Atmosphere

Dircksenstraße 40, Bohannon Club, Berlin: Angesetzt ist die Listening Session zu Atmospheres neuem Album mit dem, sagen wir mal, eigenwilligen Titel "When Life Gives You Lemons, You Paint That Shit Gold“. Nun gut. Ist ja auch eine eigenwillige Crew.
Nach obligatorischen Shake Hands und kurzer Ansprache führt uns Slug auf die Tanzfläche des Bohannons, damit wir, ausgerüstet mit Bier und Zitronen, einen ersten Eindruck vom Album bekommen.
Das anschließende, auf ursprünglich 10 Minuten getimte Interview wurde dank eines gut aufgelegten Slugs mal eben so auf  eine dreiviertel Stunde erweitert und bewegte sich irgendwo zwischen Tom Waits und Zitronen im allgemeinen Rausch der Redseligkeit. Aufgrund des vielen Biers ist dies hier nur der Versuch einer Zusammenfassung. Der Rest verlor sich in den Tiefen der Berliner Nacht. Aber wann trifft man auch schon mal jemanden, der kurze Zeit später Top Ten in den USA geht. Darauf noch ein Bier.

rap.de: Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Tom Waits?

Slug: Ich bin schon seit geraumer Zeit mit seinem Sohn befreundet. Aber die ersten Versuche gingen über Epitaph, unserem Label, über die wir ein Album veröffentlich haben. Tom Waits ist dort auch gesignt und so hatte ich damals einen Mitarbeiter von Epitaph, der gleichzeitig auch ein Freund von mir ist, mehrmals angefragt. Doch mein Freund sagte mir bloß, ich solle in gefälligst selbst anrufen. Naja, ich war jedes mal zu nervös, bis letztendlich sein Sohn den Kontakt hergestellt hat. Als es dann darum ging, was er genau auf dem Album machen sollte, sagte er mir nur, ich soll ihm den Song rüberschicken und er schaut, was er dazu beitragen kann. Ich dachte eigentlich, dass er die Hook singen wird, ließ es aber ihm überlassen zu entscheiden. Ich bot ihm sogar an die Hook umzuschreiben. Er schickt mir also die Aufnahmen, die er mit einer Vier-Spur! gemacht hat, zurück und ich warte die ganze Zeit auf die Hook, um ihn singen zu hören. Anscheinend hat er das „do whatever you want“ zu wörtlich genommen. Denn statt einer gesungenen Hook, hat er uns wirklich abgefahrene Geräuschaufnahmen geschickt. Wir haben uns letztlich für die Beatbox entschieden. Sie ist zwar kaum zu hören, aber das macht es so besonders: Sie wirkt fast schon wie ein Teil der Percussions! Wir wollten das Feature mit ihm auch nicht ausschlachten. Er ist auch wirklich nur in den Liner Notes erwähnt. Es ging hier nicht darum, durch seinen Namen die Plattenverkäufe zu steigern, sondern sich Tricks von einem wahren Meister abzuschauen. Naja und außerdem ist es witzig, wenn Leute auf uns zukommen und sich darüber amüsieren, dass wir „einen Typen“ haben, der auch Tom Waits heißt.

rap.de: Ehrlich gesagt, ging es uns genauso. Wir dachten nicht wirklich, dass das Tom Waits ist.

Slug: Siehst du! (lacht)

          
                           
rap.de: Wo wir schon bei "echten“ Musikern sind: Das gesamte Album ist sehr musikalisch ausgefallen. Der Sound entspricht nicht unbedingt einem klassischen Rap Album. Wird das also die Richtung sein, in die sich Atmosphere in Zukunft bewegen werden?

Slug: Mal sehen. Es ist auf jeden Fall nicht so, dass wir keine echten Rap Alben mehr machen. Aber dieses Album entstand einfach aus dem Umstand heraus, dass ich in letzter Zeit viel mit einer Live Band unterwegs war. Wir verstanden uns so gut, dass sie uns auf Tour begleiteten. Dort lernten wir auch, eine gemeinsame Sprache zu finden. Es ist einfach, sich mit einem DJ zu verständigen, da er mit derselben Musik aufgewachsen ist. Wenn ich also Ant sage, dass der Track mehr in eine Lord Finesse Richtung gehen soll, weiß er sofort was ich meine. Doch bei einem Gitaristen, der einen komplett andern Hintergrund hat, wird die ganze Angelegenheit schon schwieriger. Das anstatt davon frustriert zu werden, entwickelte sich daraus eine Art Bewegung. So kam eines zum anderen und wir spielten mit der Band das komplette Album ein.
Aber: Nicht, dass du uns hier falsch verstehst. Wir haben nicht auf eine Live Band zurückgegriffen, weil es vielleicht gerade Mode ist, Live Instrumente in Songs zu haben. Es war einfach ein Gefühl. Genauso gut ist es dann eben auch möglich, dass mein nächstes Album stark Techno-beeinflusst sein wird. Wer weiß?

rap.de: Ihr habt als kleines Vorab – "Strictly Leakage“ – veröffentlicht, was wirklich gar nichts mit dem Sound des Album zu tun hat. Aber auch die Lyrics auf "When Life Gives You Lemons…“ scheinen ein wenig ruhiger geworden zu sein. Kann es sein, dass du über die Jahre deine Wut verloren hast?

Slug: Lass es mich so sagen: Ich bin zumindest nicht mehr wütend auf mich selbst. Ich hab immer noch Probleme, doch ich richte sie nicht mehr direkt auf den Typen im Spiegel, oder mein nahes Umfeld. So sind meine Lyrics auch ein wenig globaler geworden: Meine Probleme in einen größeren Kontext gesetzt.
Ich bin vielleicht auch aus dem Grund nicht mehr so negativ eingestellt, da ich über die Jahre eingesehen habe, dass ich nicht nur mir selbst, sondern auch meinem Umfeld schade. Nehmen wir zum Beispiel Rhymesayers: Hätte ich mich von Anfang an so reingehängt wie die meisten auf unseren Label, würde Atmosphere wahrscheinlich einen viel größeren Stellenwert haben. Doch schon heute beeinflussen wir 13 jährige Kids, die wir nicht einmal persönlich kennen. Es gibt also genügend Gründe, eine positivere Einstellung zum Leben zu haben.

rap.de: Kam diese Einsicht auch durch den Tod deines Vaters?

Slug: Ja, sein Tod hat mich auf jeden Fall beeinflusst. Und in diesem Zusammenhang auch die Beziehung zwischen mir und meinem eigenen Sohn.

rap.de: Somit auch Anti Raucher Songs?

Slug: Ja, denn ich bin selbst ein elendiger Zigarettenjunkie. Und wenn ich damit nicht aufhöre, schade ich meiner Gesundheit, wodurch ich dann wieder meinem Sohn schade, da er später meine Krankenkasse bezahlen muss! (lacht)
Aber Spaß beiseite: Ich denke wirklich, dass wir uns mit Atmosphere und Rhymesayers auf einem ganz anderen Level bewegen würden, hätte ich diverse Einsichten einfach früher gehabt.

rap.de: Aber ist Atmosphere nicht eben genau wegen diesem unseinsichtigen und unzufriedenen Slug zu dem geworden, was es ist?

Slug: Ich glaube nicht. Ich bin der Meinung, dass es nicht unbedingt "Lucy" brauchte, um hierher zu kommen. Es war nur einfach der Pfad, den ich gewählt habe.

rap.de: Wobei "Lucy Ford“ ein elementarer Teil der Atmosphere Geschichte ist.

Slug: Schon, aber ich denke, dass wir es auch anders geschafft hätten. Die Sache mit Lucy ist einfach, dass sie den Leuten einen guten Referenzpunkt gibt. Sie können von Lucy angefangen bis zu "When Life gives you Lemons…“ auch, oder besser gesagt vor allem meine persönliche Entwicklung verfolgen. Und ich bin in der glücklichen Position einer dieser wenigen Happy End Storys zu haben. Das ist insofern wichtig für mich, da ich aufgrund meiner gelebten Geschichte auch den Kids etwas vermitteln und beibringen kann. Ich werde vielleicht nie der coolste Rapper sein, aber ich bin der Typ, der es aus der Dunkelheit rausgeschafft hat. Ant meinte auch einmal zu mir: Es ist leicht mit Schwarz zu malen, da es jeder versteht und nachvollziehen kann. Doch mit Babyblau zu malen und damit die Leute zu bewegen? Das Witzige ist doch, dass die meisten Pop Songs in wirklich grellen Farben gemalt sind, doch die Leute können sich damit nicht identifizieren. Sie konsumieren sie einfach nur, im Auto auf dem Weg zur Arbeit oder sonst wo. Es lässt sie einfach ein wenig den Alltagsstress vergessen, was soweit auch in Ordnung ist. Nur hast du schon mal probier, mit grellen Farben Leute wirklich zu berühren? Das ist eine wahre Herausforderung!
Ich meine, Black Eyed Peas machen nicht Musik, um dich zu berühren. Sie wollen einfach nur, dass du Spaß hast! Wohingegen Atmosphere dich einfach wieder von Zeit zu Zeit daran erinnert, dass das Leben Stress ist! Vielleicht ist das auch der Grund, warum BEP näher an der Essenz von HipHop sind, als wir. Doch um es auf den Punkt zu bringen: Die Inhalte und Punkte, die ich mit meinen traurigen Songs vermittele, versuch ich neuerdings auch in Babyblau zu kommunizieren.

rap.de: Wer hat sich das Konzept mit dem Album zum Buch ausgedacht?

Slug: Wir beide. Das ist wohl das kooperativste Album, das wir bisher gemacht haben. Wir haben das Konzept über eine gewisse Zeit hinweg entwickelt. Am Anfang standen nur ein paar lose Ideen, doch mit der Zeit fügte es sich zu einem großen Ganzen zusammen. Es war ein langer Weg bis zum fertigen Konzept, aber für mich persönlich die wohl beste Arbeit an einem Album bisher.

Ant: Bei dem letzten Album waren wir auch schon sehr nah an unsere Vision dran, doch dieses Album übertrifft es einfach noch ein wenig. Die Intention beim letzten Album war auch mehr HipHop-orientierter: Wir wollten den Leuten vor allem zeigen, dass Slug wirklich rappen kann!

Slug: Ich denke, dass wir über die Jahre wirklich gut darin geworden sind, unsere Visionen genau umzusetzen.

rap.de: Was war zuerst da: Das Buch, oder das Album?

Slug: Das Album, denn darauf war auch das Konzept ausgelegt. Das Kinderbuch ist eigentlich auch nur eine Interpretation des Albums und nicht das Album noch mal. Wir wollten die Inhalte auch Kids näher bringen.

Ant: Es gab auch nicht wirklich einen wirtschaftlichen Ansatz  dahinter, denn um ganz ehrlich zu sein: Solche Projekte rechnen sich nicht wirklich. Die Version mit dem Buch ist limitiert und wird wahrscheinlich auch nur von unserer Fanbase gekauft werden.

Slug: Wir sind auch momentan in einem Stadium angelangt, in dem wir zu alt für das College Radio sind und zu Untergrund für die breite Masse. Ich schätze wir sind so was wie Indie Karrieristen! Es gibt kaum eine Indie Crew, die eine so lange Karriere hat, wie wir. Und dafür sind wir vor allem unserer Fanbase dankbar. Es geht mir auch nicht mehr großartig um Expansion, sondern darum die existierende Fanbase bis zum Schluss halten zu können.

rap.de: Ich will noch kurz zu dem Buch zurückkommen: Hat deine eigene Vaterschaft dich dazu inspiriert, ein Kinderbuch zu schreiben?

Slug: Schon. Es ging mir vor allem darum, in einfachen Worten Kids zu animieren, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich könnte auch weiterhin ein Rockstar-ähnliches Leben führen. Aber mein Sohn ist mittlerweile zu alt dafür, als dass ich solche Sachen noch großartig vor ihm verbergen könnte. Somit ist es mir ein wichtiges Anliegen, ihm das richtige Bild zu vermitteln, um ihm auch bei seiner eigenen Entwicklung zu helfen und ihn auf dem richtigen Weg zu halten. Man kann also schon sagen, dass er der ausschlaggebende Grund für meine Veränderung zum Positiven ist.   

rap.de: Alles klar, dann dank ich euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt und viel Erfolg mit dem Album

Slug: Wir müssen danken

Kleiner Nachtrag: "Lucy" ist ein Charakter, der sehr oft in den Lyrics von Slug auftaucht, auf die er Bezug nimmt, oder die er direkt anspricht. Slug erklärte, dass es sich bei "Lucy" zu Beginn um die Mutter seines Sohnes handelte, mit der er eine turbulenten ON and OFF Beziehung führte. Später entwickelte sich der Charakter mehr zu einem Sinnbild für Frauen im Allgemeinen, teilweise wurde sie auch als Metapher für Hip Hop benutzt.

Bei aller Underground Attitüde. Das Album "When Life Gives You Lemons, You Paint That Shit Gold" verkaufte in der ersten Woche über 36.000 Einheiten und kletterte auf den 5. Platz der Amerikanischen Billboardcharts. Das Album erschien auch in einer limitierten Auflage von 25.000 Stück, inklusive einem Kinderbuch.