Hammer Und Zirkel & ihren Müttern

Rap mit Ironiefaktor hat Konjunktur. Wer hätte das vor drei oder vier Jahren noch  gedacht, doch der Überdruss an schwarzweiß gefilmten Hochhaussiedlungen bescherte einer neuen Art von MCs einen gewissen Erfolg.
Zwar stammen Hammer und Zirkel auch aus einer Hochhaussiedlung und in ihrem Hauptberuf als Erzieher treffen sie mit Sicherheit Menschen, bei denen nicht nur die Videos schwarz weiß sind – trotzdem hat sich das Duo, das mittlerweile auf ein Trio angewachsen ist, den Spaß nicht nehmen lassen. Liegt vielleicht auch an der Erziehung, weswegen wir dann auch noch mit den Müttern der drei gesprochen haben. Sind ja schließlich auch auf dem Cover der neuen CD zu finden, die da heißt: "Wir sind Freunde und darum machen wir Musik".

rap.de
: Würdet Ihr sagen, dass das neue Album tatsächlich ernsthafter ist, weil auch der Dritte im Bunde dazukam? Zumindest haben eure Mütter das in einem Skit auf dem Album behauptet.

Hammer: Ernsthafter nicht unbedingt und erst Recht nicht weil Henrik dabei ist aber reifer. Reifer und wohl durchdachter.

Zirkel: … und halt nicht mehr so klamaukmäßig. Also nicht mehr so ein ganz plumper, billiger Humor. Viel ist dann halt erst lustig, zum Beispiel bei dem Song "Zurückgeblieben“, wenn man bis zum Schluss wartet.

rap.de: Habt Ihr bei diesen Songs eigentlich an die Pointe gedacht, als ihr sie geschrieben habt, oder eher doch an das, woran man eigentlich denkt, wenn man den Song hört?

Zirkel: Woran denkt man denn zuerst?

rap.de: Du denkst natürlich instinktiv an einen Typen, der eine Behinderung hat oder der wirklich ausgeschlossen ist, ausgegrenzt. Das wird ja auch relativ bildhaft dargestellt, dieser Schmerz, nie dabei sein zu dürfen. Daran hast Du ja beim schreiben schon auch gedacht, oder?

Hammer: Ja natürlich, aber ich habe auch an die Pointe gedacht. Ich wusste ja, dass ich am Ende den Song auflösen wollte, aber im Laufe des Songs das so gestalten, dass Leute möglichst viel reininterpretieren können.

Zirkel: Aber um nochmal auf die Ursprungsfrage zurückzukommen. Beim ersten Album war’s so, dass eher 25 % ernsthafte Themen waren und der Rest lustig. Jetzt ist es 50/50 oder 60/40. Das heißt beim dritten Album sind wir dann wahrscheinlich bei 80% traurig und 20% lustig.

 
Wir wollten es ja schon immer mal machen. Die große Serie: Rapper und ihre Mütter. Diesmal hat es sich aber angeboten, da die Damen ja tatsächlich auch auf dem Cover der neuen Hammer und Zirkel CD zu sehen sind. Aus diesem Grund nun also tatsächlich das Interview mit Frau Hammer, Frau Zirkel und Frau Und. 

rap.de: Wir haben während des Gesprächs mit ihren Söhnen über das Thema „Hip Hop Lebensgefühl“ gesprochen. Können Sie das nachvollziehen, dieses Hip Hop Lebensgefühl?

Frau Hammer
: Kommt drauf an was gemeint war, damit. Es gibt ja viele Musikrichtungen, und jedes Leben ist irgendwo geprägt von Musik.
Hip Hop ist natürlich so eine Richtung, die teilweise ganz schön nervig sein kann. Muss ich ganz ehrlich sagen.

(Allgemeines Gelächter)

Frau Und: also wir waren ja auf der Graffitibox Jam und da war einer, der hat die ganze Zeit gerappt, dass er dicke Eier hat. Wenn ich nach ner halben Stunde immer noch höre: "Ich habe dicke Eier“, dann denke ich mir: Der hat ein Problem!

rap.de: Würden Sie behaupten, dass ein Großteil der Hip Hopper dumm ist?

