Joe Rilla/Hammer & Zirkel

Marzahn. Die Platte. Hochhausgehettos. Ein schwarzer Mercedes biegt um die Ecke und Joe Rilla steigt aus. Die Füße in leichten Nike Schuhen. Schwere Lederjacke. Beton. – und im Endeffekt alles nicht so schlimm. Marzahn ist zwar nicht der Traum von Menschen, die gerne ein Eigenheim ihr eigen nennen, aber im Endeffekt doch ein relativ normaler Wohnbezirk, auch wenn Joe Rilla als ehemals aktiver Hooligan sowie
Hammer und Zirkel – das neuesete Plattenbau Ost Signing – ganz andere Geschichten erzählen können. aber schließlich sind die beiden im echten Leben ja auch Erzieher und da ist es heutzutage wohl unausweichlich, dass man einiges an Scheiße zu sehen bekommt. rap.de sprach mit den beiden im videointerview, während die schmackhafte und bereits legendäre Ostlerhackfleischplatte zubereitet wurde und mit Joe Rilla über seine neue Vertriebsplattfor release youself.net und sein neuestes Heavy Metall Balladenprojekt – Haudegen.

Riesige Männer, riesige Mengen Hackfleisch und Rap. All das im großen Videointerview mit   Hammer und Zirkel. Entweder auf das untere Bild der beiden Herren klicken oder einfach auf Seite Vier dieses Features gehen.

 

rap.de: Eure neue Internetplattform für Künstler, releaseyourself.net, war deine Idee, oder?

Joe Rilla: Ja, das war meine Idee. Wie der iPod auch, das NGage und der Reißverschluss. Nein, ich habe lange gegrübelt, wie wir uns besser positionieren können in der heutigen Zeit, gerade was den Handel angeht. Als Musiker bist du ja bestrebt, eine Veröffentlichung anzugehen und produzierst deine Alben und machst alles fertig und gibst es in den Handel. Mich hat dabei immer der HAP, der so genannte Händler Abgabe Preis, gestört und irgendwann war es dann so, dass ich mir mit meinen Partnern Tyson und Tony Powers, der die Programmierung gemacht hat, durch die Downloaderei Gedanken gemacht habe. Wir haben uns gesagt, dass wir uns neu positionieren und mit dem Arsch an die Wand kommen müssen. Es geht nicht, dass wir Musik für fünf, sechs, sieben Euro an den Handel abgeben und die damit das Geld verdienen lassen. Das war der Ursprung davon zu sagen „Veröffentliche dich selber, release yourself und mach Geld aus deiner Kreativität“, damit der Löwenanteil des kreativen Schaffens beim Künstler bleibt und nicht bei irgendwelchen Firmen, die daran noch mitverdienen.

rap.de: Was ist der Unterschied zu einem normalen Onlineshop?

Joe Rilla: Ein normaler Onlineshop fungiert ja wie ein Zwischenhändler und vertreibt nur. Bei „Release Yourself“ ist es so, dass es schon eine Netzwerkidee ist, sprich: an den Shop ist ein Netzwerk gekoppelt, in dem ein Rapper oder Sänger einen Produzenten suchen kann und der wiederum auch einen Rapper suchen kann. Es funktioniert sowohl als Netwerk, als auch als Shop. Im Prinzip kann dort jeder sein eigenes Profil aufmachen und seine Sachen anbieten. Egal ob er jetzt einen Track hat, eine Produktion oder ein Sample. Wir reden hier jetzt auch nicht unbedingt nur vom Hip Hop-Bereich, wir reden eigentlich von jeglicher Art von Kreativität. Ein Künstler, der Tonfiguren herstellt oder kreativ umsetzt, der kann das dort genau so machen. Das ist also nicht nur auf Musik gemünzt, sondern fungiert viel mehr als Netzwerk der Kreativität.

rap.de: Wo fließt dieses Geld hin? Jemand, der ein Tonfigürchen herstellt: schickt der die an dich und die schickst die dann an den Endverbraucher weiter, oder macht das der Hersteller selber?

