Interview mit Blowfly

Wer war der erste Rapper? Ganz eindeutig lässt sich diese Frage nicht beantworten. Blowfly nahm nach eigenen Angaben schon 1959 "Rap Dirty" auf – fand allerdings erst nach dem großen Erfolg von "Rapper’s Delight" Ende der Siebziger eine Plattenfirma, um es zu veröffentlichen. Klar ist, dass dieser Mann die Geschichte des Rap entscheidend beeinflusst hat, indem er das unkaputtbare, kontinuierlich beliebte Subgenre Sex-Rap so gut wie im Alleingang erfand. 

Der Mann hinter Blowfly heisst Clarence Reid und ist ein Alkohol und Zigaretten meidender Kirchgänger – So wie es sich für einen 68jährigen Großvater aus Cochran, Georgia im katholischen Süden der USA gehört. Als Ghostwriter und Produzent netter, jugendfreier Soul-Nummern kennt ihn die Welt unter seinem bürgerlichen Namen. Aber als Blowfly haut er seit fast 50 Jahren, davon 30 öffentlich, auf die Kacke, meist indem er Charthits nimmt und sie zu wüsten Bumsliedern umfunktioniert. Am Anfang hat er es vor allem mit Soul- und Funk-Nummern gemacht, inzwischen kann es Songs jeder Musikrichtung treffen – zuletzt von The Clash und Kollegen auf der 2006er Punk Rock Party. Dabei hatte sich Blowfly zwischenzeitlich schon zur Ruhe gesetzt. Dann aber animierte ihn sein jetziger Manager, der Drummer und Musikjournalist Tom Bowker, zum Weitermachen. 

Erstaunlich wenige Rap-Fans kennen Blowfly und selten wird er erwähnt, wenn von Pionieren die Rede ist. Vielleicht liegt es an seiner absurden Erscheinung – mit goldenem Anzug, Maske und Cape läuft er herum wie ein wandelnder Witz, und ähnlich hält er es in seinen Liedern. In "Rap Attack" von David Toop, dem Klassiker unter den HipHop-Büchern, wird er mit einem Halbsatz abgewatscht, der je nach Lesart als Zusammenfassung der Fremdurteile oder als eigenes Urteil des Autors aufgefasst werden kann: Blowfly, the unacceptable face of rap.

rap.de:  Meinst du, dass du für dein Einfluss auf Rap zu wenig gewürdigt wirst?

Blowfly: Nicht von den Rappern. Ob Too $hort, Devin The Dude oder Snoop Dogg, sie wissen schon, was ich für sie getan habe. Aber diese dummen, sogenannten HipHop-Historiker und die verklemmten Dildos, denen die Magazine gehören, haben Angst vor mir und können einfach nicht ertragen, dass ihre Musik von einem Freak in Maske und Cape kam.

 

rap.de: War dir, als du damals "Rap Dirty" aufgenommen hast klar, dass aus Rap etwas so Grosses werden würde?

