Residierte Sido früher vornehmlich in seinem Block, ist er mit seinem aktuellen Album "Ich & Meine Maske" ganz oben in den Charts angekommen. Standesgemäß trafen wir uns daher mit dem superintelligenten Drogenopfer in der Präsidentensuite des Regent-Hotels. Weil der Berliner aber trotzdem down to the streets geblieben ist, gab es im Anschluss noch eine unelitäre Currywurst. Herausgekommen ist dabei ein hoch aufschlussreiches Gespräch über die Schattenseiten des Ruhms, mäuseverseuchte Wohnungen und das Balzverhalten junger Männer.
rap.de: Erst mal herzlichen Glückwunsch zu Platz 1 in den Charts. Es ist das erste Mal Platz 1 für dich, oder? Freust du dich denn?
Sido: Ja. Ich war mir aber sicher: 1 oder 2. Entweder Mark Medlock oder ich. Eigentlich dachte ich aber eher, dass es Platz 2 wird. Ich dachte, dass ich gegen dieses DSDS-Gehype nicht ankomme. Diese ganze DSDS-Scheiße war sozusagen ein halbes Jahr Promo für diesen Typen. Gute Promo. Aber was letztendlich ausschlaggebend war, war, denke ich mal, sein drittes Album innerhalb kürzester Zeit. Und das ist jetzt wahrscheinlich das einzige Mal, dass ich mich gut dabei fühle, wenn Mark Medlock hinter mir steht…
rap.de: (…lacht) diese Schwulenwitze über Mark Medlock reißen auch nicht ab.
Sido: Der war ja nicht schwul. Der war so unterschwellig gegen Schwule, das hat keiner mitgekriegt. Nur schlaue Menschen haben den doch jetzt verstanden.
rap.de: Beim Echo ging es doch auch die ganze Zeit gegen Mark Medlock, von wegen “Arsch aufreißen“ hätte jetzt eine neue Bedeutung und so.
Sido: Aber das wurde ja auch deswegen so ausgereizt, weil er sich immer so niedlich dagegen gewehrt hat.
rap.de: Habt ihr Beiden eigentlich Kontakt?
Sido: Nö. Aber der wohnt irgendwo bei mir in der Hood.
rap.de: Ich weiß ja nicht genau wo deine Hood ist, man sieht dich ja nicht. Gehst du ungern raus?
Sido: Nö, ich gehe schon ganz gerne raus.
rap.de: Würdest du gern mehr raus gehen?
Sido: Ja. Also ich würde schon ganz gerne mehr rausgehen. Ans Meer rausgehen oder so. Vielleicht an die Ostsee.
rap.de: Vermisst du eigentlich dein altes Leben?
Sido: Ja. Da gibt es so Leute wie Marteria oder Huss & Hodn mit denen ich mich gerne vergleiche. Ich war früher so, wie die jetzt grade sind. Die sind grade auf diesem Hype-Level, sind heiß, du weißt, was ich mein. Die Leute fangen halt jetzt grade an, von denen zu reden. Und darum beneide ich diese Typen. Die sind grade genau auf dem Level, auf dem ich mich am wohlsten gefühlt habe. Das Problem bei den Typen ist wahrscheinlich momentan das fehlende Geld. Die hungern und wünschen sich wahrscheinlich doch mehr als sie haben. Aber die sollen die Zeit auf jeden Fall genießen.
rap.de: Was sagst du zu Huss & Hodn? Wenn man praktisch sein eigenes Revival mitkriegt?
Sido: Das ist übelst Royal Bunker. Aber ich finde das irgendwie cool, macht Spaß. Und der Typ macht das ja auch gut. Ich hab mir das Album bei iTunes besorgt, es mir angehört und fand es gut. Sehr gut sogar.
rap.de: “Ich Und Meine Maske“ handelt ja auch von diesem Thema. Erfolg als Fluch und Segen. Empfindet man das wirklich?
Sido: So ist es ja auch. Aber das muss man vorher mit einplanen. Bevor man groß wird sagt man ja immer, dass es bestimmt eines Tages voll schwer sein wird, wenn man ständig Autogramme geben muss und auf der Straße vollgequatscht wird. Man spinnt halt so rum, das ist ja eine Utopie, dass man irgendwann mal berühmt und ein Star werden wird. Aber trotzdem hat man sich das ausgemalt. Aber nur aus Spaß. Und dann ist es Ernst geworden. Es turnt mich manchmal ganz schön ab. Ich sehne wirklich immer meinen Urlaub herbei. Da bin ich nicht anders als jeder andere, der jeden Tag arbeiten gehen muss, der wartet auch nur auf seinen Urlaub. Ich warte halt aus einem anderen Grund auf meinen Urlaub.
rap.de: Aber der Typ, der bei Siemens arbeitet, geht in den Urlaub und hat dort Siemens vergessen. Das ist bei dir ja nicht der Fall, du nimmst dich immer mit.
Sido: Auch in den Urlaub. Leider. Ich hab mal Mallorca probiert. Mein Problem ist, ich kann nicht lange fliegen. Ich bräuchte so etwas, was für Mr.T Milch ist, dass ich ohnmächtig werde und dann fliegen kann. Und man kommt halt nicht so einfach an diese Tabletten ran, die einen dann lange schlafen lassen.
rap.de: Kann man sich ja verschreiben lassen.
Sido: Ich geh halt auch nicht gerne zum Doktor. Da gibt es so ein paar Probleme, die ich deswegen habe… Was wollte ich denn jetzt eigentlich sagen? Genau, Urlaub. ich kann nicht weit fliegen, deswegen war ich auf Malle. Dort hat mich genervt, das nach drei Tagen schon Kinder zu mir kamen und sagten: “Da haben mir Leute von MTV Geld geboten, damit ich denen sage, in welchem Hotel du wohnst, aber ich hab nichts gesagt.“ Aber ich bin mir sicher, dass die was gesagt haben, wenn sie Geld geboten bekommen haben. Und am selben Tag hat mich dann auch einer aus Deutschland angerufen und gesagt: “Kauf die mal die Bild, die gibt es doch bestimmt auch auf Mallorca!“ Da war dann ein schönes Foto von mir und meiner Freundin drin. Ich mit meiner Plauze am Strand. So etwas macht mir keinen Spaß. Da frage ich mich dann, warum ich das mache. Ich mach das doch nicht deswegen.
Ich mach das wegen dem Geld, natürlich, aber eben auch, um Musik zu machen und mir etwas von der Seele zu reden. Wenn ich so was mitkriege, fällt es mir immer leichter einfach aufzuhören. Ich hätte kein Problem damit. Mir geht es nicht um den Ruhm und den ganzen Scheiß. Mir geht es darum, dass ich ganz gut leben kann, finanziell geht’s mir gerade gut und um die Musik. Aber nicht um dieses Henkemenkenke, dass darum entsteht. Das geht mir voll auf den Sack.
rap.de: Ab welchem Zeitpunkt wusstest du, dass du groß wirst?
Sido: Ich könnte ja jetzt sagen, nachdem mein erstes Album auf Platz 3 ging.
rap.de: So spät?
Sido: Für mich war das alles Utopie.
rap.de: Als ich damals in der MKzwo ein Interview gelesen habe mit Spaiche, der gesagt hat, ein Top Ten Platz müsse drin sein, da habe ich das alles auch für Utopie gehalten. Ich dachte: nie und nimmer.
Sido: Dachte ich auch. Und als ich gehört habe Platz 3 – das geht ab!
Ich hätte auch nicht gedacht, dass irgendwer noch "Mein Block“ hören will. Der Song war ja schon seit einem halben Jahr released.
rap.de: Ein Blumentopf–Song übrigens.
Sido: Genau, dieser Blumentopf-Bite. Dass der überhaupt noch gehört werden wollen würde.
rap.de: Stimmt es eigentlich, dass das Bo euch darauf aufmerksam gemacht hat, dass der Song ein Hit wird?
Sido: Jeder will uns darauf aufmerksam gemacht haben. Sogar Alex Gernandt von der BRAVO meinte, er hat mich entdeckt (lacht). Alle waren es irgendwie gewesen. Ich denke aber, es war eindeutig der Verdienst von Specter, dass der Song die Single geworden ist. Ich wollte ihn nicht, aber Specter sucht sich die Songs oft danach aus, wo er das bessere Video sieht.
Damals dachte ich wirklich „Oh Gott, lass es die richtige Entscheidung sein“. Das hat mir bewiesen, dass er weiß, was er macht. Da habe ich trotzdem noch nicht realisiert, dass ich ein Star werde, weil viele mir auch gesagt haben: „Dicker, du hast jetzt einen Hit und ja, dein Album verkauft sich ganz gut. Das mit der Maske ist auch ganz witzig und das kann auch kurz funktionieren, aber hoff da mal nicht zu viel. Du wirst kein Star. Das ist bald wieder vorbei. Spar dein Geld“. Richtig gemerkt habe ich es dann, als das zweite Album auch richtig abgegangen ist. "Lieblingsrapper“ ging auch auf 2, aber das war ja nur ein Projekt. So wichtig für die meine Karriere war das nicht. Für Harry seine Karriere wahrscheinlich mehr als für meine. Nach dem zweiten Album, als das so krass eingestiegen ist, dachte ich, ok, jetzt gehörst du dazu. Zumindest bist du prominent und gehörst jetzt mit in die deutsche Musikszene. Über deutschen HipHop hinaus, weil da habe ich sowieso schon lange nicht mehr stattgefunden.
rap.de: Hattest du jemals Probleme damit, dass mit der Maske zu machen?
Sido: Die Maske, wie sie jetzt ist, war nicht meine Idee, das war Specters Idee. Aber dass ich eine Maske haben wollte, war meine Idee. Es war schon immer so, dass ich mein Gesicht nicht zeigen wollte. Ich wollte es so ein bisschen im Dunkeln halten, weißt du? Ist ja egal, wie ich aussehe, ist nicht so wichtig. Dann kam Specter mit der Idee mit dem Mikrofon und der Maske und dann sind wir zu einem Typen gefahren, der das modelliert hat und ich fand die Maske krass. Ich fand es eine grundsätzlich gute Idee, die Maske zu haben. Die hat sich für mich gut angefühlt, ich habe mich wohl gefühlt, das war cool. Ich hatte nie Probleme mit der Maske.
rap.de: Warum wolltest du dich verbergen?
Sido: Überhaupt nicht erkannt werden und so. Ich hatte damals auch immer ein Problem mit der Brille. Es gab nur Einen mit `ner Brille in Deutschland und das war Curse. Und das war eben der Typ, der über das schöne Leben gerappt hat und ich dachte, vielleicht passt das alles nicht so dazu. Ich finde es ehrlich gesagt auch wichtig, wie der Typ aussieht, darüber muss man sich immer mehr Gedanken machen. K.I.Z. haben sich ja auch Gedanken gemacht, dass sie so aussehen wie sie aussehen. Bei der Maske hat das einfach alles sehr gut zusammengepasst: Ich wollte nicht erkannt werden und die Maske sah krass aus.
rap.de: Warum hast du sie dann irgendwann mal abgenommen? Es gibt ja Künstler, die das ihr Leben lang durchziehen.