Frau Hammer: Überhaupt nicht! (Gelächter)

rap.de: Gab es Fälle, bei denen sie den Kopf geschüttelt haben über die Texte Ihrer Söhne?

Frau Hammer: Also, ich hatte damit schon meine Probleme, aber ich hab’s ja nicht gemacht.
Ich hab Verständnis dafür. Oder sagen wir mal, ich versuche dafür Verständnis aufzubringen. Ich bin mit Hip Hop nur über meinen Sohn in Kontakt gekommen, aber diese Fäkalsprache, die ist erst mal völlig Tabu für mich. Da hatte ich lange Probleme mit, und die habe ich auch immer noch.

rap.de: Wie haben Sie denn darauf reagiert?

Frau Hammer: Mein Mann und ich haben uns erst mal eine Weile angeguckt und haben uns überlegt "Warum muss das sein?“ Haben wir irgendetwas falsch gemacht?
Irgendwie hat er es uns bestimmt erklärt, war aber wohl nicht sehr einleuchtend, denn ich hab’ es vergessen. (Frau Hammer lacht) Man gewöhnt sich schlecht dran. Zum Glück ist das zweite Album viel besser geworden als das Erste. (Gelächter)

 
rap.de: Das wäre ja auch schade. Mir scheint es allerdings so, dass Ihr als Ganzes eure Rolle gefunden habt, in dieser Rapwelt. Beim ersten Album habt Ihr noch experimentiert und jetzt wird das mit einer gewissen Selbstsicherheit gemacht. Ist dieser Eindruck richtig?

Zirkel: Ja. Das erste Album war halt noch eine Spielwiese für uns, weil wir ja auch überhaupt nicht wussten, was uns erwartet.
Natürlich hatten wir damals auch einen gewissen Zuspruch von Joe Rilla oder unserem Umfeld, aber bei dem jetzigen Album war es halt schon ganz klar so, dass wir uns als Band, als Gruppe hingesetzt haben und schon einen ganz bestimmten Fokus hatten, den wir auch verfolgt haben.

rap.de: Wo wolltet Ihr hin?

Hammer: Da wir nach dem ersten Album so ein bisschen als die Fetten, die immer essen und nur lustig sind abgestempelt wurden, wollten wir mit dem Album so ein bisschen zeigen, dass wir auch mehr können als essen und Glatze tragen. Wir wollten die Zeit auch unbedingt nutzen, um unser Potential voll auszuschöpfen.


rap.de: Viele Rapper in dieser Situation verfallen dann in alte Muster und setzen auf Battletracks und Technik-Rap-Tracks. Wir wissen ja, dass Ihr ganz früher auch solche Tracks gemacht habt.

Hammer: Also auf dem ersten Album haben wir ja noch wesentlich mehr harte-Ansagen-Tracks, aber da kann ich ganz abgegriffen sagen: Das Umfeld prägt einen. Ich war damals auch ganz stark auf dem Snaga & Pillath Film und das hat mich natürlich alles auch beeinflusst.
Aber das waren dann eher selten die Tracks, die die Leute wirklich gefeiert haben oder wo sie gesagt haben: "Das ist Hammer Und Zirkel“ und ich hatte irgendwann auch nicht mehr das Bedürfnis zu sagen, ich komm mit den dicken Eiern um die Ecke, hab einen dicken Schwanz und hab jetzt auch ein Messer noch irgendwo zu stecken. Der Anspruch wuchs und wächst.

rap.de: Ist das ein künstlerischeres Gefühl als früher?

