischendurch hatte ich dann sogar Phasen, in denen ich nicht wusste, was ich machen soll, weil ich sowohl meine Religion als auch HipHop und Rap liebe. Eine Zeit lang habe ich dann aufgehört. Aber guck mal: Natürlich, wenn ich Gangsterrap mache oder Musik, die den Hörer dazu bringt, Drogen zu nehmen, auf die Straße zu gehen, Leuten auf’s Maul zu hauen oder rumzuhuren oder so, dann ist das mit Sicherheit eine Sünde und nicht miteinander vereinbar. Wenn ich aber jetzt rappe, dann findest Du da nicht einmal mehr ein Wort wie „scheiße“ dadrin. Meine Texte handeln sowieso eher vom Leben mittlerweile. Von daher kann ich das für mich sehr gut miteinander vereinbaren. Ohne jetzt jemanden verurteilen zu wollen, aber Gangsterrap, ein Xatar beispielsweise, und Islam passen einfach nicht zusammen – was aber nicht heißt, dass er kein Muslim sein kann.
Eine Hauptfunktion des Islams ist, dass er den Alltag strukturiert und klare Regeln für das Leben vorgibt. Viele junge Muslime praktizieren ihren Glauben daher als Gegenentwurf zur als zu frei und zu unkontrolliert verstandenen westlichen Welt. Wie siehst Du das?
Ich selbst habe sehr häufig Diskussionen mit anderen Muslimen, die selbst mich dann nicht mehr als Muslima anerkennen. „Oh Gott, oh Gott, die hört und macht Musik“ und so weiter. Das sind dann ganz häufig sehr junge Menschen und oft auch Konvertiten. Die wurden schon auch ein bisschen Gehirngewaschen, das geht bei Jüngeren eben ein bisschen besser als bei Älteren. Aber die haben auch gar nicht so wirklich Ahnung von der Religion. Die plappern einfach nach, was sie irgendwo hören, aber wenn man sie mal nach Quellen fragt, dann verweisen die immer auf XY, der das gesagt hat, aber können mir keine schriftlichen Quellen sagen. Man merkt, dass die keine eigene Meinung dazu haben; die quatschen einfach nur nach. Das Problem ist, dass meistens diejenigen, die gar keine Ahnung von der Religion haben oder sie völlig falsch ausleben, diese Religion dann nach außen tragen.
Also kommen da dann mangelnde Selbstreflexion und offensives Vertreten des eigenen Glaubens zusammen?
Absolut. Nehmen wir als Beispiel mal die ganzen Halbstarken, die hier auf der Straße rumlaufen. Die schreien alle zwei Minuten „Hurensohn“, die Deutschen sind alle Schlampen, aber sag bloß nichts gegen den Islam. Die kennen nicht mal die einfachste Sure. Das ist eben das Problem: Das sind die Leute, die praktisch stellvertretend für uns den Islam repräsentieren, haben aber keinen Plan. Solche Leute werden dann ja auch in Sendungen eingeladen, mit Sicherheit auch mit Absicht. Deswegen hat es mich auch so gefreut, dass überhaupt mal jemanden interessiert, was eigentlich die Wahrheit ist.
Wie sieht es in diesem Kontext denn dann in der Rapmusik aus? Da gibt es ja genügend Leute, die ihren Glauben offensiv in ihren Texten und Statements vertreten. Oder einen Bushido, der zwar gerne Hurensohn sagt, aber dann in die Al-Nur Moschee geht.