Sido: Für mich hat das nicht mehr funktioniert. Für Aggro Berlin hätte es wahrscheinlich besser funktioniert, wenn ich die Maske immer noch aufhätte, aber dieses nicht erkannt werden klappt nicht. Wenn du die Maske aufhast, schürst du die Neugierde bei den Leuten und die wollen wissen, wer der Typ dahinter ist. Und dann sind ganz peinliche Fotos von mir entstanden, die dann auf irgendwelchen Internetseiten veröffentlicht wurden oder in irgendwelchen Zeitungen. Deshalb musste ich die Maske dann runternehmen. Zu "Mama Ist Stolz“ hat es dann einfach auch gut gepasst, dass ich die Maske nicht aufhatte.
rap.de: Bist du ein bisschen müde von diesem Medienrummel und der ganzen Inszeniererei?
Sido: Was mich extrem ankotzt, was ich überhaupt nicht kann, ist, wenn ich irgendwas drehe, die Sachen gut waren, der Kameramann dann aber sagt „Mach noch mal“. Dann wird es für mich gestellt. Das erste Mal ist zwar von mir inszeniert, aber gefreestyled. Beim zweiten Mal, wenn er sagt „Genau so noch mal“, kann ich das nicht. Ich möchte auch nicht. Ich könnte es wahrscheinlich. Aber ich möchte nicht denselben witzigen Satz noch einmal sagen, damit die noch mal künstlich über denselben Witz lachen. Wenn ich Sachen doppelt machen muss und es nicht was Neues sein kann, dann habe ich ein Problem. Aber wenn es neu und fresh ist, dann ist mir das Inszenierte auch egal.
rap.de: Und bei den Berichten für die BRAVO, wo man sich dann doch auch immer einen Kopf machen muss?
Sido: Ich hasse das, ich hasse so was. Weißt du, Bushido macht das so locker. Der lässt sich beim Fußnägel schneiden fotografieren und dann gibt es eine Doppelseite, wie Bushido sich die Fußnägel schneidet oder so ein Scheiß. Ich kann das nicht. Wenn wir was mit der BRAVO machen, dann irgend so ein krasses Foto, so ne krasse Story. "Ich bin tot“ oder so. Aber uns so `ne Idee aus dem Arsch zu saugen… Denen ihre Ideen sind meistens kacke. Wenn die mit einer Idee kommen, ist es meistens so „Komm, wir fotografieren dein Haustier“. Ich will mir nicht jedes Mal `ne Idee für die BRAVO ausdenken müssen, damit wir eine coole Story haben, darauf habe ich auch keinen Bock. BRAVO wird auch immer weniger, also ich habe mit denen gerade auch nicht mehr so viel zu tun.
rap.de: Ich hatte nur in letzter Zeit einen Satz von Specter aufgeschnappt, dass er müde sei von diesem ganzen Rummel. Na ja, aber ihr habt das doch erfunden im deutschen Rap, oder?
Sido: Aber es ist ja auch wichtig. Specter ist müde, weil er der Einzige ist, der das für alle übernimmt. Ich kann das verstehen, weil die BRAVO nicht mit einer einzigen guten Idee zu uns kommt und langsam versteht, was wir wollen. Dass wir nicht Haustiere fotografiert haben wollen oder mich im Unterhemd. Das wollen wir nicht. Das interessiert vielleicht die Leute, aber uns nicht. Wenn ihr mit uns eine Story machen wollt, dann kommt mit einer coolen Idee. Wir sind es müde, mit coolen Ideen zu kommen.
rap.de: Möchtest du jetzt langsam gerne mal wieder auf deine Musik reduziert werden? Durch Aggro ist ja dieses Image-Ding im deutschen Rap eingeführt worden. Vorher gab es keine Bilder von den Leuten.
Sido: Ja, ne, gab keine Bilder. Doch, es gab Bilder. Damals bei Royal Bunker haben Bobby und Ich doch auch damit gespielt, dass wir so runtergekommen sind und dreckig aussehen und so dünn sind und so. Das war unser Image.
rap.de: Aber das waren Images, die die Leute teilweise enttäuscht haben. Ich weiß ja noch wie das war, als M.O.R. zum ersten Mal im Fernsehen waren. Da kamen die ersten Mails mit „Boah, die sehen ja voll scheiße aus. Die sehen aus wie Studenten“, die hatten sich alle ganz andere Sachen vorgestellt. Und das habt ihr ja einfach konsequent durchgezogen. Ihr habt gesagt „Nein, wir sind keine Studenten. Wir haben Masken auf, wir haben Araber…“
Sido: Wir sind ja auch keine Studenten. M.O.R. und wir ist ja wohl ein Riesenunterschied gewesen, das weißt du doch selber.
rap.de: Na ja, es gab ja auch Leute bei M.O.R., die durchaus ganz anders waren.
Sido: Ja?
rap.de: Jack Orsen.
Sido: Ja, ok, der war ja später erst bei M.O.R., den zähle ich jetzt mal nicht dazu.
rap.de: Savas war auch kein Student.
Sido: Savas war ja auch nicht richtig M.O.R., das wissen wir ja auch beide. (lacht) Wir haben es dann auch selber gemerkt: Justus Jonas, der über Crack verticken am Kotti…
rap.de: Das ist eine Line, die nicht nachgewiesen werden kann. Ich glaube, die existiert gar nicht.
Sido: Wer war das dann, der gesagt hat „Ich ticke Crack am Kotti“? Das war einer von denen, hundert pro. Wer war’s?
rap.de: Er war’s nicht. Ich habe diese Line auch noch nie im Original gehört, sie wird immer nur zitiert, so ähnlich wie „Ich fick dich in die Urinblase“. Das ist eine Erfindung, glaube ich.
Sido: Bin ich der Einzige, der die Line sagt?
rap.de: Nein! Das wird ganz oft zitiert.