Blowfly: Ich habe schon längst vorher gerappt, aber ich habe es nie aufgenommen. Ich bin aus Cochran, Georgia, dem Ku-Klux-Klan-Territorium. Ich habe damals vor den Weissen gerappt, um sie zu ärgern. Ich bin ihnen auf die Nerven gegangen, weil ich keine Angst vor dem Sterben hatte. Sie meinten, "Du bist eine versaute kleine Bitch, mach noch einen, wir geben dir Geld". Damals (in den 40er Jahren, Anm.d.Red.) hat Rap angefangen, und zwar waren es die weißen Country-Sänger, man nannte es nicht Rap, aber sie haben gerappt. Deswegen bin ich auch nicht der erste Rapper, sondern der erste schwarze Rapper. Ich liebte zum Beispiel dieses Lied "Smoke, Smoke, Smoke That Cigarette" (einem Nr-1-Hit von Countrysänger Tex Wilson). Man nannte das damals Soul Talkin‘. Viele von diesen Niggern haben einfach keine Ahnung, wovon sie reden. Denn die Weißen, die richtigen Rednecks, haben mit Rap angefangen. Als ich "Rap Dirty" aufgenommen habe, das war 1959, damals bin ich immer per Anhalter gefahren, ist mir was aufgefallen: Wenn du was mit fünf Frauen hast, bist du ein Casanova, ein Lover. Aber wenn deine Schwester was mit zwei Jungs hat, ist sie eine Schlampe, eine Hure. Das konnte ich nicht verstehen. Also habe ich "Girls Can’t Do What The Boys Do" geschrieben (das er später, im Jahr 1968, für Soulsängerin Betty Wright produzierte, Anm.d.Red.). Ich habe das Lied einer weißen Frau namens Margret vorgesungen, aber sie wollte mir nicht glauben, dass es von mir ist. Ihre Tochter meinte aber (macht die hohe Stimme eines begeisterten Mädchens nach): „Es stimmt, es ist wirklich sein Lied“. Sie fragte mich: „Bumst du meine Tochter? Ich meinte, "Wenn du hier irgendeinen Scheiss anfangen willst, dann fick dich, ich bin Neger, Deutscher und Indianer im Ku-Klux-Klan Land, ich habe vor nichts Angst, also nimm den Job und schieb ihn dir in den Arsch!" Sie meinte, "Tschuldigung, aber ich verstehe nicht was los ist, sie hat sich noch nie so benommen". Ich meinte, „Sie mag wohl Neger“, daraufhin sagte sie, „Halt’s Maul und sing noch ein Lied für mich!“ Also habe ich dieses Lied über schwule Hippies geschrieben, "Odd Balls". Sie meinte, "Verdammt, du bist nicht nur versaut, sondern auch lustig". Also hat sie mich nach Miami geschickt und mir 70 Dollar gegeben. Ihre Tochter meinte (Mädchenstimme): „Ich will dir auch zwanzig Dollar geben“. Also hatte ich 70 und die 20. Sie hat mir die Adresse von zwei Leuten gegeben, Henry Stone (Produzent und späterer Gründer des Disco-Labels TK Records, Anm.d.Red.) und Dick Clark (Fernseh- und Radiounternehmer, Anm.d.Red.), und ich habe den Bus nach Miami genommen. Ich habe Henry Stone angerufen, wir haben uns getroffen und ich habe ihm "Rap Dirty" vorgerappt. Er meinte, es ist das dreckigste Stück Scheiße, das er je gehört hat. Er meinte, wir könnten das Lied aufnehmen, aber es würde noch etwas dauern, und bis dahin würde er mir einen Job als Songschreiber geben, aber ich müsste saubere Sachen schreiben. Also habe ich ihm ein paar saubere Soul-Lieder geschrieben, und er mochte sie, er wollte sie kaufen. Ich sagte, du kriegst sie umsonst, wenn ich mit deiner Band aufnehmen kann. Also habe ich "Art Balls" und "Rap Dirty" mit der Band aufgenommen. Aber sie haben es nicht rausgebracht. 10 Jahre später, 1969, habe ich es dann noch mal aufgenommen, aber auch diese Version kam erst in den späten Siebzigern raus, mit einer sauberen Version fürs Radio auf der anderen Seite, die kam sogar in die Radio-Top-10, so oft wurde sie aufgelegt. Da ging es also los. In den 80ern war ich mal unterwegs, und der Bus ist stehengeblieben, also bin ich zu einer Tankstelle gegangen, um Öl zu holen. Und als ich zur Tankstelle ging, kamen mir ein paar weiße Mädchen entgegen und sagten: „Blowfly!! Wir haben dich in Mississippi gesehen, du warst gut!“ Ich sagte: "Danke, aber wer ist da hinten? Sie sagten: „Das ist (Country-Legende) Willie Nelson. Er ist sauer, weil er deine versaute Musik nicht mag. Also bin zu ihm gegangen und meinte, wenn du kein dreckiges Zeug magst, warum hast du dann welches aufgenommen? Ich habe ihm gesagt, er soll Gitarre spielen. Er spielte, sang "On The Road Again" und es sah so aus, als zeigte er den Mädchen beim Gitarre spielen auf den Arsch. Ich meinte: "Siehst du. Du zeigst vier weißen Mädchen auf den Arsch, und dazu singst du ‚On The Road Again". Er hat gelacht, und ich sagte, du kannst mir jetzt etwas Geld in die Tasche stecken.

In Westafrika gibt es seit Jahrhunderten den Griot, eine Art Wandersänger. In seinen Liedern lobt er seinen reichen Auftraggeber, verunglimpft dessen Gegner oder andere Opfer, und verbreitet Nachrichten und Tratsch. Der Punkt ist: Er schreibt nichts auf, alles kommt aus dem Gedächtnis. Er kennt sowohl traditionelle als auch eigene Lieder auswendig, wandelt sie allerdings je nach Anlaß, Publikum und Thema immer wieder ab – deswegen sieht besagter David Toop im Griot einen Vorläufer des Rappers. Und wenn es einen gibt, der diese These bestätigt, dann ist es Blowfly. Sich mit ihm zu unterhalten ist Rap-Konzert, Sachbuch, Märchenstunde und Kabarett in einem. Man hat das Gefühl, er hat die Bausteine für seine bis zu halbstündigen, bizarr-witzigen, geistreichen Monologe größtenteils schon zusammen, aber wählt sie der Situation entsprechend aus, dichtet sie um und bringt sie in die passende Reihenfolge. Dass er dabei vergisst auf die Frage zu antworten, kann schon mal vorkommen.

rap.de:  War dir klar, dass "Rap Dirty" ein Hit werden würde?