Da gibt es natürlich zwei Seiten: Die eine Seite ist, was ich weiß und die andere ist, wie ich handle. Bleiben wir beim Beispiel Bushido: Nur, weil er die ganze Zeit Hurensohn sagt, heißt das noch nicht, dass er nicht weiß, was der Islam darüber sagt – handelt aber faktisch dagegen. Gerade bei jemandem wie Bushido ist das schon traurig. Ich kenne ihn ja noch von früher und denke, dass er einen gewissen Intellekt hat und nicht völlig banane ist. Der hat ja schon Ahnung davon, was der Islam eigentlich sagt – und darüber hinaus eine riesengroße Fanbase und viele Leute, die ihm zuhören. Deshalb finde ich es ein wenig schade, dass er seine Position nicht dazu nutzt, den echten Islam zu zeigen. Damit will ich nicht sagen, dass er jetzt keine oder ganz andere Musik machen soll, aber so ein Statement würde schon mal helfen. Viele gehen eben etwas leichtsinnig damit um, andere versuchen das ganz rauszuhalten. PA Sports beispielsweise rappt nicht so viel über seine Religion, aber hat eben korrekte Statements. Gerade in diesen Zeiten kommt es ja schon drauf an den Leuten zu erzählen, was der Islam wirklich ist.
Wobei Bushido ja schon auch Statements rausbringt – nur klingen die meistens stark verkürzt und wie eine Selbstinszenierung als Opfer.
Man darf jetzt aber auch nicht vergessen, dass er ja nach außen hin schon der praktizierende Muslim ist. Irgendwo hat er natürlich auch recht: Es herrscht schon eine gewisse Doppelmoral. Bushido provoziert halt auch einfach gerne, schon seit Jahren. Das ist jetzt gar nichts gegen seine Person – wie gesagt, ich kenn ihn, das ist ein netter, höflicher Typ so – aber was diese Sache angeht, handelt er manchmal einfach leichtsinnig. Ich meine, alle kennen Bushido, auch die älteren Leute. Die wissen auch, dass er angeblich praktizierend ist – die Leute denken dann, dass der Islam ihm sagt, die und die seien alle Schlampen, Schwule seien so und so oder keine Ahnung was. Das viel größere Problem ist ja noch, dass all die Kids, die ihn hören, das auch denken. Das sind eben meistens Migranten, die das dann wiederum weitertragen und sich auf der Straße so verhalten und am Ende von den deutschen Mitbürgern wieder gesehen werden und für die repräsentativ für den Islam stehen. Ich finde, dass gerade die Muslime Verantwortung tragen müssen – grade jetzt, wo die Luft brennt, müssen wir die Menschen ein bisschen aufklären.
Wie wirkt sich das dann aus, dass Bushido in die Al-Nur-Moschee geht, in der eben auch salafistische Prediger und Imame zu Wort kommen?
Das ist natürlich genau so ein Problem. Da darf man auch nicht vergessen, dass Deso eben auch aus dieser Moschee heraus rekrutiert wurde. Du weißt ja sicherlich, dass wir übertrieben eng waren, über 20 Jahre. Aber ich habe mich von ihm distanziert, als er islamisch abgedriftet ist. Da war’s dann auch irrelevant, wie dick wir waren, weil Fakt ist: Wenn du dem Islam schadest, kannst du nicht mehr Bruder sein. Deso wollte damals auch, dass ich da hinkomme. Er hat mich sowieso immer als Pendant zu ihm gesehen, in dieser Sache wohl auch. Aber ich habe mich ganz strikt dagegen gewehrt, gerade weil ich auch weiß, dass die Moschee unter Beobachtung steht. Das war auch ein Grund, weswegen wir uns gestritten haben. Ist auf jeden Fall nicht so praktisch, dass Bushido jetzt die gleiche Moschee besucht. Wenn du dann noch ein Bild postest, auf dem du einen Paris-Pullover trägst, zu einem Zeitpunkt, an dem es gerade ein Attentat in Paris gegeben hat… Es wirkt sich nicht sehr positiv auf uns aus, sagen wir es mal so.
Als Gründe für die besagte Radikalisierung werden häufig Benachteiligung und Diskriminierung angeführt. Was für Erfahrungen machst Du da als Sozialarbeiterin?
Das kann ich so bestätigen. Gemobbt zu werden drängt einen praktisch in einen Kessel, in dem man auf ganz viele andere trifft, denen es genauso geht. Wenn die frustriert sind, ist es natürlich unheimlich einfach die zu beeinflussen und zu radikalisieren. Das spielt auf jeden Fall eine ganz große Rolle. Es ist ja auch leider Fakt, dass wir immer mehr gemobbt werden – viel auch aus Angst und Unwissenheit.