Hammer: Bei mir voll. So bescheuert wie es klingt. Ich komme mir immer noch ein bisschen blöd vor, wenn ich das sage. Wir sind ja jetzt auch nicht am Zenith angekommen und sprechen von einem Künstlerdasein, aber ich glaub je mehr man sich Gedanken über die Musik macht und je mehr man da auch selber Energie rein steckt, umso mehr entfernt man sich dem normalen "wir-gehen-jetzt-mal-nur-arbeiten"-Leben.
Man denkt über sich selbst nach, man denkt über Zwischenmenschliches viel nach. Man denkt darüber nach, wie man die Themen umsetzt. Wie setzt man es so um,  dass es den Hörer irgendwie entertaint.
Das sind Gedankengänge, die man hat, wenn man wertvolle Musik machen möchte. Und wenn man wertvolle Musik macht, ist man mehr Künstler, also sind wir jetzt halt auch mehr Künstler als damals.

rap.de: Ihr geht ja bekanntlich den Weg genau anders herum. Während der 08/15 Rapper sagt, dass er jetzt nur noch Musik machen will und in Wirklichkeit nur noch kifft und nichts zustande bringt, geht Ihr arbeiten und beschäftigt Euch die ganze Zeit mit Eurer Kunst. Seht Ihr das auch so?

Zirkel: Wir wissen einfach, dass man von Hip Hop kaum leben kann und dass dieses Musikding in gewissen Maße immer eine Illusion und ein Traum bleibt. Man kann gerne versuchen, den zu erreichen und den zu leben. Wir sind uns aber einfach bewusst, dass wir unsere Basis und das ist unser Job, nutzen müssen um halt auch diese Musik zu machen. So funktioniert das und eben nicht andersrum.
Wir sind grade auch wirklich häufig am Überlegen, wie wir das jetzt machen sollen? Langsam ist der Punkt erreicht, wo man sich fragt, wie man das alles schaffen soll? 40 Stunden Job, plus Musik, wenn man dann auch noch die ganze, in Anführungsstrichen, "Labelarbeit“ macht.
Aber das ist dann der Punkt, wo wir uns jedes Mal sagen: Wenn wir nicht arbeiten gehen würden, könnten wir dieses Album nicht machen.
Also deswegen bleibt uns eigentlich gar nichts anderes übrig, als das so zu sehen.

rap.de: Aber Ihr habt mehr Erfolg als manche anderen, die sich nur darauf versteifen.

Hammer: Ja, weil die Hip Hop Szene mittlerweile begriffen hat, dass Hip Hop nich so funktioniert, dass du sagen kannst: Ich bin deutscher Hip Hop und jetz geh ich durch die Decke. Wenn du nicht einzigartig bist oder nicht was eigenes hast, dann wirst du auch nicht unterstützt.
Mittlerweile ist es aber auch noch so, du musst einzigartig sein und arbeiten und wenn du dir aus diesem Fleiß heraus auch noch eine gewisse Fanbase erarbeitet hast, erst dann wird dir auch die Hand gereicht in Form von größeren Labels, die dich dann auch mit Geld unterstützen.
In der heutigen Zeit brauchst du dafür aber Eigenkapital und von Hartz 4 und "yo, ich hab jetzt auch die Straße verinnerlicht“ wird man halt nicht unbedingt erfolgreich.
 

 
 
rap.de: Inwieweit haben sie sich denn eigentlich ernsthaft gefragt, ob sie etwas falsch gemacht haben?

Frau Hammer: Eigentlich haben wir uns das früher gefragt, bevor er selbst Musik gemacht hat. Seine Idole. Als 50 Cent neu war zum Beispiel. Man weiß ja auch, was der für Texte hat und das hat mir dann schon zu denken gegeben. Diese Videos, die da ständig liefen, die auch sexistisch sind. Jetzt ist ja MTV nicht mehr interessant, aber damals liefen ja ständig diese Videos und die haben mich abgestoßen.

rap.de: Haben Sie eine feministische Grundhaltung?