Joe Rilla: Zum größten Teil ist es so, dass er das selber macht. Klar, bei allem was mit Plattenbau Ost zu tun hat, läuft das über uns. Wir unterstützen uns gegenseitig auch bei der Pressung und so, aber bei… Nennen wir ihn mal Peter Hundseck mit seinen geilen Tonfiguren, der macht das selber. Ich bin der Meinung, dass in der heutigen Zeit ein Künstler, wenn er mit seiner Kunst Geld verdienen will, sich neu positionieren muss. Das heißt für mich, dass er mit dem Arsch an die Wand kommen und selbst aktiv werden muss, anstatt sich auf irgendwelche anderen Leute zu verlassen. Das heißt: Peter Hundseck, der seine geilen Tonfiguren macht, bietet die an und hat die Möglichkeit, die über ein gewisses System zu vertreiben. Das ist alles sehr vereinfacht, auch was den Versand angeht. Da haben wir Module erstellt, die diese Abwicklung sehr, sehr leicht machen. Also, Sachen zu verschicken, Etikettierungen auszudrucken und so weiter. Im Dezember, Januar, Februar, März werden wir dazu eine Art Promotour starten, bei der wir das in jeder größeren Stadt in Deutschland präsentieren. Es geht darum, dass die Leute verstehen, um was es da geht, und dann im Prinzip darauf reagieren können. Entweder sagen „Ok, ich schließ mich der Sache an, weil ich das verstehe“ oder „Na gut, ist ja nichts weiter als ein ganz normaler Onlineshop“. Aber ich denke jeder, dem man das erklärt, wird das auch verstehen. Man könnte es auch Workshop nennen, aber auf jeden Fall ziehen wir durch die Lande und erzählen euch da draußen, wofür "Release Yourself“ steht.

rap.de: Gibt es so etwas wie eine ostdeutsche Hip Hop-Identität? Du hattest das ja ganz kurz angesprochen.

Joe Rilla: Zum Teil. Natürlich spiele ich damit, in dem ich sage, dass ich für eine Region stehe. Joe Rilla, der „Auferstanden Aus Ruinen“ gemacht hat, der "Der Osten Rollt“ gemacht hat. Das spiegelt sich alles auf jeden Fall in unseren Titeln und den Themen, die wir verarbeiten, wieder, aber es ist jetzt nicht so, dass wir da stumpf sind. Es ist jetzt nicht so, dass wir sagen „Wir sind hier die Ossis und wir ziehen unser Ossi-Ding durch und Ossis, Ossis, Ossis“, das ist ja Quatsch.

rap.de: Aber die nächste Veröffentlichung von euch heißt "Ansage Ost“.

Joe Rilla: Ja, das Nächste ist die "Ansage Ost“. Das war auch so ein Gedanke von mir: wenn ich den Step mal schaffe und ein bisschen mehr Aufsehen errege, werde ich versuchen, dieses Ost-Ding ein bisschen mehr auf den Punkt zu bringen. Daraus resultiert dann eben diese Ansage, auf der ich mit allen ostdeutschen Künstlern zusammen arbeiten möchte, die ich gut finde. Jetzt sind wir zu 90 Prozent mit dem Produkt fertig und es sind noch einige besondere Sachen dazugekommen. Zum Beispiel haben wir als Schirmherren den Puhdys-Sänger Maschine rangekriegt, mit dem wir auch noch einen Track machen werden, der uns im Endeffekt dabei hilft, das Ganze auch in den Medien etwas besser zu kommunizieren. Das macht mich glücklich und das ist eine Sache, die sehr wichtig für mich war, und meiner Meinung nach auch sehr wichtig für Ostdeutschland ist. Ich habe viel Live-Erfahrung und war mit Aggro unterwegs und habe da einfach gemerkt, dass die Leute im Osten schon auf jemanden gewartet haben, der sich dieses Ost-Ding einfach auf die Brust schreibt und auch damit rausgeht. Im Umkehrschluss sind die dann extrem dankbar dafür. Dafür steht Plattenbau Ost, das macht mich stolz und da habe ich auch meine Daseinsberechtigung. Wenn wir von Plattenbauten reden, dann sprechen wir von vielen Menschen auf engem Raum vereint. Wenn 150 Leute in einem Haus wohnen ist es klar, dass es da zu Reibereien kommt. Dass der Mensch sich in so einem Umfeld nicht wohl, sondern eingesperrt und beengt fühlt. Das ist im Osten und im Westen so und das ist da so das erste Ding, was mir eigentlich aufgefallen ist. Man hört, was die Nachbarn sagen, weil die Wände so dünn sind. Man hört jeden Streit, wenn im 18. Stock gevögelt wird, kriegst du das über die Heizung im zweiten Stock mit, solche Sachen. Das ist die erste Parallele und das reicht erst mal auch, weil mehr Parallelen sind da nicht. Auch die Leute in Mülheim sagen, dass es egal ist, wie man die Platte saniert, die Menschen in der Platte bleiben immer die gleichen und die Probleme bleiben dementsprechend auch immer die gleichen.

rap.de: Jetzt ist Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland aber schon ein großes Problem.

Joe Rilla: In Westdeutschland ja auch. Ich würde nicht sagen, dass nur wir im Osten dieses Problem haben, im Ruhrpott ist es doch genau dasselbe. Ich würde eher sagen, dass die Probleme die gleichen sind und die Leute jetzt merken, dass es welche gibt, die darüber sprechen. Ob es jetzt Hammer und Zirkel sind, die einen Track namens "Mike Aus Der Platte“ haben, der das Leben eines Jungen schildert, der sein Leben im Prinzip durch einen Suizid beendet – solche Sachen passieren ja nicht nur im Osten, solche Sachen passieren auch im Westen.

rap.de: Jetzt bist du aber auch anderweitig sehr aktiv. Du trägst ein Haudegen-T-Shirt. Was bedeutet das?

Joe Rilla: Ich habe ja vor ein paar Monaten gesagt, dass ich etwas müde bin, was die Rapmusik angeht. Du bist ja ähnlicher Meinung, das weiß ich auch durch die Recherche meinerseits…

rap.de: Was? Ich bin ein großer Rapfan.

Joe Rilla: Das bin ich ja auch, gar keine Frage. Ich bin Rapfan, aber trotzdem auch Musikfan und darauf habe ich mich halt besonnen und gemerkt, dass die letzten fünf Jahre die Musikindustrie, was den Hip Hop betrifft, immer undankbar wurde und diese Kultur irgendwie weg ist. Jeder will der Geilste sein, jeder macht seins, es kommt immer wieder einer, der der Bessere und Härtere sein will. Das hat mich irgendwann dermaßen angekotzt, dass ich gesagt habe, ich mache jetzt noch ein Album nach "Auferstanden Aus Ruinen“, das "Deutschrap Hooligan“. Weil ich das einfach noch mal weiterführen und auf die Spitze treiben wollte. Und danach wollte ich mich mal umschauen. Ich bin nicht einer, der sagt, er hört auf und deshalb sollen alle noch mal das letzte Album kaufen, sondern ich sehe mich einfach viel mehr als Musiker und nicht nur als Rapper. Rappen kann meiner Meinung nach jeder.

rap.de: Ich nicht.

Joe Rilla: Ich denke, Rappen kann jeder, wenn er sich das jetzt zum Hobby macht und reinhaut. Aber Musik machen kann nicht jeder und das war so ein Punkt für mich, erst mal herauszufinden, was ich eigentlich will. Um jetzt mal auf Haudegen zurückzukommen: Ich habe angefangen, Gitarrenmusik zu machen. Ich habe mich mit einem Gitarristen hingesetzt, ein paar Lines eingespielt, Beats drunter gelegt und versucht, mal ein paar Balladen zu singen. Das ist mir sehr gut geglückt und dann kam einer meiner besten Freunde um die Ecke. Das war Tyron, der hier gerade übrigens am Fenster steht und raucht. Und das hat dann im Endeffekt so funktioniert, dass wir uns gegenseitig Ideen zugeschustert haben und mittlerweile sind da auch zwei Alben fertig. Wir haben auch ein Superkonzept dazu, wie wir das machen wollen, und im Prinzip steigen wir um auf Rockmusik. Wir haben eine Berliner Hardcore Band die für uns spielt, Punishable Act. Das befruchtet sich auch gegenseitig. Ich bringe vor allem eine Menge Vokabular aus dem Hip Hop mit, eine Menge Gedichte, und die Jungs bringen viel Power und Sound mit. Das hat sich gegenseitig so befruchtet, dass da halt Haudegen raus gekommen ist, und wir nennen das "Gossenmetal“, weil das auch wieder für die Gegend steht, aus der wir kommen.

rap.de: Ist das so ein ähnliches Projekt wie bei Ice-T?

