Morgen beginnt Credibils „Ærste Tour“ in Frankfurt. Unser Autor Amir Forsati traf den jungen Erol vorher noch zum Interview über die Tour, über die Realness-Debatte, seine Kunst, das Verhältnis von Erol zu Credibil, seine Zukunft und andere interessante Themen.
Du steckst gerade mitten in den Vorbereitungen für deine erste Tour – die auch gleich als „Ærste Tour„ betitelt ist. Dein Management teilte mir vor dem Interview mit, dass du derzeit auch absolut darauf fokussiert bist und jede freie Minute dafür aufwendest. Wie kann man sich das vorstellen? Wie bereitest du dich auf deine erste Tour vor?
In erster Linie geht es um die Lyrics. Auch wenn man es nicht glaubt: Auch ich muss meine Texte auswendig lernen. Die Textsicherheit ist die Basis des Ganzen. Darüber hinaus macht man sich Gedanken darüber, wie man die einzelnen Lieder performen und welche Besonderheiten man in die Show integrieren kann. Und man muss die Tracks oft rappen, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, an welchen Textpassagen man Luft kriegt und an welchen nicht.
Was erwartet uns denn live bei dir? Du bist ja nicht so der „Club Banger„-Künstler, der über fette Partys und Champagnerduschen rappt. Deine Musik ist eher tiefgründig. Wie willst du diese „Deepness“ auf der Bühne rüberbringen und trotzdem für Stimmung sorgen, damit du trotz deines künstlerischen Anspruches die Leute abgreifen kannst?
Ich hatte zunächst vor, ein bestuhltes Konzert zu veranstalten, bei dem die Leute in ihren Sitzen versinken und die Show auf sich wirken lassen können. Den Gedanken haben wir aber zum einen aus organisatorischen und zum anderen aus Kostengründen wieder verworfen, weil in einen bestuhlten Raum wesentlich weniger Leute reinpassen. Ich wollte für die „Renæssance„-Tour im November einen Live-Auftritt nur über das Album machen. Jedoch entschied ich mich dann dagegen, ein Theaterstück aufzuführen. Ich wollte eine komplette Credibil-Show. Sowohl für diejenigen, die seit „Deutsches Demotape“ und „Molokopf“ dabei sind, als auch die neuen Fans, die mich seit meinem Debüt-Album „Renæssance“ kennen. Es wird, so denke ich, ein prima Gesamtpaket sein: eine gute Show, guter Rap, ein guter DJ und einige Specials. Die Leute sollen heimgehen und sagen: „Das war geil! Wir wollen Credibil nochmal sehen und nehmen nächstes Mal unsere Freunde mit!“
Also wird man auf der „Ærste Tour“ auch Material aus „Deutsches Demotape“ und „Molokopf“ hören können?
Ja, wir spielen alles.
Wirst du auch eine Live-Band dabei haben?
Nein, ich werde nur mit meinem DJ auftreten. Ich werde auch keinen Backup-Rapper haben. Mein DJ unterstützt mich an einigen Stellen, doch alles in allem stemme ich die gesamte Show alleine. Ich stehe dann nicht nur als Rapper, sondern vielmehr als Künstler im Fokus.
Also ähnlich wie der Dichter, der auf der Bühne steht und seine Poesie vorträgt. Dein Debütalbum „Renæssance“ war ein Kritikerliebling des vergangenen Jahres. Auch rap.de-Chefredakteur Oliver Marquart lobte es in den höchsten Tönen. Nun steht deine erste Tour an. Wie fühlst du dich und wieso kam die ursprünglich im November geplante Tour nicht zustande?
Im November vergangenen Jahres kam die Tour nicht zustande, weil wir es nicht wollten. Kurz zuvor gab es eine geschäftliche Trennung von einigen Leuten, mit denen ich nicht hätte zusammenarbeiten können. Das Live-Segment ist dann komplett weggefallen. Ich hatte dann gar nicht mehr die Möglichkeit live aufzutreten und musste mich erst einmal wieder neu aufstellen. Nun fühle ich mich für alles noch ein gutes Stück mehr verantwortlich. Bisher war es so, dass man mal den Support auf einem Konzert oder eine Show auf einer Jam oder einem Festival gespielt hat, wo auch mehrere andere auftreten und im Zweifelsfall nur ein paar wirklich wegen dir da sind. Dieses Mal sieht die Sache anders aus. Die Leute kommen ausschließlich wegen Credibil. Die zahlen dafür, um Credibil auf der Bühne zu sehen. Es ist meine Show und ich werde immer 100 Prozent geben, ob nun eher wenig Publikum da sein wird oder das Haus bis zur Decke gefüllt ist. Ich bin ein absoluter Perfektionist und möchte immer einen drauf setzen. Ich möchte, dass die Leute nach dem Konzert so geflasht nach Hause gehen, dass sie den nächsten Auftritt gar nicht abwarten können.
