Jay Electronica

Der Mann scheint wie aus dem Nichts erschienen, wie eine Offenbarung, ein Alien und doch ist er ein so einfaches Wesen, das seinen Prozess genau reflektiert und sein Gleichgewicht im Leben gefunden hat. Auch wenn man sich die Informationen, die er im Gespräch hier und da einstreut, wie Puzzleteile zusammen suchen muss, um einen Einblick in das Leben von Mister Electronica zu bekommen. Das Ergebnis ist jede Sekunde Bastelarbeit wert. Am 23. Februar lieferte er in der Tube Station eine Show ab, die wie eine musikalisch unterlegte Vorlesung erster Klasse war und somit waren wir umso gespannter, diesen Mann am nächsten Tag im Hotel Amano zum Interview zu treffen. Und was sollen wir sagen: er hat uns alles andere als enttäuscht. Viel Spaß mit dem Gespräch über seine Angebetete Erykah Badu, eine Musik geprägte Jugend in New Orleans und die Frage, warum Jay nicht den Namen tragen möchte, den ihm seine Eltern gegeben haben.


rap.de: Es gibt da so eine Zeile im Text von Eternal Sunshine, die mir tagelang nicht aus dem Kopf ging, so wie ein Ohrwurm, nur dass es halt keine Melodie sondern eine Zeile ist. "I was blind and woke up in front of a mic stand“. Was genau ist die Story hinter dieser Zeile? 
 
Jay Electronica: Oh Mann. Weißt du, wenn man schreibt, dann denkt man nicht darüber nach, dass Leute einem mal Fragen dazu stellen werden. Es steckt eine lange Geschichte hinter dieser Zeile. Eigentlich sind es sogar zwei. Eine ist, ich war in New Orleans im House Of Blues  bei einem Konzert von Israel Vibration und bin tatsächlich für fast zwei Stunden erblindet. Und dann.. (stottert) Egal.. egal. Es ist eine lange Geschichte.  
 
rap.de: Du kannst doch nicht anfangen zu erzählen und dich dann doch umentscheiden.
 
Jay Electronica: Es ist zu verrückt und eine wirklich sehr persönliche Geschichte. Wie gesagt, wenn man schreibt, denkt man nicht darüber nach, dass Leute einen mal fragen werden, was man mit dem und dem meint. Natürlich habe ich ja auch entschieden diese Zeilen zu veröffentlichen und so weiter, aber… Ich weiß nicht. Ich möchte diese Geschichte doch für mich behalten.  
 
rap.de: Schade, dass du sie nicht teilst.  
 
Jay Electronica: Es tut mir leid. Die Zeile basiert auf einer besonderen Erfahrung, die ich hatte. Mehr kann ich dir nicht geben.  
 
 
rap.de: Was auch sehr interessant ist, ist dass du über die Filmmusik von "Eternal Sunshine Of A Spotless Mind“ und "Willy Wonka & Die Schokoladenfabrik“ rappst.  Wie bist du auf die Idee gekommen und warum gerade diese Filme?  
 
Jay Electronica: Ja es sind Loops, also ich habe sie schon einwenig modifiziert, jedoch so, dass es immer noch wie die Titelmelodie klingt, ohne Bass, ganz roh. Warum? Willy Wonka ist ein Film, der mich schon mein ganzes Leben lang begleitet hat. Es ist ein Film, der mich an gute Ereignisse in meiner Kindheit erinnert. Bis heute ist es der beste Film, den ich je gesehen habe, die Story stellt die Reise jeden Menschens dar. Jeder von uns ist Charlie, jeder kann Dorothy vom "Zauberer Von Oz" sein.

Stell dir vor, du könntest mein Gehirn an die Wand projizieren, dann wären mit Sicherheit Bilder aus dem Willy Wonka-Film dabei. "Eternal Sunshine Of A Spotless Mind“  habe ich wegen einer Szene aus dem Film ausgesucht, in der Clementine Jim Carrey im Zug trifft und er sie nach Hause bringt, sie teilen intime Momente und als er geht, macht sie das Fenster auf und ruft raus "Happy Valentines Day!“ – ja kitschig, ich weiß, aber die Art wie die Szene gedreht wurde, die Atmosphäre darin ruft in mir Gefühle hervor, die mir sagen, ich muss etwas mit dieser Melodie tun, sie in meine Sprache übersetzen und deswegen reime ich darauf. Und ich fühle mich so, als würde ich den Film schaue. Ich denke, es ist ganz gut gelungen.  

 
rap.de: Danke, dass du das gemacht hast. Der Track ist hervorragend, zumal ich tolle Erinnerungen an ihn habe.  
 