Frau Hammer
: Nee, aber man spürt schon, wenn so ein Video frauenfeindlich ist, auch wenn man nicht Feministin ist. Wenn eine Frau nur so zum darstellenden, hopsenden Objekt gemacht wird, dann ist das schon ziemlich degradierend für Frauen.
Da hatte ich mir wirklich Sorgen gemacht, ob das eventuell zu einer Grundeinstellung von ihm werden könnte, gegenüber Frauen. Das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet, aber das sind so die Gedanken, die eine Mutter hat, wenn ein 15 oder 16-jähriger sich so was anguckt.


rap.de: Es gibt ja oft das Argument alle Frauen sind so, außer meine Mutter. Was halten sie davon?

(Großes Gelächter)

Frau Hammer: Na das ist ja total unglaubwürdig. Wer dem folgen kann, bittesehr, aber ich finde, wer seine Mutter achtet, muss auch die anderen achten.
Aber vielleicht habe ich Hip Hop auch einfach zu ernst genommen. Vielleicht muss man manche Sachen einfach nur abhaken.

rap.de: Frau Zirkel, wie haben sie denn darauf reagiert, dass ihr Sohn so tief in die Materie einsteigt?

Frau Zirkel: Also ich denke, ich habe schon versucht, das ein bisschen zu kontrollieren. Er war ja sehr offen und ich habe mir ja auch vieles anhören dürfen. Dann habe ich schon gesagt, ok, diesen Wortschatz finde ich nicht so gut und ich denke schon, dass sie dann ein bisschen drüber nachgedacht haben.
Ich denke, dass sich bis heute und auch mit der neuen CD sehr, sehr vieles zum Positiven verändert hat.

rap.de: Durch Sie?

Frau Zirkel: Ne, ne, ne, ne, nee. Das haben sie von alleine gemacht. 

 
rap.de: Überrascht euch der Erfolg eurer Lustigkeit? Oder nennen wir es Anerkennung.

Zirkel: Es war halt ein schöner Kontrast für die Leute, die von dem anderen Zeug ein bisschen gesättigt waren.
Wir haben einfach einhundertprozentig zu uns gefunden. Einfach wie wir als Menschen sind und wir müssen jetzt nicht in irgendeine Rolle schlüpfen.

Hammer: Ich glaube überrascht war ich das letzte mal wirklich ganz am Anfang, als wir damals Rilla gefragt haben, ob er unser Mixtape mastern könnte. Das fanden wir für unsere Verhältnisse ja fast schon dreist, dass wir so eine Szenegröße überhaupt anquatschen. Und dann hat diese Szenegröße auch noch gesagt: "Ach ihr seid ja krass, macht doch lieber ein Album. Ihr habt voll Entertainmentpotenzial. Euch muss man nur auf ne Couch setzen, Kamera an, lass die mal quatschen, da kommt soviel zusammen, finden die Leute garantiert lustig.
Als dann die ersten Songs entstanden und so extrem wenig Gegenwind kam, da war ich eigentlich schon an dem Punkt, dass ich dachte: Ach cool, wir machen vieles richtig.

rap.de: Ist die Musik und auch die Labelarbeit ein Ventil oder eine Art Entspannung von Eurem richtigen Job?

Hammer: Pff…

Zirkel: Es ist zwar ein stressiges Ventil, aber andere machen Sport, sag ich mal so.

rap.de: Und das macht Ihr nicht.

Zirkel: (lacht) Das machen wir nicht, das sieht man! Also wir spielen zwar Fußball an der Xbox, aber… Es ist schon ein Ventil, auch die Musik. Also für mich, auf jeden Fall. Da kann man schon mal sehr gut abschalten.

rap.de: Hasst Ihr euren Job eigentlich? Es gibt da ein zwei Songs auf dem Album, da könnte man auf die Idee kommen. (lacht)

Hammer: Nee um Gottes willen. Nie und nimmer!

Zirkel: Dann wären wir echt in der falschen Richtung.

Hammer: Ich konnte mir nie etwas anderes vorstellen. In der zehnten Klasse jedenfalls nicht. Mittlerweile schon. (Gelächter)

Zirkel: Nee also, den Job mögen wir schon. Das ist, glaub ich, kein Beruf, den man einfach so ausüben kann.
Aber ich muss zugeben, nur Musik machen wär auch sehr schön. Also wir werden nicht so blöd sein und sagen: "Wir werden es schaffen, bis zum 60. Lebensjahr Rock’n’Roll zu leben."

rap.de: Sind Sie stolz auf ihre Söhne?