Du bist ja letztes Jahr gleich am Eröffnungstag auf dem splash! aufgetreten und hast eine sehr coole Show abgeliefert. Wird man dich nach der Tour dieses Jahr auch wieder auf Festivals sehen können?
Nein, ich werde dieses Jahr nicht auf Festivals spielen, höchstens punktuell. Ich möchte die Leute viel lieber auf meiner Tour sehen. Ich will die Fans so von meiner Show begeistern, dass sie das Gefühl haben, etwas ganz Exklusives gesehen zu haben, was es in dieser Form, in dieser einzigartigen Art und Weise ausschließlich auf meinen Konzerten zu sehen gibt und nicht irgendwie für eine halbe oder Dreiviertelstunde auf einem Festival.
Du bist technisch und lyrisch ein sehr begnadeter und vielseitiger Rapper. Du behandelst interessante und tiefgreifende Thematiken auf deinem Album, aber gleichzeitig wirkt nichts von deiner Musik aufgesetzt oder gekünstelt. Bei vielen Rappern hat man oft das Gefühl, dass sie während der Albumproduktion noch schnell zwei, drei deepe Tracks aufs Album packen wollen und schnell mal eine vermeintliche traurige Geschichte erzählen. Bei dir sind echte Gefühle und zum Nachdenken anregende Gedanken im Spiel. Man empfindet es beim Hören als authentisch und real. Wie stehst du in diesem Zusammenhang zu der aktuellen Realness-Debatte im deutschen Rap, die derzeit wieder große Wellen schlägt?
Würdest du sagen Marsimoto ist real?
Das kommt auf den Blickwinkel an.
Eigentlich nicht. Im Grunde ist die Frage doch ganz einfach zu beantworten: Marteria spielt doch einen Marsianer, der hier auf die Erde gelandet ist und nur am Kiffen ist.
Marteria, eine Kunftfigur von Marten, hat eine noch abstraktere Kunstfigur erschaffen, mit der er sowohl musikalisch, künstlerisch als auch inhaltlich die Sachen machen kann, auf die er Bock hat und als Marteria in der Form nicht ausleben kann.
Das mag sein, aber lass das mal alles außen vor. Wenn wir über „Realness“ diskutieren, müssen wir auch mal einfach nüchtern betrachten, wer was darstellt. Da ist ein Alien, das kifft, und so stellt er sich dar und jetzt kann jemand kommen und sagen: „Es gibt gar keine Aliens. Marsimoto ist kein Alien. Der Rap ist nicht real.“ Aber frag mal das Alien, ob er sich selber ernst nimmt. Frag mal Marteria bzw. Marten, ob er ein Alien ist. Er wird dir antworten: „Bist du behindert? Ich spiele ein Alien!“ So verhält es sich mit der Realness-Debatte. Frag mal Kollegah, ob er ein Zuhälter ist und er wird schmunzeln und sagen: „Ja, hier ist der Boss und führt sein Bosslife und ist natürlich der Zuhälter.“ Er nimmt sich doch selber nicht ernst als Zuhälter – auch nicht in seiner Musik und diese überspitzte Selbstironie spiegelt sich auch in seiner Musik wider.
Also siehst du das so, dass man als Rap-Musiker ähnlich wie ein Schauspieler eine Rolle spielen kann, solange man sie gut umsetzt und gut inszeniert, damit diese Rolle für sich genommen als Musikprodukt authentisch wirkt?
