Interview mit Fatoni über „Yo, Picasso“

Interview: Skinny
Transkribierung: Norbert Haslam

Fatoni und Dexter veröffentlichten kürzlich ihr gemeinsames Album „Yo, Picasso“ . Produzent Dexter, der sich bis auf einen Part auf die Arbeit am Drumcomputer beschränkte, konnte leider nicht zugegen sein. Dennoch trafen wir MC und Kritikerliebling Fatoni auf ein Interview über das neue Album, über Ironie, Charakter, den Semmelweis-Reflex, Sarrazin, Dummheit und viele weitere interessante Themen.

Dexter und du stehen schon länger im Kontakt, er hat früher bereits Beats für dich produziert. Wieso kam es erst jetzt zum gemeinsamen Album?

Den Plan für ein gemeinsames Album hatten wir schon ganz lange. Schon damals, bei meinem ersten Solo-Album, wollten wir eine EP zusammen machen. Die Tracks, die wir gemeinsam gemacht haben, landeten aber auf dem Album und seit dem haben wir eigentlich gesagt, dass wir Mal eine Platte zusammen machen. Aber dann hab ich halt, genau wie er, andere Platten gemacht. Wir arbeiteten auch schon länger dran, zwar nicht seitdem, aber auch schon seit drei Jahren. Natürlich nicht durchgängig, schließlich haben wir auch andere Platten in dem Zeitraum gemacht.

Wie hat sich die Zusammenarbeit gestaltet? Ihr wohnt ja relativ weit von einander entfernt.

Ich war öfters in Stuttgart, aber die Arbeit verlief schon über das Internet. Er hat Beats geschickt, ich hab dann Beats gepickt. Ich hab angefangen aufzunehmen und ihm Skizzen geschickt, er hat dann damit weitergearbeitet und mir die dann zurück geschickt, ich hab dran weiter gearbeitet und die dann zurückgeschickt.

Also habt ihr euch einfach ein wenig aufeinander eingelassen und nicht im Studio zusammen aufgenommen?

Doch schon, ich war ja öfter in Stuttgart. Manchmal einfach, um auch die richtigen Beats zu bekommen, weil ich sonst einfach nur eine Vorauswahl geschickt bekommen habe. Am Ende haben wir auch nochmal das ganze Album durch arrangiert.

Ein häufig von dir oft verwendetes Element ist, dass du dich wie bei „32 Grad“ in die Perspektive von fiktiven Personen versetzt, um deren Standpunkt oder Lebensstil zu kritiseren, ohne aber zu versuchen, deren Standpunkt nachzuvollziehen. Wieso ist das eine so gängige Praxis in deinen Texten?

Ich bin ja nicht der einzige der dieses Element benutzt, es ist einfach ein Mittel, das ich als Konsument gut finde. Ironie funktioniert so, dass man etwas sagt, aber das Gegenteil meint. Es ist für mich zumindest total schwierig und oft auch unmöglich, ohne einen Kunstgriff zu sagen, dass ich das und das scheiße finde. Wenn man ein anderes Mittel finden kann, ohne es direkt zu sagen, interessiert es mich halt irgendwie mehr.

Du arbeitest dabei auch viel mit Vereinfachungen – die Kritik findet auf einer Art Metaebene statt. Zielst du dadurch, dass du deine Kritik darauf herunterbrichst, auf ein schlechtes Gewissen beim Hörer ab?

Eigentlich nicht, ehrlich gesagt. Das wäre mir auch zu billig. Es ist auch nicht so, dass ich den Song schreibe und schon weiß, dass ich genau dieses Gefühl bei den Leuten hervorrufen und sagen will, dass das diese eine Botschaft ist. Es ist halt schwierig, wenn man das in Interviews sagen muss. Ich finde das viel interessanter, wenn die Leute das hören und selbst eine eigene Interpretation davon haben, was die Message ist. Ich will nicht sagen, dass genau dies oder jenes die Message ist. Es gibt nicht die Aussage, dass der Urlauber da böse ist. Mein Grundgedanke war ein ganz anderer. Ganz oft sind solche Songs eher nochmal insgesamt eine große Metapher. Das klingt jetzt wahrscheinlich sehr geschwollen. Also, es geht mir nicht um den Urlauber, der auf der Insel Lesbos oder Lampedusa Urlaub macht, der ist eigentlich auch nur eine Metapher für das Weggucken. Oh, jetzt hab ich ja doch versucht, es zu erklären. Ob man das versteht weiß ich halt nicht, das ist dann die Frage. Aber wenn sowas macht, muss man damit leben, dass man nicht verstanden wird.