Frau Hammer: Ja. Doch ich kann das sagen.

Hammer
: Das kam aber jetzt ein bisschen zögerlich.

rap.de: sind sie auch froh darüber, dass Musik nicht das einzige Standbein für Ihre Söhne ist. Dass sie auch noch einen "echten“ Beruf haben.

Frau Zirkel
: Ja ich kann sagen, dass ich da sehr stolz drauf bin und auch sehr froh darüber, dass da noch ein Beruf ist, wo sie genug Geld verdienen.

rap.de: Wie hätten sie denn darauf reagiert, wenn ihre Söhne erklärt hätten, wir schmeißen das jetzt alles hin und werden Musiker?

Frau Zirkel
: Also ich hätte bestimmt sauer reagiert. Muss ich ehrlich sagen. Ich möchte schon, dass er sein eigenes Einkommen hat. Hartz Vier ist nicht seine Art. Für ihn stand ja immer fest, er macht ne Ausbildung und er wird mal arbeiten und sein Geld verdienen.

rap.de: Frau Zirkel. Sie sind ja auch Sozialarbeiterin. Inwiefern haben Sie ihren Sohn in seiner Berufswahl beeinflusst? Ist ja nicht gerade der üblichste Beruf für einen jungen Mann.

Frau Zirkel
: Das war schon eigentlich seine ganz eigene Entscheidung.

rap.de: Sie arbeiten auch in so einem Problemviertel und Hammer und Zirkel haben teilweise eine gewisse Distanz zu den Problemen. Haben sie die auch?


Frau Zirkel
: Ne, die habe ich nicht. Da leide ich auch und da habe ich teilweise auch schlaflose Nächte, muss ich sagen.

rap.de: Ist da die Musik, wie sie ihre Söhne machen, ein wenig befreiend, also dass man da auch mal über Sachen lachen kann, die eigentlich nur zum Heulen sind?


Frau Zirkel
: Also bei den Texten vom neuen Album, da kann ich nicht lachen. Da ist manches drauf, da möchte ich nur heulen, auch weil das sehr emotional ist.

 

rap.de: Aber werdet Ihr es schaffen, bis zum 60. Lebensjahr Erzieher zu sein?

Beide
: Joa.

rap.de: Auch hart.

Zirkel: Auch hart, aber genau deswegen wollen wir auch zwei, drei Jahre Rock’n’Roll leben, um dann wieder VOLLER KRAFT die nächsten 30 Jahre weiter arbeiten zu gehen. Stimmt’s, Georg?(Gelächter)

Hammer: Ich glaub ich werd als Erzieher keine 60. Ich werd irgendwann umsatteln. Aber was mach ich mir für Gedanken? Ich werd ja erfolgreich mit Musik. Nicht? Warum lacht ihr? (Gelächter)

rap.de: Manchmal geht Ihr mit diesen schwierigen sozialen Themen auch ein bisschen böse um. Wird man härter, wenn man das jeden Tag sieht?

Hammer: Joa, manchmal provozieren wir aber auch einfach gerne mit solchen Themen. Ich könnte mir nicht vorstellen anders mit den Themen umzugehen, weil man sonst in den Zeigefinger abrutscht und ich denke, wir haben das schon gut geschafft, den Zeigefinger zu vermeiden.

rap.de: Hören Eure… Ich sag jetzt mal "Klienten“… Hören die Eure Mucke?
 
Zirkel: Also bei mir auf der Arbeit auf jeden Fall. Was dann auch schon schwierig ist, das auch wirklich zu trennen. Man versucht ja auch seinen Job sehr professionell auszuüben. Da kann ich mich drei und viermal bemühen, dass ich sage: "Ey, ich bin hier auf der Arbeit Patrick, der Erzieher und nicht ein Teil von Hammer Und Zirkel, oder wie auch immer… So. Und hier auf der Arbeit kenn ich keinen Sido.“, weißte? Aber umso bekannter man wird, desto schwieriger wird das.