Das Gefühl des irgendwie „zu kurz Gekommenseins“ ist ja bestimmendes Motiv im Gangsterrap. Lässt sich da etwa wirklich ein Zusammenhang zwischen Rap und Islamismus ausmachen?
Zuerst einmal finde ich das Wort „Islamismus“ sehr hässlich. Weil im Endeffekt Radikale eben Radikale und Terroristen Terroristen sind. Trotzdem denke ich, dass das schon ein Stück weit zusammenhängt. Allerdings gehen die den einfacheren Weg, sage ich mal. Auf der Straße gibt es keine Regeln, wenn du aber dem Islam oder irgendeiner anderen Religion folgen willst, gibt es eben klare Regeln, an die du dich halten musst. Ich hab das ja auch alles hinter mir – und ganz ehrlich: Das war definitiv der leichtere Weg. Nicht immer der risikofreiste, aber auf jeden Fall der leichtere. Du musst keine Regeln beachten, bist irgendwie cool und angesehen, hast die Taschen voller Geld, kannst dir Sachen kaufen. Das bestimmende Motiv ist also dasselbe. Das war auch bei Deso der Punkt: Er war sein Leben lang auf der Suche nach Zugehörigkeit. Hätte er jetzt keinen Pseudomuslim, sondern einen Buddhisten oder so vor sich gehabt, der genauso hätte reden können – dann wäre er halt Buddhist geworden. Deso wollte einfach immer Zusammengehörigkeit, Bruderschaft. Das ist auch bei den weiteren Rappern, die sich aus anderen Ländern dem IS angeschlossen haben, der springende Punkt. Trotzdem würde ich jetzt nicht sagen, dass jeder Gangsterrapper automatisch dem IS beitritt. Die müssen schon krass verzweifelt sein und am Tiefpunkt von jemandem gecasht werden, der sehr gut quatschen kann.
Aufgrund dieser grundlegenden Dispositionen, die man teilt, gab es dann eine breite mediale Debatte über das Thema. Ich hatte den Eindruck, dass die Szene selbst kaum mitgeredet hat. Wie ist Dein Eindruck?
Ehrlich gesagt habe ich kaum Statements gehört. Ich weiß, dass Deso ab und zu mal Thema war und dann hieß es entweder „Ja, eh, mein Bruder“ oder „Eh, was für ein Hurensohn, der muss sterben„. Was sind denn das für Aussagen? Wirklich konstruktiv sind die jedenfalls nicht. Dass er einen falschen Weg geht, steht außer Frage – deswegen habe ich mich ja nach zwanzig Jahren von ihm entfernt. Aber da muss man auch mal dahinter gucken, wie das passieren konnte und warum. Wenn die Leute dann behaupten, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Rap und dem IS, dann müssten ja eigentlich viel mehr Rapper beim IS sein. Die meisten Gangsterrapper würden nicht zum IS gehen: Der IS ist nämlich definitiv der schwierigere Weg, noch schwieriger als normal seinen Glauben auszuleben. Das ist ja kein Zuckerschlecken. Man darf auch nicht vergessen, dass Deso seit weiß ich nicht wie vielen Jahren versucht, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und anerkannt zu werden – hat er nie geschafft. Jetzt, ganz plötzlich, steht er auf der Terrorliste von der CIA. Jetzt ist er jemand. Könnte auch etwas sein, was so manchen Rapper etwas lockt, der es nie gepackt hat. Ich habe jedenfalls kein vernünftiges Statement gehört. Viele haben sich einfach rausgehalten – keine Ahnung, warum. Erst kürzlich habe ich auf meiner Seite gepostet, dass ich froh bin, dass ich den Islam vor den Muslimen kennengelernt habe, weil viele Muslime zwar muslimisch sind, aber keine guten Menschen sind. Ich finde, jeder Muslim, der nicht radikal ist, hat die Aufgabe, etwas zum Thema sagen. Vielleicht könnten wir Übergriffen und ähnlichem vorbeugen, wenn wir vernünftig aufklären würden.