Die Frage, ob jemand real oder unreal ist, stellt sich mir gar nicht. Weder als Musikhörer noch als Künstler. Die Frage, ob ein Künstler mit Image A oder B mehr oder weniger verkauft, mehr oder weniger Fans hat, etc., ist irrelevant für mich. Ich finde die Musik entweder gut oder nicht. Wenn du rappst, dann rappe mit Hingabe und Herz und steh dahinter. Fühl die Musik, die du machst. Ob du nun den authentischen Jungen vom Block, einen Alien oder Pfandflaschensammler MC darstellst. Letztlich geht es einzig und allein um die Musik. Ich für mich muss sagen, dass die Kunstfigur Credibil zu 100 Prozent aus dem Jungen Erol entstehen muss. Erol ist ein Eckpfeiler von Credibil. Aber ich kann verstehen, wenn jemand sagt: „Hey, ich ziehe mir jetzt eine Maske an und ich spiele …“, so wie ich Credibil verkörpere, „… ein Alien!“ Ich gehe jetzt doch nicht zu Marten hin und kritisiere ihn dafür, dass er kein Alien ist. Marsimoto ist ein Alien – aber nicht Marten.
Während es für viele Künstler wichtig ist, mit ihrer Musik die breite Masse zu unterhalten und zu berieseln, muss man sich mit deiner Musik auseinandersetzen.
„Renæssance“ nimmt einen beispielsweise mit auf eine lange, anspruchsvolle Reise. Wäre es dennoch für dich eine Option, für den Erfolg deinen Sound zumindest ein wenig an den Massengeschmack anzupassen?
Ja, es wäre zu 100 Prozent eine Option für mich, weil es darum geht, eine Message zu haben und sie zu verbreiten. Das ist mein einziges Ziel. Ich will die Menschen erreichen und berühren. Wenn ich hierfür meinen Sound ein wenig an die Masse anpasse und dabei die wahre Essenz, den Kern meiner Musik, die Message beibehalte oder sogar noch weiter ausbaue, wieso nicht? Was bringt es mir, wenn ich meine Aussagen musikalisch so schwer verpacke, dass sie nur ein ganz kleiner, winziger Bruchteil von rapliebenden Experten mitbekommt und zu schätzen weiß? Wozu? Was interessiert mich der Rap-Experte? Ich will doch die Kids von der Straße holen. Das ist ein Thema, mit dem ich mich nach dem Release meines Debüt-Albums sehr beschäftigt habe. Ich habe gesehen, dass das Album bei den Leuten gut ankommt, die Ahnung von der Materie haben. Ich habe das Album wie einen Brief losgeschickt und habe den Absender und den Empfänger so angegeben, dass dieser Brief – mein Album – von mir an mich und meinesgleichen ankommt. Das war aber ein großer Fehler. Eigentlich spreche ich ja in den Songs darüber, dass ich gerne den Kids helfen würde. Doch ich lüge mich damit selbst an, denn das Album ist so vielschichtig, dass nur ein Bruchteil der Kids da draußen es verstehen wird. Eigentlich bin ich ein Faker, wenn ich die Musik so schwierig verpacke, statt wirklich verständliche Musik für die Kids da draußen zu machen, aber dabei immer meinen Inhalt und meine Message beibehalte. Das ist die traurige Wahrheit mit Credibil und „Renæssance„, die ich mir selbst zur Aufgabe machen werde, um die Königsdisziplin zu meistern: Die Message so zu verpacken, dass sie jeder versteht. Nicht nur der Rap-Experte von nebenan.
Etwas künstlerisch Anspruchsvolles massentauglich zu verpacken ist die große Herausforderung. Also Massentauglichkeit, die im tiefen Kern die wahre Message und die eigentliche Grundintention des Künstlers widerspiegelt. Willst du diesen Weg auf deinem nächsten Album einschlagen?
Meine Platte hat es zum Album des Jahres auf iTunes geschafft und alle Kritiker haben sich auf meine Seite gestellt. Wenn ich jetzt noch mit meinen zukünftigen Alben die große Masse mitnehme, wird all das, was ich bisher geschaffen habe, einen viel größeren Wert bekommen. Die Leute werden darüber reden, dass der damalige 21 Jahre alte Junge ein Album gemacht hat, was die komplette Szene auf den Kopf gestellt hat. „Renæssance“ war die Basis, der Betonboden meines Hauses. Jetzt entscheidet sich, wie ich das nun ausbaue und wie erfolgreich ich damit bin. Aber alles was nun kommt, wird „Renæssance“ als Kunstwerk im Nachhinein nur noch größer machen. Dadurch wird es erst zu dem Klassiker – so wie ich es prophezeit habe. Ansonsten melde ich nächstes Jahr Privatinsolvenz an und die Leute haben mich übernächstes Jahr schon wieder vergessen. Darum geht es. Nehmen wir Mike Tyson als Beispiel. Wenn Tyson nur seinen ersten Titel als jüngster Box-Weltmeister aller Zeiten geholt und sich dann verabschiedet und seine Karriere an den Nagel gehängt hätte, würde heute niemand mehr über Mike Tyson reden – egal ob er den Rekord des jüngsten Boxweltmeisters aufgestellt hat. Erst seine Aufs und Abs, sein Knastaufenthalt, sein Tattoo im Gesicht, das Abbeißen des Ohres usw. machen ihn zur unvergesslichen, lebenden Legende. Sein Titelrekord war nur die Basis. Aber am Ende des Tages brechen wir es runter: Er ist der jüngste Schwergewichtsboxweltmeister, den wir jemals hatten. Credibil hat im Ergebnis das Album des Jahres gemacht, aber wen interessiert es, wenn ich jetzt Credibil nicht einen größeren Status verleihe, sodass die Leute dann wirklich auch sagen wollen: „Weißt du noch damals, als er DAS Album rausgebracht hat?“
Auf deinem ersten Album „Renæssance“ erhältst du gleich im Intro Vorschusslorbeeren von Kool Savas, der sichtlich beeindruckt von deinem Talent spricht.