 

Teilweise ist es auch so, dass irgendwelche Freunde von den Kindern, die bei mir in der Wohngruppe sind, an der Tür klingeln und sagen: "Ich wollt nur mal gucken, ob du wirklich Zirkel bist.“ und dann sich so; "Nee. Hier ist kein Zirkel. Ich bin Patrick. Der sieht leider genau so aus wie ich.
Andererseits: Als Künstler freu ich mich ja auch schon, wenn’s bei den Jugendlichen irgendwie ankommt.

Hammer: Da ich ja im Hort arbeite, wo das nur bis zur vierten Klasse geht, sind die Berührungspunkte der Kinder mit unserer Musik noch nicht so groß. Aber ich warte auf den Tag, wo ein Elternteil kommt und sagt: "Du hast aber da in dem Song ‚Ficken‘ gesagt und jetzt willst du hier was von meinem Kind?“ Bis jetzt scheinen die Eltern aber noch den Weitblick zu haben.

rap.de: Wie würdest Du das rechtfertigen, wenn jetzt tatsächlich Eltern kommen würden, um sich zu beschweren. Hast Du da schon mal so eine Fantasie-Diskussion geführt?

Hammer: Also ich hab da wirklich schon öfter drüber nachgedacht und ich glaube, gerade bei Songs wie "Ich Zeig Mein Bauch“, wo ja auch harte Ansagen drin sind, würde ich in Schwulitäten kommen, weil ich’s nicht rechtfertigen könnte. Weil, du kannst einem Erwachsenen nicht ein Hip Hop Gefühl erklären. Am Ende macht ja keiner diese Musik, um zu sagen: "Ey ich komm wirklich mit 40 Leuten in deine Einraumwohnung und hau dich zum Krüppel!“ Sondern am Ende sind das ja Vergleiche. Aber um das zu verstehen, musst du in die Hip Hop Szene verwurzelt sein. Jeder andere, der es so hört und dabei gar keine Berührungspunkte hat, der wird’s nicht verstehen. Und dem könnt ich das dann, glaub ich, auch nicht erklären.

rap.de: Frau Und. Haben Sie ihren Sohn musikalisch beeinflusst?

Frau Und
: Ich denke schon. Man sieht es ja an der Haarpracht.

rap.de: Wie sind sie denn zu Reggae, Socca und dieser Art von Musik gekommen.

Frau Und
: Ach, ich war immer der Rebell in der Familie und deswegen kann ich das auch wiederum verstehen, wenn Künstler ihr künstlerisches Leben leben wollen. Ich wollte eigentlich gerne Kunstmalerin werden. Meine Mutter hat immer gesagt: Lern einen anständigen Beruf, das kannst du später mal werden. Habe ich dann nie gemacht. Ich bin nie Malerin geworden.

Künstler werden ja immer so dargestellt: Das sind arme Schweine. Dass das aber der Seele gut tut, dass es einem selbst gut tut, das beachten die Leute ja gar nicht.

rap.de: Wie wurde man eigentlich Bob Marley Fan in Ostdeutschland. Wie gestaltete sich das?

Frau Und: Ich komme ja aus einer Gegend, das war wirklich tiefster Osten. Das Tal der Ahnungslosen. Man kriegte alles bei den Tschechen. Da wurden die Filme dann geguckt, ohne Ton, das war auch schön, aber es gab ja auch Radiosender, zum Beispiel den Soldatensender an der Grenze. Da haben wir immer mittags Radio gehört und abends, die sendeten nur zweimal am Tag und da haben wir an der Kiste gehangen und uns das angehört.
Aber es gab ja auch Plattenläden. Da hat man sich angestellt und Da haben dann die Leute gegenseitig die Schichten beim Schlangestehen übernommen. Ist alles ne Frage von Organisation.

rap.de: Herrlich, heute geht man ins Internet und klickt einfach irgendwas an.

