DJ Vadim

DJ Vadim. Das ewig verkannte Wunderkind. Einer der hartnäckigsten Künstler im Game und konstanter Lieferant exquisiter und qualitativ wertvoller Hip Hop Produktionen. Doch keine Angst. Kommerzieller Erfolg ist tatsächlich nicht alles, was man in einem Künstlerleben erreichen kann und so scheint DJ Vadim ein ausgeglichener, selbstbewusster und zufriedener Mensch zu sein. Nach überstandener Krebserkrankung und mit neuem Album kommt der Isolationist gestärkter daher denn je und so unterhielten wir uns bei seinem letzten Deutschlandbesuch über Marketingbudgets, das real keepen von 18-jährigen Hip Hoppern und darüber, was passieren würde, wenn es zum Duell Dr. Dre und Vadim kommen würde. Zück die MPC Mu’fucker!

rap.de: Am Freitag war deine Record Releaseparty. Leider waren wir nicht da. Was kann man von einer Vadim Liveshow erwarten?

Vadim: Jede Party ist anders, es kommt immer darauf an, was ich mache und darstelle und wer alles dabei ist. Wenn die Leute kommen, um sich mein DJ Set anzuhören, dann rocke ich die Party. Ich weiß, was die Leute hören wollen, ich bin kein DJ, der nur spielt, worauf er Lust hat und dem es egal ist, ob die Leute tanzen oder nicht. So jemand bin ich nicht. Aber andererseits bin ich auch keine Jukebox. Ich spiele nicht die ganze Zeit Tupac, Biggie, Wu-Tang oder diese ganzen anderen Classics. Die Leute fragen dann immer warum, aber ich bin einfach nicht so ein Typ. Ich mochte immer die Vorstellung, dass ein DJ sein Publikum gleichzeitig unterhält und erzieht. Als DJ habe ich meiner Meinung nach die Aufgabe, den Leuten neue Dinge zu zeigen. Sachen, die sie noch nie zuvor gehört haben und die vielleicht ihre Lieblingslieder von Morgen werden. Es geht nicht darum, den Leuten zu sagen, was sie hören sollen. Als Jugendlicher bin ich oft zu Veranstaltungen gegangen, bei denen DJs aufgelegt haben und die haben Sachen gespielt, die ich noch nie gehört hatte. Daraufhin habe ich dann versucht herauszufinden, was das für Platten waren. Was haben zum Beispiel Kool Herc, Grandmaster Flash und Bambaaata aufgelegt? Diese Sachen sind heute als Klassiker bekannt, aber damals habe ich mir nur gedacht "Krass, was hat Flash da gespielt??“. Es kommt auf die Stadt an, aber die viele Leute wollen, wenn sie abends weggehen und sich einen DJ anschauen, nur die Hits hören. Sie haben diese Liste in ihrem Kopf und genau das wollen sie hören. Gangstarr, "Simon Says“, Method Man und so weiter und das genau in dieser Reihenfolge.

rap.de: Aber das klingt nach einer guten Party.

Vadim (lacht): Manchmal spiele ich ja auch mehr Klassiker. Ich sehe ja, was das Publikum will. Manche warten auf die ganzen alten Hits, an anderen Abenden wollen die Leute hören, was du so machst und was du persönlich gut findest. Aber zurück zur Frage, was einen bei einer Liveshow von mir erwartet: große Boxen, Breakdancer und so weiter. Das hängt natürlich auch immer vom Budget des Veranstalters ab. Wenn das nur 100 Euro sind, dann kriegen sie eben auch nicht so viel geboten. Wenn sie großzügiger sind, dann reiße ich das verdammte Haus ab. Es kommt auch darauf an, was ich gerade promote. Für dieses Album jetzt habe ich einen Rapper, einen Sänger und einen Keyboard-Spieler.

rap.de: Hängt es auch davon ab, wo du tourst?

Vadim: Ja, ich habe ja Auftritte in den USA, in Europa, UK… Da gibt es wirklich Unterschiede, zum Beispiel ist es sehr teuer, nach Australien zu fliegen. Da komme ich auch gerade her und es ist im Allgemeinen wahnsinnig teuer und schwierig, dort eine Show zu machen. Da trete ich dann alleine mit dem MC auf.

rap.de: Gibt es große Unterschiede zwischen einem reinen DJ Auftritt und einer Liveshow, was dein Auftreten angeht?

Vadim: Wenn ich als DJ auflege, dann bin das einfach nur ich. Wenn ich zusammen mit anderen Leuten auftrete, dann teile ich mir mit ihnen die Bühne. Das könnte man mit dem Wu-Tang Clan vergleichen. Wenn die gemeinsam auftreten, sind sie ja auch nicht nur Method Man. Wenn ich hier in Berlin im Cassiopeia auflege, dann ist das auch nur meine Show, egal ob ich meine eigene Musik spiele oder irgendwelche Party-Hits.

rap.de: Du hast immer wahnsinnig viele Projekte am Start. Brauchst du diese Abwechslung?

Vadim: Alles was ich mache, mache ich gerne. Egal ob Auflegen, Produzieren oder die Liveshows. Meine Frau behauptet auch, dass ich ein Workaholic bin. Aber wenn ich dieses Wort höre, denke ich an einen Manager, der den ganzen Tag arbeitet und nie für seine Familie Zeit hat. Wenn du liebst, was du tust, einen kreativen Job hast, eine Leidenschaft, dann ist das nicht wirklich Arbeit. Du steckst deine Kraft einfach in deine Leidenschaft. Aber ich verstehe was du meinst. Nach einer schweren Krankheit nehmen sich manche Leute für mehrere Monate eine Auszeit, weil das ein größerer Vorfall in deinem Leben ist, der dich wirklich mitnimmt. Also dachte ich mir, ich würde mir nach meiner Augenkrebs-Erkrankung auch etwas Zeit nehmen, um mich wieder zu erholen. Ich kam aus dem Krankenhaus und blieb ungefähr zehn Tage zu Hause. Ich habe Filme geguckt und einfach nur abgehangen. Irgendwann musste ich aber einfach wieder Musik machen. Es hatte sich lauter Negatives in mir angestaut und nach gut sechs Wochen, in denen ich nicht im Studio gewesen war, musste ich es einfach rauslassen. Deshalb kam dann auch das Album raus.

rap.de: Bist du des Ganzen nicht manchmal müde?

Vadim: Weißt du, als ich 1992 damit angefangen habe, Beats zu machen, hatte ich noch von nichts Ahnung und habe mir nicht viele Gedanken gemacht. Ich war damals auch erst 22 Jahre alt und hatte einfach Spaß an der Sache. Jetzt bin ich älter, habe eine Frau und kann nichts anderes, als Musik zu machen. Vielleicht ist nicht jede einzelne Party, die ich mache, der volle Erfolg, vielleicht bin ich bei einer Veranstaltung und denke mir, dass das hier gerade die langweiligsten Menschen der Welt sind, aber im Endeffekt werde ich dafür bezahlt, da zu sein und nach zwei Stunden gehe ich nach Hause. Also ist mir das scheißegal. Das mache ich lieber, als bei McDonalds zu arbeiten. Ich bin in der privilegierten Position, Geld damit zu verdienen, andere Leute zu unterhalten und wenn die Rolling Stones oder Jay-Z behaupten, dass jede einzelne ihrer Shows unfassbar abgegangen ist, dann lügen sie einfach. Das kann gar nicht sein.

rap.de: Aber ich glaube, Jay-Z interessiert es gar nicht, ob seine Shows der absolute Kracher sind.

Vadim: Wahrscheinlich nicht, der macht seine 200.000 oder 500.000 Euro, egal wie es läuft. Der betritt nur die Bühne und kriegt schon sein Geld. Der macht genau eine Stunde Show, keine Minute länger, ist sehr professionell, spielt alle seine Hits und die Fans sind glücklich. Er lebt seinen Traum.

rap.de: Was ist dein Traum?

Vadim: (überlegt) Ganz ehrlich? Ich lebe meinen Traum schon. Wenn man mir vor 15 Jahren gesagt hätte "2009 bist du da und da“, hätte ich es niemals geglaubt. Ich liebe es, Musik zu machen, durch die gesamte Welt zu reisen und neue Orte kennen zu lernen und genau das mache ich jetzt. Trotzdem werden die eigenen Ansprüche und Ziele natürlich immer größer. Wenn du 16 bist und deine ersten 300 Euro kriegst, dann hältst du das für wahnsinnig viel Geld. Wenn du 18 bist, sind 300 Euro schon gar nichts mehr, da müssen es schon 1.000 sein. Wenn du 20 bist, sind es schon 2.000 und so weiter. Du steckst deine Ziele einfach immer höher und genau so ist das auch mit Künstlern und ihrer Musik. Du möchtest immer mehr. Auch Michael Jackson fragt sich, wie er noch erfolgreicher werden kann, aber was ist bei ihm die nächsthöhere Stufe? Ich lebe meinen Traum und habe trotzdem noch Ansprüche an mich selbst. Ich weiß, dass meine Musik noch viel besser sein und mehr Leute ansprechen könnte. Natürlich will jeder Künstler, dass das, was er tut, bei den Leuten gut ankommt und auch mich trifft es, wenn ich irgendwelche negativen Reviews über meine Alben lese. Da können hundert Menschen schreiben, dass das die großartigste Musik war, die sie je gehört haben – wenn auch nur einer sagt, dass es schrecklich ist, dann finde ich das richtig, richtig schlimm und denke mir "Oh mein Gott, vielleicht hat er Recht!“.

rap.de: Bist du bezüglich deiner Musik so wenig selbstbewusst?

Vadim: Jetzt gerade könnte ich ins Studio gehen und es wäre mir egal, ob Timbaland, Dr. Dre oder die Neptunes da sind: Ich würde meine drei Lieblingssongs von mir spielen und ihnen allen sagen, dass das hier das Krasseste ist, was man überhaupt machen kann. Wenn Dr. Dre seine MPC zückt, dann zücke ich halt meine! Das hätte ich aber vor zehn Jahren noch nicht gekonnt, da wäre ich von diesen Leuten wahnsinnig eingeschüchtert gewesen. Aber jetzt bin ich diesbezüglich extrem selbstbewusst. Vielleicht nicht bei jedem einzelnen Song, den ich je gemacht habe, aber bei vielen. Ich könnte Dr. Dre etwas vorspielen und sagen "Das ist, was ich mache. Es ist mir egal, ob du es magst. Ich bin stolz darauf.“ Vielleicht verkaufe ich davon keine 18 Millionen Platten, aber das ist richtige Musik.

rap.de: Was bedeutet es dir, wenn jemand wie Paul Weller mit dir zusammen arbeiten möchte?

Vadim: Es ist natürlich großartig, mit so legendären Leuten zusammen arbeiten zu dürfen.

rap.de: Ist das ein besonderes Gefühl?

Vadim: Ich kenne viele Namen aus der Musikbranche, viele Künstler und die respektiere ich auch für ihren Legendenstatus im Rock-Bereich oder wo auch immer. Aber mit Paul Weller zusammen zu arbeiten, könnte niemals dasselbe sein, wie zum Beispiel mit KRS One zusammen zu arbeiten. Selbst wenn Paul Weller großartige Dinge für die Rockmusik geleistet hat, würde ich niemals unbedingt zu einem Konzert von ihm gehen und mir auch keine Platte von ihm kaufen wollen. Aber mit KRS One bin ich aufgewachsen, er war mein Idol und wenn er irgendwo auftritt und ich zu seiner Show gehe, dann kaufe ich mir immer noch die Eintrittskarten. Genau wie seine Platten, weil ich einfach ein Fan von ihm bin. Es wäre unfassbar, mit ihm zusammen zu arbeiten.

rap.de: Viele ehemalige Rap-Hörer distanzieren sich mittlerweile von der Rapszene, weil sie sich nichts mehr mit der Kultur oder der Musik identifizieren können. Ich habe ältere Interviews von dir gelesen, in denen stand, dass du jetzt mehr in die Reggae/Soul-Richtung gehen willst. In welche Richtung geht diese Entwicklung bei dir?

Vadim: Ich habe zu HipHop eine Hassliebe. Man kann es am besten mit einer Beziehung zu einer Frau vergleichen. Man kann nicht mit ihr leben, aber auch nicht ohne sie. Ich glaube, ich bin durch die Musik eine Art Psychologe geworden. Leute mit 18 können sich so sehr für etwas begeistern, sie „keepen es real“. Aber mit 25 haben sie sich häuslich niedergelassen, haben Kinder, sind verheiratet und hören Jack Johnson. Aber vor 3 Jahren waren es noch die größten Wu-Tang-Fans. Alle meine Freunde mit denen ich aufgewachsen bin, waren damals HipHop  und keiner von ihnen hört mehr Rap. Jetzt hören die auch alle Jack Johnson. Das ist ja nicht schlimm, ich bin auch verheiratet, nur ein Haus habe ich nicht, dafür reise ich zuviel. Was ich schlimmer finde, sind irgendwelche 18-Jährigen, die mir vorwerfen, ich wäre nicht HipHop, weil ich mich nicht wie der Wu-Tang Clan anhöre. Die wollen mir erzählen, was echter HipHop ist. Ich weiß einfach, dass sich diese Leute in spätestens 5 Jahren nicht mehr für Rap interessieren. Ich höre Rap seit 1984. Ich kann dir jeden Rapper von 84 bis zum heutigen Tag aufzählen. Natürlich ist vieles, was heute im Radio läuft, absoluter Müll. Viele denken ja, ein Schwarzer mit einem Mikrophon wäre Rap. Das hat soviel mit Rap zu tun, wie ich mit Ghandi. Aber manche neue Sachen, die ich höre, schlagen mir quasi immer noch ins Gesicht. Dann denke ich mir "Das ist geil!“ und dann bin ich immer noch Fan.

rap.de: Kannst du mir ein paar davon nennen?

Vadim: Hmmm, Common Sense, ich finde er klingt jetzt besser als jemals zuvor. Auch die Roots. Das erste Album ist ja auch ’92 raus gekommen und da waren die schon gut! Aber heute denke ich mir, das sind Genies. Aber ist HipHop heute deshalb besser als in der Goldenen Zeit? Ich denke zwar, dass Common Sense und die Roots heute besser sind als 1992. Auch KRS-One wird heute ein besserer Rapper sein als 1986. Der Unterschied ist, dass es heute andere Musik im Radio gibt, dass es tollere Videos gibt. Trotzdem gehören Black Thought oder Common Sense meiner Meinung nach, zu den zehn besten Rappern der Welt. Wenn ich heute rumexperimentiere, mache ich deshalb keinen HipHop mehr? Ich sage selber, dass ich Bass-Music mache. Das ist mein Ursprung, die Bassparties in London. Damals spielten sie alles was Bass hatte. Reggae, Rap, Rare Groove. Sie spielten Soul und Disco. Erst später kam dann Drum’n Bass, Electro und Jungle dazu.
Meine Musik braucht Drums und einen Bass, und das ist die auch die Essenz von HipHop.

rap.de: Du hast vorhin gesagt, dass du Klassiker von Morgen spielst. Welche sind das?

Vadim: Es gibt da natürlich so ein paar Favoriten, aber ich kann auch nicht immer erkennen, welcher Track so ein moderner Klassiker wird. Bei "Simon Says“ zum Beispiel. Als ich es das erste Mal hörte, dachte ich mir: "Cool“, aber ich dachte nicht, dass es so groß werden würde. Oder das erste "A Tribe called Quest“-Album. Ich habe es mir damals gekauft, weil ich dieses Native Tongue-Zeug gerne mag. Und dann habe ich es mir es angehört und dachte, "Brrrr, das mag ich überhaupt nicht!“, drei Monate später habe ich es noch mal rausgekramt und dann dachte auf einmal "Wow!“. Dasselbe hatte ich mit den Jungle Brothers oder auch De La Soul. Musik muss auch den Test der Zeit besteht. In den 90ern gab es doch auch dieses riesige Indie-Movement um Rawkus herum. Und es gehörte damals zu den besten Sachen, die man hören konnte, aber wenn ich mir die Sachen heute anhöre, dann denke ich "Uhhh, das ist nicht ganz so toll.“

rap.de: Meinst du, dass die Leute Zeit brauchen, um deine Musik zu verstehen?

Vadim: Das weiß ich nicht. Das hat auch was mit dem Marketing Budget zu tun. Es ist doch zum Beispiel interessant, wie manche Leute Outkast als Hip Hop-Crew akzeptieren. Hör dir doch "Bombs over Baghdad“ an, das lässt sich doch mit keiner Rap-Platte vergleichen. Und trotzdem sagen mir Leute, "Yeah, das ist genau mein Geschmack“ und ich sage denen dann immer "Du hörst doch sonst ganz andere Sachen und akzeptierst es trotzdem als HipHop!“ Warum ist das so? Sie waren auf jedem Rapmagazin-Cover, haben über 6 Millionen Alben verkauft, es war auf MTV. Aber die Leute akzeptieren es als Rap, weil Outkast einen Hip Hop-Hintergrund haben. Und sie akzeptieren es, weil es eine große Werbekampagne für das Album gab. Ich glaube, dass Leute Sachen leichter akzeptieren wenn das Marketingbudget eines Labels größer ist. Und es ist wichtig, wie der Konsument den Künstler wahrnimmt. Rihannas großer Durchbruch war "Umbrella“. Fakt ist, dass dieses Lied eigentlich für Britney Spears geschrieben wurde. Rihanna hatte sich nur eher die Rechte an dem Lied gesichert. Rihanna wird aber als R’n’B-Sängerin vermarktet, weil sie schwarz ist. Sie ist schwarz, also muss sie R’n’B machen. Und Britney Spears ist weiß, aber eigentlich machen sie genau die selbe Musik. Wenn du dir Britney anhörst, klingt es doch auch wie Rihanna, mit all den Beats von Timbaland oder den Neptunes. Beide können nicht besonders gut singen, beide singen über dasselbe, beide klingen sehr poppig. Die Leute nehmen meine Musik als sehr abstrakt und experimentell wahr, aber das liegt einfach daran, dass ich kein teueres Musikvideo habe. Und wenn HipHop-Fans sagen, "B.O.B“ ist ein HipHop-Klassiker, oder "Roses“, dann können mir diese Leute auch nicht vorwerfen, ich wäre kein HipHop. Versteh mich nicht falsch, ich liebe Outkast, aber es nervt mich, dass ein weißes HipHop-Publikum mir sagt, was HipHop ist, und was nicht. Und dieses Publikum ist oft so leicht beeinflussbar. Je mehr Marketing dahinter steht, desto mehr akzeptieren sie es.

rap.de: Auf deinem neuen Album sieht man ja auf deinem Cover zum ersten mal dein Gesicht. Auf deinem MySpace Blog hast du deine Krankheit dikumentiert. Gehst du jetzt neue Wege?

Vadim: Ja, ich habe das Gefühl,  das Berlin Angst vor mir haben sollte. Das was ich mache, wird groß. (Gelächter) Aber ja, ich versuche bewusst,  solche Sachen zu pushen. Marketing wird immer wichtiger und die Musik wird immer mehr davon beeinflusst. Für Indielabels wird es schwieriger, Platten rauszubringen und im Radio laufen zu lassen. Hier in Deutschland ist es doch auch so, dass im Radio nicht unbedingt das läuft, was gut ist, sondern das, was gut vermarktet wird. Und wenn die denken, dass dein Song Top10-Potential hat, dann spielen sie den auch eher, ganz gleich wie gut er wirklich ist.

rap.de: Ich denke nicht, dass Marketing alles ist. Du brauchst auch einen natürlichen Hype. Outkast ist ja auch nicht nur durch das Marketing groß geworden, die hatten ja auch schon einen gewissen Hype vor "B.O.B“.

Vadim: So habe ich das ja auch nicht gesagt, es ist klar, dass die nicht aus dem Nichts gekommen sind, und dann gleich "B.O.B“ gemacht haben. Die haben sich ein Fundament aufgebaut  mit ihren andern Alben und als "B.O.B" raus gekommen ist, sind die Leute ausgeflippt. Natürlich kann dich kein Marketing der Welt dazu zwingen Dinge zu kaufen, aber es kann zumindest festlegen, was erhältlich ist. Als 50 Cent so riesig wurde, lag es daran, dass er die besseren Skills hatte, oder die besseren Produzenten? Nein, es lag daran, dass du, egal in welchen Plattenladen oder auf welchen Online-Shop du gegangen bist, überall seine Sachen kaufen konntest. Alles war voller Werbung, egal ob in der U-Bahn oder in den Musikmagazinen.

rap.de: Naja, er hat aber vor diesem großen Durchbruch jeden Monat ein Mixtape rausgebracht. Und er hatte diese Geschichte, die jeden interessiert hat. Und du darfst nicht die Homosexuellen vergessen, die das Album wegen seinem Körper gekauft haben.

Vadim: Aber wenn du dir die Rapper anguckst, die in den letzten Jahren in den Top Ten waren oder die Rapper in Deutschland, in England oder in Amerika in den Charts sind, und dann ihre Skills mit ihren Verkäufen betrachtest, dann fällt dir doch auf, dass es da eine Differenz gibt?

rap.de: Aber was sind denn Skills? In der Popmusik sind Skills, wenn du den Menschen etwas bietest, bei dem sie träumen können. Bushido ist hier in Deutschland der größte Rapstar, weil die Menschen zu ihm aufgucken und er ihren Traum lebt. Sie wollen sein wie er. Das hat nichts damit zu tun, wie gut er rappt.

Vadim: Ein Geschichtenerzähler zu sein, ist ein Skill.

rap.de: Aber wenn man etwas macht oder repräsentiert, was die Menschen brauchen, dann ist das auch ein Skill. Ein Hype hat nichts mit dem Marketing zu tun..

Vadim: Da muss ich dir widersprechen! Den Menschen zu geben, was sie wollen, ist eine Vorstandsetagenfähigkeit. Das ist die Fähigkeit, strategisch wichtige Entscheidungen zu treffen, so dass der Vorstand glücklich ist. Es ist die Fähigkeit, eine Marktlücke zu erkennen und auszufüllen. Das ist auch die Fähigkeit, die Aggro Berlin besitzt. Aus den Augen eines Marketingmannes sind das Genies. Wenn du es aus diesem Blickwinkel betrachtest, ist auch P. Diddy ein Genie. Er hat R’n’B und Rap miteinander verbunden, er ist ein Genie. Er sah Biggie Smalls, er packte Faith Evans auf Biggies Lieder, er wusste, das wird das nächste große Ding. Aber das macht ihn als Künstler nicht besser.

rap.de: Naja, er ist ja auch kein Künstler, er ist ja wirklich eher der klassische Vorstandsvorsitzende.

Vadim: Für mich ist die HipHop-Kultur nicht mit der Pop-Kultur vereinbar. Es sind zwei verschiedene Dinge, für mich ist es eine Gegenkultur! Auch die Mentalität der HipHop-Heads war gegen den Mainstream. Naja, und jetzt es ist total auf den Mainstream ausgerichtet. Rapper haben teure Autos, es gibt Rap in der Werbung und guck dir irgendeine Soap an, selbst da werden jetzt HipHop-Wörter benutzt. Ich denke, und so denken viele andere, Skills zu besitzen, bedeutet gut zu flowen, die richtigen Wörter zu nutzen und es zu schaffen, dass die Leute sich etwas vorstellen können.  Ich weiß noch, wie ich damals Eric B. und Rakim gehört habe und dachte, da spricht Jesus zu mir. Aber wenn du dir die Top Ten in Amerika anschaust, dann findest du da jetzt Leute wie Souljah Boy und die haben nichts mit Skills zu tun! Seine einzige Fähigkeit ist es, eine Marktlücke zu füllen. Die Leute wollen 2009 einfach keinen Rakim mehr. Guck dir doch an, wie viele Menschen damals George Bush gewählt haben. Die wollten einen Dummkopf, die wollten niemanden, der sich gut anzieht und der Wörter benutzt, die sie nicht verstehen.

rap.de: Aber das hat sich doch jetzt geändert. Change und so.

Vadim: Naja, vielleicht wird dann auch Souljah Boy verschwinden. Aber es gibt in Amerika einfach eine große Zielgruppe, die mögen keine Rapper, die lange Wörter benutzen. Alles was die hören wollen, ist "Nigga Fuck, Nigga Fuck, Nigga Fuck“. Oh, das wird ein Hit!

rap.de: wie fühlst du dich denn dabei, wenn du jemanden wie Souljah Boy hörst, der ein Lied macht und dann Millionen verdient, während du schon seit den Neunzigern dabei bist und kein reicher Mann dadurch geworden bist?

Vadim: Es kümmert mich nicht, was er macht. Er macht Pop-Musik. Er ist ein Schwarzer, der wie ein Rapper spricht und Phrasen drischt. Er ist trotzdem kein MC, und da kann er Milliarden Platten verkaufen. Da war doch dieser große Streit zwischen Ice-T und Souljah Boy. Ice-T hatte gesagt, dass Souljah Boy Müll ist, woraufhin Souljah Boy sagte, dass Ice-T ein nörgelnder Gangster im Rentenalter wäre. Ice-T meinte, dass das kein Westcoast vs. Altlanta-Beef ist. Er sagte, dass er Lil’ Wayne und Outkast mag, aber er sagte auch: "Souljah Boy ist kein HipHop." Dann gab es eine Umfrage in Atlanta und die Leute haben alle gesagt, „Yo, Souljah Boy ist der Beste, er ist aus Atlanta“. Die Leute haben sich Ice-Ts Argumente nicht mal angehört, weil sie sich dachten "Fuck L.A.!Souljah Boy hätte auch den rassistischsten Scheiß von sich geben können, den Leuten hätte es trotzdem gefallen, weil er aus ihrer Stadt kommt. Das zeigt auch wie Leute Musik wahrnehmen: Über den kleinsten gemeinsamen Nenner. Du könnstest Leuten einen Track voller Rassisten-Scheiße vorspielen, wenn es nur nett verpackt ist, werden sie alle sagen "Whoa! Das ist ein cooles Lied!“

rap.de: Aber er hat schon ziemlich rassistische Sachen gesagt, der Souljah Boy. Er hat doch gesagt, die amerikanischen Schwarzen sollten ihren Sklaventreibern dafür danken, dass sie die Schwarzen nach Amerika gebracht haben.

(ungläubiges Gelächter)

Vadim: Im Endeffekt will ich damit sagen, dass ich mir Gedanken darüber mache, wie sich die Musik in den nächsten Jahren entwickeln wird. Es ist doch eine Schande, dass Leute in ein Lied nur ca. 15 Sekunden reinhören und dann entscheiden, ob es auf dem iPod landet. Zack, nächstes!

rap.de: Wie lange brauchst du, um ein gutes Lied einzuschätzen?

Vadim: Hmmm, weil ich ein Produzent bin, höre ich als erstes auf die Produktion. Ich bekomme ja viele Promo-CDs und Demos….Also, ich will ehrlich sein. Wenn mir der Sound innerhalb der ersten drei Sekunden nicht gefällt, dann drücke ich zum nächsten Track weiter. Wenn der Beat nicht am Anfang gut ist, wird er später nicht besser. Bei einem Album ist das anders. Wenn ich ein Album höre, dann möchte ich mich komplett darauf einlassen. Ich will verstehen, wie der Künstler dies und das gemeint hat, ich will einfach den ganzen Vibe einfangen. Die Leute schenken der Musik zu wenig Aufmerksamkeit.

rap.de: Du hast ja in Interviews gesagt, dass dein neues Album das Beste wäre, dass du bis jetzt gemacht hast. Erzähl uns doch mal, was das Besondere daran ist.

Vadim: Weil es fresh ist, weil es futuristisch ist, weil es mit innovativen Produktionsmethoden aufgenommen wurde. Es hinterlässt ein gutes Gefühl beim Hören. Ich will jetzt gar nicht sagen, es wäre das einzige gute Album auf dem Markt, aber ich weiß einfach, dass es sehr gut produziert ist. Ich wünschte, das wäre mein erstes Album und die Leute hätten noch keine Vorstellung von dem, was ein Vadim so macht. Es ist einfach blöd, wenn man schon so viele Alben gemacht hat, dann stecken die Leute einen immer in eine Schublade: "Ah, Vadim, der macht doch immer so abstraktes Zeugs." Ich denke viel darüber nach, wie ich für die Leute interessant bleibe. Wenn die Leute hören, dass Vadim ein neues Album rausgebringt, dann denken die "Oh, ein neues Vadim-Album. Wieder ein Haufen MCs drauf, ein paar neue Sounds und das war’s.“ Wir müssen die Leute immer wieder aufs neue herausfordern, sonst langweilen sie sich! Es muss immer etwas Radikales dabei sein, radikales Denken oder radikale Sounds. Und deshalb denke ich auch darüber nach, etwas mit einer Crew zu machen und selbst zu rappen. Jetzt habt ihr was richtig Exklusives für rap.de.

rap.de: Ja, ich denke, unsere News für morgen stehen schon fest. Hast du noch letzte Worte an unsere Leser?

Vadim: Ja, Leute sollten das Album checken, dass ich mit Redman gemacht habe. Auch mein Album mit Common, Missy Elliot und Black Thought ist ziemlich cool. (grinst) Achso, ansonsten: Peace, Love, Unity! Love Life, lasst euch nicht von Krankheiten unterkriegen. Ich habe es auch geschafft!

rap.de: Wenn die Nacht am tiefsten ist, dann ist der Tag am nächsten.

Vadim: Oh, das gefällt mir. Das ist deep.