Blowfly: Ja, ich wusste es. Ich kannte mal ein nettes, anständiges weißes Mädchen, sie war Jungfrau, und ich sagte zu ihr und ihrer Mutter, passt auf, ich zeige euch wie versaut die Leute wirklich sind. Ich sagte, sie soll sich mit einem netten Jungen irgendwo zeigen, bei Burger King oder so. Wenn ihre Freundinnen sie dann später fragen, was passiert ist, soll sie sagen (Mädchenstimme): Oh, es war wunderbar. Er brachte mich in ein schönes Hotelzimmer und wir machten leidenschaftlich Liebe.“ Also hat sie es ihren Freundinnen erzählt, aber keine von ihnen hat ihn je angerufen. Dann meinte ich zu ihr, jetzt gehst du zu ihnen, guckst etwas traurig und hinkst ein kleines Bisschen. Sie werden dich fragen, was passiert ist. Also sagst du zu ihnen: „Ich weiss nicht warum ich das gemacht habe, warum ich mich mit diesem widerlichen Blowfly getroffen habe.“ – „Was ist passiert, hat er dich ins Motel genommen?“ – „Nein, er brachte mich zu einer Parkbank und fickte mich so hart, dass es sich anfühlte, als würden meine Innereien herauskommen“. Sie erzählte es ihnen, und alle von ihnen haben mich danach ständig angerufen, es waren etwa 20. Ihre Mutter sagte, „Oh mein Gott“, und ich meinte zu ihr, "Du dachtest, sie würden den Netten anrufen, richtig?" Und genauso war es mit der Musik, Kurtis Blow und die anderen sagten Sachen wie "These Are The Breaks" oder "Hotel Motel Holiday Inn" und so weiter, aber ich habe das Publikum einfach total gefickt.
rap.de: Luke Campbell von der 2 Live Crew hat gesagt, es hätte ihn ohne dich nicht gegeben. Wie schätzt du deinen konkreten Einfluss auf Rap ein? Was gäbe es nicht, wenn es keinen Blowfly gegeben hätte?

Blowfly: Wahrscheinlich gäbe es Rap nicht, aber ohne Luke hätte es Rap auch nicht gegeben. Luke wurde von Roy Orbison verklagt, weil er (dessen Song) "Oh, Pretty Woman" gesamplet hat, und Luke hat die Klage abgewehrt. Er hat das ganze Sampling-Ding damit sehr beeinflusst.
rap.de:  A propos, du sagst oft, dass du gegen Samplen bist.

Blowfly: Das bin ich. Ich wurde von allen möglichen Leuten gesamplet, DMX, Wu-Tang, Jurassic 5 und Ice Cube zum Beispiel (als Clarence Reid). Ich habe es den Leuten einmal bei den MTV Awards gesagt: "Wie würde es euch gefallen, wenn ich eure Töchter und Söhne nehme, mit ihnen mache was ich will, und sie euch dann zurück gebe? Nicht gut? Warum nehmt ihr dann meine Töchter und Söhne?" Lieder kommen aus dem Körper, wie Söhne und Töchter aus den Eiern und der Muschi kommen. Samplen heisst, ich nehme mir dein Zeug und mache damit was ich will, mit oder ohne Erlaubnis.
rap.de:
  Wäre es dir also lieber, nicht gesamplet zu werden, als gesamplet und dafür bezahlt zu werden?

Blowfly: Wenn du es richtig machst, ist es etwas anderes, wenn du danach fragst und mich bezahlst. Aber so funktioniert es nicht! Wenn du Geld sehen willst, musst du dir einen Anwalt nehmen und den Mothafucka verklagen! Wenn ich deine Süßigkeiten klaue, warum solltest du einen Anwalt brauchen, um den Scheiss zurück zu kriegen?

 

rap.de:  Wenn du heute achtzehn Jahre alt wärst, würdest du versuchen, als Rapper dein Geld zu verdienen?

Blowfly: Ich würde es machen, aber ich würde nicht den Scheiß machen, den jeder macht.
rap.de:  Hast du schon Pläne für ein neues Album?

Blowfly: Ja, ich werde es "First Black President" nennen, ich habe es schon in meinem Kopf, aber muss es noch aufnehmen. Ich mache zum Beispiel ein Lied über Hillary Clinton (singt): "It’s gonna be coochie in the White House, come 2008, everything is gonna be great." Aber ich muss es mit den richtigen Leuten aufnehmen. Ich kann es nicht haben, wenn mir jemand beim Aufnehmen reinreden will, von wegen "Warum probieren wir nicht mal das?“ Meine Leute sollen im Studio nicht irgendwas probieren, sondern machen was ich sage.