Joe Rilla: Es ist jetzt gar kein Problem, dass die Frage kommt, aber nein. Es ist nicht "Bodycount“ von Ice-T, es ist nicht "Judgement Night", es ist Haudegen. Es ist was Neues, es ist was Bodenständiges. Wenn mich vor zehn Jahren jemand gefragt hätte, ob ich mir vorstellen könnte, dass ich in zehn Jahren Balladen singe, hätte ich ihm gesagt, dass er spinnt. Auch wenn man mich jetzt so anschaut… Die Leute im Hip Hop sagen immer „Ja, krasser Kunde, haut immer richtig auf die Kacke, blablabla“ und keiner traut es mir zu, dass ich mich mit Heinrich Heines "Deutschland, ein Wintermärchen“ befasse und daraus einen Titel mache. Da liegt dann bei mir wieder dieser ursprüngliche Hip Hop-Gedanke, dass ich mir denke „Geil, ich kann etwas mischen, ich habe die Gabe, etwas aufzufassen, was ich sehe und daraus intuitiv eine Geschichte zu erzählen, die jemanden emotional berührt.“ Das ist für mich Hip Hop, oder Musik im Allgemeinen.

 

rap.de: Wie wird die Öffentlichkeit von Haudegen erfahren?

Joe Rilla: Wir proben gerade in Leipzig und werden auf jeden Fall auf Tour gehen, auch mit Punishable Act. Ansonsten werden wir ein, zwei Videos drehen, die wir dann auch raus hauen. Allerdings werde ich da nicht über die Hip Hop-Medien gehen. Ich werde auch nicht ankommen und sagen „Ey Staiger, guck mal hier, ich hab was, was für rap.de interessant ist“.

rap.de: Aber es wäre interessant für uns.

Joe Rilla: Gerade aus dem Hip Hop-Aspekt kann das natürlich sein, aber ich werde da über andere Medien rangehen, zum Beispiel über "Metal Hammer“ oder so. Momentan ist es so, dass wir da eine Menge Angebote haben was einen Deal angeht, weil wir eben was „Neues“ machen. Wir erfinden ja das Rad nicht neu, aber das ist halt eine Mischung aus Hip Hop-, Hardcore-, Deutschrock-, Balladen- und Softiemucke. Wir bringen das zusammen und das klingt für die Leute interessant. Wenn die Leute wie mich oder Tyron sehen, ist es für sie ein konträres Bild, zu sagen „Die Beiden wollen eine Ballade singen? Krass, das will ich mal sehen“. Aber genau so können wir sozialkritische Dinger raus hauen, wo wir rumbrüllen wie die Bescheuerten und sagen „Fickt euch alle!“.

rap.de: Tyron, was ist deine Rolle bei Haudegen?

Tyron: Ich bin der zweite Part bei Haudegen, als Sänger. Ich war auch jahrelang im Chor.

rap.de: (lacht) Ja? In welchem denn?

Tyron: Damals an der Gesamtschule hatten wir einen mit einer sehr hübschen Chorleiterin. Nee, eigentlich bin ich dazu gekommen, weil ich ein Mädchen da drin toll fand und mir dachte, dass ich irgendwie an die rankommen muss. Weil ich der Typ war, der immer alle umklatscht, haben die sich schon gewundert, als ich dann plötzlich da stand und sie gemerkt haben, dass ich wirklich auch singen kann. Die Chorleiterin hat zu mir gesagt „Bengel, aus dir wird mal was“. Ich war acht Jahre im Chor, bis das Mädchen dann da raus gegangen ist und ich auch. Ich habe sie dann auch nicht gekriegt.

rap.de: Ach so, ich dachte, sie ist heute deine Frau. Das wäre eine schöne Geschichte.

Tyron: Nee, ist sie nicht. Die Jetzige ist hübscher. Aber tatsächlich kann ich singen, was man mir ja ehrlich gesagt nicht zutraut. Heutzutage bin ich auch froh, dass ich die Tonleiter und das Singen gelernt habe. Ob Balladen oder härtere Sachen ist dann auch letztendlich egal, wobei mir die weicheren Sachen sehr gefallen.

rap.de: Also doch harte Schale und weicher Kern?

Tyron: Das will ich nicht sagen. Es ist jetzt nicht so typisch harte Schale, weicher Kern, weil man ja auch mit härterer Musik Emotionen rüber bringen kann.

rap.de: Ich meine jetzt nur, dass du nicht nach weicher Schale aussiehst.

Tyron: Nee, aber ich bin ein Netter.

rap.de: Das sind ja immer alle. Das ist so die typische Aussage: „Du, wenn man den kennt, dann ist er total nett.

Tyron: Scheiß jetzt mal auf Freundschaft, aber man schließt oft vom Äußeren aufs Innere. Um das mal auszuführen: In der Hinsicht bin ich wie ein Tier. Wer mich liebt, den liebe ich auch, wer mich hasst, den hasse ich auch.

rap.de: Nun gut, vor zehn Jahren hattest du einen Track auf einem Sampler, der aus Berlin kam, und der hieß "Hunde, die bellen, beißen nicht“. Der kam damals noch bei diesem unbedeutenden Label Mikrokosmos raus, was später natürlich eine Dynastie begründet hat. Seitdem hat sich einiges verändert in deinem Leben, da gab es auch diverse Zwischenstationen. Dieser Track war ziemlich Anti-Gangster, dann gab es eine Zeit lang das Projekt Analphabeten, dann Ostblokk, den Hooligan-Rap und jetzt Haudegen. Wie erklärst du dir dein Leben?

Joe Rilla: Als ich angefangen habe Musik zu machen, habe ich sehr schnell gemerkt, dass dich die Leute so oder so in Schubladen stecken. Da habe ich mir natürlich gesagt, ok, da finde ich mich lieber mit den Schubladen ab, und habe für mich selber fünf, sechs Schubladen aufgemacht Ich habe einen musikalischen Werdegang, ich entwickle mich weiter, ich entwickle mich menschlich weiter, meine Ansichten ändern sich – gerade auch was "Hunde, die bellen, beißen nicht“ betrifft. Ich bin heute auch noch jemand, der sagt „Wie du in den Wald rein rufst, so kommt es wieder raus“. Der, der die größte Fresse hatte, war dann auch der, der immer als erstes weg war. Die Grundaussage des Tracks damals war, „Du kannst erzählen, dass du der Krasseste bist, aber du musst es dann auch beweisen“. Die Analphabeten-Zeit war damals quasi mein Hip Hop-Kindergarten, mein Spielplatz, wo ich mich ausprobieren konnte, wo ich gerade als Produzent sehr viel dazugelernt habe.

 

rap.de: Da gab es übrigens noch ein kleines kommerzielles Zwischenspiel.

Joe Rilla: Das McDonalds-Ding?

rap.de: Nee, das nicht. Dieser Track mit der Landstraße zum Beispiel.

Joe Rilla: Das war die Single aus meinem ersten Album "Zeitgeist“, "220 km/h“. Klar, kommerziell war es schon, weil es eine Firma dahinter gab, die gesagt hat „Hey, ich glaube mit dem Rilla können wir Geld verdienen.“ Da gab es dann Präventionsvideos von der Polizei und ich bin durch Kasernen getingelt und habe den Leuten gesagt, dass sie nicht so schnell fahren sollen. Ich meinte das damals auch ernst, genau wie heute, wenn ich solche Sagen sage. Ich verstehe aber schon, dass es Leute gibt, die diese Veränderungen seit damals komisch finden.

rap.de: Das ist ein Leben mit Brüchen.

Joe Rilla: Nicht unbedingt mit Brüchen, aber es ist halt so, um mal dieses Hooligan-Ding aufzuklären, dass das auch ein Teil von mir ist. Ich wusste nur, wenn ich darüber im Rap spreche, dann weiß ich, was ich mir von diesen bescheuerten Kloppsköppen unter ihren Mützen anhören darf. Ich hatte einfach jahrelang keinen Bock darauf, als rechtsradikaler Motherfucker aus Marzahn bezeichnet zu werden. Irgendwann habe ich dann aber gemerkt, dass es eigentlich egal ist. Wenn diese Leute von mir das authentisch sein erwarten, dann müssen sie sich auch damit abfinden. Also dachte ich mir irgendwann „Wenn ihr die Wahrheit haben wollt, dann kriegt ihr eben die Wahrheit“ und die Wahrheit ist, dass ich eben mit meinen Jungs die dritte Halbzeit gefeiert habe. Da ist auch gar nichts dabei, es hat keinen politischen Hintergrund und das wars. Ein fester Bestandteil meiner Karriere war ja auch immer das Vorurteilsdenken. Viele Leute halten mich für einen Nazi oder sagen „So wie der aussieht, muss er einer sein, weil er halt alle Klischees bedient“ und damit will ich aufräumen. Ich habe mich nie verkleidet, habe nie diese Baggy-Papageien-Überfilm gefahren, also diese Amerika-Kopien sozusagen, war immer der, der ich bin und musste mich komischerweise immer dafür rechtfertigen. Darauf hatte ich keinen Bock mehr und dachte mir irgendwann, dass sie eben mit der Wahrheit klarkommen müssen. Es ist ein verrückter Werdegang, das weiß ich auch, aber nach "Auferstanden Aus Ruinen“ weiß ich eigentlich, warum ich das mache. Warum ich diese Musik mache, warum ich mich so ausdrücken will, was meine Gegend betrifft, was meine Aufgabe ist und so weiter.

rap.de: Du hast quasi zu dir selbst gefunden?