Das hat er aber nicht für das Album gemacht, das waren vor meinen ersten Liveaufnahmen, als Savas mich auf die Bühne holte. Da gab es noch nicht mal „Deutsches Demotape“ oder „Molokopf“ oder sonst etwas. Bei „Renæssance“ ging es thematisch darum, dass ich von Savas, der mich ruft, auf die Bühne meines Lebens gestellt werde. Dann gibt es diesen Cut und ich beginne in meiner Kindheit bis zu dem Punkt, an dem mich Savas vorstellt. Und das ist am Ende meines normalen Lebens und der Anfang meiner Karriere.
Du hast mit dem Album ein Kammerspiel erschaffen, ein Kopfkino auf Albumlänge. Inhaltlich passiert alles auf vielen verschiedenen Ebenen und die vielen Metaphern, die du nutzt, sind bemerkenswert für dein Alter. So reflektiert und der eigenen Zeit voraus. Hierfür nochmal: Hut ab! Oliver Marquart schrieb bereits in seiner Kritik, dass dein Album bedrückend, ehrlich und tiefgründig ist und auch noch politisch, persönlich und philosophisch, aber ohne gleichzeitig aufdringlich oder selbstmitleidig zu sein. Du hast diese Gratwanderung geschafft, an der viele andere Rapper scheitern. Viele versuchen ein vermeintlich deepes Album zu machen, aber du hörst es dir an und oftmals driftet es ins Lächerliche ab, da man das Zeug dem Rapper nicht abnimmt …
Es hat keinen Mehrwert.
Genau. Doch da du den gerade beschriebenen Spagat mit Bravour gemeistert hast, möchte ich gerne wissen: Wo siehst du dich jetzt mit 22 in drei Jahren mit 25?
Das ist eine schwierige Frage. 25 ist nicht so weit entfernt. Es liegt in der mittelfristigen Zukunft.
Was würdest du mit 25 gerne machen, damit du glücklich bist. Was müsste sich dahingehend in deinem Leben ändern?
Stillstand bedeutet Tod. Man muss auf jeden Fall immer weitermachen. Dabei darf man sich nie mit dem Status quo zufriedengeben. Ich führe jetzt schon ein glückliches und erfülltes Leben. Es geht jetzt eigentlich nur noch um eine finanzielle Absicherung. Es geht um diesen finanziellen Sprung zwischen „Ich lebe jetzt davon, weil ich gerade noch so kann“ und „Ich lebe davon so gut, dass auch die Leute in meiner Umgebung was davon haben.“ Das wird mit 25, so Gott will, sein.
Auf dem Track „Toter Winkel„ sagst du: „Ich schreibe, weil ich muss, nur selten weil ich will.“ …
Credibil hat das gesagt. (grinst)
Dieser Satz besitzt eine enorme Aussagekraft. Wie meinst du das?
Ich hab ja extra darauf hingewiesen: Ein Großteil des Albums ist Philosophie. Ob nun Akt 1, Akt 2 oder die Akt-Apellas …
Aber was bedeutet dieser Satz konkret für dich, den jungen Mann Erol?