Frau Und
: Das ist so ja. Früher war das so, da hängen sie auch mehr dran, weil sie mehr Aufwand dahinter haben.
Das ist dasselbe wie bei einer Beziehung. Kann ich jemanden sofort kriegen – das macht doch kein Spaß. Wenn ich darum kämpfen muss, na das hat doch Spaßfaktor hoch drei.

rap.de: Gehen Sie heute auf große Reggae Veranstaltungen wie, Chiemsee-Splash oder ähnliches?


Frau Und
: Ab und zu gehe ich zu Konzerten. Elephant Man oder so, wenn die in Berlin sind.

 

rap.de: Einen Track müsst Ihr mir erklären, den fand ich ziemlich verstörend. "Ich will ein Kind von dir“. Um was geht es da?! Das Thema Pädophilie einmal von der GANZ anderen Seite aufgezogen?

Hammer: Jetzt hol ich mal weiter aus: Das Thema ist einfach nicht mehr präsent, im Moment. Nirgendwo mehr.
Wir hören in unserem Berufsfeld so oft davon, oder es gibt Verdachtsfälle und man merkt einfach, wie wenig getan wird. Selbst wenn du einen Verdacht hast, du brauchst ständig irgendwelche Bestätigungen. Der Staat bindet dir da ja die Hände und am Ende passiert nix. Mit dem Song wollten wir die Menschen auf eine eklige Art und Weise berühren und nicht den nächsten Song machen, mit: "Du darfst keine Kinder vergewaltigen“.
Wir wollten einen Song machen, der catchy ist, der abgeht, wo die Frauen vielleicht denken: "Ach krass. Ist das ein süßer Liebessong.“ und dann wollten wir aber das Experiment starten, ob wir den Hörer dazu kriegen, sich selbst zu schämen. Und das schaffen wir meiner Meinung nach im zweiten Part, in dem wir dem Hörer verklickern: "Ach du scheiße, ich sing hier grad gut gelaunt eine Hook mit und bin aber in der Rolle des Kinderschänders.“ Und wenn sich dann im Hörer so ein leichtes Ekelgefühl bildet, wo du nicht weißt: "Darf ich den Song jetzt mitsummen, oder nicht? Bin ich jetzt selber schon eklig?“ Ich glaub, dann beginnen im Kopf noch Denkprozesse bei den Leuten.
Mit Emotionen geht es am besten und ich glaub: Am allerbesten geht’s mit schocken!
Ich schlüpf ja in die Rolle des Kinderschänders –  und sage ihr am Ende: "Sie hat’s ja gewollt, die hat doch angefangen…“ Das ist das, wo es am Ende dann auch immer endet, in solchen Fällen.

rap.de: In der Realität?

Hammer: Ja. Diese Leute sagen dann: "Ich hab doch gar nichts Verbotenes gemacht. Die sind doch eh schon alles frühreif mit zwölf. Was ist denn so schlimm daran?
Wenn ich solche Sprüche schon höre!

rap.de: Es gab ja auch dieses Buch von der Arche "Deutschlands sexuelle Tragödie“. Da geht es darum, dass Jugendliche immer früher mit Sexualität konfrontiert werden und das auch teilweise ausleben. Ist das ein Thema, das euch in eurem Erzieheralltag beschäftigt? Ist das präsent?

Hammer: Ja voll! Bei den Jugendlichen bei mir in der Wohngruppe, wenn du da am Abendbrotstisch sitzt und dir ein 14-jähriger erzählt, dass er grade eine 12-jährige im Wald trocken in den Arsch gefickt hat. Aber auch wirklich so salopp, wie ich es grade formuliere, da kann einem nur noch die Kinnlade runterfallen. Da stellt man sich schon die Frage: Was stimmt da nicht mehr mit den Jugendlichen? Da kann man sich schon fragen: Wie normal ist deren Sexualität? Die ist meiner Meinung nach nicht mehr normal und das sind keine Einzelfälle. Also, ich könnte dir damit Abende füllen.

 
rap.de: Find ich ja grad n bisschen faszinierend

Frau Und: Passen Sie mal auf. Viele Leute ärgern sich immer wenn sie älter werden, dass sie ausgegrenzt werden.
Ich hab keine Probleme auch bei Konzerten, wo sehr viele Jugendliche sind, mich dazwischen zu stellen. Dann merken die, ich hab genau so Spaß an der Musik wie alle anderen auch und dann ist das O.K.

rap.de: Kiffen sie?