Wie du sagst, du lässt es dem Hörer offen, es zu interpretieren. Ich als Hörer habe bei „Mike“ keinen doppelten Boden gesehen. Liegt es an mir oder ist das wirklich nur eine Laudatio an Mike Skinner?

Nein, gar nicht. Es geht für mich gar nicht um Mike Skinner. Klar geht es auch um ihn, aber es ist eigentlich unwichtig, dass er die Person ist, die ich gewählt habe, um den Song zu schreiben. Ich glaube, das hat bisher keiner verstanden, außer wenn ich mit Leuten drüber rede. Und das ist irgendwie schade, dass man das erklären muss. Aber wie gesagt, man kann nicht erwarten, dass alle das so verstehen wie man das meint. Vielleicht ist es auch scheißegal. Mit dem Song meine ich eigentlich, dass man gerne jemand anders wäre. Ich weiß nicht, ob du das auch kennst, wenn du Fan von jemanden bist, das hörst oder siehst und dir so denkst „Fuck, ist eigentlich egal was ich mache, ich werd niemals in meinem ganzen Leben niemals so ein krasser Musiker und Rapper!“ Zum Beispiel Kendrick Lamar, geht ja auch gar nicht, er ist der beste Rapper der Welt – jetzt im Moment, sag ich einfach mal. Oder früher Eminem oder was weiß ich. Man kann auch einen coolen Untergrund-Künstler nehmen, aber mir fällt jetzt kein funktionierendes Beispiel ein. Das gibt es halt ganz oft, auch bei Deutschen. Es geht gar nicht um Rap, es geht um dieses Gefühl.

Also Mike Skinner ist komplett austauschbar?

Eigentlich schon ja, aber ich fand das cool, das mit ihm zu machen, weil er halt nicht so naheliegend ist wie Eminem zum Beispiel. Das wär halt voll dumm, so einen Song mit Eminem zu machen.

Ich habe auch gerätselt, weil Mike Skinner ein bisschen der Normalo zu sein scheint und ich den Song eher versucht habe, darauf zu beziehen. 

Wahrscheinlich steckt da zu wenig hinter. Jemand anderes hat mich in einem Interview gefragt, ob ich damit sagen will, dass ich ein Normalo sein möchte, weil das Image von Mike Skinner ist der Normale zu sein.

Wobei du dich ja durchaus auch als Normalo inszinierst.

Das finde ich nicht, zumindest nicht als der normale Deutsche in der Gesellschaft. Das ist Weekends Image. Das ist doch nicht mein Image, mein Image ist doch nicht „Hey lass mal Fußball spielen gehen“ .

Auf „Authitenzität“ sagst du, dass du du selbst sein möchtest, aber gleichzeitig zieht sich, insbesondere in der ersten Hälfte, viel entwaffnende Selbstironie durch „Yo, Picasso“ . Versteckt dein echter Charakter sich nicht auch hinter dieser Ironie?

Ich finde das das irgendwie ein Missverständnis ist. Viele Leute sagen das, also nicht nur zu mir. Es heißt ja, Ironie sei halt der leichteste Weg und das man sich dahinter verstecken kann. Ich finde das aber eigentlich nicht. Ironie ist auch nur ein Mittel und Handwerk. Das kann nicht jeder. Klar, nicht jeder kann alles, aber ganz oft denk ich mir, dass es nicht der leichteste Weg ist. Ganz viele Leute beherrschen das halt nicht. Und es gibt oft Beispiele dafür, dass das nicht jeder kann, weil viele Leute dieses Mittel unangenehm schlecht versuchen einzusetzen.