Jay Electronica: Welche denn? 

rap.de: Ich habe ihn letzten Sommer auf einem Parkplatz in Williamsburg gesehen. Freilichtkino. 
 
Jay Electronica: Wow. Du antwortest mir. Das klappt ja gut mit dir. (Gelächter)  Ihr seid dreckige Verbrecher! Ich habe die Kamera nicht mal gesehen. Ihr filmt? Ich habe dir doch gesagt, dass ich müde und verpennt und verfeiert bin gerade. Warum tust du mir das an? Stell dir vor, ich würde nach einer zerfeierten Nacht, morgens in den Zimmer kommen, dich wecken und sofort Bilder von dir schießen und dich filmen. Du würdest dich auch unter deiner Decke verstecken wollen!  
 
rap.de: Es wird nicht verwendet! 
 
Jay Electronica: Komm mit mir vor die Kamera und versprich mir, niemand außer dir wird sich dieses Video anschauen. Niemand.  
 
rap.de: Ich verspreche es dir. Ganz ehrlich.  
 
Jay Electronica: Du hast es versprochen! Denk dran! 
 
rap.de: Du wurdest auf den Namen Timothy getauft… 
 
Jay Electronica: (Unterbricht) Das hast du irgendwo online gelesen, denn ich bin nicht Timothy. Mein Name is Je’Ri Allah und diesen Namen trage ich seit 1996. Die einzige Person, der ich erlaube mich so zu nennen, ist meine Großmutter und selbst sie macht das eher selten. Wenn mich jemand so nennt, dann muss er mich seit der Grundschule nicht mehr gesehen haben. Ich habe den Namen nur aus Respekt meiner Mutter gegenüber nie gesetzlich ändern lassen. Ebenso mein zweiter Vorname. Elpadaro ist der Vorname meines Vaters und deshalb, wie gesagt, habe ich diese nie legal ändern lassen. Aus Respekt vor meinen Eltern. Aber der Name steht nicht in meinem Pass. Sogar in dem steht Jay Electronica. Ich mag die Tatsache, dass ich einen Ausweis haben muss und ihn vorzeigen soll, so oder so nicht. Und den Namen Timothy verwende ich nie! Meine Mutter gab mir den Namen, basierend auf dem Wissen, dass sie hatte. Sie hat mir einen biblischen Namen gegeben, die englische Version eines biblischen Namens, aber wir alle wissen, dass das Namen sind, die uns aufgezwungen wurden. Ich weigere mich einen mir aufgezwungenen Namen zu tragen und ihn zu repräsentieren. Timothy ist nicht der Name eines schwarzen Mannes. Meine Leute heißen nicht Timothy. Ich bin nicht Timothy.   
 
 

rap.de: Wer ist dann Jay Electronica
 
Jay Electronica: "Also, bitte erzählen sie uns, warum möchten sie in unserem Unternehmen arbeiten?“ So eine Art Frage hast du mir jetzt gestellt. Mein Name ist ja schließlich nicht Jay Electronica sondern Je’Ri.  
 
rap.de: Okay, alles klar. Was waren die Schritte? Wie wurde aus Timothy Je’Ri und aus Je’Ri Jay Electronica
 
Jay Electronica: Aus mir wurde erst mal Je’Ri weil ich erkannte, dass mein Name nichts für mich war. Menschen gehen zum Friedhof und sehen den Namen Lee oder so, dann ist klar, es war ein Asiate, sie sehen Al-Sharif, sie wissen es war ein Araber. Gehe ich aber in Amerika auf den Friedhof und lese James Jones auf dem Grabstein, dann sollte rein theoretisch schon ein weißer Mann dort drunter liegen, aber nein, es könnte auch mein Vater oder dein Opa dort liegen. Deine Eltern geben dir einen Namen, so ist das halt und ich konnte mich mit meinem nicht identifizieren. Jay Electronica ist einfach nur ein Pseudonym, wie 50 Cent oder Kurtis Blow

rap.de: Hat deine Namensänderung keinen religiösen Einfluss? Bist du nicht zum Islam konvertiert? 
 
Jay Electronica: Ich bin mein Leben lang durch Veränderungen gegangen und durch Verwandlungen. Ich gehöre keiner Religion an. Religion ist das Werk von Regierungen und Politik. Zum Zeitpunkt meiner Namensänderung lebte ich in Atlanta und habe die Doktrinen der 5 Percenters studiert, welche die Lehren der Nation of Islam sind. Die Lehren, die später Elijah Mohammed, Malcolm X und Mohamed Ali lehrte. Und ich überlegte, welchen Namen ich bereit bin zu tragen. Ich wuchs in der Baptistengemeinde auf, in einem sehr spirituellen Haus, ich bin aus dem Süden, New Orleans, das gehört dazu! Ich befand mich in dem Alter, in dem man bestimmte Erfahrungen macht und vieles hinterfragt und ich fand mich wieder in den Lehren der 5 Percenters. Das sind Fragen, zu denen du die Antwort schon weißt.  
 

 

rap.de: Meine Erfahrungen sind meine Erfahrungen und deine sind deine. Und wir reden nun mal über deine.  
 
Jay Electronica: Aber du erlebst das Selbe wie ich.  
 
rap.de: Wir sind zwei verschiedene Menschen, wir sehen nicht einmal die Farbe dieses Stuhls gleich, wie sollen wir dann exakt das Gleiche erleben? 
 
Jay Electronica: (lacht) Warum willst du dich die ganze Zeit mit mir streiten? Menschen machen alle auf eine Weise die gleichen Erfahrungen. Deswegen sagte ich, wir sind alle Charlie, wir sind alle Dorothy. Und du willst streiten. 
 
rap.de: (lacht) Hau ab. Völliger Quatsch. Ich will wissen welche Rolle die 5 Percenter heute für dich spielen.
 
Jay Electronica: Ich habe ja gesagt, ich gehöre keiner Gruppe und keiner Religion an. Das sind meine Brüder, ja, und ich liebe sie. Ich liebe die 5 Percenter und die NOI so sehr wie die Nation Of The Gods And The Earths. Sie haben eine große Rolle dabei gespielt wer ich heute bin und ich vertraue auf die Wahrheiten, die ich von ihnen gelernt habe, aber ich bin nur ich. Ein Dude aus New Orleans, der seinen Weg geht und lernt besser mit Menschen umzugehen. Der ganze Bullshit, der dazwischen liegt, ist wie die Berliner Mauer – er muss abgerissen werden. Die einen ziehen sich so an, laufen so, die anderen haben einen anderen Style… All so was ist absoluter Scheiß.  
 
rap.de: Du redest viel mit deinem Publikum, du tourst, du findest immer mehr, die dich eher unterstützen, als nur deine Musik zu hören. Wohin führst du diese Leute?  
 
Jay Electronica: Das kam aus deinem Gehirn. Das musst du wohl beantworten. Ich führe niemanden irgendwo hin. Ich teile nur meine Erfahrungen mit den Menschen und während ich das tue, versuche ich die ganze Scheiße, die in meinem Gehirn ist, wie Eitelkeit, Neid und Arroganz, rauszuwerfen. Und alle sollen mir dabei zusehen. Ich rauche Zigaretten, ich will aber aufhören, ich will dass ihr mir in diesem Struggle zuseht und den Prozess beobachtet, anstatt mich zu verstecken und dann heimlich zu rauchen. Menschen sollen denken, ich bin wie sie, sie sind wie ich. Und es geht dabei nicht um "Keep it real“ und auch nicht um "Keep it right“, denn ich tue Schlechtes und Falsches, was anderen Leuten manchmal schadet. Ich will einfach besser werden. Jemanden führen will ich nicht, aber ich will ein gutes Beispiel sein. Ich trage Verantwortung, die mir bewusst ist und wenn ich Menschen doch führe, dann in einen Zustand des besseren Verhaltens zu einander. Das ist besser als alles, was eine Religion dir beibringt oder jegliche Art von Spiritualität.  
 
rap.de: Woher kommt die Liebe zur Musik? 
 
Jay Electronica: Von meiner Mutter und meiner Großmutter.  
 
rap.de: Wurdest du größtenteils von Frauen erzogen?  
 