Frau Und: Nein, noch nie, noch gar nie!

Rap.de: Noch nie?

Frau Und: NOCH NIE! Großes Pionierehrenwort.

rap.de: Ja, aber wie geht das denn als Reggaefan?

Frau Und
: Warum sollte man?

rap.de: Muss man doch…? Spaß! Sagen Sie, ihre Söhne sind ja ganz gut befreundet, sind Sie auch befreundet?

Frau Hammer: Wir haben uns jetzt eigentlich erst durch das Album besser kennen gelernt. Beim Fotoshooting.
Die Idee war extrem überraschend, als Georg kam und sagte, sie hätten sich da was überlegt und so…

rap.de: Sie waren aber sofort dafür?

Frau Hammer: Na für meinen Sohn würd ich alles machen! (Gelächter)

rap.de: Das haben wir jetzt auf Tonband!

Hammer: Geil! Wir machen einen Song draus und samplen es rein!

Frau Zirkel: Also, es war auch eine richtig tolle Erfahrung, muss ich sagen. Sehr schön und positiv. Auch das T-Shirtverkaufen Graffitibox Jam war krass super!

rap.de: Sie haben das durchgestanden. Ich bewundere Sie. Ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Interview! Oder haben sie noch letzte Worte? Bei uns darf man ja auch grüßen! Shoutouts heißt das bei uns! (Gelächter)

Frau Hammer: Also ich hab nur einen Wunsch: Dass Hertha wieder in die erste Liga kommt!

rap.de: Danke schön!

 
rap.de: Was wären Eure Vorschläge aus der Praxis, um da gegenzusteuern?

Hammer: So bescheuert das ist und ich das jetzt eigentlich gar nicht sagen will, aber das Wichtigste ist Aufklärung und Bildung. Ich glaub das ist das Wichtigste!
Die Leute haben zuhause halt den Zugang zu allen Medien, ohne irgendwelche Einschränkungen, weil die Eltern nicht aufpassen. Die konsumieren alles, nehmen alles auf, aber niemand verarbeitet das mit ihnen. Das ist das Gefährliche.

Zirkel: Rein theoretisch dürfte es solche Seiten wie YouPorn gar nicht geben, oder halt mit so einer massiven Einschränkung, dass wirklich nur Erwachsene da rein können.
Es ist für die Jugendlichen normal, dass die mit zwölf Jahren ihren Geschlechtsverkehr haben, filmen, und von mir aus auch noch sich untereinander per Handy zuschicken. Das ist für die nichts schlimmes. Das zeigt ja, dass bei dem Denkprozess einfach was falsch ist.

Hammer: Das ist auch total krass, wenn man dann hört, dass 12, 13-Jährige sagen: "Ach krass, lass’ das auch mal probieren, schauen ob das wirklich geht!“, wo wir ja noch sagen: "Wir schlafen mit einem Menschen, weil wir Gefühle für ihn haben, im Idealfall!
Die machen es ja wie so nen Wettkampf, wie eine Sportart. Da fragt man sich schon: Wo soll das denn hingehen, mit Euch? Achte Klasse abgebrochen, aber schon 20 Sexualpartner gehabt. Was soll denn ja jetzt noch kommen – wenn’s nur noch um Alkohol, Sex und Talkshows geht!?
Wie gesagt, das wichtigste ist Bildung. Bildung, Bildung, Bildung und Aufklärung!

rap.de: Hammer und Zirkel. Vielen Dank für dieses interessante Gespräch.