Nate57

"Blaulicht" ist wohl der Prototyp eines jeden Straßenrapvideos. Hektisch geschnittene Impressionen der eigenen Hood, unterlegt von einem dröhnenden Beat zu dem die Homies engagiert aber trotzdem noch lässig mitwippen. Warum also hat Nate57 es geschafft, in HipHop-Kreisen einen derartigen Hype auszulösen? Selbst der zunehmend poppiger werdende sido sprach in Interviews bereits davon, gerne mal mit dem 19-Jährigen aus dem Hamburger Kultbezirk St. Pauli zusammen arbeiten zu wollen. Wir gingen dem Phänomen auf den Grund, machten uns auf Richtung Hansestadt und besuchten Nate in den Rattos Locos Studios, die in der Wohnung seines Produzenten Schrägstrich Bruders Blacky White beheimatet sind. Ordentlich eingeschneit und auf Seiten des Künstlers mit jeder Menge Joints sprachen wir über Probleme in der Schule und auf der Straße, Kokain und HipHop-Sozialisation in Zeiten, in denen keiner mehr HipHop sein will.


rap.de: Du gehörst ja offensichtlich einer neueren Generation von Hamburger Rappern an. Wie wirkt denn der alte Hamburger Stil auf Dich?

Nate57: Mittelständisch. Flowtechnisch hat das schon gut gewirkt, aber es war halt sehr viel auf Rap bezogen. Der Rap ging um Rap.

rap.de: Bist Du mit dieser alten Hamburger Schule raptechnisch aufgewachsen?

Nate57: Eigentlich nur mit Samy. Von dem hatte ich damals das erste Soloalbum von ihm nach Dynamite Deluxe. Das mit dem S vorne drauf. Das habe ich geschenkt gekriegt, zum Geburtstag.

rap.de: Hast Du das studiert und analysiert, so flowtechnisch?

Nate57: Ja, doch. Ich bin schon rapverrückt und hör mir auch gerne so Flow-Sachen an. Aber ich sehe Rap nicht als Mathematik, sondern gehe da nach meinem Gefühl. Ich nehme einen Beat und schreib was drauf. Wenn ich Bock auf schnelle Flows habe, dann rappe ich eben schnell. Das kommt auch immer auf den Beat an, die Bridges, die Lücken in den Beats und so weiter.

rap.de: Schreibst Du Deine Texte konsequent auf Beats oder schreibst Du auch so Eminem-mäßig im Bus auf Deine Handfläche?

Nate57: Nein, nein. Das geht nur bei mir zuhause oder im Studio. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich auf einen anderen Beat oder auf ein komplettes Ami-Lied was geschrieben habe, weil es mich so geflasht hat. Aber ansonsten habe ich den Beat eigentlich immer vorher.

rap.de: Glaubst du, dass du eine neue Art von Hamburg repräsentierst?

Nate57: Ja, auf jeden Fall.

rap.de: Und wie kommt das an?

Nate57: Mhmhm, weiß ich nicht. Wie das in Deutschland ankommt, kann ich nur den Youtube-Kommentaren entnehmen und was die Leute da schreiben.

Auch in der Schweiz und Österreich gibt es mittlerweile Leute, die das hören. Aber ansonsten kann ich das nur aus meinem direkten Umfeld wahrnehmen und die Leute feiern das auf jeden Fall. Weil es was neues ist, ein neuer Impuls.

rap.de: Diese Straßenthematik an sich ist aber nicht unbedingt was neues. Warum glaubst Du, stichst Du da jetzt so heraus und hast einen gewissen Hype?

Nate57: Weil ich aus einer anderen Perspektive rede. Man kann aus dem Inhalt heraus lesen, dass es real ist. Das sprechen mir die Leute auch immer zu.

Flowtechnisch will ich mich einfach nicht festlegen. Ich versuch immer offen zu bleiben. Ich feiere verschiedene Arten von Musik, nicht nur Rap, und das versuche ich auch in meine Musik einfließen zu lassen.

Die Leute mögen glaube ich auch meine Stimme und meinen politischen Ansatz.

rap.de: Du hast gesagt, dass Du rapverrückt bist. Seit wann ist das so?

Nate57:  Eigentlich schon immer. Mein Bruder hat schon immer Rapmusik gehört, seitdem ich denken kann und ich habe so Bilder im Kopf, da war ich zwei oder drei, wo ich auf dem Sofa meiner Tante in Portugal sitze, N.W.A. läuft im Fernsehen und ich total geflasht bin, weil die genau so aussahen wie wir. Mein Vater, der ist Angolaner und der hatte auch so einen roughen Style und meine Mutter hat damals auch Tupac-Sachen gehört.

Das hat halt am Besten zu meinem Leben gepasst, deshalb konnte ich das schon immer hören. Ich konnte mich damit identifizieren, was die Leute da gesagt haben, auch bei den Tupac Sachen, dieses Revolutionäre. Meine Mutter hat auch immer über so was philosophiert, aber natürlich aus einer anderen Perspektive.

rap.de: Welchen Einfluss haben deine Brüder in dieser Musik-Geschichte?

Nate57: Einen sehr großen. Ich wäre ohne die auch nicht da, wo ich heute bin. Ich habe mich schon sehr früh in der amerikanischen HipHop-Szene ausgekannt, noch bevor das in Deutschland heimisch war. Das war noch vor der Hamburger Rapszene und wir hatten immer die neuesten Sachen auf Tapes.

rap.de: Mit wie vielen Jahren hast Du angefangen zu rappen?

Nate57: Mit 15 habe ich mein erstes Lied aufgenommen, da habe ich auch meinen ersten Text geschrieben. Mit ein paar Kollegen zusammen hier aus dem Viertel.

Vorher habe ich immer nur mitgerappt. Die Leute kannten mich dafür, dass ich, sobald ich Musik angemacht habe, immer alles mitrappen konnte.

Es fiel mir über die Zeit immer leichter, die Sachen mitrappen zu können und die Leute waren beeindruckt von meiner Gestik und so.

Wir hatten dann mit einem anderen Viertel so Jugendrivalitäten und die haben uns in einem Song gedisst. Hier bei uns gab es aber keinen Rapper und wir haben gesagt: "Ach kommt, wir rappen zwar nicht, aber lasst uns zusammen setzen und ein Lied machen“. Darauf gab es positive Resonanz und das war’s dann halt.

rap.de: Was waren Deine konkreten Rap-Einflüsse? Du hast vorhin Tech N9ne erwähnt. Um Tech N9ne zu kennen, muss man sich ja schon ein bisschen mehr mit Rap auseinander setzen als der 08/15 50 Cent Konsument.

Nate57: Würde ich nicht rappen, könnte ich mir Tech N9ne glaube ich auch nicht richtig rein ziehen. Musikalisch ist das cool, die Frauenlieder kann man sich auf jeden Fall auch nebenbei geben, aber seine Horrorlieder und so sind halt nur deshalb für mich interessant, weil ich mich damit auseinandersetze.

Ansonsten höre ich viel Oldschool. Wu-Tang hat mich als kleiner Junge sehr beeinflusst, das habe ich richtig gefeiert. Damals haben wir uns Killerbees Karoviertel genannt. Das habe ich als Zehnjähriger auch gesprayt und wurde Hops genommen. Damit habe ich dann auch gleich wieder aufgehört.

N.W.A., 50 Cents alte Sachen, also alles bis zu "Get Rich Or Die Trying“, und dann halt die Standartsachen. Biggie, Tupac, Ludacris und Reggae hat mich sehr beeinflusst.

Auf Ragga bin ich fast noch mehr abgefahren, aber Reggae war durch meinen Vater eben auch eine meiner Wurzeln. Bob Marley sowieso, das war so die erste Musik, die ich überhaupt gehört habe.

rap.de: Ich reite deshalb so darauf rum, weil es unter Straßenrappern ja so ein Standart-Satz geworden ist, dass sie mit Rap eigentlich nichts zu tun haben wollen. 

Nate57: Vielleicht ist das so, weil viele Rapper peinlich sind in den Augen der Kanaken. Die Kanaken distanzieren sich deshalb davon, weil sie denken, dass sie dann kanakischer rüber kommen.

Ich glaube, dass die meisten Gangsterrapper nicht unbedingt authentisch sind. Die wissen nicht, wovon sie reden und dann überlegen sie sich: "Was mögen die Kanaken nicht? – Die mögen keine Backpackers, ok! Was machen die Backpackers? – Die feiern Rap.“ und deshalb dissen sie die Backpacker und sagen, sie haben nichts mit Rap zu tun.

Straßenrap in Deutschland ist auf jeden Fall zum Lachen. Es gibt gute Sachen, ich höre auch gerne Kanakenrap aus Deutschland, aber…

rap.de: Es gibt ja wahnsinnig authentische Leute, die leider nicht rappen können.

Nate57: Na ja, das ist ja ok. Kunst kann man ja so und so auslegen. Wenn er es cooler findet, so zu spitten, dann sollte er halt versuchen, damit Fuß zu fassen, aber wenn es nicht klappt, dann sollte man sich nicht wundern. 

rap.de: Jetzt sagen aber natürlich alle Straßenrapper, dass sie authentisch sind. Du ja auch.

Nate57: Ich kann ja nur von mir sprechen und sagen, dass ich hundertprozentig Wert auf Authentizität in meiner Musik lege. 90 Prozent der Sachen, die ich da beschreibe, habe ich selbst erlebt. Die anderen zehn Prozent kommen aus meinem direkten Umfeld, das sind Freunde von mir, die das erlebt haben.

Man hört das in der Musik, bin ich der Meinung. Wenn man sich in so einem Umfeld bewegt, wie ich das mache, dann ist man anderen Leuten auch Rechenschaft schuldig.

Ich kann nicht einfach irgendwas sagen, weil die Leute mich dann drauf ansprechen und fragen: "Hey, was los mit dir? Guck dich an, guck mal in den Spiegel. Weißt du nicht mehr, was du früher für ein Junge warst?

rap.de: Ist es tatsächlich wichtig, dass Rap die Realität abbildet?

Nate57: Ja, finde ich eigentlich schon. Rap sollte schon eine authentische Kunst sein. Ich bin der Meinung, dass Rap vom Urkern her von der Straße kommt und authentisch ist. Ich stelle mir immer vor, dass man sich getroffen hat, man hat seine Dinger gedreht gehabt, man stand um die Tonne rum und hat sich gegenseitig vor gerappt, was man so am Tag davor gemacht hat und es war lustig. Das ist so dieser Biggie-Style.

Ich bin ein Straßenrapverfechter. 

rap.de: Das finde ich eine schöne Vorstellung und ich finde es auch eine schönere Vorstellung als Champagnersipping im Club.

Nate57: Aber das will man ja auch ab und zu, wenn man dann mal Geld gemacht hat. Wenn einen die Türsteher reinlassen. Dafür rappt man ja. 

rap.de: Wenn Dein Geschichtenvorrat aber jetzt nur aus Deinen eigenen Erlebnissen heraus gespeist wird, hast Du dann Angst, dass Dir irgendwann mal die Geschichten ausgehen?. 

Nate57: Das sollte auch nicht ausschließlich sein. Mein Leben geht ja weiter.

Man kann auch Geschichten über andere Sachen erzählen, über Sachen, die man nicht unbedingt selbst erlebt hat, aber dann muss man das auch sagen. In Interviews zum Beispiel.

Man kann ja auch über Knast reden, selbst wenn man nicht drin war, wenn man trotzdem aus dieser Welt kommt. Deshalb glaube ich, kann’s auch nicht ausgehen, diese Nate57 Thematik, weil man kann über alles mögliche reden. Ich bin ein Mensch, ich mach mir über viele Sachen Gedanken. 

rap.de: Glaubst Du, dass es stimmt, dass Straßenrap tot ist. 

Nate57: Für was tot? Für den kommerziellen Markt? Selbst wenn? Was heißt das schon? Bushido wird als Straßenrap bezeichnet und er ist erfolgreich.

Das mit den Verkaufszahlen interessiert mich ehrlich gesagt nicht wirklich. Mich interessiert die Kunst. Mich interessiert der Werdegang dieser Musik hier in Deutschland.

Ob jetzt XY mehr Geld mit Auftritten macht als Z. Das ist mir juppe. 

rap.de: In den letzten Jahren wurden die Verkaufszahlen verstärkt als Argument für künstlerischen Erfolg benutzt. Früher hieß es, "Du hast keinen Style, du kannst nicht rappen!“, heute battlet man sich mit Plattenverkäufen.

Nate57: Naja, das liegt daran, dass die angefangen haben, als es noch CDs gab und als die auch noch gekauft wurden und die Rapper dadurch erfolgreich wurden.

Das ist halt ein Battle zwischen Leuten, die schon Geld gemacht haben, das ist kein Battle zwischen Menschen, die noch in der Scheiße sind und Stress mit jemanden, der auch in der Scheiße steckt, haben. Und deshalb geht’s um Verkaufszahlen.

Wenn du über sechs Jahre lang Geld mit Rap machst, dann existiert wahrscheinlich nur noch dieser Battle.

rap.de: Hast du Angst, dass du auch mal diesen Battle austrägst?

Nate57: Nee, ich will nicht so werden. Vielleicht gegenüber manchen Leuten, weil es mich da ego-mäßig ankotzt, dass sie Geld mit meiner Kunst verdienen, da würde ich das vielleicht machen.

Aber eigentlich will ich meine Philosophie austragen. Mir geht’s um die Menschen. Ich will, dass sie unsere Denkart verstehen.

rap.de: Was ist Deine Philosophie?

Nate57: Das würde jetzt zu lange dauern, dass musst Du aus meiner Musik rausziehen.

rap.de: Das ist jetzt aber eine Politikerantwort! (Gelächter)

Nate57: Okay, hör zu, ich will, dass Menschen aus anderen Schichten, diese Welt, in der wir leben, richtig verstehen. Richtig hören, aus allen Perspektiven sehen.

Wir werden sonst immer ausgelacht. Viele Kanaken werden so dargestellt, als wären das Möchtegern-Gangsta-Rapper, die alles nur machen, um noch kredibiler zu sein.

Leute, die ausländisch aussehen, werden mittlerweile so dargestellt, als ob sie gerne Ghetto sein wollen, verbrecherische Sachen machen wollen, in der Scheiße leben wollen.

So wird das in den Medien dargestellt und mein Impuls ist, da etwas gegen zu sagen. Zu sagen, dass es Leute gibt, die gezwungenermaßen solche Sachen machen.

Man wird da rein geboren. Man kann manche Sachen halt besser als die anderen, und dann musst du das auf der Straße halt auch so umsetzen.

Das will ich den Leuten näher bringen, weil die uns sonst nicht verstehen. Leuten, die Abneigungen gegen uns haben, wenn wir auf Hausparties reinkommen, weil wir aussehen wie "Uhh, böse Leute!“ Vielleicht sind wir das auch, aber setz dich doch mal damit auseinander, warum wir so sind!

rap.de: Okay, angenommen, ein Hausbesitzer macht eine Party, sagt "Hey, cool, dass ihr da seid, weil ich habe auch ein Herz für Kanaken, ich verstehe euch voll!

Nate57: Es geht hier nicht um Kanaken, es geht um Unterschicht an sich.

rap.de: Würde es funktionieren?

Nate57: Ja, wenn die Leute korrekt sind, dann sind wir auch korrekt. Es kommt, ganz ernsthaft, darauf an, wie die Leute drauf sind. Das kriegen sie dann auch zurück.

rap.de: Okay, stellen wir uns den Typen mal vor. Der hat so etwas längere Haare, hat einen hoch gestellten Kragen, Jackett und Jeans, kommt so ein bisschen verkokst rüber, hat ein Champagner-Glas in der Hand. Ihr reitet da ein, und er sagt, "Hey, voll cool, ich finde euch total authentisch!“ Was würdet ihr da machen?

Nate57: Ich persönlich? Ich würde sagen, "Derbe! Wo sind die Frauen?!" (lacht) 

rap.de: Und den Kühlschrank ausräumen?

Nate57: Ja, normal, was erwartet er. Ist doch eine Party?! Ich bin jetzt auch nicht mehr so der Taschendieb, wie ich früher mal war. Ich würde nix mehr zocken. Ich würde mich satt essen, die Frauen nehmen und die Sachen nutzen, die es da gibt.

Wenn es da eine Playse mit einem Riesenfernseher gibt, dann zocke ich damit, darüber freu ich mich doch! Warum sollte ich da sauer sein? Das werde ich nur, wenn mir Leute da falsche Blicke zuwerfen. Aber das machen leider viele, weil die Angst vor Fremden haben. Und dann wird’s immer kritisch.

Das ist halt auch die Mentalität von reichen Kindern, dass sie einen unterschwellig verarschen. Sie reden mit einem und verarschen einen unterschwellig. Der Straßenjunge kann damit nicht umgehen. Der weiß zwar nicht genau, was da jetzt die Verarsche ist, aber er spürt die Energie und wird aggressiv. Und damit kann er nicht umgehen. Und deshalb gibt es manchmal Ausschreitungen.

Das ist aber normal. Du musst auch wirklich offen sein und nicht nur so tun. (mit freundlicher Stimme) "Hey, komm in mein Haus, nimm dies, nimm das, (mit abfälliger Stimme) weil ich Angst vor euch habe, bitte beklaut mich nicht!“ Wenn du das mit der Intention machst, kannst du nicht anderes erwarten.

rap.de: Okay, anderes Szenario. Ich mach da meine hübsche Hausparty, und plötzlich tauchen zehn Leute in Lonsdale-Jacken und mit Raiders-Mützen auf. Das ist ja jetzt nicht unbedingt der vertrauenerweckendste Eindruck.  

Nate57: Okay, wenn du ein bisschen mehr Musik gehört hättest und besser englisch könntest, wüsstest du etwas über diese Welt und wärst ein bisschen offener dafür. Man sollte Menschen nicht nur nach ihrem Äußeren bewerten. Manche können sich auch nichts anderes leisten. Es ist billiger, sich eine zwei Euro-Lakers-Cap zu kaufen, als irgendwas wahnsinnig Teures. 

rap.de: Beurteilst du Leute nach ihrem Aussehen?

Nate57: Am Anfang schon, aber ich zolle jedem Menschen einen Grundrespekt.

rap.de: Was ist mit den Menschen, die Du früher abgezogen hast? Die hast Du ja nicht kennen gelernt.

Nate57: Es gibt halt auch Situationen, wo du auf alles scheißt. Wenn du in dieser Lebenslage steckst, ist es dir halt auch oft scheißegal. Ich versuche jedem Menschen Respekt zu zollen, das sollte er mir auch zurückgeben, sonst hat er ein Problem! Diese Welt bringt mich dazu, dass ich Scheiße bau. Ob es jetzt Gewalt ist, oder was mit Drogen.

rap.de: Wir haben gerade ja ein bisschen herausgearbeitet, dass sich diese Gesellschaft auseinander bewegt, und die Möglichkeiten eines Dialogs immer geringer werden. Ist Deine Musik eine Form von "Dialog“? 

Nate57: Ja, auf jeden Fall. Ich will für die Unterschicht sprechen…

rap.de: Das habe ich dir schön in den Mund gelegt, oder (Gelächter)

Nate57: Ja, ja, ja, habe ich schon gemerkt. (Lacht) Nein, das ist mir aber wirklich wichtig, für die Unterschicht zu sprechen, auch für Leute aus anderen Städten.

Ich finde, dass viele Rapper sich immer nur an der Oberfläche aufhalten: Straße, düster, der Hass hat geprägt, die Wut, die Grananten explodieren.

Wenn du wirklich so fühlst, Mann, dann setz dich doch mal hin und beschreibe das. Wenn man rappt, dann redet man doch auch immer mit jemandem.

Das ist ein Dialog. Du solltest rappen, wie du mit einer Person redest. Es kommt mir so vor, als ob die alle nur mit sich selbst reden. Als ob die nicht merken, dass ihnen da Leute zuhören und sich eine Meinung bilden.

Die sind auch alle nicht so ehrlich mit ihren Gefühlen. Die versuchen sich in irgendein theatralisches Feuerwerk reinzureden und machen dann Lieder über den Schmerz. Ich kann den Schmerz in diesen Texten nicht fühlen. Weil wenn du wirklich Schmerzen hast, dann musst du manchmal auch einfach Fakten zwischen den Zeilen sagen. Und dann wirst du merken, dass das wirklich den Schmerz ausdrückt. Das sind ja auch die Gedanken in deinem Kopf, diese Szenarien, wenn du Schmerzen hast, dann gräbst du die halt so aus und kannst das nicht die ganze Zeit nur in so Metaphern machen.

Ich finde es auch schwer, wenn man eine Deutschrap-CD einlegt, dann nachzuvollziehen, wer der Künstler eigentlich wirklich ist. Die spielen alle nur eine Rolle, sogar die besten.

Dann gibt es mal so Lichtblicke, ob es jetzt Alben oder einzelne Tracks sind, die ein bisschen mehr auf den Boden kommen und Situationen beschreiben. Aber die denken leider meistens, "Ich bin die und die Art von Rapper, also muss ich jetzt so und so sein – aber to the fullest!“ 

rap.de: Machst du dir Gedanken über dein Image?

Nate57: Hmmnnö! Ich mache mir Gedanken darüber, wie ich meine Gedanken am Besten nach außen vermittele, wie ich die am besten in Wörter fasse. Das fällt mir in Interviews nämlich oft sehr schwer…Und auch bei den Fotos mache ich mir Gedanken.

Aber ich mache mir keine Gedanken darüber, wie die Leute mich jetzt sehen. 

rap.de: Du forderst in einem Deiner Lieder ganz konkret: "Wir brauchen eine neue Politik, wir brauchen neue Lösungen!“ Was wären das für Lösungen?

Nate57: Mehr Verständigung, nicht mehr dieses Separieren. Die Leute sollten sich mit ihrer Nationalität auseinander setzen, und was das für physische Auswirkungen hat, aber man sollte trotzdem merken, dass alle Menschen gleich sind.

In der Politik ist das so ein kaltes, rationales Denken: Geld, Kapitalismus. Deshalb bin ich auch links. Von der Einstellung her. Auch wenn Leute sagen, das wären Nazis mit roten Tüchern, dieser Meinung bin ich aber nicht.

Deutschland ist ja ein reiches Land und uns geht ja auch nun nicht so schlecht wie den Leuten auf Haiti. Jetzt ist ein Erdbeben in Haiti, jetzt gucken da alle hin, vorher gab es da auch Missstände, da hat’s aber keinen interessiert. Jetzt sind alle so: "Oh, der Staat spendet zwei Millionen!“. Toll, warum spendet ihr nicht vorher zwei Millionen? Die haben da Lehm gebacken und gegessen, die haben Erde gegessen, damit die was im Bauch haben!

Da richten mir die Leute aus den reichen Ländern zu wenig Augen auf die Missstände der Welt. Das sollte sich ändern und die sollten das ganze Schulsystem hier kaputt machen und ein neues errichten.

Wir haben unser Essen, wir haben unsere Schlafplätze, jetzt sollten wir dafür sorgen, dass es uns besser geht, was Bildung angeht. Zu viele Leute werden unten gehalten, mit ihren Talenten und ich bin der Meinung, dass es durch das System und die Medien so fest zementiert wird.

rap.de: Und wie sieht es mit der Eigenverantwortung innerhalb Deines Umfelds aus?

Nate57: Die können nicht immer was dafür. Viele aus diesem Umfeld, wenn die zum Beispiel eine radikale politische Einstellung haben, können da nichts für, die sind halt so beeinflusst worden.

Nicht jeder hat die Zeit sich selbst zu bilden. Der muss seinen Hustle machen, Geld machen, die nächste Miete zahlen, die Eltern streiten sich. Diese Missstände sorgen dafür, dass du keine Zeit und keinen Kopf dafür hast!

Man muss ein Bewusstsein dafür schaffen! Durch Fernsehen zum Beispiel, jeder mag Fernsehen, ist schön einfach!

rap.de: Aber man hat ja auch heute schon die Wahl zwischen Arte und RTL2. 

Nate57: Ja, aber Arte macht halt zu steife, stockige Sachen. Es gibt halt auch viele Ausländer hier. Die Gesellschaft verändert sich. Ich habe gehört, dass in Frankfurt 60 Prozent der 6-Jährigen einen Migrationshintergrund haben. Da sollten die mehr Input geben.

rap.de: Also, Kultur-Sendungen im RTL2-Format?

Nate57: (Stille, dann Gelächter) Ja, das müsste es geben. Aber es darf nicht so lächerlich dargestellt werden. Heute können sich die Leute beim Fernsehen nur immer über andere lustig machen.

rap.de: Über andere Fernsehgucker?

Nate57: Ja, genau. Egal, ob jetzt Casting-Shows, Talkshows, Einsatz in vier Wänden, Frauentausch. Da geht’s immer nur um diese gestellten Battles.

Das ruft in den Menschen immer so ein gehässiges "Hahaha!“ hervor. Man fühlt sich immer stark, weil die Leute im Fernsehen noch schlimmer dran sind als man selbst. Selbst das größte Opfer fühlt sich geil, weil er sich denkt, "Ha, Guck mal die Opfer!“ Das sorgt dafür, dass es keine Verbindung mehr gibt, obwohl wir alle gleich sind. Keiner sagt mehr, "Okay, wir können ihm ja helfen, obwohl er ein Opfer ist!“  

rap.de: Okay, es gibt doch aber auch in Deinem Umfeld Leute, die komplett resistent gegen Bildung sind. Wie könnte man die erreichen? 

Nate57: Durch gute Musik. Durch Musik, die verschiedene Perspektiven aufzeigt. Es wäre doch mal geil, wenn ein Bonze Musik rappen würde, übers Bonzenleben. Wenn er das cool macht, wäre das geil.

rap.de: Das hat doch Prinz Pi, als er noch Prinz Porno hieß, gemacht. Zehlendorf-Rap, "Bei uns wächst das Geld auf dem Bäumen!“ 

Nate57: Das habe ich nie gehört…Aber der bekommt bestimmt seine Anerkennung dafür. Ist doch geil, wenn einer mal andere Leute bei sich reinschnuppern lässt und von seinem Leben erzählt.

Viele versperren sich und machen sich so ihren eigenen Kosmos. Ob es jetzt die Bierbude oder das türkische Cafè ist. Die verschiedenen Welten sollten mehr kommunizieren, in einer coolen Art, damit die anderen das verstehen. 

rap.de: Wie bist du dazu gekommen, so offen zu sein?

Nate57: Durch meine Mutter. Und meine Rasse. Ich bin Halbschwarzer, sehe aber aus wie ein Kanake, bin mit Kanaken groß geworden und Zigeunern und Schwarzen.

Ich kenne halt diese ganzen Welten und versuche da, das Positivste heraus zu ziehen. Es gibt ja auch, genetisch bedingt, Einflüsse, die man nicht wegkriegt. Es hat was mit meinem Mischlingsblut zu tun und mit meinen Freunde. 

rap.de: Hast Du das Gefühl, das neue Deutschland zu repräsentieren?

Nate57: Ja, zusammen mit meinen Freunden. Ich interessiere mich auch für diese ganzen Kulturen. 

rap.de: Du beziehst Dich auch sehr viel auf St. Pauli und vorhin hast Du ja auch gesagt, dass Du eher links bist. Habt Ihr da Kontakt zu dieser linken Hamburger Szene?  

Nate57: Das sind nicht meine Freunde oder so, aber man sieht die halt und wenn dann Ausschreitungen sind, bei den Spielen, dann ist man da auch mitten drin und steht dann da zwischen den Leuten. 

rap.de: Hat Dich das beeinflusst?

Nate57: Auf jeden Fall. Ich hab in meiner Jugend ganz wenig mit Deutschen zu tun gehabt. Das fing erst mit zehn Jahren oder so an, als ich hier in nem anderen Stadtteil zur Schule gegangen bin und da waren auch mehr Deutsche. Davor kannt ich halt nur die Punks und das waren die Linken und das waren die aus unserem Viertel.

Die waren auch so Lokalpatrioten. Um das Karo-Viertel herum, da gibt’s keine Häuser. Das ist ein Block mitten in der Stadt. Das ist ein eigener Kosmos und da wird man dann auch irgendwann stolz drauf.

Ich bin hier im Karoviertel groß geworden, seit 1993 und dann war ich in einer Schule in Altona. Das war die zweitbeste Schule Deutschlands, die Max Brauer Schule. Das war eine Fehlentscheidung. Da ist mein schulischer Werdegang kaputt gegangen dadurch.

Die Lehrer kamen nicht klar auf mich. Ich war vorher der Beste in meiner Klasse, hier im Karoviertel. Meine Klasse bestand ausschließlich aus Türken, außer vier Leuten und einer davon war ich. Das war ne Ausländerklasse und die hatten Probleme mit der Sprache, da waren viele Leute, die durch das Erdbeben in der Türkei hierher gekommen sind und kein Deutsch konnten.

Auf der neuen Schule kam ich mit der Mentalität von der alten Schule an und das hat sich halt angekeilt mit der Mentalität, was die sonst so dort gewohnt waren.

Da gabs zwar auch schlimme Jungs, aber ich war halt nervig politisch. Ich hab mich auch immer aufgeregt, wenn die Lehrer einem irgendwas komisch beibringen wollten, da hab ich immer meinen Pfeffer dazu gegeben und das konnten die gar nicht ab, weil ich oft auch Recht hatte.

Die erklären das auch alles zu bürokratisch, zu fuzziemäßig. Die Leute verstehen das dann nicht und wollen dann auch nicht mehr zuhören. Kein Wunder, dass die dann schlecht in nem Fach sind. Man könnte es denen ja auch in deren Sprache verkaufen und dann muss man keine Sonderschule machen, wo dann der mit der Sonderschule keinen Job kriegt, weil er einen Sonderschulabschluss hat.

Ich mach jetzt Abendschule. Ist praktisch. Das ist direkt vor meiner Haustür. 
 
rap.de: Bist du ehrgeizig?

Nate57: Ja. Geworden. In den letzten Jahren. Aber menschlich gesehen. Ich bin jetzt nicht ehrgeizig, am Ende superreich zu werden… Das bin ich auch, aber eigentlich will ich mich gut fühlen in meiner Haut. Ich will in den Spiegel gucken können. Ich versuch das Beste aus meinen Umständen zu machen.

rap.de: Wenn es daran liegt, dass die Lehrer nicht den richtigen Ton treffen und den Stoff nicht richtig erklären können, dann bräuchten die Lehrer doch eigentlich nur Seminare in Straßensprache. Könntest du so was anbieten?