Ich meine auch eher, dass dein persönlicher Charakter weniger zum Vorschein kommt, wenn du dich durch diese Ironie abgrenzt. Kann man in Verbindung mit Ironie überhaupt man selbst sein?

Ja, wahrscheinlich ist mein eigener, persönlicher Charakter nicht spannend genug ,um das hier eins zu eins zu präsentieren. Das würde mich, glaube ich, auch nicht interessieren. Vielleicht kommt es ja noch, keine Ahnung.

Also doch ein normaler Typ?

Ja klar, dahinter ist ja jeder ein normaler oder vielleicht auch ein verrückter Typ, aber das finde ich einfach uninteressant. Übrigens, ich hatte vor Jahren mal ein Interview mit Oliver Marquart, das wurde so abgetippt, dass jedes „Äääh“ drin war – das war unlesbar. Das machst du nicht oder?

Ich baue sogar noch mehr ein! Nein, natürlich nicht, aber eigentlich macht Oliver das auch nicht – wobei das mal ein Experiment wert wäre.

Das war richtig unerträglich zu lesen.

[Kommentar von Oliver Marquart: Eine faustdicke Lüge von Fatoni, wie hier jeder nachlesen kann. Er kann froh sein, dass das Album so gut geworden ist, dass ein Verriss als Rache leider ausscheidet]

Zurück zum Thema: Der Song „Semmelweisreflex“ befasst sich mit dem Unwillen der Wissenschaft, neue Theorien zu akzeptieren. Ein zweischneidiges Schwer, oder?

Ich denke halt auch nicht, dass ich selbst nicht Teil dieser dummen Menschheit bin. Das ist aber auch sehr schwierig. Das ist halt so ein Zeitgeist-Ding. Es ist schwierig, weil die Menschen offensichtlich so einen Reflex haben. Es ist aber auch schwierig, weil diese Spinner und Verschwörungstheoretiker mit diesem Semmelweisreflex argumentieren können. Aber klar, ich nehme das schon wahr, weil das auch so ist, dass neue Gesellschaftsformen auf Ablehnung stoßen. Bei neuen Ideen für Gesellschaften tut man immer als Spinnerei ab, obwohl zum Beispiel unsere Gesellschaft auch erst seit 50 oder 60 Jahren in der Form funktioniert. Diesen Kapitalismus tut der Großteil der Gesellschaft mit „Kommunismus hat ja noch nie funktioniert“ ab. Auch, wenn es eigentlich um ganze andere Dinge geht. Sowas nimmt man durchaus wahr. Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass ich der Semmelweis bin.

Das dachte ich mir auch: Bei Verschwörungstheoretikern funktioniert das tatsächlich als valides Argument.

Ist halt schwierig, jeder kann damit argumentieren. Vielleicht sollte man einfach offen sein und dann wirklich erst eine Meinung fällen. Ist auch ein besserer Weg, als einfach zu sagen, dass das alles nicht sein kann. Das ist aber auch schwierig, wenn jemand an Echsenmenschen glaubt und dann mit dem Semmelweisreflex argumentiert – dem will ich doch gar nicht erst zuhören.

Wieso der zweite Part über Clark?

Weil ich voll lange überlegt habe, was ich als zweiten Part nehmen kann. Dann hab ich einen Typen gesucht, bei dem es ähnlich wie beim Semmelweis war, aber alle waren langweilig. Das war auch die einzige Situation, in der Dexter Einfluss auf den Text hatte. Er meinte „Ey, such mal jemanden, bei dem es andersherum war“ und das fand ich halt voll geil. Dann habe, ich gesucht und das fand ich dann voll lustig. Semmelweis ist halt so tragisch lustig und der Typ ist auch tragisch lustig, aber halt noch viel lustiger, weil das einfach so eine scheiße war, was der erzählt hat.

So Sarrazin-Style auch irgendwie.