Dass Credibil eine sehr schwere Aufgabe und Verantwortung hat. Ich würde manchmal auf meinen Songs auch gerne mal nix sagen und keine tiefgreifende Message haben, aber das kann ich nicht. Ich würde auch gerne mal einen Song über etwas Belangloses machen, über das Chillen und Abhängen im Alltag, aber dass kann ich nicht mit Credibil machen. Credibil habe ich von Anfang an diese Bürde mitgegeben, dass er das ist, was er ist. Der Junge von der Straße, der von seinen Jungs erzählen muss. Ich habe ihm die Verantwortung gegeben. Credibil hat Verantwortung und deshalb muss er schreiben – über genau die Themen, über die er spricht.
Als ich die Zeile zum ersten Mal hörte, dachte ich zuallererst an eine Art der Selbsttherapie.
Scheiß auf mich, um mich geht’s da gar nicht. „Toter Winkel“ erzählt von Erol und Erol ist die Person hinter Credibil. Dieses Kartenhaus, was ich aufbaue, als Erol, ist Rap, aber Credibil sagt ja nicht: „Ich baue mir mein Kartenhaus.“ Credibil erzählt über eine zweite Person. „Ich schreibe weil ich muss, nur selten weil ich will.“ heißt für mich, dass diese Verantwortung, die Credibil hat, nicht immer so leicht ist. Es macht mir keinen Spaß, darüber zu schreiben und zu realisieren, wie schlecht es uns geht. Jede dieser Geschichten ist wahr bis auf eine. Eine ist erfunden so wie ihre Charaktere. Die anderen sind alle wahr. Ich musste eine Geschichte erfinden, damit ich im Zweifelsfall immer sagen kann, dass eine bestimmte Geschichte gelogen ist und nicht der Wahrheit entspricht. Quasi als Schutz für die Person, die nicht erwähnt werden möchte.
Wäre es für dich eine Option, unter einem anderen Namen ein anderes Rap-Projekt zu realisieren? Du meintest ja, dass es dir als Credibil nicht möglich ist, belanglose Entertainment-Tracks aufzunehmen – selbst wenn du dies wollen würdest. Da kann man als Beispiel Casper nennen, der unter dem Namen Gloomy Boyz ein Trap-Projekt veröffentlichte.
Ich weiß nicht, ob das für mich eine Option wäre. Ich glaube, dass ich das schon hinkriegen kann, aber ich will das nicht. Viel lieber würde ich Credibil auf die nächste Stufe heben. Ich würde dem Baby, welches ich eh schon kreiert habe, weiter Struktur verleihen, indem ich mehr wegnehme als dazuklatsche. Meine Jungs erzählen mir immer: „Bruder, wir können deine Musik nicht laut abspielen. Sie ist so persönlich und du erzählst von mir und von ihm und ihr. Ich will auch mal ein Lied im Auto anmachen können, ohne dass ich in meine tiefsten Gedanken gezogen werde.“ Ein weiteres Beispiel: Wir stehen besoffen draußen und ein guter Freund stellt mich jemandem vor und sagt: „Das ist Erol. Er ist Rapper und wirklich gut.“ Dann möchte er ihm ein Lied von mir auf seinem Handy zeigen. Kannst du dir vorstellen, dass er eine halbe Ewigkeit gebraucht hat, bis er ein Lied fand, welches man ihm zeigen konnte, was nicht zu persönlich ist?
Es gibt viele Arten von Rap, aber deine geht halt unter die Haut.
Ich habe versucht mit Credibil ein Schutzschild für Erol zu bauen. Glaubst du das hat geklappt? Nee, Digger! (lacht) Glaubst du es ist schön für Erol, dass Credibil so viel offenbart? Könntest du im Raum bleiben, wenn jeder über das kleinste Detail und deine Schwächen Bescheid weiß?
Alle wissen, was in deinem Kopf vorgeht, und du präsentierst dein Innerstes und das ist respektabel, aber wie gehen die anderen damit um?
Bei richtig schwierigen und persönlichen Sachen frage ich die Leute in meiner Umgebung, wie sie sie empfinden. Ich erzähle ja auch ihre Geschichten. Manchen ist das unangenehm und manch anderer fühlt sich hingegen geehrt, dass ich mich von ihm habe inspirieren lassen.
Schreibst du manchmal Lieder nur für dich?
Das ganze Album war für mich und ich hatte Glück, dass die Leute es mochten. Glaubst du ich habe das Lied „Augenblick“ für irgendjemand anderes geschrieben als für mich? Ich wollte den Song nicht mal rausbringen, geschweige denn ein Video machen. Aber genau diese ehrlichen Tracks werden am besten aufgenommen.
Kannst du dir vorstellen, mal aus Frankfurt wegzuziehen? Im WDR-Hörspiel „Real Talk„ erzählst du, wie sehr Frankfurt dich geprägt und inspiriert hat.
Nein, ich kann mir nicht vorstellen, hier weg zu ziehen. Ich bin hergezogen, als es uns nicht gut ging. Die Stadt hat mich aufgenommen. Seit ich 14 bin, lebe ich hier und ich habe so viel Schönes hier erlebt. Die einzige Möglichkeit, hier weg zu ziehen wäre, wenn meine Familie mitkommt. Meine Mutter müsste aufs Land wollen und dann müsste ich nachdenken, ob ich mitgehe oder nicht.
Würde ein Umzug dich in irgendeiner Art und Weise musikalisch verändern?
Auch wenn du Geld hast und aus dem Viertel ausgezogen bist (denn jeder, der im Dreck ist, will aus dem Dreck raus), darfst du nicht auf einmal über Champagne rappen, weil du die Aufgabe und die Pflicht denjenigen gegenüber hast, die dich hören und noch immer im Viertel wohnen, ihnen weiter solche Texte zu schreiben, die ihnen den Weg aus der Scheiße aufzeigen.
Da fällt mir lustigerweise 50 Cent ein, der einst als die große Straßenrap-Hoffnung New Yorks galt und irgendwann musikalisch in der Belanglosigkeit versank, als er gefühlt nur noch über Champagne und Party rappte. Mir kommt es so vor, als habe er im Zuge seines Ruhms vergessen, wer er eigentlich war und was er ursprünglich mit seiner Musik repräsentierte.
Genau! Warum hatte 50 Cent Erfolg und wieso sind die letzten Alben gefloppt? 50 Cent war der Bruder, der neun Mal angeschossen wurde und sich selbst davon nicht hat unterkriegen lassen. Er blieb am Ball und verkörperte sowohl Humor als auch Hoffnung, Stärke und Street Credibility. Das ist dann irgendwann zwischen Justin Timberlake und den dicken Autos verloren gegangen. Wenn er wirklich ein guter Geschäftsmann ist, dann wüsste er: Never change a winning team! Es würde mehr Sinn machen, der zu sein, der er mal war oder es für die zu tun, für die er seine Musik aufnahm.
Hast du dir das Singen eigentlich selbst beigebracht oder hattest du Gesangsunterricht?
Nee, ich hab’s mir selbst beigebracht. Wenn ich Unterricht genommen hätte, dann würde ich so singen, dass mir keiner nachsingen kann. Umso schlechter man singt, desto besser können andere mitsingen. Umso schlechter der Sänger, desto mehr Fans können mitsingen. Das ist doch simple Mathematik. (lacht)
Welche Bedeutung hat deine Gesichtstätowierung?
Es hat mehrere Bedeutungen und man kann auch schlicht sagen, dass ich es einfach nur schön finde. Das ist der wichtigste Aspekt, der vorhanden sein muss. Wenn es scheiße aussehen würde, würde ich es nicht hinmachen, egal was es bedeutet. Aber bei meinem Tattoo habe ich gedacht, dass ich genauso sehr zu den Leuten stehe, wie sie auch zu mir stehen. Das Tattoo ist das Familienwappen des Traumfænger-Labels. Ich zeige damit meinen Leuten und meinen Fans, dass ich zu 100 Prozent hinter der Sache stehe, indem ich mir den Traumfaænger ins Gesicht tätowierte. Es gibt keine stärkere Stelle als dort und mehr kann ich nicht tun. Leute, die mir folgen, sollen wissen, dass ich hundertprozentig da bin. Wir haben eine Überzeugung und ziehen das gemeinsam durch.
Wird es noch eine zweite Tour geben und können wir mit einem neuen Release rechnen?
Entweder das eine oder das andere, weil es immer mit Arbeit verbunden ist und ich nicht Dr. Manhattan bin, der sich mehrmals kopieren kann. Ich bin leider nur eine Person und ich würde gerne neue Musik machen. Wir haben da schon was in Planung, die nächste Stufe kommt. Ich bin angekommen und jetzt verfeinern wir die Musik für die Masse, aber der Kern bleibt gleich. Frag mich nicht, wann es erscheinen wird, ich habe keine Ahnung. Die Person, mit der ich arbeite, hat keinen Zeitdruck. Er ist in einer Position, dass er auf niemanden hören muss. Aber ich will noch nicht sagen, wer das ist.(grinst)
Ich danke dir für das Interview.