Sido: Dann gibt’s die Line. Was soll ich sagen, das hat einfach nicht gepasst. Wir haben dann ja auch angefangen, über so `ne Sachen zu reden. M.O.R., Royal Bunker – wir waren ja eine Clique und dann musste das alles auch irgendwie gleich klingen. Wir haben auch angefangen, über Crack am Kotti verticken zu reden. Aber wir haben ganz schnell gemerkt, dass das nicht passt. Das ist ja nicht real, wir wollen real sein. Keep it real, weißt du? Egal, wie viel Image hinter dem ganzen Ding ist und wie viel Maske dafür gesorgt hat, dass ich jetzt so berühmt bin, trotzdem bin ich immer real geblieben. Ich habe keine Scheiße erzählt. Nie. Und das war wichtig. Maske aufsetzen und berühmt werden – ok. Aber trotzdem habe ich nie Scheiße erzählt. Außer damals die Royal Bunker-Zeiten, da gibt es noch ein paar Lines von mir, wo ich sage „Ich verticke Crack am Kotti“. Vielleicht war ich das sogar, der die Line gesagt hat.
rap.de: (lacht) Wart ihr mit dem "Augen Auf“-Video eigentlich zufrieden?
Sido: Ich war sehr zufrieden damit. Als ich zuerst das Storyboard gesehen habe mit den kleinen Bildchen, wo halt daneben steht was passiert, war ich zuerst nicht so begeistert.
rap.de: Wegen den Frauenklamotten?
Sido: Nein, nicht mal deswegen. Das Baby war vorher mit so einem riesigen Strampelanzug, das konnte ich mir noch nicht so vorstellen. Die Frau fand ich von vorneherein ziemlich witzig, aber mit dem Baby konnte ich mich noch nicht so anfreunden. Aber das ist ja dann doch so ein Mädchen-Baby geworden und nicht so komisch wie auf dem Bild. Meine Szenen finde ich alle sehr witzig. Nur da gibt es manche Szenen, die ich nicht verstehe. Aber das ist so Kunstzeug und da hat sich der Regisseur schon was dabei gedacht. Wenn mich diese Kinder über diesen lilanen Vorhang ziehen – das sieht gut aus das Bild, aber ich verstehe das nicht. Auch jeder Erklärungsversuch ist fehlgeschlagen bei mir. Ich bin auch damit zufrieden, wie es ankommt. Scheiß mal auf dieses ganze Street Credibility-Zeug, da habe ich jetzt sowieso jeden Funken, den ich vielleicht noch hatte, verloren.
rap.de: Das höre ich öfters. Finde ich jetzt aber nicht besonders relevant.
Sido: Das ist es ja: es ist nicht relevant. Ob er jetzt weg ist oder nicht oder hin oder her, das ist mir scheißegal. Sollen die doch alle darüber diskutieren.
rap.de: Es gibt Leute, die sagen „Das ist nicht mehr der alte Sido“.
Sido: Ist er ja auch nicht. Der Typ, der damals den "Arschficksong" gemacht hat, der würde den nicht noch mal machen, nur weil ihr das am Besten fandet. Ihr habt doch den "Arschficksong", warum soll ich den noch mal machen? Ich bin nicht DJ Bobo. Ihr habt einen Song, der um’s Arschficken geht, warum wollt ihr noch einen? Darf ich nicht neue Sachen machen, ist das nicht besser? Ich finde schon. Im Grunde bin ich nicht derselbe wie beim "Arschficksong", aber den habt ihr schon.
rap.de: Findest du, dass dein neues Album glatter ist?
Sido: Nö. Also na ja, ich finde alle meine Alben glatt. Den Stein des Anstoßes habe ich bei meinen Alben ja nie gefunden. Ich habe ja nie irgendetwas gemacht, wo ich mir gedacht habe „Ok, das pikiert die Leute jetzt“, außer den "Arschficksong". Du warst übrigens einer von denen, weswegen ich den "Arschficksong" gemacht habe.
rap.de: (lacht laut)
Sido: Nicht weil ich an dich gedacht habe, während ich den "Arschficksong" geschrieben habe!
rap.de: Wobei der sehr homosexuell klingt, manchmal.
Sido: Ja, aber du warst einer, der gesagt hat „Ey, ihr habt ja nur Fäkalsprache, ihr redet nur von Ärschen“. Aber ich finde alle meine Alben glatt, um auf die Frage zurückzukommen. Gut, schön zu hören, sehr Entertainment – deswegen kann ich sagen, dass mein Album glatt ist, aber nicht glatter als die anderen.
rap.de: Aber ein paar Sachen haben sich schon verändert. Das mit dem Anti-Gott-Song und der Sekte damals und "Danke“ auf dem neuen Album. Wobei ich mir damals schon gedacht habe, dass Leute, die sich mit einem solchen Thema auseinandersetzen, eigentlich an Gott glauben, sonst würden sie ja keinen Song darüber machen.
Sido: Ihn mit „Du“ ansprechen und diese ganzen Sachen. Das erklärt ja alles. Ich war nur sauer auf ihn, ein bisschen enttäuscht und so. Mein Leben war scheiße, ich gebe den Mäusen Namen, die um mich herum rennen… Es war einfach alles kacke.
rap.de: Ja gut, aber das war ja selber ausgesucht, dein Leben. Du hättest ein bisschen arbeiten gehen können, man hätte auch abwaschen können in der Wohnung, man hätte auch aufräumen können. Man muss nicht zwischen schimmligen Pizzakartons sitzen.
Sido: Aber das macht doch keinen Sinn, in einer Wohnung, in der du dich nicht mal normal waschen kannst, abzuwaschen. Wo alles sowieso wieder in zwei Minuten dreckig ist.