Ah, krass, den Bogen hab ich nie gezogen. Ich habe es nicht gelesen und weiß auch ehrlich gesagt nicht, ob der so krass lustige Sachen sagt. Aber spannend.

Der hat auf jeden Fall sehr viel über genetische Prädisposition, abstammungsbedingte Intelligenz und so Zeugs geschrieben.

Wirklich? Ich hab das Thema ganz ehrlich ein bisschen verdrängt. Ich kenne bloß eine These von ihm, aber das ist auch gefährliches Halbwissen. Aber was ich lustig an Sarrazin finde, ist dass er den Bestseller „Der neue Tugendterror: Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“ rausgebracht hat. Das ist so geil, wenn Leute wie Sarrazin immer sagen „Das Ende der Meinungsfreiheit“ und „Das darf man doch nicht mehr in Deutschland sagen“ – dann aber damit meinen, dass sie auf Kritik stoßen. Voll das absurde Phänomen: Immer sind irgendwelche Nazis am Start und meinen, sie wollen irgendwas sagen, weil Meinungsfreiheit herrscht – aber die anderen sollen dann die Fresse halten. So simpel und das zeigt die Dummheit der Menschen.

Hab ich noch nie darüber nachgedacht, aber du hast vollkommen recht.

(kommt richtig in Fahrt) Aber es ist dennoch so simpel. Und die sagen „Ja, das darf man nicht mehr sagen“ . Doch! Du darfst sagen, was du willst, aber dann dürfen wir auch sagen, was wir wollen, du Vollidiot! „Tugendterror“ ist auch ein geiles Wort.

Ist auf jeden Fall eine starke Alliteration. Sarrazin hat offenbar das MC-Gen. Aber diese Doppelmoral, die du gerade angesprochen hast, ist doch sowieso Thema bei dir, oder? Vielleicht nicht auf dem neuen Album, aber auf deinen EPs hat man immer ein bisschen rausgehört, dass dir das mächtig gegen den Strich geht.

Es ist halt dumm, wenn es so offensichtlich ist und die Mehrheit der Menschheit nicht sieht, wie offensichtlich dämlich das ist. Mir fällt jetzt leider kein anderes Beispiel ein, aber ja, ich mag sowieso Aussagen, die sich in sich widersprechen. Es ist eigentlich was anderes, viel mehr so ein sprachliches Ding. Das ist jetzt keine Doppelmoral aber ein Beispiel „Ich gönn dir deine Missgunst nicht“ .

Du meinst ein sogenanntes Oxymoron?

Ja, ich denke schon, ich bin mir aber auch nicht sicher. Jedenfalls mag ich das sehr gerne. Es ist auf dem Album das ein oder andere mal drauf. Oder diese eine Line von mir „Wollt ihr mal richtig rebellieren, lasst euch nicht tätowieren“ . Es ist einfach was anderes, ich mag das, dass Dinge eine andere Bedeutung haben, als die Leute eigentlich denken. Ich hab jetzt nichts gegen Tattoos, ich finde die auch voll geil, aber es ist einfach ein lustiges Phänomen, wenn das jede Cindy mit 18 als Rebellionsakt macht, aber mehr Leute tätowiert sind, als andersherum.

Wo wir grad bei dieser Sinnverdrehung waren – das machst du ja auch deutlich häufiger als andere Rapper. Du fällst aber auch mit einer präzisen Wortwahl und durch kluge Satzkonstruktionen auf. Die Formulierungen sind einfach on point. Ist das etwas, was dir leicht von der Hand geht?

Manchmal vielleicht, aber ich hab schon lange für die Texte gebraucht. Ich würde gerne behaupten das es nicht so ist, aber es ist so. Ich rotz eigentlich nie eine Strophe runter, die dann sofort genial ist.

Trotzdem klingt es locker.

Muss es auch sonst wäre es ja scheiße. Wahrscheinlich sollte ich eher behaupten, dass ich das locker mache. Dann komme ich geiler rüber.

Dann danke ich dir für das Gespräch.