Nate57: Da bin ich zu jung für. Da habe ich keine Zeit dafür, da hab ich kein Nerv dafür. Auch wenn ich so ne Einstellung habe… Ich versuch mein Bbestes, diese Einstellung zu befolgen, aber ich bin halt auch durch mein soziales Leben geprägt und da habe ich halt keinen Nerv, kann ich jetzt nicht.

Vielleicht, wenn ich irgendwann mal Geld hab, erfolgreich bin und mit beiden Beinen auf dem Boden steh, hab ich vielleicht Lust auf so was. Gerne. Ich setz mich gerne mit Lehrern zusammen, aber jetzt? Ich bin noch zu jung, ich bin 19, ich muss noch erwachsen werden. Ich bin noch nicht erwachsen genug. Ich hab vielleicht die richtige Einstellung jetzt, aber das ist ausbaubar. Man kann halt auch viel reden, umsetzten musst du das erst mal. 

rap.de: Mit 19 baut man manchmal noch Scheiße. Du hast trotzdem sehr viele Texte gegen harte Drogen und vor allem gegen Kokain.

Nate57: Ja, ich sage Nein zu Kokain.

rap.de: Was ja im derzeitigen Rap-Game selten ist, weil da ist Koks ja gerade das neue Haschisch. 

Nate57: Haha, ja. Ganz ehrlich. Viele Menschen in meinem Umfeld gehen an Koks kaputt oder sind kaputt gegangen, so viel Scheiße ist passiert in meinem Leben durch diese Droge und ich weiß, was das mit Menschen macht.

Es ist Gier erweckend und Gier ist böse. Man ist manchmal gierig als Mensch, da kann man nichts gegen machen, aber man sollte sich das jetzt nicht die ganze Zeit in die Nase pfeifen, nur weil man denkt "So bin ich geil und kann mehr Geld verdienen, so bin ich cooler, so bin ich härter, so seh ich gefährlicher aus“. Entweder du bist psycho oder du bist es nicht.

Die Leute ziehn auch Koks, damit sie heftig sind. Das sind in meinen Augen Pussys, wenn sie das machen, um heftig zu sein.

Man ist einfach so und wenn du nicht so bist, wieso versuchst du dann so zu sein? Warum schmeißt du dich in Scheiße?

Ich verurteile auch keine Leute, die durch ihr Umfeld und durch Scheiße süchtig geworden sind. Die können nix dafür, aber man sollte es nicht die ganze Zeit propagieren in seiner Musik.

Es ist authentisch, wenn Leute manchmal sagen, dass sie Koks ziehen, aber dann sollten sie es mal aus einer anderen Perspektive machen. Macht doch dann auch mal klar, was das für ne andere Auswirkung hat, wenn du morgens aufstehst und dich scheiße fühlst. Das wird einem immer verheimlicht.  

rap.de: Agierst Du da eigentlich pädagogisch, also, wenn Leute aus deiner Umgebung Koks ziehen. Redest du mit denen? 

Nate57: Ja, auf jeden Fall. Mit all meinen Jungs hab ich geredet. Und bis jetzt, also wirklich alle meine Freunde, keiner von denen hat gezogen bis jetzt. 

rap.de: Du sprichst in mehreren Liedern auch von Deinem Vater in der Beziehung, was ist da konkret passiert?

Nate57: Er ist drogensüchtig und das hat seine Mentalität verstärkt, also seine negativen Eigenschaften und das hat dann Krach zu Hause gegeben und dadurch musste meine Mutter sich trennen in meinem sechsten Lebensjahr.

Das hat viel kaputt gemacht. Ich werde sauer, wenn ich darüber nachdenke.

Eigentlich weiß auch jeder Kokser, wenn er ehrlich ist, dass das scheiße ist. Und gerade, wenn du jetzt Musik machst und du weißt, dass dein Kundenkreis, also die Leute, die sich das anhören, kleine Jungs in irgendeinem Dorf sind, dann sollte man schon aufpassen, was man sagt.

rap.de: Würdest Du damit handeln?

Nate57: Nein, habe ich auch nie. Wenn Leute das aus ihrem finanziellen Notstand heraus tun müssen, ist das deren Brot, aber ich bin der Meinung, dass Gras karmisch noch für mich vertretbar ist.