Joe Rilla: Ja, genau. Auf "Auferstanden Aus Ruinen“ ist ein Song namens "Vater Und Sohn“ drauf. Ich habe ja ein Kind verloren damals und genau das war dieser Umbruch, wo ich gemerkt habe, um was es eigentlich geht. Spielst du eine Rolle? Ist Rap für dich ein Schauspiel, wo du mal der Flexer bist und dann jemand, der plötzlich was von der harten Straße erzählt? Das war ein Findungsprozess und vielleicht hat das auch mit meinem Alter zu tun. Ich bin 33, habe eine Menge erlebt, eine Menge zu erzählen, aber irgendwann kommst du in ein Alter, in dem du keine Lust mehr hast, ein Spiel zu spielen. Da waren "Auferstanden Aus Ruinen“ und "Deutschrap Hooligan“ die logische Konsequenz. daraus, "Haudegen“ natürlich auch.

rap.de: Bist du denn noch in der dritten Halbzeit aktiv?

Joe Rilla: Nein, seid Kinder da sind nicht mehr. Meine Tochter ist vier, also kannst du dir selber ausrechnen, wann ich das letzte Mal mitgefahren bin.

rap.de: Wie bereitet man sich auf so was vor?

Joe Rilla: Saufen.

rap.de: Mundschutz?

Joe Rilla: Ja, aber vor allem Saufen.

rap.de: (lacht) Und dann?

Joe Rilla: Adrenalin, ähnlich wie das bei so einem Freefight-Kampf abläuft. Ich kenne dieses Gefühl, dass da in einem hochkommt und den Moment, in dem man nichts mehr merkt. Von der Vorbereitung her war es aber eher so, dass du im Mob in deinen Bus gestiegen und losgefahren bist und im Endeffekt nur darauf gewartet hast, das was passiert. Du wusstest, das was passiert, und allein dieser Adrenalinkick war es ja, nach dem du süchtig warst. Bei mir war es so, ich habe ja auch "Rocky Balboa“ auf dem Unterarm, dass da eine Musik in meinem Kopf losgegangen ist und zwar "Eye Of The Tiger“. Bei vielen, die solche Erfahrungen kennen, ist das auch so.

rap.de: Wäre es für Hooligans genau so spannend, wenn die sich in einem Stadion treffen würden und das quasi so…

Joe Rilla: … abgemacht wäre?

rap.de: Ja klar, abgemacht ist das ja so oder so, aber ist es nicht eigentlich immer interessant, weil es illegal ist?

Joe Rilla: Ich glaube, das hat sich ein bisschen verschoben. Zum Teil ist es so, dass ich natürlich noch viel Kontakt habe in die Szene, aber die Jungs da haben zum größten Teil auf solche Sachen gar keinen Bock. Abgemacht ist ja im Prinzip alles, auch wenn sich zwei Vereine sagen „Ja komm, lass uns mal machen“. Es ist ja nicht so, dass die sich irgendwo treffen und auf einmal knallt es. Die telefonieren auch miteinander und machen da Dinge aus, trotzdem ist das für die eher uninteressant. Da zählt glaube ich schon dieses Überraschungsding. Nicht zu wissen, wann genau es losgeht, immer startklar zu sein, sich keine Fehler erlauben dürfen, nicht zuviel zu Saufen, sondern noch einen einigermaßen klaren Kopf zu haben – solche Sachen halt. Weil ich aber eben gesagt habe, dass sich das alles so ein bisschen verschiebt: Seit einem Jahr ungefähr geht es ja durch die Medien, dass die Hooligans sich positionieren, dass in bestimmten Ligen richtig die Post abgeht. Ich merke aber, dass es sich mittlerweile anders formiert und gegen den Staat geht. Dass da Ventile aufgehen, wo ich mir sage, dass das eigentlich gar kein Hooliganismus mehr ist, sondern eher eine Revolte. Dass die Leute sich nach dem Spiel nicht mehr gegenseitig die Birne einschlagen, sondern dass das dann auf einmal mehr gegen Grün-Weiß geht. Die fragen sich „Wollen wir uns wieder gegenseitig die Köpfe einhauen oder wollen wir denen zeigen, dass wir die Schnauze vollhaben?


Teil 1:

Teil 2: