Der einzige Deutschlandauftritt der Crew im Berliner Cassiopeia war deshalb auch schon Stunden nach Bekanntgabe des Konzerttermins ausverkauft und ein Interviewtermin mit Tyler rückte in immer weitere Ferne. Aus diesem Grund haben wir dann auch drei Mitarbeiter von uns losgeschickt, die sich dem Phänomen OFWGKTA auf ganz unterschiedliche Art und Weise genähert haben. So betrachtet unser Korrespondent OM das Auftauchen und die Verarbeitung des Hip Hop Kollektivs in der nationalen und internationalen Presse und stellt sich die berechtigte Frage, ob der Hype tatsächlich so willkürlich, planlos und anarchistisch ist, wie er sich präsentiert.
Unser Kolumnist und Lieblingskritiker Kyle Rixton dagegen beschäftigt sich ausschließlich wieder einmal mit sich selbst, liefert dadurch aber wiederum interessante Rückschlüsse auf den Umgang von abgehangenen 40-jährigen mit einem jugendlichen Hype.
Und schließlich Andreea, die es mit der Kamera ihres Handys tatsächlich bis in den Backstage geschafft hat und entscheidende zwei Fragen zum Thema Marketing loswerden konnte, wenn auch die Antworten darauf etwas nebulös ausfielen. Mit anderen Worten, ein Interview in dem Sinn, war nicht wirklich möglich, aber hey: Wir waren da! Alle Fotos sind von Jan Wehn, dem wir an dieser Stelle recht herzlich danken.
Diese Typen sind irgendwie komisch – von OM
Haben so komische Namen wie Earl Sweatshirt, Hodgy Beats, Left Brain oder Tyler, the Creator, machen aber den geilsten Rap, den es zwischen L.A. (wo sie herkommen) und New York, Atlanta und Houston, kurz, auf der gesamten wirklich relevanten Rap-Welt zur Zeit gibt.
Sie rappen nicht über die üblichen Topics wie Luxus-Sportwagen, vom Chefarzt persönlich gemixte Designerdrogen-Cocktails und millionenteuren, hemmungslosen Modelchicks, Dingen also, die sich der durchschnittliche Hörer sowieso niemals leisten können wird sondern stattdessen über Masturbation, Schwule, Polizisten, dreckige Schlampen und rohe Gewalt gegen dreckige Schlampen, Schwule und Polizisten und gegen Alles und Jeden. Sie rappen also über alles, was der durchschnittliche Hörer vielleicht auch kennt oder sich in seinen Tagträumen ständig vorstellt.
Mit altersmilden Enddreißigern, die in wohlfeilen Reimen gemütlich über Haute Couture und anderen bürgerlichen Dreck rappen oder mit Autotune-Hilfe "singen“, haben sie nichts zu tun. Ihre Musik ist dreckig, ehrlich, direkt, fies und schlägt immer nur dahin, wo es wehtut. Wut, Ärger, Frust, Trauer, Einsamkeit, Isolation, Entfremdung, fehlende Anerkennung – alle Probleme, die der Spätkapitalismus nordamerikanischer Prägung so mit sich bringt, kommen bei ihnen auf den Tisch. Einen Ausweg aus der Misere kennen sie auch nicht, deshalb wird eben auf Schlampen geschimpft, werden im Vorübergehen Schwule beleidigt und wird hier und da auch schon mal der Selbstmord als letzter Ausweg in Betracht gezogen.
Das alles aber nie mit dem Geifer und der falschen Überzeugung echter rechtskonservativer Schwulen -und Frauenhasser, sondern mit einem Lächeln, einem schiefen Grinsen, einem gelegentlich ins Zynische abdriftenden, sarkastischen Augenzwinkern, das besagt: Klar ist die Welt brutal, verrückt und ganz bestimmt nicht fair, aber erstens haben wir das nicht zu verantworten und zweitens genießen wir unser Leben verdammt noch mal trotzdem. Gerade, weil wir unseren Schmerz, unseren Frust, unseren Hass und ja, unsere Angst in unserer Musik rauslassen.
In den drei Jahren, die zwischen dem ersten Tape und Tylers zweitem Solorelease vergangenen sind, ist nämlich jede Menge passiert. Aus dem unübersichtlichen Haufen von Rappern, Produzenten, DJs, Skatern, Fotografen, Videokünstlern und einfach nur Homies ist ein ernstzunehmender Faktor im HipHop geworden. Spätestens mit dem "Yonkers"-Video war der Breaking Point erreicht. Wer nicht mitbekommen hat, wie Tyler in schlichten Schwarz-Weiß-Bildern eine Kakerlake über seine Hand laufen lässt, sie sich in den Mund steckt, anschließend zum blutspuckenden Zombie mutiert und sich schließlich selbst erhängt, hat von Rap 2011 einfach mal keine Ahnung. Odd Future verkörpern die glaubwürdige Alternative zum weichgespülten, lahmgewordenen Mainstream-Rap und sind zugleich so etwas wie die dunkle, brutale Ergänzung zu Lil Bs lebensbejahender, ultrapositiver "Based God"-Lehre, die das Game derweil von der anderen Seite fickt. Dialektik at its best.
Gut, vermutlich ist dieser Faux pas ohnehin lediglich der Tatsache geschuldet, dass der durchschnittlliche SPON-Leser den Namen Eminem wenigstens schon mal gehört oder gelesen hat. Trotzdem ergibt, wenn überhaupt, höchstens ein Vergleich mit den rüpelhaften Niggaz With Attitude (N.W.A.) Sinn, wie der recht gute Artikel auf Zeit Online feststellt. Bei der alten, längst nicht mehr guten Source wiederum bemüht man tatsächlich denselben ausgelutschten Eminem-Vergleich, garniert das Ganze allerdings dann auch noch mit der beinahe noch absurderen Behauptung, Tylers Beats erinnerten an, genau, die Neptunes. Äh, klar doch.
Andernorts hält man sich nicht lange mit Einordnungen und Reflektionen auf, sondern handelt. Christian Clancy war früher bei Interscope, sein erstes Projekt oder auch Produkt, wie man in solchen Häusern sagt, war die "Marshall Mathers LP" eines gewissen Slim Shady. Mittlerweile ist er der Strippenzieher bei XL Recordings. Ihm kam die Aufgabe zu, ein wenig Ordnung in das kreative Chaos, das sich seinen Augen da darbot, zu bringen.
Odd Future haben also seiner Motivation neuen Schwung gegeben – mittlerweile ist er ihr Manager und er prophezeit ihnen eine große Zukunft, meint aber auch, selbst ausbleibender Erfolg sei kein allzugroßes Problem für die Jungs – weil es darum einfach nicht gehen würde.
Was ja wiederum meist die beste Voraussetzung dafür ist, dauerhaften Erfolg zu haben: Dass es darum einfach nich geht. Oder wenigstens nicht nur.
Auf die Frage nach Christian Clancys Rolle im Gefüge des OFWGKTA-Universums, anwtwortete Tyler allerdings nur, dass sich dessen Aufgabe darauf beschränken würde, die Crew vor der Polizei zu beschützen. Auf die Frage nach Steve Fox, der anscheinend alle Grafiken der Gang macht, erhielten wir als einzige Antwort eine Flasche Champagner in einem Sektkübel. Seht selbst: