Killa Hakan

Irgendwo in der Naunynstraße wohnt "der inoffizielle Bürgermeister von Kreuzberg“. Killa Hakan ist ein HipHop-Urgestein, sei es für die türkische Rap-Szene in Deutschland, die türkische Rap-Szene in der Türkei oder für die HipHop-Szene in Berlin. Der 36-jährige kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Aufgewachsen als Sohn türkischer Einwanderer, Gründer der berühmt-berüchigten Gang "36 Boys“ und Mitglied der "Islamic Force“, der wichtigsten türkisch sprachigen Rap-Crew der 90er. Nach mehreren Knast-Aufenthalten besann er sich auf die Musik und brachte, zum Teil mit Rappern wie Fuat oder Ceza, fünf Alben in sechs Jahren raus. Wir sprachen bei Tee und Cola über die deutsche Polizei, die Problematik einer Knast-Karriere und sein aktuelles Werk "Volume Maximum".

rap.de: Was uns ja schon immer interessiert hat: Worum geht es eigentlich in deinen Texten, das versteht ja nicht jeder?

Killa Hakan: Ja, das ist immer so eine Sache. Das kann man nicht eins zu eins übersetzen. Wie soll ich das sagen? Die haben halt eine andere Bedeutung. Es geht aber, wie es im HipHop so ist, um Alles. Ich habe auch schon mal versucht, meine Texte auf Deutsch zu übersetzen, die neue CD "Volume Maximum" habe ich auf Deutsch übersetzen lassen, aber das Türkische ins Deutsche zu übersetzen ist halt echt schwer, weil es ganz anders ist. 

rap.de: Es ist ja auch von der Grammatik her ganz anders.

Killa Hakan: Ja, genau und die Texte handeln von so vielen Dingen, jedenfalls bei mir. Es sind halt Bilder. Wie eine Weltkugel im Kopf. Und die Welt dreht sich, und in diesem Moment schreibe ich auf, was ich halt gerade sehe.

rap.de: Sind das dann eher Gefühle?

Killa Hakan: Gefühle sind immer dabei.

rap.de: Ja, ein Türke ohne Gefühle ist wahrscheinlich gar kein Mensch.

Killa Hakan: (lacht) Ja, alleine schon Arabesk. Das steckt einfach in unseren Wurzeln.

rap.de: Kann man eigentlich auf türkisch auch so ganz rational sein, oder sind Emotionen immer mit dabei?

Killa Hakan: Ich kann das jetzt nur als Deutsch-Türke beantworten. Ich bin ja nicht der Türke, der in Istanbul aufgewachsen ist.  Was ich mache, ist eigentlich diese Almanci-Sache, dieses Deutsch-Türken-Ding. Nur halt mit einem perfekten Style. Es ist jetzt zwar nicht im reinsten Istanbuler Türkisch gerappt, aber hier in Berlin war ich in einer türkischen Klasse, jedenfalls habe ich eine Stunde Türkisch-Unterricht gehabt in der Woche und ich habe auch türkische Sachen gelesen. Ich habe mein Türkisch immer gepflegt und das hat sich dann gemischt, mit dieser Straßen-Sprache, die ich von hier kenne. Das Ganze wurde dann zu einer Sprache gemacht, die es so in der Türkei gar nicht gibt.

rap.de: Was ist das Spezielle an diesem Deutsch-Türken-Ding? Ist das nur eine Sache der Sprache oder schlägt sich das auch im Denken der Leute nieder?

Killa Hakan: Das ist ja das Gleiche. Wer schreibt, der denkt ja auch. Das war auch das, was ich mit der Weltkugel meinte. Die Kugel erscheint im Kopf, man denkt, man schreibt und hier ist ja auch eine Gegend, wo man viel erlebt. Ich bin ja schon seit meiner Geburt hier. Hier gibt es schon einiges, über das man schreiben kann.

rap.de: Also, die Themen, mit denen Du dich beschäftigst, sind die Dinge, die Du siehst?

Killa Hakan: Ja, ich berichte vom Leben. HipHop handelt ja, so habe ich das jedenfalls gelernt, vom Leben. Was anderes kann ich ja nicht machen. Ich kann ja jetzt nicht einfach was zusammenphantasieren. Also, könnte ich schon, aber das wäre dann nicht HipHop, wie er sein sollte.
Ich schreibe auch nicht darüber, wie schön ein Auto ist und wie schön man damit rasen kann. Das finde ich einfach nicht spannend. Und das ist auch nicht mein Style. Ich hatte schon coole Autos, aber das ist nicht unbedingt etwas, was man erzählen muss. Meine Politik im Kopf sieht halt anders aus. Ich weiß einfach, dass es schwer ist, den Leuten da draußen noch was zu erzählen. Und wenn man schon Fans hat, eine gewisse Basis, dann muss man auch auf seine Texte achten.
Ich musste schon immer vorsichtig sein, ich durfte bestimmte Wörter nicht sagen. Wörter wie "Ficken“ und "Blasen“. Wir wollten ja unbedingt, dass der türkische Rap in die Familienhäuser reinkommt. Deshalb mussten wir da immer drauf achten.
Fuats "Hassickdir?“ war da ein bisschen die Ausnahme. Das war schon geil. Eines der besten Alben.

rap.de: Weil es so schmutzig und dreckig war?

Killa Hakan: Hmmja, Fuat war ja auch so ein Deutsch-Türke, aber er war ja mehr so in dieser deutschen Battle-Szene und deshalb hat er auch so gehandelt, was ich ja auch immer gut fand.
Wir hatten aber halt das Ziel: "Das muss jetzt in die Familienhäuser, das muss jetzt nach oben!“ Jetzt ist es natürlich ganz anders, jetzt ist HipHop in der Türkei gang und gebe. Und das freut mich. Aber wir mussten damals noch total aufpassen. Aber ich habe dadurch die ganzen Sachen chiffriert, was so auch einmalig ist und deshalb bin ich auch in der Türkei ziemlich beliebt.

rap.de: Verstehen Dich die Leute in der Türkei?

Killa Hakan: Ich war jetzt auf Festival-Tour in der Türkei. Und egal, in welcher Stadt ich war, es waren immer so 30.000 Leute da. Und ich konnte bei manchen Stellen der Lieder ganz leise rappen, die Leute haben den Text so laut mitgerappt, dass ich jedes Wort verstanden habe. Da war mir klar, dass mich die Leute sehr gut verstehen.

rap.de: Obwohl Du eine Sprache sprichst, die es so gar nicht gibt?

Killa Hakan: Ich setze die Wörter immer ganz anders um. Ganz anders. Mehr Metaphern, Bilder. Das ist richtig Metapher-Style. Es ergibt sofort Bilder, bei denen man lächelt, bei denen man ernst wird. Ich habe schon das Level gefunden, bei dem die Leute das interessant finden. Es war auch schwierig. HipHop kam in der Türkei ja erst sehr spät an. Wir hatten da auf jeden Fall noch einiges zu tun, kannste mir echt glauben (lacht)

rap.de: Ich habe das ja immer ein bisschen verfolgt. Das ist ja so ein tragisches Phänomen, das hier so viele Türken wohnen, und dann passiert so wenig mit der türkischen Szene in Deutschland.

Killa Hakan: Deshalb habe ich auch so viele deutsche Features auf dem Album. Man wächst zusammen auf, erlebt etwas gemeinsam, man redet türkisch, redet deutsch. Und das ist es auch, was HipHop für mich ausmacht. Das Verbindende. Denn früher war es auch immer so. Der eine hilft dem anderen. Ich verfolge immer noch diese Gruppen-Sache.

rap.de: Wenn ich mir jetzt die Feature-Liste vom neuen Album angucke, dann fehlt ein großer türkisch-deutscher Name, nämlich Savas.

Killa Hakan: Ja, ich konnte Savas leider nicht mehr erreichen, aber er ist immer in meinem Herzen. Savas ist immer mein Bruder, auch wenn er schon lange nicht mehr hier wohnt. Vielleicht ergibt sich ja noch was.

rap.de: Jetzt hast du gesagt, dass deine Texte auch von Familien gehört werden sollen. Warum ist dir das so wichtig?

Killa Hakan: Ich komme ja von ganz tief unten, ich habe ja die ersten Stunden mitgemacht, im türkischen HipHop. Und am Anfang kam immer der Vogel?

rap.de: (verwirrt) Was? Der Vogel kam?

Killa Hakan: Naja, man hat uns den Vogel gezeigt. Und daher kommt auch diese militärische Sprache, weil wir jeden überzeugen mussten. Wir mussten zusammenhalten und mir war klar, dass das nicht so illegal sein durfte. Die Eltern mussten ja auch mithören können. Oder es wenigsten den Kindern erlauben, unsere Musik zu hören, damit das überhaupt erst seinen Weg gehen kann. Als ich im Jahr 2000 im Knast war, da waren auch so alte Leute, die gar nichts mit Rap zu tun hatten. So’n Mörder, der seine Frau umgebracht hat und sowas. Und denen musste ich dann immer war vorrappen. "Killa, rap‘ mal was!“ Das musste immer sauber sein, damit die mich ihren Kindern empfehlen. Das war nicht so wie im Deutschrap, wo man sagen konnte, "Ich fick deine Muschi“ und allen gefällt es.
Heute haben die Leute das angenommen. Es gibt mittlerweile viele, die an den Start kommen wollen. Wenn ich jetzt zum Beispiel sage, "Du kannst nicht mit mir ficken“, dann schreibe ich das ganz anders, ich schreibe das chiffriert.
Die Älteren verstehen es, die verstehen die Metaphern für so Kraftausdrücke. Deshalb bin ich auch so beliebt geworden, weil es keine Wörter wie "Ficken“ oder "Yarrack“ in meinen Texten gibt.

rap.de: Es ist also nie so direkt?

Killa Hakan: Nee, es ist immer in Metaphern. Und die Texte, die ich schreibe, sind auch schon in den Häusern angekommen. Und mal sehen, was jetzt passiert. "Volume Maximum“ ist jetzt draußen und ich lege immer sehr viel Wert darauf, dass ich auch mit dieser Deutschrap-Sache verbunden bleibe. Ich habe ja auch viel damit zu tun, auch wenn ich jetzt nicht auf Deutsch rappe. Ich habe immer versucht, Frieden zu stiften, oder zwischen Leuten den Kontakt herzustellen.
Viele wissen, das gar nicht, aber im Deutsch-Rap hatte ich immer viel zu sagen. Deshalb liebe ich auch den deutschen Rap. Leute wie Kool Savas oder Eko Fresh oder auch Alpa Gun. Ich mag deutschen Rap, deshalb arbeite ich auch gerne mit denen. Alpa ist auch ein Türke, aber rappt auf Deutsch. Man sollte das ganz normal sehen. In den Schulklassen wachsen Deutsche neben Türken auf. Wir leben hier und wir müssen da zusammenhalten.

rap.de: Hattest du denn auch das Gefühl, ein Teil der deutschen HipHop-Szene zu sein, oder hast du dich ausgeschlossen gefühlt?

Killa Hakan: Ich hatte hier viele Gäste, viele Deutsch-Rapper waren hier zu Gast. Und ich war immer mitten dabei. Ich war auch dabei, als Eko zu Bushido gekommen ist. Ich war bei vielen Sachen dabei. Aber halt immer so im Nebel, im Verborgenen.
Bei vielen Sachen, die noch einen Schubs gebraucht haben im Deutschrap, hab ich dafür gesorgt. Viele lieben mich auch dafür, weil ich einfach dieser Community-, dieser Gruppenmensch bin und andere immer fördere. Wenn einer korrekt ist, gebe ich das Beste für ihn.
Wenn einer sagt “Guck mal, mit dem würd` ich gerne was machen“ dann geh ich hin und versuche die beiden zu connecten.
Ich mache immer weiter, weil ich mir denke, das muss im Hip Hop so sein. Das war immer mein Prinzip.

rap.de: So richtig Oldschool.

Killa Hakan: Ja, ich komme auch von der Oldschool. Du kennst ja noch meine barbarische Zeit. Ich hatte auch wirklich nix. Boby ist gestorben im Jahr 2000 und dann musste ich alles selber lernen. Jetzt bin ich mittlerweile Profi geworden, aber wie gesagt, die Zeit ist geflogen. Ich hatte keine Ahnung vom Biz. Jedenfalls, bin ich jetzt an einem Punkt angekommen, wo ich weiß, wo es Dunkel und Hell ist. Früher war ich immer so Hell-Hell. Aber im Alter wird man gelassen und dann macht man auch gute Sachen. Also, gute Sachen heißt dann organisiert.
Es war eigentlich alles gut, was ich gemacht habe aber es war unorganisiert. Es ist verflogen im Wind, so einfach und ein paar Leute, das war mir schon von vornherein klar, dachten “Was ist das denn für ein Kanake?“.
Du musst ein Krieger sein! Ich war immer hinter der Sache her und ich wollte zeigen, dass es mir ernst ist. Ich komm von der Straße, auf der Straße ist es anders. Man muss manchmal ein Bastard sein, obwohl man keiner ist. Es ist wie im Krieg. Du musst von den ganzen Schlachten zur Zielgeraden.
Ich kenne die Arbeit, die ich für Türkischrap geleistet habe und es kommt wirklich durch Liebe. Ich hab die Musik geliebt und ich weiß woher ich komme. Ich komme von tief unten. Ich hab die Musik von Herzen gelernt, nicht in der Schule, sondern durchs Hören.

rap.de: Warum war Ceza eigentlich so lange hier? Er ist ja auch auf zehn Songs von Deinem neuen Album drauf.

Killa Hakan: Er hat einen Kurs hier gemacht und Workshops im Theater Hebbel am Ufer und er hat sogar ne Aufenthaltsgenehmigung. Jetzt ist es sein zweites Jahr und er will noch sein drittes Jahr hier machen und danach keine Ahnung.

rap.de: Also ein richtiger Rap-Gastarbeiter.

Killa Hakan: Kann man so sagen. Deswegen war er auch so lange bei mir. Und ich hab auch danach gesagt, lass uns die Zeit nicht verplempern, lass uns was machen.

rap.de: Jetzt hast Du mehrmals gesagt, dass du von unten bist und Du warst ja auch im Knast. Weswegen?

Killa Hakan: Ich war schon mit 15 im Knast. Und die erste Tat war voll bescheuert. Ich war in einem geschlossenen Heim für schwer Erziehbare. Es war ein richtiger Knast, aber weil wir zu jung waren, hat man uns dahin gesteckt. Zwei Wochen war ich da und nach vier Wochen war ich wieder da und der Pförtner hat zu mir gesagt: “Ich hab Deine Karte gar nicht weggeworfen, weil ich wusste, dass Du  wieder kommst.“ Nach vier Wochen war ich zwei Monate drin und nach drei Monaten kam ich nach Plötzensee.

rap.de:  Das war dann so richtig im Knast.

Killa Hakan: Ich hab im Knast gelernt.

rap.de: Was hast Du da gelernt?

Killa Hakan: Naja, mehr. Du kommst zum Beispiel wegen Zeitungsladenraub rein und dann hörst Du: “Du Idiot. Warum hast Du das gemacht? Mach doch das. Das bringt doch mehr!“ Und so lernst du. Man kommt eben auf dumme Gedanken. Ich war noch frisch damals, 15. Raus wieder rein und dann kam Plötzensee, ich glaub, es war 1992. Dann kam meine Karriere, meine Knastkarriere. Ich war der erste, der drin war. Dann kamen die Babas und ich hab sie empfangen. Ich hab deren mieseste Situation erlebt. Deshalb bin auch sehr bekannt, weil ich der Erste war im Knast. Insgesamt war ich dreieinhalb Jahre drin.

rap.de: Ist es schwer von so einem “raus-rein“ Lifestyle wegzukommen?

Killa Hakan: Also ich kann das jetzt nur sagen, weil die Musik mich weggebracht hat von der Straße. Davor gab es in meinem Umfeld nur: Gang, kämpfen, essen, trinken, kämpfen. Meine Geschichte war von Anfang an bekackt. Die Eltern waren hier und wollten Geld verdienen, so dass sie sich in der Türkei ein Haus kaufen können. Deswegen sind wir hier. Viele Kinder sind darum mit 15,16 von der Schule abgegangen und dachten: “Wir gehen sowieso in die Türkei, lass uns mal ein wenig Geld machen“. Aber dann kam irgend ein fucking Militärputsch in der Türkei, so dass die Eltern gesagt haben: “Ok. Wir bleiben hier und die Kinder sollen doch in Europa in die Schule gehen“.
Das war der erste heftige Schlag, menschlich gesehen. Keiner hatte deutsche Freunde, weil jeder dachte: “Wir gehen wieder zurück“. Die, die abgegangen waren, waren richtig am Arsch. Und wir mussten alle zusehen, wie wir jetzt in Deutschland weiter machen.
Vorher gab es die Vorstellung nur in meinem Kopf und auf einmal fiel dann auch die Mauer. Ich dachte, wir gehen nach Dänemark oder so und dass ich jetzt keinen Pass mehr brauche, wenn ich rübergehe. Ich wusste gar nicht, was das bedeutet.
Nach der Öffnung der Mauer bin ich im Kieferngrund gelandet, in diesem Haus für Schwererziehbare. Deswegen kenne ich auch die Ostler so gut, weil genau als ich drin war, ist irgendwo im Osten in einem Knast irgendwelche Kacke passiert und alle kamen dahin. Der erste Ostler, den ich kennen gelernt habe, war Thomas. Der hat irgendjemanden abgestochen wegen Essen. So einer war das. Und er hat mir erzählt, was im Osten eigentlich abgeht und dass der Vater ihn bei seiner Geburt in der Fahrschule angemeldet hat, weil es 18 Jahre gedauert hat, bis man eine Zulassung zur Prüfung bekommt. Er hat mir erzählt, es gab keine Auberginen und Bananen gab es im Monat vielleicht zwei mal und solche Sachen. Und ich dachte mir: “Ist ja genau so wie im Knast, eigentlich.“ Da hab ich erst im Knast erfahren, wie es drüben war.

rap.de: Du hast in vielen Interviews auch gesagt, dass es ab da schlimmer wurde. Also der Kriegszustand.

Killa Hakan: Nach der Mauer? Ja, es war alles durcheinander. Die Optik. Auf einmal ist die Mauer hinter Dir offen. Wo die ganze Zeit Jeeps mit Maschinengewehren rumgefahren sind. Die Patronen haben in der Sonne gefunkelt. Die Kinder haben geheult. Deswegen kamen die runter und haben Süßigkeiten verteilt, damit die keine Angst haben. Es waren richtig Maschinengewehre, Soldaten hinter uns. Und auf einmal öffnete sich eben diese Mauer. Wir sind dann rüber gegangen und haben geguckt was da abgeht.
Bei mir gab es immer Action. Aber immer nur Scheiße mit Polizeiwache und so. Und in der Gruppe waren wir 20 Leute, die keine Ahnung und keinen Plan hatten. Wir wussten nicht, was wir machen sollten. Keiner hat irgendwas richtiges gelernt, keiner konnte ein Formular ausfüllen. Was machen wir jetzt? Und die Polizei ist immer um Dich herum. 20 Leute, Kreuzberg, nachts und immer nur Ärger. Es gab immer nur Ärger.

rap.de: Leben die Jugendlichen heute auch genau so?

Killa Hakan: Nee, die sind gebildeter. Bei uns hat die Bildung gefehlt. Die jetzigen Eltern lassen ihre Kinder richtig europäisch aufwachsen. Jeder weiß, was er zu tun hat.

rap.de: Glaubst du, dass es sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren auch in der Integrationspolitik verbessert hat?

Killa Hakan: Ich weiß nicht, weil ich die Politik auch nicht unbedingt verfolgt habe. Weil ich bis vor ein paar Jahren noch nicht einmal wusste, was Integration ist, ehrlich gesagt. Ich dachte, das ist ein Autoreifen oder so was.
Die Leute haben Zeit gebraucht, um sich diese europäische Lockerness anzueignen. Du kennst ja dieses Türkische "Du darfst das und das nicht“. Aber jetzt sind die Leute lockerisiert, europäisiert. Die sind jetzt in Europa, die leben jetzt hier. Ich habe auch vieles gelernt und weiß jetzt, was Sache ist. Ich kann diese Bildung weitergeben. Früher konnte uns keiner Bildung weitergeben, weil keiner Bildung hatte. Viele sind aus Dörfern gekommen, um hier zu arbeiten und das war schon schwer für uns Gastarbeiterkinder damals. Wir mussten mit allem klar kommen. Ich bin schon zufrieden, dass wir es so weit gebracht haben und ich weiß, was für ein harter Weg hinter mir liegt, wenn ich zurück gucke.
Wie gesagt, ich komm vom Gangleben und das war damals kein Spaß. Wenn man gebildet ist, macht man auch keine Fehler und die Jugend, die jetzt kommt, ist gebildet. Es gibt natürlich immer ein paar Pflaumen, aber die werden auch schon lernen. Es wird nie wieder so eine Zeit kommen wie damals bei uns, schon alleine wegen dem Internet. Das kann natürlich noch besser werden, aber das ist dann natürlich die Politik, die für ein paar Sachen sorgen sollte. Ansonsten ist die Jugend, die jetzt aufwächst, schon sehr europäisch. Wir haben ja alle dazu gelernt, auch meine Eltern und ich.

rap.de: Hast Du Dir jemals überlegt, doch zurück in die Türkei zu ziehen? Das hört sich ja alles so an, als hätten nur deine Eltern damals gesagt: "Nee, wir bleiben hier“.

Killa Hakan: In die Türkei werde ich nie wieder für immer zurückkehren, dafür bin ich schon zu Almanci, zu sehr Deutschländer. Die werden mich auch nie als Türken da sehen, das kann ich dir auch sagen. Diese Almanci Sache ist immer da. Ich bin da sehr beliebt, aber Deutschland werde ich bestimmt nicht aufgeben, weil ich hier aufgewachsen bin. Das hier ist meine Umgebung und ich habe meinen Freundeskreis hier. Das ist Heimat für mich.

rap.de: Denkst du auf Deutsch oder auf Türkisch? Oder so gemischt?

Killa Hakan: Wenn ich im Kopf denke, dann türkisch, aber wenn ich jetzt zum Beispiel rede, ist es automatisch auf einmal Deutsch. Das geht von alleine, da gibt es keine Übersetzung mehr im Kopf. Aber im Kopf denke ich mehr auf Türkisch. Wenn ich auf Türkisch schreibe, ergeben sich die Bilder auch viel schneller.

rap.de: Wie ist dieses Gefühl, wenn man in keinem Land richtig akzeptiert wird?

Killa Hakan:  Ach ich sehe das mittlerweile nicht mehr so eng. Dafür sind wir halt auch diese speziellen Menschen. Das gibt es auch nicht oft, so eine spezielle Rasse, sag ich mal.
Ich meine, ich habe hier viele Möglichkeiten gehabt, was zu machen. Europa ist eben anders. Ich weiß nicht, was mit mir passiert wäre, wenn ich in der Türkei geboren wäre? Diese Frage wird immer in meinem Kopf bleiben. Was wäre passiert, wenn ich dort aufgewachsen wäre? Hier weiß ich mittlerweile, was passiert ist.
Meine ganze Verwandtschaft lebt in der Türkei. Das ist diese Bindung, die man zur Türkei hat und jedes Mal, wenn du da hingehst, dann wirst du ja auch umringt, geliebt und vergöttert sozusagen und diese Liebe bleibt. Es steigert sich sogar von Jahr zu Jahr und deswegen bleibt diese türkische Ader auch immer in dir. Tief verwurzelt.
Bei uns ist denn so, dass wir halt noch diese europäische Lockerness haben, die wir uns mittlerweile angewöhnt haben.

rap.de: Jetzt war früher die Hip Hop Szene sehr politisch und ihr hattet viel mit der örtlichen Antifa zu tun…
   
Killa Hakan: Zu tun hatten wir mit der Antifa eigentlich nichts. Damals wussten wir ja gar nicht, wer oder was die Antifa eigentlich ist? Aber klar. Das ist Kreuzberg. Da waren besetzte Häuser, damals und da ist es ja auch klar, dass hier mehr Antifa Cafes und Clubs waren, wo wir uns auch aufgehalten haben.
Wir waren natürlich gegen rechts und dann ist man natürlich auch so da. Früher hat man ja auch gesagt: "Ok jetzt gibt’s Demos gegen Nazis“ und dann hat man einfach mitgemacht. Ob man dadurch zum Antifa wird, weiß ich nicht.
Später gab es dann Probleme mit den verschiedenen politischen Gruppierungen. Viele von den Eltern hatten ja noch Kinder in der Türkei gelassen und die hatten dann noch diese türkische Kultur in sich. Irgendwann haben die Eltern auch diese Kinder nachgeholt und diese Generation, die dann nach Deutschland gekommen ist, hat dann ihre politischen Parteien und Streitereien mitgebracht. Dann kam mit der Zeit auch so die Scheiße. Wir hatten diese Probleme vorher nicht. Wir hatten andere Probleme. Diese ganze Rechts- und Links-Kacke.

rap.de: Spielt Politik in Deinen Texten eine Rolle?

Killa Hakan: Nein, weil ich von vorneherein in einer Gruppe aufgewachsen bin, mit verschiedenen Nationen.
Nach der Öffnung der Mauer mit den ganzen Rumänen und Polen. Da kamen Russen, so Boxer, richtige Weltmeister, die es irgendwie geschafft haben und abgehauen sind, die wurden dann zwar nach drei, vier Tagen aus dem Knast entlassen, aber die Zeit hatte man dann schon miteinander. Wir haben uns so in der Tarzansprache unterhalten, aber wir kamen eben zurecht. Jeder verstand ein bisschen was.
Alexander kam zu uns, das war ein Kickboxer, das war richtig optik. Das war ein richtiger Film. Ich dachte nur, was ist das denn? Zum Glück haben die mich immer alle geliebt, aber ich habe auch manchmal gestaunt. Jeder hatte Respekt vor mir, das war immer so. Ich war auch ein Krieger, aber manchmal habe ich selber gestaunt.
Aus Jugoslawien kam eine richtige Mafiagang, das waren Diamantenräuber, die sind in Museen eingebrochen, das waren richtige Optik Leute.
Die Öffnung der Mauer hat mir im Knast sehr viele Nationen gezeigt, mit denen ich auch Zeit verbracht habe und mit denen ich nie über Politik gesprochen habe. Ich hatte kurdische Brüder um mich herum und andere und das ist auch heute noch so. Alle wissen das. Bei mir wird niemals über Politik gesprochen und diese Leute, die diesen Hass in sich tragen, sind auch gar nicht bei mir, weil jeder weiß, dass ich das gar nicht hören will. Da bin ich total dagegen, weil ich einfach ganz anders aufgewachsen bin.
Wer korrekt ist, ist einfach cool und der ist einfach Bruder. Egal ob er jetzt, Russe oder Jude oder sonst was ist. Kein Problem für mich. Weil es gibt auch unter den Türken Wichser und Arschlöcher, deswegen sehe ich die Sache so: Wer cool ist, der ist cool. Korrekt.

rap.de: Du hast gerade gesagt, dass du ein Krieger warst. Was heißt das?

Killa Hakan: Ich war früher so, dass ich die Leute direkt angegangen bin, wenn sie mich angeguckt oder angerempelt haben. Auch wenn es nur zufällig war. Es gab sofort eine Schlägerei, egal wie groß oder wie klein der war. Ich hatte damals vor niemandem Angst. Ich hoffe, er verzeiht mir, wenn ich das jetzt sage, aber nicht einmal vor Gott. Ich hatte keinen Respekt, vor niemandem. Jetzt würde ich das nicht mehr machen, nur weil ich denke, dass mich jemand schief angeguckt hat.

rap.de: Was würdest Du einem Jugendlichen sagen, der heute so drauf ist, wie Du damals?

Killa Hakan: Ich müsste erst mal gucken, ob ich überhaupt mit ihm reden kann. Ich kann sehen, ob er das überhaupt kapieren würde. Bei den meisten ist es so, dass man erst mal abwarten muss, dass die sich irgendwo verbrennen, weil sie das sonst nicht kapieren. Mit denen kann man nicht reden.
Es gibt so ein türkisches Sprichwort, dass ich auch in einem Text gerappt habe. Es heißt "Einer, der noch nie die Faust eines Fremden gespürt hat, denkt, dass seine Faust ein Vorschlaghammer ist.“ Manche Sprichwörter passen sehr gut.

rap.de: Glaubst Du, dass Du die Faust des Fremden gebraucht hast, um zu kapieren?

Killa Hakan: Ehrlich gesagt, war die Faust des Fremden meine eigene Faust. In dem ich im Knast war, hab ich mir selber eine gegeben. Aber im Endeffekt kann man das schon so sagen.

rap.de: Du musstest es auch auf die harte Tour lernen?

Killa Hakan: Jetzt nicht in dem Sinne, dass ich auf die Fresse bekommen habe, aber es ist ja an sich das Gleiche. Eigentlich noch schlimmer. Ich hätte lieber in die Fresse bekommen, als meine Jugend im Knast zu verbringen.

rap.de: Hast Du Respekt vor der deutschen Polizei?

Killa Hakan: Ja, auf jeden Fall. Die deutsche Polizei ist die beste Polizei überhaupt auf der Welt. Die lassen nichts durchgehen. Wenn du da einmal gemeldet bist, hast du verloren. Du darfst nie mit ihnen in einen Konflikt kommen. Wenn die dich einmal erwischen, bist du für dein Leben gefickt. Ein Bulle hat mal zu mir gesagt: “Du kannst 365 Tage haben, ich will nur eine Stunden davon.“ Er meinte damit: Du kannst 365 Tage im Jahr aufpassen, aber eine Stunde schläfst du bestimmt und dann kriegt er dich.

rap.de: Viele sagen ja, dass die Polizei in Deutschland zu weich ist.

Killa Hakan: Nein, nein, die sind bescheuert. Machst Du Lärm, kriegst du einen auf den Deckel. Aber es ist cool, die sind menschlich. In der Türkei ist es mittlerweile auch so, aber trotzdem würde sich keiner gefallen lassen, was sich die deutsche Polizei gefallen lässt. Aber es gibt auch hier wirkliche Arschlöcher, die von vornherein keine Schwarzhaare sehen wollen. Das gibt es. Aber die meisten sind eigentlich locker, cool und hilfsbereit. Sie reden mit einem. Es ist alles ok eigentlich. Gegen den deutschen Staat kannst du am Ende nichts machen. Wenn sie dich in die Hand bekommen, wollen sie kein Geld, sie halten nicht die Klappe, lassen sich nicht bestechen. Das ist auch gut bei der deutschen Polizei. Korruption gibt es nicht. Auch wenn du der Sohn vom Bundeskanzler wärst.
Das ist sehr gut, das sollten sich viele abgucken. Ich kenn die Polizei sehr gut, ich bin mit denen aufgewachsen.

rap.de: Gut und wie geht es jetzt bei Dir weiter? Bei der Dokumentation “In The Lab“ hast Du gesagt, Du machst Hip Hop, bis Du stirbst.

Killa Hakan: Ja, da ist was in mir. Ich muss das machen. Ich liebe das. Ich höre meine Musik selber, es macht mir Spaß. In der Türkei bin ich mittlerweile so weit bekannt, dass ich es schaffen könnte, mit den Plattenfirmenbossen zu verhandeln.
Ich werde mein Album auf jeden Fall nächsten Monat in der Türkei rausbringen, egal was passiert. Natürlich bin ich auch gespannt, was jetzt hier passiert, aber es läuft ganz gut.

rap.de: Vielen Dank für das Gespräch.