Das war ohne Badezimmer! Die Toilette war draußen im Treppenhaus.
rap.de: So eine Wohnung hatte ich auch mal und mein Zimmer war trotzdem sauber.
Sido: Toll, Alter. Ich hatte da andere Prioritäten, weißt du?
rap.de: Kiffen?
Sido: Auf jeden Fall nicht sauber machen.
rap.de: Aber sauber machen musst du heute wahrscheinlich auch nicht mehr, oder?
Sido: Doch, Mama ist dagegen, dass ich mir eine Putzfrau ins Haus hole. Weil sie meint, dass man denen nicht vertrauen kann.
rap.de: Und dann kommt Mama manchmal?
Sido: Nein, das muss ich selber machen.
rap.de: Aber das schaffst du jetzt mittlerweile?
Sido: Nö, ich hab einfach nicht viel zuhause. Wenn ich nach Hause komme, lege ich einfach alle Sachen auf den Tisch. Ich habe ein Terrarium mit einer Schlange und da lege ich einfach immer alles drauf und da sammelt sich alles und irgendwann siehst du die Schlange unter dem Berg nicht mehr. Und das ist meine Ordnung. Da ist mein ganzes Zeug. Mein Schlüssel, mein iPod, meine ganzen DVDs. Und der Rest ist dann einfach irgendwie ordentlich.
rap.de: Also, was ist "Danke“ jetzt für ein Song?
Sido: Du hast geschrieben, es sei ein Gebet. Ich sage es ist keins. Natürlich sage ich „Amen“ am Ende, aber ich kann nicht Beten und Beten ist eine Sache, die dir von der Kirche auferlegt wurde. Ein Gebet ist "Vater Unser“ und diese ganzen Dinge, die da in dem Buch stehen und die du ablesen kannst. Und nur weil ich das jetzt geschrieben habe und praktisch ablese, ist es trotzdem kein Gebet für mich.
rap.de: Aber hast du dich mal mit Gott unterhalten?
Sido: Nee. Also, wovon die Leute immer erzählen, man liegt auf dem Bett und dann kommt die Erleuchtung, das hatte ich nicht. Ich habe mich mit Leuten unterhalten und die haben mir gesagt, dass sie an Gott seit dem Tag glauben, als sie auf dem Bett lagen, es ihnen scheiße ging, die Hände aufgehalten und ihn gehört haben. Ich will mich gerade nicht darüber lustig machen, aber es ist doch schon irgendwie komisch. Ich glaube wegen anderen Umständen. Wegen dem, was alles mit mir passiert ist. Und wenn ich ein bisschen darüber nachdenke, dann hat alles seine Bestimmung und seinen Sinn gehabt. Wie es mir damals scheiße ging und diese ganzen Sachen. Das bedeutet, dass ich mir jetzt bewusst sein kann über diese ganzen Sachen und dass ich das zu schätzen weiß. Ich sage schon, dass es dieses Gott-Ding ist, aber nicht das, was die Kirche uns da erzählt und deswegen ist es auch kein Gebet. Beten ist was anderes.
rap.de: Anderes Thema – Das Thema Schulsystem. Scheint dich zu beschäftigen. "Schule“ ist durch die O-Töne ja auch ganz witzig.
Sido: Das ist übrigens der reine Durchschnitt. Alle, die wir da interviewt haben, sind genau so drauf. Die stehen dann bestimmt auch vor der Schule und sagen „Ich bin auf Sidos Album, ich habe die Hook gemacht“.
rap.de: (lacht) Aber glaubst du, dass das Schulsystem wirklich versagt hat bei dir?
Sido: Bei mir? Ich hab versagt bei dem Schulsystem. Das Problem ist nur… "Schulsystem", das Wort an sich sagt schon wie scheiße das ist. Das ist ein System, was ein Typ irgendwann mal erfunden hat und dann so ein paar ausgewählten Leuten beibringt und dass sie mit dem Wissen unsere Kinder erziehen. Aber, wenn du nach dem System nicht funktioniertst. Das heißt du sitzt in der letzten Reihe, weil du irgendwie Schwierigkeiten hast beim lesen Lernen, dann bist du blöd. Dafür kriegst du ne 6. Weil du nach dem System nicht funktionierst. Aber wen du den Typen individuell behandeln könntest, weil du nicht 35 Schüler in deiner Klasse hast und jetze kein Bock hast, dich um den Einzelnen individuell zu kümmern, dann funktioniert das System für mich nicht. Weil ich der Meinung bin, dass der Typ aus der letzten Reihe, wenn du das ihm ein bisschen anders erklären würdest, dann könnte der auch lesen lernen. Da bin ich mir sicher.
rap.de: Könntest du dir vorstellen, dass du da irgendwas Politisches draus machst, oder eine gesellschaftliche Funktion übernimmst – Privatschule gründen oder so?
Sido: Nö.
rap.de: Also es soll so weitergehen?
Sido: Nö. Es soll nicht so weitergehen, aber ich werde daran nichts ändern können. Klar könnte ich eine Privatschule gründen. Aber wie viele Schüler könnte man dort unterhalten? 150? Dann hast du 150 Kindern geholfen, toll?
rap.de: Na immerhin 150.
Sido: Da denke ich eher so "Collateral Damage"-mäßig. Da gehe ich lieber den Weg des geringsten Widerstandes.
rap.de: Aber spätestens wenn die eigenen Kinder in die Schule kommen betrifft einen das ja.
Sido: Ja. Mein Kind geht auf ne gute Schule. Ich kümmer mich da schon drum, auf was für ne Schule der geht. Ist auch keine Privatschule. Ich zahl da auch kein Geld. Ist ne ganz normale Schule.
rap.de: Das war am Anfang ein bisschen schwierig mit dem Kind?
Sido: Ja.
rap.de: Es gab da so einen Rhymin Simon Spruch, wenn die Frau schwanger ist, soll man ihr in den Bauch treten. Darüber hatten wir uns damals auch unterhalten.
Was hat sich da geändert. An der Einstellung zum Kinderkriegen zum Kind an sich zu Erziehung.?
Sido: Ein Kind zu haben ist… wie soll ich sagen… wunderschön. Eine sehr schöne Erfahrung. Manchmal geht der genau so wie ich, bewegt sich so wie ich. Hat so Macken, so kleine Grimassen, die er mit seinem Gesicht macht, die ich aber erst im Laufe der Jahre hatte, die hatte ich als Kind nicht, aber er hat die jetzt schon. Das kann ich feiern. Sogar die Kleinigkeiten erfreuen dich daran. Ein Kind zu haben ist eine sehr schöne Sache.
rap.de: Wann kam diese Erkenntnis?
Sido. Als ich mit meinem Kind mehr zu tun hatte. Die kam schon als ich mein Kind nicht hatte. Da fing’s schon an, dass ich drauf geachtet habe, wie andere Eltern mit ihren Kindern sind. Ich habe mehr auf die Kinder geachtet auf der Straße, ich hab angefangen die Kinder zu sehen und da war’s schlimm, dass ich mein Kind nicht bei mir hatte. Jetzt wo ich ihn habe, achte ich auf jede Kleinigkeit. Ich nehm das ernster jetzt, dass ich ein Kind hab, weil ich ihn 4 Jahre nicht gesehen hab. Das war die Zeit in der ich hungern musste, um mich jetzt noch mehr satt zu essen an ihm.
rap.de: War das schwierig, Kontakt aufzunehmen?
Sido: Ne. Ich hab ja die ganze Zeit danach gesucht. Ich meine, es war schwierig die Nummer zu finden und den Kontakt wieder zu finden, aber es war auch wieder ein Wink des Schicksals, so wie ich’s auf dem Song sage. Ich hab nen Typen getroffen, der meinte zu mir, ich kenn die Tante von deinem Kind und dann die Nummer klar gemacht, zack angerufen – ging schnell. Für mich war’s auch nicht schwer da anzurufen. Für mich war’s wichtig. Darauf hab ich die ganze Zeit gewartet.
rap.de: Aber das sind doch krasse Emotionen dann, oder?
Sido: Klar. Die krassesten Emotionen sind, wenn du ihn dann siehst zum ersten mal. Und die Zeit in der du dich drauf vorbereitest. Was machst du jetzt, wenn du ihn zum ersten mal siehst. Für mich war aber schnell klar, ich mach einfach ganz normal. Gar nicht irgendwie Faxen machen, ich zeig ihm gleich: Ich bin dein Vater. So bin ich. – Gewöhn dich daran!
rap.de: Es gibt ja Rapper, die immer rauskehren, dass sie ein krasses Leben haben und wenn dann die Kinder kommen, dann heißt es: "Ich muss jetzt andere Texte machen, weil ich möchte meinem Sohn ein gutes Vorbild sein". Gab es bei dir auch solche Überlegungen?
Sido: Ich mach keine schlimmen Texte. Ich mach vielleicht Texte, die er mit 7oder 8 Jahren nicht unbedingt hören sollte. Die hört er dann auch nicht. Entscheide ich mit seiner Mutter zusammen., ja alles klar, dann gibt’s das auch nicht zu hören. Aber ansonsten glaube ich, dass meine Texte nicht Jugend verrohend sind. Da gibt es den ein oder anderen Sex-Song, diese Drogen-Songs, die aber trotzdem alle eine Moral haben. Nicht den erhobenen Zeigefinger, aber es gibt trotzdem eine Moral. Drogen werden nicht gepriesen, man hört immer raus, dass sie schlecht sind.
rap.de: Warum sind Drogen eigentlich immer schlecht? Du nimmst ja gerne Drogen, du hast das ja auch schon oft gesagt.
Sido: Erstmal habe ich auch schon schlechte Erfahrungen gemacht und ich kenne auch Leute, die nicht so gut auf Kiffen klarkommen, die dann einfach rumhängen und aus ihrem Leben nichts machen können. Ich sage, dass Drogen schlecht sind, weil ich nicht will, dass eines Tages ein Kind zu mir kommt und sagt „Ich habe angefangen zu Kiffen wegen dir“. Da habe ich richtig Abturn, so was soll mir bitte nicht passieren. Harris hat mir erzählt, dass ihm das passiert ist. Wenn einer zu mir kommen würde, würde ich blass werden, dem `ne Schelle rechts-links geben, mit zu dem nach Hause zu seinen Eltern gehen, sagen „Guck mal hier, dein Kind kifft!“, verstehst du? Da würde mir schlecht werden, wenn so ein Zwölfjähriger kommt. Dieser erhobene Zeigefinger funktioniert sowieso nicht, aber ich bin mir sicher, dass die Kinder, die meine Musik hören, schlau genug sind zu wissen, wie ich was meine.
rap.de: Das glaube ich nicht, dass die schlau genug sind. Ich glaube, dass es auf Grund deiner Texte bei pubertierenden Männern schon ein grundsätzliches Missverständnis gibt. Auch wie man Frauen anzusprechen hat. Dass schon sehr viele der Meinung sind, dass der Spruch „Geh auf die Knie und blas mir einen“, ein cooler Anmachspruch sei.
Sido: Das glaube ich nicht, das finden die witzig.
rap.de: Ich habe beim Splash junge Männer gesehen, die versucht haben Frauen anzusprechen und die haben das mit dieser Attitüde probiert.
Sido: Die meinten das nicht ernst. Glaub mir, wenn keine Typen dabei sind, reden die ganz anders mit den Mädchen. Die wollten jetzt auf dicke Hose machen vor den anderen Typen, die da rum standen.
rap.de: Aber es ist trotzdem unangenehm für die Mädchen.
Sido: Natürlich, aber die sind auf so `ner Party, wo es um so was geht. Die wollen das im Grunde auch. Die hören die Musik, die ihre Kumpels den ganzen Tag über hören, die sind auch wegen dieser Musik da. Wahrscheinlich ist es in dem Moment trotzdem unangenehm, aber die müssen damit rechnen. Man muss damit umgehen können. Einfach so `nen Spruch zurück. Kitty Kat kann das auch. Du musst auch wissen worauf du dich einlässt, wenn du in der Szene bist. Wir müssen uns nicht auf die einlassen, die in die Szene kommen, wir sind die Szene.
rap.de: Das ist ein interessanter Ansatz.
Sido: (lacht) Denk mal darüber nach!
rap.de: Liest du eigentlich viel?
Sido: (lacht laut auf) Ich kann gar nicht lesen! Also, doch, aber für mich ist Lesen Zeitverschwendung. Wenn ich schnell lese, lese ich so ein dickes Buch vielleicht an einem Tag und dann denke ich mir doch, ich brauch einen Tag für eine Sache, die ich in zwei Stunden im Film sehen kann. Es ist also Zeitverschwendung, ein Buch zu lesen. Bücher lesen ist oldschool, das haben Leute früher gemacht, die nichts zu tun hatten. Machen ja heute auch nur Leute, die nichts Besseres zu tun haben.
rap.de: Warum habt ihr dann die Texte im Booklet abgedruckt?
Sido: Findeste irgendwie kacke, wa?
rap.de: Ich finde Rap-Texte abdrucken immer behindert, weil Rap geschrieben gar nicht funktioniert.
Sido: Für mich ist das nur zum Nachlesen, falls du einen Satz nicht verstanden hast und nicht ganz sicher bist. Mir ist wichtig, dass alles verstanden wird, was ich sage, weil ich auch was zu sagen habe. Und dann guckst du noch mal nach und siehst „Ah, er hat nicht ‚Ficken’ gesagt, sondern ‚Stricken’“.
rap.de: Bei "Augen Auf“ kommt die Zeile vor „Treib mir meine Flausen aus“. Das hat mich so ein bisschen an diesen Spiegel-Titel von vor vier Wochen erinnert, wo so ein kleiner Junge dasteht und drüber steht „Erzieht mich!“.
Sido: Den Titel habe ich auch gesehen. Und jetzt? Ich habe das nicht gelesen, ich lese ja nicht. Meinst du, der Spiegel bitet mich?
rap.de: Nein, aber es gibt ja so einen gesamtgesellschaftlichen Wunsch, erzogen zu werden. Was bedeutet das, „Treib mir meine Flausen aus“? Ich meine, du hast auf das Flausen austreiben allergisch reagiert.
Sido: Auf die Art und Weise kommt es an. Da sind wir wieder bei den Individuen und dem System, dass man versucht, bei den Leuten anzuwenden. Meine Mutter hat es nicht geschafft, mir meine Flausen auszutreiben. Die hat aber trotzdem auf der Party angerufen und wollte die Eltern sprechen, wo wir dann die große Schwester rangeschickt haben, die behauptet hat, alles wäre in Ordnung. Aber trotzdem hätte ich keine 56 Tequila getrunken.
rap.de: Aber du hast ja auch Sachen gemacht, die dich in Gefahr gebracht haben.
Sido: Ja, aber das weiß meine Mutter nicht. Das sind so Sachen, die ich vor ihr verborgen habe und das waren auch nie solche Sachen, mit denen sie nicht hätte leben können, die sie so zu Tode enttäuscht hätten. Ich weiß, da sitzt jemand zu Hause, der liebt mich, ich liebe den auch und ich möchte den nicht enttäuschen.
rap.de: Das hindert die Leute ja trotzdem nicht daran, Kacke zu machen. Auf jedem Rap-Album gibt es ja zur Zeit den Song an die Mama, wo es dann heißt „Ich weiß, ich habe dich enttäuscht“, wo ich mich dann immer frage „Ja, das weißt du doch schon in dem Moment, in dem du es tust und trotzdem tust du es“. Wenn die Bindung tatsächlich so stark ist, dann muss man die Mutter ja nicht enttäuschen.
Sido: Ja genau, aber die Mutter muss sich halt auch drum kümmern. Was für `ne krasse Scheiße habe ich denn gebaut? Ich habe ein bisschen Drogen verkauft, wo ich mir sicher bin, meine Mutter hätte mir rechts-links gegeben und trotzdem hätte sie damit gelebt, weil sie’s verstanden hätte, warum ich das mache. Es sind so diese ganzen Kleinigkeiten: mal mit `nem geklauten Auto durch die Gegend fahren, solche Sachen.
rap.de: Aber du weißt genau, dass so was für manche Leute nicht gut ausgeht.
Sido: Ich rede ja von anderen Sachen. Ich rede von Jugendlichen, die kriminell werden. So was halte ich noch nicht für kriminell.
rap.de: Aber der Übergang ist fließend. Von ein bisschen Drogen ticken zu ein bisschen mehr.
Sido: Aber ich habe nicht mehr gemacht, weil es aufgefallen wäre. Ich kann doch nicht jeden Tag mit irgendwelchen Bündeln Geld kommen. Und was mache ich mit dem Geld? Immer nur so ein bisschen, damit ich Geld für’s Wochenende habe. Mehr konnte ich nicht, fertig. Meine Mutter kam in mein Zimmer und hat sofort gerochen, wenn ich einen gebaut hatte am Fenster. Ich konnte nicht mal mehr Drogen mit nach Hause bringen, das ging nicht. Aber wie kommt es so weit, dass ein Junge 56 Tequila trinken geht auf ner Party? Da ist was zu Hause nicht in Ordnung, glaub mir. Der kommt nicht jeden Tag nach Hause und seine Mutter fragt, ob er seine Hausaufgaben gemacht hat oder auf welche Party er geht, mit wem und was da los ist. Sonst hätte er nicht 56 Tequila getrunken, bis er im Koma liegt und stirbt.
rap.de: Hast du Reaktionen auf "Augen Auf" bekommen. Hast du den Eindruck, dass so ein Song jungen Eltern Mut macht?
Sido: So habe ich gerade nicht Kontakt mit den Leuten aber die Medien freuen sich immer darüber, dass ich irgendwas sage. Aber ich denke mal schon. Im Grunde ist es auch mehr Therapie, auch für mich. Ich muss mir ja auch immer wieder die Augen aufmachen und sagen: "Hier pass auf dein Kind auf. Hab ein Auge auf dein Kind." Ich geh auch auf Elternversammlungen. Diese ganze Scheiße. Ich will wissen, was da los ist. Wer mit ihm in einer Klasse ist, wer sind deine Kumpels? Hast du ne Freundin? Wer sind die Mädchen? Ich organisier den Kindergeburtstag. Ich will da drin stecken in dem ganzen Ding . Ich will wissen, was da los ist. Das ist mir wichtig. Wie ich’s sage. Am besten lässt du’s eine Glocke um den Hals tragen, damit du immer alles weißt. Natürlich musst du dem Kind auch Freiheiten lassen und darfst nicht immer dahinter stehen.
rap.de: Den entscheidenden Satz finde ich eigentlich die Zeile: "Du musst Zuneigung und Liebe geben"!
Sido: Das ist ganz wichtig. Dann kriegst du’s auch zurück und dann wird dein Kind auch aufpassen, dass es dich nicht enttäuscht. Da bin ich auch sicher.
rap.de: Es gibt bestimmt einige Menschen, die so viele Probleme in ihrem eigenen Leben haben, dass sie das nicht schaffen.
Sido: Aber dann darfst du keine Kinder kriegen.
rap.de: Das ist bei dir aber auch einfach so passiert.
Sido: Ich zähl mich ja genau so dazu. Sag ich ja.
rap.de: Hätte dir so ein Song damals geholfen oder hättest du gesagt: „Bäh Dreck, was quatscht der da?“
Sido: Im ersten Moment hätte mir so ein Song, wahrscheinlich die Tränen in die Augen gedrückt. Aber wahrscheinlich wäre ich trotzdem den selben Weg gegangen. Hmmm… ich war mir ja damals schon sicher, dass das nicht der richtige Weg ist. Ich hab’s immer bereut irgendwie, dass ich nicht bei meinem Kind geblieben bin. Im Nachhinein war’s vielleicht trotzdem der richtige Weg, weil ich die Zeit und den Freiraum hatte, mich um meine Karriere zu kümmern und jetzt kann ich ihm auch alles bieten. Ach darüber kann man lange philosophieren. Mann, ich weiß es nicht. Aber ich bin auch kein Engel. Ich hab den selben Fehler gemacht, von dem ich da rede auf dem Song. Deshalb kann ich auch so gut darüber reden und deshalb ist der wahrscheinlich auch so authentisch.
rap.de: Du sagst gerne in deinen Songs: "Guck mal, ich komm aus den und den Verhältnissen. Ich hab’s trotzdem geschafft." Das zu schaffen, was du geschafft hast, das schaffen aber nur sehr wenige.
Sido: Ja. Das sag ich auch. Man muss es eben auch nicht. Aber man KANN’S schaffen. Man muss es nicht als Rapper schaffen. Schule ist wichtig. Glaub mir. Egal wie scheiße die Schule auch ist und wie sehr dich das nervt. Es ist sehr wichtig, dass du was lernst. Im Endeffekt ist es ja auch nur eine kurze Zeit. Guck mal. Ich lebe viel länger als ich zur Schule gegangen bin. Mann kann es schaffen, wenn man sich ein bisschen zusammenreißt. Es sind ja nur ein paar Jahre.
rap.de: Du bist immer ein Rap-Fan geblieben.
Sido: Auf jeden Fall. Ich gucke mir das auch alles an im internet. Ich kaufe mir die Platten bei iTunes von den Leuten. Project Blowed, The Alchemist und so. Damit die wenigstens ein bisschen Geld an mir verdienen. Aber was nützen denen die paar Cent. Aber ich kümmer mich da drum. Deshalb tut mir das auch so weh, wenn ich in dieser Szene nicht mehr sein kann.
rap.de: Aber was ist diese Szene. Willst du ernsthaft in diese Szene zurück mit New Era Kappen und so?
Sido: Ich will die alte Szene zurück. Mann ich hör mich schon an wie Torch, aber ich verrmiss die alte Szene, mit den Jams und so.
rap.de: Du könntest doch eine Sido-Jam veranstalten. Im Böcklerpark. Wie früher…
Sido: Wer soll denn da kommen und was soll da passieren?
rap.de: Du kannst Huss & Hodn auftreten lassen, wir könnten einen großen Kreis machen. Breaker und so.
Sido: Ja und da dürfen nur Leute ohne "Tyson-Schnitt" reinkommen. Jeder, der einen "Tyson-Schnitt" hat, bekommt erst mal eine Glatze rasiert.
rap.de: Und alle müssen Rucksack tragen.
Sido: Ne, Rucksack war nie so mein Ding.
rap.de: Goldene Aussichten. Herr Sido, vielen Dank für das Gespräch.