Interview mit Disarstar

Disarstar ist ein nachdenklicher Typ. Ein Typ, hinter dessen Stirn es die ganze Zeit rattert – das merkt man spätestens, wenn man ihm gegenüber sitzt. Aber er ist auch ein humorvoller, charismatischer und sympathischer Zeitgenosse. Jemand der zwar aussieht, als würde er dein Handy zocken, dir aber stattdessen das Geld gibt, das dir fürs Busticket fehlt. Bei seinem neuen Album „Kontraste“ ist der Name Programm.

„Kontraste“ ist nach vielen Mixtapes und EPs dein erstes Album. Inwiefern hat sich deine Arbeitsweise verändert?

Eigentlich war gar nicht so viel anders. Der Anspruch war halt ein anderer. Ich habe versucht, das was ich mache zu perfektionieren. Ich hab im Prinzip genau so gearbeitet, wie ich es vorher gemacht habe. Vielleicht ist das für ein Album nicht die beste Herangehensweise, wenn man sich gar nicht so großartige Gedanken drüber macht, wo es hingeht. Aber ich mache einfach Songs und habe irgendwann einige Songs beisammen und merke dann, was ich noch machen könnte, um das zu komplettieren.

Also hast du eher intuitiv gearbeitet?

Total intuitiv und ohne leitendes Konzept. Ich habe als es fertig war auch sehr lange nach einem Titel gesucht. Viele haben ja als erstes den Titel und fangen dann an zu arbeiten, aber ich finde das irgendwie einschränkend. Rap basiert ja normalerweise irgendwie auf Sexismus und so, aber ich bin ein Typ, der seine Mucke politisch korrekt halten will, aber auch das ist manchmal schwer.

Schreibst du einen Text, merkst dann, wenn du etwas nicht vertreten kannst und streichst dann Begriffe raus?

Kommt vor, ja. Ich weiß ja wie ich bin und versuche ein Bild von mir zu vermitteln, das möglichst nah an der Realität ist. Ich will nicht, dass Leute Sachen in den falschen Hals kriegen. Ich habe Sachen für die ich einstehe und das soll sich in meiner Musik niederschlagen.
Oft bieten sich einfach Reime an, die sauber und schlüssig wären – aber das geht dann nicht klar für mich. Anstatt dann einfach drauf zu scheißen und das trotzdem zu machen, lasse ich es dann.

Weil das der Anspruch ist den du an dich hast oder willst du die Hörer nicht falsch erziehen oder ein falsches Licht auf dich werfen?

Es ist natürlich auch der Anspruch an mich selbst, aber auch an das Gesamtding, das ich vermitteln möchte. Da passt halt vieles nicht rein. Ich sage in meinen Songs nichts, was ich nicht vor jedem rechtfertigen könnte. Ich kann alles was ich sage faktisch und argumentativ begründen. Das schränkt mich dann schon teilweise beim Schreiben ein.

Das klingt aber gar nicht intuitiv.

Ja, während des Schreibens ist es das womöglich nicht, aber der Prozess in dem Themen zustande kommen und so. Mit Intuitiv ist gemeint, dass ich mir nicht vornehme zwei Representer zu schreiben dann zwei Lovesongs und drei introspektive Songs, sondern ich schreibe etwas wenn ich eine Idee habe. Oft trage ich Ideen auch längere Zeit mit mir herum und wenn ich mich dann hinsetze schreibe ich sie einfach auf, ohne zu kalkulieren was am Ende damit passiert.

Die Beats sind sehr stilsicher gepickt. Hast du direkt mit den Produzenten zusammengearbeitet?

Also den ein oder anderen Beat habe ich auch aus Beatpaketen gepickt, aber dann immer mit Optimierungswünschen und klaren Vorsschlägen und Vorstellungen. Mein Hausproduzent 812Sound (französisch ausgesprochen; Amn. d. Verf) hat dann sowieso nochmal alle Beats im executive Producing in Reih und Glied gebracht.

Pickst du einfach nach Geschmack oder willst du einen prägnanten Disarstar-Sound kreieren?

Das ist einfach voll mein Geschmack. Aber vom Vibe eines Beats her begeistern mich eigentlich ganz unterschiedliche Sachen, aber ich versuche auch nicht etwas zu simulieren oder so. So kalkuliert bin ich nicht. Das wäre mir viel zu anstrengend so zu arbeiten. Wenn man ein Konzeptalbum macht, ist es glaube ich ultra anstrengend, alles zu sortieren und man ist so krass gefangen in diesem Konzept boah nee.

Einen roten Faden und eine Grundaussage hat „Kontraste“ doch auf jeden Fall.

Im Prinzip schon. Ich versuche die Leute zur Reflektion anzuregen beziehungsweise dafür zu begeistern. Das ist glaube ich in meiner gesamten Musik auch ein bisschen der rote Faden.

Wie würdest du denn die Kernaussage vom ganzen Album griffig zusammenfassen?

(überlegt) Die Grundaussage ist: Mach dir Gedanken! Hinterfrag! Hinterfrag auch dich selbst! Kritisier dich selbst! Kritisier auch dein Umfeld und deine Umwelt! Mach die Augen und Ohren auf und mach dann den Mund auf!

Insgesamt habe ich „Kontraste“ aber definitiv nicht als Album für die sonnige Jahreszeit wahrgenommen. Wie siehst du das?

Ich glaube dass viele Themen doch sehr universell und dennoch kontextbezogen sind. Ich glaube das ganze Album funktioniert im Sommer, nur halt nicht wenn du mit ’nem Bier in der Hand auf der Wiese liegst und dir die Sonne ins Gesicht knallt. Aber auch der Sommer hat lange Nächte und regnerische Tage.

„Wer ich bin“ greift deinen Facettenreichtum, auch den des Menschen hinter Disarstar auf und du formuliert ihn klar aus. Greifst du damit das „Tausend in Einem“-Ding auf? Das stellt ja mittlerweile fast schon so etwas wie deine Trademark dar.

Ja voll! Deswegen war es mir wichtig, dass das in der Form nochmal stattfindet. Weil die ersten fünf Songs sind schon so facettenreich, dass das als sechster Song schon gut reinpasst. Als Single hätte ich den niemals ausgekoppelt, los gelöst finde ich ihn den schwächsten Song des Projekts. Ich sehe den gar nicht im Singlekontext, aber im Albumkontext dafür um so mehr. Das war auch ein Song, bei dem sich die drei Strophen einfach wie von selbst runter geschrieben haben. Ich hätte auch einfach locker noch ne vierte und ne fünfte Strophe schreiben können.

Über sich selbst redet man gerne.

Ja, ich ja sowieso (lacht) Ich bin aber auch ein Typ, der sehr viel über sich nachdenkt und deswegen auch viel über sich zu erzählen hat.

Du machst ja auch nicht nur persönliche Songs, sondern eben auch weiterhin „den Sound der den Mob durch die Straßen treibt“. Das soll das Cover-Artwork ja wahrscheinlich auch illustrieren, oder?

Ich fand die Idee schon witzig – eine Champagnerflasche als Molotow-Cocktail. Das passt auch super zum Titel. Aber wie ich politisch und ideologisch eingestellt bin, weiß glaube ich auch jeder mittlerweile. Das ist einfach ein wesentlicher Aspekt meines Lebens und meines Daseins, deswegen findet das natürlich Platz.

Stellenweise hast du das aber schon alles sehr vereinfacht. Ganz simpell „Die da oben“ als klares Feindbild zu formulieren beispielsweise.

Du bist der zweite, der mich darauf anspricht. Das ist natürlich ein bisschen vereinfacht dargestellt, aber in anderen Kontexten zeige ich ja, dass ich mir sehr klar darüber bin, dass das Kapital die Regeln macht und auch der da oben nur nach den Regeln spielt, die er nicht gemacht hat. Ich will Leuten ja auch etwas erzählen, was sie noch nicht wissen. Wenn ich jetzt anfange zu referiere, dass das Kapital, dem das Wachstum inne wohnt, Leute zum Wettkampf zwingt und die ganzen daraus resultierenden Grausamkeiten aufbereite, dann wird das die 16-Jährige Jaqueline nicht verstehen, sondern kann mit Vereinfachungen viel mehr anfangen. Das ist ja auf eine gewisse Art subtil – ich falle ja nicht mit der Tür ins Haus. Wäre ich konkreter, würde ich das tun – aber nur in sehr wenige Häuser. Das ist nicht mein Ziel.

Auf „Capitis Deminutio Maxima“ gehst du aber doch sehr nach vorne. Da fliegen auf jeden Fall einige Türen – und du neigst ein bisschen zu Phrasen.

Ja, aber ich finde das ist ein guter Song geworden. Ich habe ja alles in so einen übertriebenen Kontext gesetz. Das merkst du ja schon an der Attitüde, die vieles wieder relativiert. Das ist einfach ein Song zum Wut ablassen. Mich kickt das, so einen Song zu schreiben, wenn mich etwas abfuckt.

Im Grunde ist es ja trotzdem ein ganz klar formulierter Aufruf. Was erhoffst du dir denn von so einem Song?

Indizierung. Promo. Goldstatus. (lacht) Nein, ich finde man kann den Leuten entweder leicht auf die Schulter tippen und das fünfmal machen, aber wenn du dann immer noch nicht reagierst knall ich dir halt eine – vielleicht reagierst du dann. Es geht ja nicht darum, dass jeder sich gleich ’ne Waffe holen soll, aber wenigstens mal einen Schritt nach vorne gehen sollte man.