Spätestens seitdem Denis Cuspert aka Deso Dogg das Rappen im Berliner Untergrund aufgab und sich dem IS in Syrien anschloss, wurde das Thema „Rap und Islam“ breit medial diskutiert. Häufig wurde dabei suggeriert, es gäbe einen kausalen Zusammenhang zwischen Rapmusik und Islamismus. Wer in der Debatte meistens nicht zu Wort kam, war die Szene selbst. Äußert sich doch mal jemand, wünscht man sich meist, er hätte es lieber gelassen. Greifen Rapmedien die Thematik auf, kommen Salafisten, Graue Wölfe und DITIB-Mitglieder unwidersprochen zu Wort. Unsere Interviewreihe „Rap und Islam“ will sich dem Thema differenzierter nähern: Verschiedene Gesprächspartner mit unterschiedlichen Zugängen zu beiden Themen kommen zu Wort. Dabei sind Dr. Abdel-Hakim Ourghi, Marcus Staiger, Lady Scar, Tim Pickartz, Ralf Fischer und B-Lash.
Heute die letzte Folge mit: Ralf Fischer, Journalist und Publizist, u.a für Jungle World und Konkret.
Welche Rolle spielt der Islam im deutschen Rap aus deiner Sicht?
In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts spielten Religionen, das gilt auch für den Islam, im Deutschrap kaum eine Rolle. Das hat sich fundamental geändert. Seit den letzten zehn Jahren gehören religiöse Bekenntnisse beinahe zum Standard. Eine bedeutende Anzahl derjenigen Rapper, die bisher solch ein Bekenntnis von sich gegeben haben, bekannten sich zum Islam. Dies spiegelt sich selbstverständlich auch in den Texten wieder.
Sowohl Antisemitismus als Antiamerikanismus haben scheinbar einen festen Platz im deutschen Rap. Seit kurzem häufen sich jetzt auch islamistische Statements und Texte. Ist die HipHop-Szene besonders anfällig für einfache Erklärungsmuster?
Die parolenhaften Reimstrukturen gerade deutschsprachiger Rapper eignen sich hervorragend für einfache Erklärungsmuster. Dies gilt aber auch für Deutschrock und Deutschpunk. Vom Antiimperialismus der früheren Tage („Dies ist nicht Amerika“, Absolute Beginner) ist es nicht weit zum Islamismus aktueller Prägung. Extrem wichtig ist dabei die überbordende Amerikafeindlichkeit. Die Adaption einer amerikanischen Subkultur geht einher mit einer deutlichen intellektuellen Abgrenzung von amerikanischen Werten. Obwohl man offen Rapstyles, Samples und Beats kopiert, um Features mit international bekannten Stars bettelt, den Lifestyle der Vorbilder aus den USA nachahmt, gehören antiamerikanische Punchlines zum Standardrepertoire eines jeden Deutsch-Rappers. Man inszeniert sich gegenüber den oberflächlichen Kulturbarbaren aus den USA als weit überlegen, das spiegelt sich in den Texten und Interviews vieler deutscher Rapper wieder. Hinzu kommt die Vereinfachung politischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge, eine verkürzte Kritik am Kapitalismus und eine offene Ablehnung von Juden und Israel. Letzteres kommt bei migrantisch geprägten Rappern häufiger vor. Auf die Nachfrage weshalb dies so sei, bekommt man von den Akteuren häufig eine einfache Begründung: Die deutschen Befindlichkeiten, beziehungsweise die deutsche Zurückhaltung wegen des Holocaust tangiere sie als Migranten nicht so sehr.
Der Österreicher Nazar hat während der Operation Protective Edge vielen Rappern vorgeworfen, „Alibi-Moslems“ zu sein. Wie bewertest Du das?
In den sozialen Netzwerken geht es um Likes und Follower. Und im Rap geht es um Authentizität und Realness. Da prallen zwei Welten aufeinander, könnte man glauben. Der Wettkampf, wer denn nun der „realste Moslem“ ist, gehört zum Rap-Game dazu. Diesen Kampf virtuell auszutragen, entspricht der aktuellsten Mode. Vor zweihundert Jahren hätte es wohl ein amtliches Duell gegeben. Oder einen Mexican Standoff. Heute gibt es dafür das Twitter-Battle. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich viele Rapper in der Öffentlichkeit islamischer geben, als sie letztendlich wirklich leben. Hier geht es einfach nur darum, einen Trend nicht zu verpassen beziehungsweise um die korrekte Außendarstellung für das interessierte Publikum.
Der Theorie nach fungiert Rap ja als individuelles Sprachrohr. Wie kann es dann sein, dass er teilweise für solche kollektiven Wahnvorstellungen missbraucht wird?
Jeder Mensch ist ein Individuum. Wie kann es dann sein, dass Menschen sich für kollektive Wahnvorstellungen missbrauchen lassen? Missbrauch ist schon einmal die falsche Formulierung. Es geht hier um den autoritären Charakter. Erich Fromm benannte als typische Züge des autoritären Charakters die Unterwürfigkeit gegenüber Autoritätspersonen, Zerstörungslust, Selbsterhöhung und starre Konformität. Zu dieser Denkweise gehört, dass sie an Konventionen hängt, aber gleichzeitig abergläubische und stereotype Züge hat. Wegen der Unfähigkeit von Menschen mit ihrer prinzipiellen Freiheit umzugehen, fliehen sie in eine konforme Sicherheit. Das Bedürfnis nach Gehorsam, Unterwerfung und Machtausübung bindet das Individuum an Autoritäten und hierarchische Strukturen, die diese Bedürfnisse befriedigen. Zum Islam zu konvertieren ist genauso Ausdruck dieses Bedürfnisses, wie der Beitritt zu einem Rockerclub.
Dazu passt auch, dass die HipHop-Szene mitunter einer Art „Männerbund“ gleicht. In vielen Texten, aber vor allem in den eher persönlichen Statements auf Facebook und Twitter geht’s um Machotum, das diffuse Gefühl zu kurz gekommen zu sein und um die Sehnsucht nach klaren Verhältnissen. Ist das der perfekte Nährboden für den Islamismus?
Sprechgesang ist geradezu prädestiniert dafür, dass sich mittelmäßig begabte Jünglinge derart den Weltenschmerz des zu kurz gekommenen Mannes in der Moderne von der Seele jodeln können. Diese Gestalten fordern Respekt, den sie selbst niemandem außer ihrer Mutter zollen. Rappen aber im selben Atemzug von ihren Vergewaltigungsphantasien, was sie nicht daran hindert, einen völlig überzogenen Ehrenkodex zu vertreten. Der zu kurz gekommen Mann, der sich krampfhaft gegen die Moderne in Stellung zu bringen versucht, kommt entweder als „Männerrechtsbewegung“ daher, oder geht den Weg der religiösen Erleuchtung. Im deutschen Rap führt derzeit der Islam in diesem Bereich die Charts an. Die rappenden Jungmänner bemängeln ständig in ihren musikalischen Inszenierungen den Machtverlust, der mit dem eigenen Wunschbild von Machotum nicht zu vereinbaren ist. In ihren Texten wettern sie gegen alles, was die von ihnen definierte Männlichkeit vermeintlich zerstört: Schwule, Metrosexuelle, emanzipierte Frauen und die Zurichtung der Gesellschaft, in der nicht mehr alle Führungspositionen automatisch Männern zufallen. Bis auf wenige Ausnahmen handelt es sich wirklich um einen Bund der sich nach klaren Verhältnissen sehnenden Männer.
Denis Cuspert aka Deso Dogg hat die ganze Thematik in die breite mediale Öffentlichkeit geholt. Nur im Deutschrap selbst gab es wenig wirklich klare Statements. Verweigert sich die Szene der Diskussion?
Eine Diskussion ist das genaue Gegenteil von einem Battle. Rapper bedienen ihre jeweiligen Milieus, ihr subkulturelles Klientel. Da sind sie nicht anders als jeder x-beliebige Politiker. Nur die Milieus unterscheiden sich wesentlich. Statt eines Austauschs von Argumenten erwarten die Konsumenten von Deutschrap den Austausch von Exkrementen. Außerdem torpediert der ständige Überbietungswettbewerb jede sinnvolle Auseinandersetzung. Im Falle Dennis Cuspert verschweigen einige Rapper nur allzu gern, was ihre Bekanntschaft mit Deso Dogg betrifft, andere würden sich gern damit brüsten, befürchten aber die öffentliche Reaktion. Es gilt ja immer die Wage zu halten zwischen einem kalkulierten Outlaw-Image und dem Wunsch, nicht indiziert zu werden, weil das die Plattenverkäufe einschränkt.
In den dadurch angestoßenen Debatten wurde ferner suggeriert, dass es einen zwangsläufigen kausalen Zusammenhang zwischen Strassenrap und Islamismus gebe. Wie fiele ein nüchternerer Blick auf das Verhältnis aus?
Straßenrap ist eine Illusion, ein billiger Marketingag. Die Absoluten Beginner verkauften ihre erste CD auf der Straße. War das deshalb Straßenrap? Nein! Kein Kind der Welt will die Musik seiner Eltern hören. Keine Generation möchte auf ihr Alleinstellungsmerkmal gegenüber ihren Vorgängern verzichten. Der Rap aus den 80ern kam genauso von der Straße wie der so genannte Straßenrap heute. Alle Jahre wieder braucht es neue Labels. Elektro hieß schließlich früher auch einmal Tekkno. Das Kunstprodukt Kollegah ist das beste Beispiel für die Marketingstrategie. Ein Abiturient, der Jura studierte, macht in einem exklusiv ausgestatteten Studio angeblich Musik für die Straße. Auf so etwas fallen nur Teenager und männliche Minderbemittelte im zeugungsfähigen Alter herein. Die Anziehungskraft des Islam wächst mit der Schwäche westlicher Ideen und Überzeugungen. In dem Masse wie er gesellschaftlich attraktiver wurde, kam er auch im Deutschrap häufiger vor. Aber nichtsdestotrotz ist der Islam in den letzten Jahren gerade von migrantisch geprägten Akteuren, die sich als Rapper von der Straße ihrem Publikum präsentieren, verstärkt in den Fokus ihres Outputs gerückt.