Jay Electronica: Ja, absolut. Meine Oma war auch meine Ma. Meine Mutter wird das bestimmt falsch verstehen, wenn sie das mal hört. Ich liebe meine Mutter, sie war eine tolle Mutter, aber sie war jung. Ich bin mit ihr zusammen aufgewachsen, verstehst du? Sie war 20 als sie mich bekam und deshalb eher wie eine große Schwester als eine Mutter. Meine Cousinen und Cousins lebten im gleichen Haus wie wir und meine Großmutter war unsere Mutter. Die Mutter von uns allen. Wir teilten alles. Die Jungs waren manchmal im Knast, mal wieder da und somit waren die Frauen immer in der Mehrzahl. Mein Cousin Mookie war der einzige Mann, der eine Rolle in meiner Erziehung spielte. Mein Vater und ich haben auch unsere gemeinsamen Erfahrungen, aber wie gesagt, die Frauen haben mich erzogen. Meine Oma war ein riesen Gospel-Fan. Shirley Cesar und all die anderen. Sie ist zu ihren Konzerten gegangen, sie spielte sie zuhause pausenlos. Es gab diesen Laden an der Ecke Washington und Freret, THE I.L.A, gegenüber von den Magnolia Projects, zu dem meine Oma so oft ging, dass ich jahrelang dachte, es sei der einzige Laden, der solche Platten verkauft. Selbst als meine Ma und ich bei meiner Oma ausgezogen sind, war ich wegen der Arbeitszeiten meiner Mutter noch viel bei ihr. Meine Oma spielte immer Musik und an den Wochenenden war ich mit meiner Ma. Wenn wir die Wohnung putzten, dann spielte Ma immer laut Musik – Crystal Gayle, alles Mögliche.  
 

rap.de: Hörst du dir diese Musik heute noch an?  
 
Jay Electronica: Ja. Das tue ich. (lächelt) Es erinnert mich an sie. An den Geruch im Haus, an eine gute Zeit. Es waren die Momente, in denen meine  Mutter zur Ruhe kam. Sie war immer im Stress, hat immer versucht, uns soviel wie möglich zu geben. Am Wochenende hörte sie aber Musik und trank vielleicht ein Glas Wein. Die Musik erinnert mich an meine Ma, wenn es ihr richtig gut ging, also ging es mir gut.  
 

rap.de: Du erreichst viele Menschen mit deiner persönlichen Art. Erykah jedoch hat dich als Außerirdischen beschrieben, der eine andere Sprache spricht, mit dem man mithalten muss. Wie siehst du das? Sprichst du eine andere Sprache?  
 
Jay Electronica: Erykah und ich haben eine andere Beziehung als die Öffentlichkeit und ich. Erykah teilt intime Momente mit mir. Sie weiß ALLES über mich. Alles. Sie kennt meine Gedanken, meine Launen. Ich weiß nicht, warum sie das sagt. Ich spreche keine andere Sprache.  
 
rap.de: Aber du redest ganz schön viel! Wer bei deiner Show gestern Abend war, weiß wovon ich spreche. Du hast regelrecht gepredigt. Ich beschwere mich nicht, versteh mich nicht falsch. Aber wieso Rap? Warum nicht ein Buch? Warum kein Skript oder eine Predigt? 
 
Jay Electronica: Rap ist nicht alles was ich mache. Ich erzähle Geschichten, ich bin Filmemacher, ich bin eine ganze Menge. Mein Bruder Sadiq Allah und ich arbeiten an einem Skript momentan. Ich kann dir noch nicht viel dazu erzählen, aber Musik ist meine erste Liebe. Ich habe dir von meiner Familie erzählt, hinzu kommt, dass ich aus New Orleans bin, eine Stadt, die für ihren Jazz und ihren Blues bekannt ist. Als Kind, in der prägungsreichsten Zeit eines Menschen, als ich das erste mal auf einem Rap-Konzert war und die Zeile "My radio believe me I like it loud“ hörte, wusste ich, das bin ich! Deshalb Musik. 
 
 
rap.de: Warum bist du dann doch so schwer zu finden? Eine inaktive Website, kein Album bisher, nur MySpace…  
 
Jay Electronica: Ich bin bei Twitter! Die Leute dort kennen meine ichat ID, mein BBM, alles.. 
 
rap.de: Warum? 
 
Jay Electronica: Damit sie nicht behaupten können, ich sei schwer zu finden. Gibt es eine Regel, die sagt, ich darf das nicht? (lacht) Ich mache, worauf ich Lust habe. Ich bin in einem Stadium, indem ich mich viel natürlicher bewege und natürlicher handle. Ich bin echter und erziele die besten Ergebnisse. Ich habe Webpräsenz, aber die hat jeder. Tipp 50 Cent ein bei Google, dann kommt doch auch alles Mögliche. Ich habe auch bald mein thisis50.com! (lacht)
 
rap.de: Welchen Eindruck willst du hinterlassen? 
 
Jay Electronica: "Er war ein guter Mann und weißt du was? Ich will auch ein guter Mensch sein“ – wenn Leute das sagen wegen mir, dann habe ich mein Ziel erreicht. Vor allem du, denn du willst gemein sein zu mir.  (Gelächter)
 
rap.de: Es tut mir leid. Ich habe dich lieb. Danke für das Interview.